[Der Angeklagte deutet auf einen Dolmetscher.]
Ich hätte bis heute, also noch weitere fünf Monate, der Staatsanwaltschaft jede Auskunft auf jede Frage gegeben. Ich bin nicht mehr gefragt worden.
VORSITZENDER: Angeklagter! Sie müssen versuchen, sich etwas zurückzuhalten. Und wenn Sie das Licht sehen, sprechen Sie langsamer, Sie wissen doch Bescheid über die Lampe, nicht wahr?
OBERST AMEN: Ist es nicht eine Tatsache, Angeklagter, daß Sie bei Ihrem letzten Verhör erklärten, daß Sie den Wunsch hätten, nicht mehr verhört zu werden, da die Fragen so abgefaßt seien, daß sie der Anklagebehörde mehr Hilfe leisteten als Ihrem Fall, und daß Ihnen gesagt wurde, in diesem Falle würden Sie nicht weiter verhört werden; daß man Sie auch davon unterrichtet hat, daß weitere Dokumente und weiteres Material vorhanden seien, das man Ihnen noch nicht vorgelegt habe; ferner, daß Sie, falls Sie es wünschten, zu irgendeiner Zeit darauf zurückzukommen und zu diesen Dingen weiter verhört zu werden, Sie dies Ihren Anwälten sagen und eine Mitteilung senden sollten, und daß die Untersuchungsbehörde Sie gern weiterverhören würde. Ist das nicht eine Tatsache? Ja oder nein?
KALTENBRUNNER: So war es nicht, sondern ich habe diese Äußerung wiederholt bei Verhören abgegeben zu Einzeltatsachen und an diesem Abend, es war sehr spät, abends 8.00 Uhr etwa – ich kann den Raum genau beschreiben –. Ich wurde aus dem Raum herausgeführt. Ich glaube, dieser Dolmetscher, den ich diesen Morgen hier gesehen habe, ist an einer langen Tafel gesessen und noch zwei oder drei Beamte. Sie haben gesagt: Sie haben heute die Anklageschrift erhalten. Und ich sagte: Jawohl. Sie sagten: Haben Sie zur Kenntnis genommen, Sie werden mit dem Generalsekretär nunmehr über die Verteidigung zu sprechen haben. Wollen Sie weiterverhört werden? Worauf ich erklärt habe: Jawohl, ohne weiteres, ich stelle mich jederzeit zur Verfügung. Worauf mich dieser Offizier hier vollkommen entgeistert angesehen hat, weil ihm diese Erklärung ganz unerwartet gekommen ist. Offensichtlich haben alle anderen vordem erklärt: Nein, wir sind froh, daß dieses Verhör aufhört und wir uns nun mit unserer Verteidigung beschäftigen können.
OBERST AMEN: Nun, Angeklagter, will ich Ihnen das Protokoll Ihres letzten Verhörs vorlesen. Nach einer Frage darüber, ob die Aussagen Ihnen genügend nützten, so daß sie Sie fortsetzen wollten, sagten Sie das Folgende:
»Antwort:... Dies wäre mindestens ebenso wichtig für meine Verteidigung, wie das Material, das der Anklagebehörde hilft und über das der verhörende Beamte mich schon wiederholt befragt hat. Deshalb habe ich das Gefühl, daß ich immer noch in der Hand der Anklagebehörde bin und nicht in der Hand eines Richters, der mit dem Vorverhör betraut ist. Da mir die Anklageschrift überreicht worden ist, finde ich mich nun in dem Zustand der Vorbereitung meiner Verteidigung, und ich halte es nicht für richtig, daß Sie weiterhin nach Material suchen, das mich belastet.
Bitte betrachten Sie dies nicht als eine Kritik oder eine Zurückweisung, da ich nicht über das Verfahren in diesen Verhören unterrichtet worden bin und ich es nicht kenne. Aber, soweit ich über das rechtliche Ver fahren unterrichtet bin, ist dieser Zustand nicht korrekt. Ich hatte nie die Möglichkeit, Zeugen gegenüberzustehen und sie daran zu erinnern, daß dieses und jenes anders geschehen ist...« und so weiter.
»Frage: Ist Ihre Erklärung in der Form eines Einwands gegen weitere Verhöre abgegeben?
Antwort: In diesem Sinne, wie ich es jetzt gesagt habe. Falls die Möglichkeit besteht, Zeugen gegenübergestellt zu werden und irgend etwas hinsichtlich Aussagen zu meinen Gunsten zu tun, dann würde ich gerne fortsetzen. Aber auch hier habe ich das Gefühl, daß es besser wäre, dies während des Beweisverfahrens im Prozeß selbst zu tun. Ich glaube, ich sollte dies erst mit meinem Anwalt besprechen.
Frage: Gut, wenn bei Ihnen die Frage entstanden ist, ob Sie im Verhör durch die Hauptanklagebehörde der Vereinigten Staaten beim Internationalen Gerichtshof fortfahren sollen, dann glaube ich, sprechen Sie am besten mit Ihrem Anwalt. Man hat Sie niemals zu antworten gezwungen, weder vor noch nach Überreichung der Anklageschrift. Ich denke, Sie werden zugeben, daß Sie in jeder Hinsicht fair behandelt wurden.«
Stimmt das?
KALTENBRUNNER: Ja, Herr Anklagevertreter, das ist ja genau die Bestätigung dessen, was ich sage. In dem, was Sie hier vorgelesen haben, steht ja drinnen, daß ich nicht einverstanden war mit dem plötzlichen Aufhören der Besprechungen und Vernehmungen, daß ich gesagt habe, daß ich nie Gelegenheit habe, mit den Zeugen zu sprechen, die mir vorgestellt werden.
Es ist eine Bestätigung dafür, daß ich Sie gebeten habe, mir die Zeugen gegenüberzustellen, um mit Ihnen zu sprechen. Daß ich dabei natürlich auch gesagt habe, ich bin froh, wenn ich jetzt an die Ausarbeitung der Verteidigung gehen kann, das kann ich keineswegs leugnen, das ist ja auch so gewesen. Aber ich habe doch in einer so langen Erklärung, welche mir in dieser Formulierung nicht vorgelegt wurde, selbstverständlich nicht, wie kein einziges Verhör oder höchstens zwei, drei, nicht gesagt, ich stelle mich nicht mehr zur Verfügung, sondern sogar ausdrücklich sagte ich – diese Wendung haben Sie wiederum vorgelesen –, daß ich mich zur Verfügung halte.
OBERST AMEN: Nun, Angeklagter, gehen wir zum Warschauer Ghetto über. Wissen Sie noch aus den vor diesem Gerichtshof gemachten Aussagen, daß 400000 Juden zuerst in das Ghetto gebracht wurden, und daß zum Schluß SS-Truppen etwa 56000 entfernten, von denen über 14000 getötet wurden? Erinnern Sie sich an diese Zeugenaussage?
KALTENBRUNNER: An diese Aussage erinnere ich mich im einzelnen nicht, aber was ich von dieser Sache weiß, habe ich heute bereits bekundet.
OBERST AMEN: Einen Augenblick. Wußten Sie, daß praktisch alle diese 400000 Juden in der Vernichtungsanlage von Treblinka ermordet wurden? Wußten Sie das?
KALTENBRUNNER: Nein.
OBERST AMEN: Was hatten Sie mit der endgültigen Vernichtung des Warschauer Ghettos zu tun? Nichts, wie üblich?
KALTENBRUNNER: Ich hatte damit nichts zu tun, das habe ich hier schon erklärt.
OBERST AMEN: Ich bitte, dem Zeugen das Dokument 3840-PS vorzulegen, das nunmehr Beweisstück US-803 wird. Kannten Sie Karl Kaleske?
KALTENBRUNNER: Nein, der Name ist mir nicht bekannt.
OBERST AMEN: Hilft es Ihrem Gedächtnis, wenn ich Ihnen andeute, daß er der Adjutant des Generals Stroop war?
KALTENBRUNNER: Ich kenne den Adjutanten des Generals Stroop nicht; den Namen, den Sie mir gesagt haben, »Kaleske«, kenne ich nicht.
OBERST AMEN: Sehen wir uns doch sein Affidavit einmal an. Haben Sie es vor sich?
KALTENBRUNNER: Ja.
OBERST AMEN:
»Ich heiße Karl Kaleske. Ich war Adjutant zu Dr. von Sammern-Frankenegg vom Sommer 1942 bis April 1943, während er SS- und Polizeiführer von Warschau war. Ich wurde dann Adjutant zu SS- und Polizeiführer Stroop bis August 1943. Die Aktion gegen das Warschauer Ghetto wurde geplant, während von Sammern- Frankenegg SS- und Polizeiführer war. General Stroop übernahm den Befehl am Tage, an dem die Aktion anfing. Die Funktion der Sicherheitspolizei während der Aktion gegen das Warschauer Ghetto war, die SS-Truppen zu begleiten. Eine bestimmte Anzahl von SS-Truppen bekamen die Aufgabe, eine Straße zu räumen. Bei jeder SS-Gruppe waren 4 bis 6 Sicherheitspolizisten, denn sie kannten das Ghetto sehr gut. Diese Sicherheitspolizeileute unterstanden Dr. Hahn, Kommandeur der Sicherheitspolizei von Warschau. Hahn erhielt seine Befehle nicht von dem SS- und Polizeiführer von Warschau, sondern direkt von Kaltenbrunner von Berlin. Dieses bezieht sich nicht nur auf die Ghettoaktion, sondern alle Angelegenheiten. Öfters kam Dr. Hahn auf unsere Dienststelle und sagte dem SS- und Polizeiführer, daß er diesen oder jenen Befehl von Kaltenbrunner erhalten hätte, über dessen Inhalt er nur den SS- und Polizeiführer informieren wollte. Er würde dies nicht bei jedem Befehl tun, aber nur bei bestimmten einzelnen.
Ich erinnere mich an den Fall der 300 ausländischen Juden, die im Polski-Hotel von der Sicherheitspolizei gesammelt wurden. Am Ende der Ghettoaktion befahl Kaltenbrunner der Sicherheitspolizei, diese Leute abzu transportieren. In meiner Zeit in Warschau hatte die Sicherheitspolizei alle Angelegenheiten betr. der Untergrund in ihrer Hand. Die Sicherheitspolizei bearbeitete diese Angelegenheiten unabhängig von dem SS- und Polizeiführer und erhielt ihre Befehle von Kaltenbrunner von Berlin. Als der Führer der Untergrund in Warschau im Juni oder Juli 1943 gefangengenommen wurde, wurde er direkt zu Kaltenbrunner in Berlin geflogen.«
Sind diese Erklärungen wahr oder falsch, Angeklagter?
KALTENBRUNNER: Diese Erklärungen stimmen restlos nicht.
OBERST AMEN: Genau wie alle die anderen Erklärungen aller anderen Personen, die Ihnen heute vorgelesen worden sind? Nicht wahr?
KALTENBRUNNER: Diese Erklärung stimmt nicht und kann widerlegt werden.
OBERST AMEN: Das haben Sie von allen anderen Erklärungen gesagt, die ich Ihnen heute vorgelesen habe, nicht wahr?
KALTENBRUNNER: Herr Anklagevertreter, ich muß...
OBERST AMEN: Ist das so?
KALTENBRUNNER: Ja, wenn Sie mir falsche Anwürfe entgegenhalten, muß ich erklären, sie seien falsch. Ich kann nicht deshalb, weil sich die Anklagevertretung in der Bestimmung desjenigen, der hier Himmler zu repräsentieren hat, irrt, plötzlich zu allem ja sagen, was Sie mir vorwerfen.
OBERST AMEN: Gut, setzen Sie fort und sagen Sie alles, was Sie sagen wollen!
KALTENBRUNNER: Ich bitte hier, sich an das zu erinnern, was ich über die Zuständigkeit und das Unterstellungsverhältnis aller Höheren SS- und Polizeiführer in den besetzten Gebieten bereits gesagt habe. Sie sind alle unmittelbar Himmler unterstanden. Unter dem Höheren SS- und Polizeiführer stand der SS- und Polizeiführer eines kleineren Gebietes. Ihnen zugeteilt und unter ihrem ausschließlichen Befehlsverhältnis standen die Zweige Ordnungspolizei und die Zweige Sicherheitspolizei. Der gesamte Apparat, der somit im besetzten Gebiet in Tätigkeit war, ist von der Befehlsgebung der Reichszentralstelle ausgeschlossen gewesen.
Es sind ja Männer hier, die diese meine Angabe restlos bestätigen müssen. Es ist hier vernommen worden ein Bach-Zelewski, der sich nur in den besetzten Gebieten aufgehalten hat und diese Verhältnisse kennt. Es ist hier ein Angeklagter Frank, der mit einem solchen Höheren SS- und Polizeiführer, der später auch sein Staatssekretär wurde, zu arbeiten hatte.
OBERST AMEN: Ihr Verteidiger kann diese Leute vorladen. Ich frage Sie nur, ob dieses Dokument richtig oder falsch ist, und dann ersuche ich Sie, darüber jede kurze, sachliche Erklärung zu geben, die Sie für nötig halten.
KALTENBRUNNER: Dieses Dokument stimmt nicht...
OBERST AMEN: Wir verfügen über potentielle Zeugen in ganz Deutschland, und wir alle wissen, daß die Mehrzahl dieser Angeklagten Kenntnisse von den meisten dieser Angelegenheiten hat, aber darüber befrage ich Sie ja nicht.
Ich frage Sie ausschließlich, ob der Inhalt dieses Schriftstückes richtig oder falsch ist, und Sie sagten, es sei falsch. Nun, wollen Sie darüber etwas aussagen?
KALTENBRUNNER: Es stimmt nicht und dieser Zeuge beherrscht nicht...
OBERST AMEN: Nun, das haben Sie schon sechsmal gesagt.
KALTENBRUNNER:... diese Verhältnisse.
OBERST AMEN: Wie steht es mit General Stroop? Wußte er etwas davon?
KALTENBRUNNER: Ja, wenn er SS- und Polizeiführer in Warschau gewesen ist, und Sie haben mir auch hier sein Tagebuch und seinen Filmbericht vorgeführt, selbstverständlich. Stroop ist ja dem dortigen Höheren SS- und Polizeiführer unterstanden, und Stroop hat ja auch diese Aktion auf den Befehl Himmlers über den Höheren SS- und Polizeiführer durchzuführen gehabt.
OBERST AMEN: Stroop war ein recht guter Freund von Ihnen, nicht wahr?
KALTENBRUNNER: Ich habe Stroop vielleicht in meinem ganzen Leben zwei oder drei Male gesehen bei Reichsführer Himmler draußen.
OBERST AMEN: Nun, wenn Stroop hier wäre, dann wäre er wenigstens in der Lage, die Wahrheit über diese Angelegenheit des Warschauer Ghettos zu sagen. Ist das richtig?
KALTENBRUNNER: Er müßte mindestens damit bestätigen, daß er dem Höheren SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement unterstanden hat und nicht mir. Ich wäre sehr froh, wenn er das sofort bestätigen würde. Aus Ihrem Wort muß ich ja annehmen, daß er sich hier befindet.
OBERST AMEN: Nun, er ist nicht hier in Haft, aber glücklicherweise besitzen wir ein Affidavit von ihm gerade über die Dinge, über die ich Sie jetzt befrage.
Ich bitte, dem Angeklagten Dokument 3841/PS vorzulegen, das Beweisstück US-804 wird.
Wir werden ausfindig machen, ob Stroop bestätigt, was Sie dem Gericht zu erzählen versuchen. Werden Sie gelten lassen, was Stroop sagt, Zeuge?
KALTENBRUNNER: Ich habe das noch nicht gelesen.
OBERST AMEN: Nun, da Sie aber Stroop kennen und ebenso die Stellung, die er innehatte, zweifeln Sie nicht daran, daß er über die Geschehnisse im Warschauer Ghetto die Wahrheit sagen würde. Läuft das, was Sie gerade sagten, nicht darauf hinaus?
KALTENBRUNNER: Die Wahrheit einer Aussage eines Zeugen ist an verschiedenen Stellen schon mit Recht bezweifelt worden. Da ich aber das Dokument noch nicht kenne, kann ich zu der Aussage Stroop noch nicht Stellung nehmen.
OBERST AMEN: Gut, dann werden wir es verlesen.
»Ich heiße Jürgen Stroop. Ich war der SS- und Polizeiführer von dem Distrikt Warschau vom 17. oder 18. April 1943 bis zum Ende August 1943. Die Aktion gegen das Warschauer Ghetto wurde von meinem Vorgänger, SS-Oberführer Dr. von Sammern-Frankenegg geplant. Am Tage, an dem die Aktion anfing, übernahm ich den Befehl und von Sammern-Frankenegg erklärte mir, was zu machen ist. Er hatte den Befehl von Himmler vor sich und außerdem erhielt ich ein Fernschreiben von Himmler, das mir den Befehl gab, das Warschauer Ghetto zu räumen und dem Erdboden gleichzumachen. Um dies durchzuführen, hatte ich zwei Waffen-SS-Bataillone, 100 Wehrmachtleute, Einheiten der Ordnungspolizei und 75 bis 100 Sicherheitspolizeileute. Die Sicherheitspolizei war schon einige Zeit im Warschauer Ghetto aktiv gewesen und während diesem Programm war ihre Funktion, SS-Einheiten zu begleiten, in Gruppen zu sechs oder acht, als Führer und Sachverständige in Ghettoangelegenheiten. Obersturmbannführer, Dr. Hahn war Kommandeur der Sicherheitspolizei von Warschau zu dieser Zeit. Hahn gab der Sicherheitspolizei ihre Befehle über ihre Aufgabe in dieser Aktion. Diese Befehle wurden Hahn nicht von mir gegeben, aber kamen an ihn von Kaltenbrunner in Berlin. Als SS- und Polizeiführer von Warschau gab ich der Sicherheitspolizei keine Befehle. Alle Befehle kamen an Hahn von Kaltenbrunner von Berlin. Zum Beispiel, im Juni oder Juli desselben Jahres war ich mit Hahn in Kaltenbrunners Dienstzimmer und Kaltenbrunner sagte mir, daß, während Hahn und ich zusammenarbeiten müssen, müssen alle grundsätzlichen Befehle an die Sicherheitspolizei von ihm in Berlin kommen.
Nachdem die Leute aus dem Ghetto herausgenommen wurden, eine Anzahl von 50 bis 60000, wurden sie an den Bahnhof gebracht. Die Sicherheitspolizei hatte absolute Aufsicht über diese Leute und hatte den Abtransport von diesen nach Lublin unter sich.
Unmittelbar, nachdem die Ghettoaktion fertig war, waren ungefähr 300 ausländische Juden im Polski-Hotel gesammelt. Diese Leute sind teilweise vor der Aktion hier gewesen, teilweise während der Aktion hierher gebracht worden. Kaltenbrunner befahl Hahn, diese Leute abzutransportieren. Hahn selbst sagte nur, daß er diesen Befehl von Kaltenbrunner erhielt.
Alle Exekutionen wurden vom Reichssicherheitshauptamt, Kaltenbrunner, angeordnet.
Ich habe diese Aussage durchgelesen und habe sie auch vollständig verstanden. Diese Aussage machte ich freiwillig und ohne Zwang. Ich schwöre vor Gott, daß ich die reine Wahrheit sage.
Jürgen Stroop.«
Sagen Sie nun, daß dieses Affidavit von Stroop wahr oder falsch ist?
KALTENBRUNNER: Es ist unwahr, und ich bitte, Stroop hierher zu bringen.
OBERST AMEN: Sie ersehen daraus, daß es, anstatt mit Ihrer Erzählung übereinzustimmen, im wesentlichen jede Einzelheit der Aussagen von Kaleske bestätigt, welcher damals der Adjutant Stroops war. Ist das nicht wahr, Angeklagter?
KALTENBRUNNER: Das stimmt insofern schon nicht, als der Zeuge Stroop schon einen Schritt näher kommt meiner Darstellung, indem er nämlich gleich auf Seite 1 erklärt, er habe diesen Befehl bezüglich des Warschauer Ghettos von Himmler bekommen, was der Zeuge Kaleske an keiner Stelle gesagt hat.
OBERST AMEN: Ich will das annehmen, Angeklagter.
KALTENBRUNNER: Das dürfte bei einer Befragung des Generals Stroop vollkommen klargestellt werden; daß Hahn selbstverständlich auch Befehle der Geheimen Staatspolizei aus Berlin bekommen hat, ob in dieser Sache, weiß ich nicht, weil selbstverständlich die Dienststellen der Sicherheitspolizei auch dem Amte IV, namentlich im Rechtshilfeverfahren, zur Verfügung zu stehen hatten. Aber worauf es hier, bei einer im Generalgouvernement und in Warschau durchgeführten Aktion ankommt, ist, in welchem Organisationskomplex hat sich dieser Vorgang vollzogen, und hierüber werden alle sachverständigen Zeugen aussagen müssen, daß dies im Befehlsbereich des Höheren SS- und Polizeiführers im Generalgouvernement, also nicht des Reichssicherheitshauptamtes gestanden hatte. Es ist vollkommen unrichtig, daß diese sicherheitspolizeilichen Kräfte in Warschau, wie zum Beispiel dieser Hahn, nicht dem SS- und Polizeiführer unterstanden wären.
Es kann ohne weiteres bestätigt und gefunden werden, daß alle Sicherheitspolizeidienststellen gerade bei einer solchen Aktion nur einem Führer unterstellt sein konnten, und das war der örtliche. Aber wenn Sie mir, Herr Ankläger, neuerdings die Gelegenheit geben, zu diesen Zeugenaussagen durch meinen Verteidiger noch ausführlicher Stellung zu nehmen, so darf ich darauf durch geeignete Anregungen noch zurückkommen.
OBERST AMEN: Und nun, Angeklagter, verweise ich Sie auf das Dokument 3819-PS, das bereits als Beweisstück GB-306 vorhanden ist. Es handelt sich um das Protokoll einer Besprechung in der Reichskanzlei am 11. Juli 1944. Es wurde von Lammers unterzeichnet und war kürzlich vor diesem Gerichtshof Gegenstand der Zeugenaussage. Ich nehme an, daß Sie sich erinnern, dieser Besprechung beigewohnt zu haben.
KALTENBRUNNER: Ich weiß es noch nicht. Ich weiß nicht, welchen Gegenstand diese Sitzung hatte.
OBERST AMEN: Sie leugnen aber nicht, daß Sie anwesend waren, oder doch?
KALTENBRUNNER: Ich weiß es nicht. Ich sehe das Dokument das erstemal hier.
OBERST AMEN: Jetzt sehen Sie einmal auf Seite 12, Mitte. Der Satz, der mit den Worten anfängt: »In Paris, an dessen Evakuierung gedacht sei...«
DR. KAUFFMANN: Ich bitte nur um die Klärung der Frage, ob es nicht angemessener und richtiger gewesen wäre, wenn die Anklagebehörde den Zeugen Lammers über diesen Punkt vernommen hätte, als der Zeuge Lammers hier war.
VORSITZENDER: Ist dies Lammers vorgelegt worden?
OBERST AMEN: Offengestanden, Euer Lordschaft, ich weiß es nicht. Das Dokument ist vorgelegt und bezeichnet worden, doch bin ich nicht sicher, ob er darüber befragt wurde. – Sir David sagt, daß er das Dokument in dem Falle Keitel unterbreitete, unten auf Seite 9.
VORSITZENDER: Sehr gut, setzen Sie fort!
OBERST AMEN: Finden Sie die Stelle, Angeklagter?
KALTENBRUNNER: Ja, ich habe es gefunden.
OBERST AMEN:
»In Paris, an dessen Evakuierung gedacht sei, könnten 100000 bis 200000 Arbeiter erfaßt werden. In diesem Zusammenhang...«
KALTENBRUNNER: Nein, ich habe es noch nicht, Herr Anklagevertreter.
OBERST AMEN: Es ist gerade oberhalb des Absatzes, der beginnt: »Der Chef der Sicherheitspolizei Dr. Kaltenbrunner...« Können Sie diese Stelle finden?
KALTENBRUNNER: Ja, ich habe es jetzt.
OBERST AMEN: Gut, nun gehen wir zu diesem Satz über:
»Der Chef der Sicherheitspolizei, Dr. Kaltenbrunner, erklärte sich auf Befragen des GBA für den Arbeitseinsatz bereit, die Sicherheitspolizei mit zur Verfügung zu stellen, wies aber auf deren zahlenmäßige Schwäche hin. Für ganz Frankreich habe er nur 2400 Mann zur Verfügung. Es sei fraglich, ob man mit diesen schwachen Kräften ganze Jahrgänge erfassen könne. Nach seiner Auffassung müsse das Auswärtige Amt einen stärkeren Einfluß auf die ausländischen Regierungen ausüben.«
Ist das eine wahrheitsgemäße Wiedergabe dessen, was sich bei dieser Sitzung abspielte, Angeklagter?
KALTENBRUNNER: Das kann ich dem Wortlaut nach nicht behaupten, aber ich darf hierzu folgendes aufklären: Es hat sich hier, nach der Einleitung auf Seite 1, um eine Chefbesprechung gehandelt. Unter Chefbesprechung versteht man nicht mich, deshalb, weil ich Chef des Reichssicherheitshauptamtes war, sondern unter Chefbesprechung sind oberste Reichsstellen und Ministerien an sich gemeint.
Es müßte durch Befragung des Zeugen Lammers festgestellt werden, ob ich aber im Auftrage des Reichsinnenministers und Chef der Deutschen Polizei Himmler hier anwesend gewesen bin. Das wäre möglich, und daß dies der Fall gewesen ist, daß ich im Auftrage Himmlers dort gewesen bin, scheint mir aus der Zahl hervorzugehen, die hier genannt wird, es heißt hier nämlich, daß nur 2400 Mann zur Verfügung stünden. Über eine solche Zahl hat weder die Sicherheitspolizei, noch der SD, noch beide zusammen jeweils verfügt, sondern es müssen damit alle Kräfte, auch die der Ordnungspolizei und kleinerer anderer Organisationen, die Himmler unterstanden haben, gemeint gewesen sein.
Es fehlt also zumindest das eine in dem Dokument, daß erklärt wird, Kaltenbrunner teilte im Auftrag Himmlers dessen Stellungnahme oder dessen Meinung mit. Das ist das mindeste, aber durch Befragen des Zeugen Lammers ist dies sicherlich aufzuklären.
Jedenfalls verweise ich darauf, daß es meine Meinung gewesen ist, in dieser Frage nicht hilfreich sein zu können, weil vorerst Verhandlungen des Auswärtigen Amtes und der zuständigen ausländischen das heißt Französischen Regierung notwendig seien. Die Maßnahmen, die dort getroffen werden sollten, konnten jedenfalls nicht ohne Zustimmung der Französischen Regierung geschehen sein.
OBERST AMEN: Gut, Angeklagter! Erinnern Sie sich noch an die diesem Gerichtshof vorgelegten Beweise über die von Deutschland gemachten Anstrengungen, die Slowaken zum Aufstand gegen die Tschechoslowakei aufzuwiegeln, und daß Hitler den Aufstand der Slowaken als eine Entschuldigung für die Besetzung der Tschechoslowakei im März 1939 benützte?
KALTENBRUNNER: Ich weiß nicht, wer das hier ausgesagt haben soll.
OBERST AMEN: Gut, auf jeden Fall ist es Tatsache, daß Sie während der Jahre 1938 und 1939 Staatssekretär für Sicherheitspolizei in Österreich waren, nicht wahr?
KALTENBRUNNER: Nein, ich war nicht Staatssekretär für die Sicherheitspolizei, sondern ich war Staatssekretär für das Sicherheitswesen der österreichischen Landesregierung in Wien. Das ist deshalb wesentlich anders, weil nämlich die Sicherheitspolizei in Österreich von Berlin aus eingerichtet und von Berlin aus geleitet wurde...
OBERST AMEN: Gut, richtig.
KALTENBRUNNER:... und ich auf diese in Österreich auch nicht den geringsten Einfluß hatte, nicht einmal mein Minister.
OBERST AMEN: Wann wurden Sie Oberster SS- und Polizeiführer für Oberösterreich mit Ihrem Stabsquartier in Deutschland?
KALTENBRUNNER: Das ist eine vollkommen falsche Darstellung. Es gab in Oberösterreich überhaupt keinen Höheren SS- und Polizeiführer, sondern nur für Österreich.
OBERST AMEN: Gut, wann war das?
KALTENBRUNNER: Das war nach Liquidierung der österreichischen Landesregierung, nach Abwicklung der Geschäfte; aus dem Reichsgesetzblatt kann das genau feststellbar sein, jedenfalls Sommer 1941.
OBERST AMEN: Stimmt es nicht, daß Sie selbst die Tätigkeit der slowakischen Aufständischen leiteten und sie mit Sprengstoffen und Munition unterstützten? Antworten Sie mit Ja oder Nein, bitte.
KALTENBRUNNER: Nein.
OBERST AMEN: Erinnern Sie sich an irgendeiner Sitzung teilgenommen zu haben, wobei ein Plan für die Anstiftung zu dieser slowakischen Revolte besprochen wurde?
KALTENBRUNNER: Das ist unrichtig. Ich habe an einer solchen Aufhetzung der Slowakei nicht teilgenommen, ich habe aber an einer ersten Regierungsbesprechung in der Slowakei teilgenommen, in Gegenwart des Beauftragten des Deutschen Reiches.
OBERST AMEN: Hat Ihr Freund Spacil bei der Durchführung dieser Pläne geholfen?
KALTENBRUNNER: Das weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls sind das keine deutschen Pläne gewesen, sondern wenn Sie das politische Verhältnis in der Slowakei zu diesem Augenblick untersuchen, werden Sie genau feststellen, daß es einer Aufhetzung seitens des Deutschen Reiches nicht bedurfte, sondern daß die Hlinka-Bewegung, die damals von Dr. Tuka – glaube ich –, aber auch von Dr. Tiso geführt worden ist, längst selbst diesen Entschluß gefaßt hatte.
OBERST AMEN: Kannten Sie den Obersturmbannführer Friedrich Mundhenke?
KALTENBRUNNER: Ich verstehe den Namen nicht.
OBERST AMEN: Sie werden ihn auf diesem Dokument sehen, Dokument 3842-PS, das Beweisstück US-805 wird, und das ich Ihnen zu zeigen bitte.
Angeklagter, dies ist ein ziemlich langes Dokument, das ich nicht in allen seinen Einzelheiten besprechen will. Ich verweise Sie zunächst jedoch auf die ersten Zeilen.
»...daß hinsichtlich der Besetzung der Tschechoslowakei zwei Einsätze erfolgten und zwar:
der erste zur Okkupation des Sudetenlandes und der deutschbesiedelten Randgebiete,
der zweite zur Okkupation der eigentlichen Tschechoslowakei.«
Dann die folgenden Zeilen:
»Eine Zeitspanne vor dem zweiten Einsatz kamen in das Dienstgebäude des SS-Oberabschnitts Donau (damals vielleicht auch noch SS-Oberabschnitt Österreich genannt) etliche Male Offiziere der Hlinkagarde (der illegalen, SS-gleichen Organisation in dem slowakischen Teile der Tschechoslowakei).«
Dann kommen die Einzelheiten des Planes für die Aufreizung zu diesem Aufstand. Dann am Ende des ersten Absatzes finden Sie das Folgende:
»Es fanden geheime Besprechungen statt, zu denen ich nicht hinzugezogen wurde. Ich hatte das bestimmte Gefühl, als nicht zuverlässig zu gelten. Ich sah die Herren nur im Vorzimmer von Kaltenbrunner und, soviel ich mich erinnere, noch im Speiseraum. Die Besprechungen, von deren Gegenstand ich nichts erfahren habe, galten zweifellos dem bevorstehenden Einsatz.«
Dann gibt er seine Gründe an. Und auf der zweiten Seite, in der Mitte, werden Sie das Folgende finden:
»Verantwortlich für diesen Einsatz war allein Kaltenbrunner.
Der Leiter der Aktion war, soweit es die Allgemeine SS angeht, der SS-Standartenführer Spacil (kurz ›Spatz‹ genannt). Er war der Leiter der Verwaltung des SS- Oberabschnitts Donau und wurde von Kaltenbrunner später als Chef seiner Verwaltung beim Reichssicherheitshauptamt nach Berlin berufen. Spacil war einer der intimsten Freunde Kaltenbrunners.«
Und dann am Ende, Absatz 1 und 2 und Unterabsätze, sagt er:
»Ich gebe diese Erklärung ab:
1.) nicht etwa ans einem Rachegefühl oder aus Lust zur Angeberei, sondern aus der klaren Erkenntnis heraus, damit der Aufklärung von Verbrechen zu dienen, derer ich mich als Deutscher schäme.
2.) in dem vollen Bewußtsein, daß mir mein Handeln Verleumdungen der anderen Seite eintragen wird. Ich kenne die Männer, die schon seit Jahr und Tag gegen mich hetzen. Das kann mich aber nicht daran hindern, dem Geiste der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.«
Ich frage Sie, ob der wesentliche Inhalt dieses Dokuments, so wie ich es Ihnen wiedergegeben habe, richtig oder falsch ist?
KALTENBRUNNER: Beides nicht, es ist unsinnig und damit unwahr. Am besten wird das Dokument dadurch charakterisiert, daß auf der ersten Seite in der Einleitung steht:
»...der zweite zur Okkupation der eigentlichen Tschechoslowakei (des nachmaligen Protektorats Böhmen- Mähren und des Slowakischen Staates).«
Da eine Okkupation der Republik Slowakei niemals in der bisherigen Geschichte durch das Deutsche Reich stattgefunden hat, so ist vielleicht schon eingangs dieser aus Norddeutschland stammende und weder mit Geschichte noch mit Politik irgendwie versierte Zeuge Mundhenke genügend charakterisiert. Es lassen sich aber in diesem Dokument so viele Details geradezu humoristisch aufklären, daß der Wert des Dokuments wirklich in Null zusammensinkt.
Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf Seite 3 des deutschen Textes lenken und Sie über die Männer der einzelnen großen politischen Aktionen zur Okkupation der Tschechoslowakei aufklären?
Der erste ist ein Franz Kourik, seines Zeichens Chauffeur. Der zweite ist Karl Spitt, seines Zeichens Chauffeur. Der dritte ist ein SS-Angehöriger namens Apfelbeck, Sohn eines Gastwirts und gelernter Fleischhauermeister, Metzgermeister, der als Aushilfsbeamter nach einer schweren Schädelverletzung bei einem Automobilunfall in der Verwaltung tätig war. Stadler, ein kleiner Buchhalter, und der Mann Petenka ist mir unbekannt. Sie sollen zusammen mit mir die Okkupation der Slowakei durch das Deutsche Reich vorbereitet haben. Das ist natürlich ein ausgesprochener Unsinn. Verzeihen Sie mir, Herr Ankläger, daß ich das so bezeichne. Es ist aber und bleibt...
OBERST AMEN: Sehr gut, Angeklagter, sehr richtig, das ist Unsinn.
KALTENBRUNNER: In diesem Dokument ist eines richtig – und das wollte ich auch noch sagen, daß ich nämlich mit Angehörigen der Hlinka-Garde in diesem Hause hier in Wien am Parkring 8 eine Besprechung hatte, und zwar hinsichtlich der Vereinigung der Volksdeutschengruppe in der Slowakei und der Hlinka-Garde auf gemeinsame Kandidatenaufstellung in der Slowakischen Regierung. Hierüber bestehen Dokumente und Vorgänge zumindest in Preßburg, wo auch mein Name soweit bekannt gewesen ist, was von jedermann, auch von diesem Mundhenke, der Führer der Volksgruppe gewesen ist, bestätigt werden wird. Aber wenn eine Okkupation der Slowakei überhaupt nicht stattgefunden hat, glaube ich, brauche ich mich auch nicht dagegen rechtfertigen.
OBERST AMEN: Angeklagter, im Laufe dieses Prozesses ist der Befehl Himmlers, daß die Zivilbevölkerung für das Lynchen alliierter Flieger nicht bestraft werden soll, als Beweismittel vorgelegt worden. Sie haben die eidesstattlichen Erklärungen von Schellenberg und Gerdes gehört, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Chef der Sicherheitspolizei und SD eine solche Anweisung an Ihre Untergebenen gaben. Leugnen Sie diese Erklärungen ab? Ja oder nein, bitte!
KALTENBRUNNER: Ich will sie nicht ableugnen, sondern ich verneine, jemals eine solche Erklärung gegeben zu haben, und bitte das Gericht, zu erlauben, daß mein Verteidiger sofort jetzt das Papier vorliest, das er von mir bei Beginn der Sitzung bekommen hat, in dem wörtlich die Aussage des Zeugen Koller, Stabschef der Luftwaffe, enthalten ist, wie ich mich zu diesem Problem überhaupt eingestellt habe, daß ich nämlich sogar in Gegenwart Hitlers erklärt habe, ich werde einen solchen Befehl nicht befolgen. Dies hat etwas später stattgefunden, aber das war meine persönliche innere Einstellung dazu. Im übrigen habe ich mich meinem Verteidiger gegenüber gestern auch zu dieser Frage schon geäußert.
OBERST AMEN: Gut, Angeklagter. Sehen Sie sich jetzt Dokument 3855-PS an, das US-806 wird. Dieses trägt Ihren eigenen Namen am Ende, sei es als Unterschrift, als Faksimile oder als was immer Sie es zu bezeichnen belieben. Haben Sie das Dokument vor sich?
Sie sehen, daß es vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD kommt und gemäß der Aktenzeichen oben links im Amt »IV A 2 – B. Nummer 220/44g Rs.« für Sie zur Unterzeichnung vorbereitet wurde.
KALTENBRUNNER: Das ist der erste und ganz große Fehler, Herr Ankläger.
OBERST AMEN: Sehr gut.
»a) An alle Befehlshaber und Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD (zur mündlichen Bekanntga be an die nachgeordneten Dienststellen).
b) An die Gruppen IV A und IV B, die Abteilungen IV A 1, IV A 3, IV A 4 – IV A 6, IV B 1 – IV B 4
c) An das Amt V – Reichskriminalpolizeiamt –.
Nachrichtlich an die Höheren SS- und Polizeiführer.
An den Chef der Ordnungspolizei.
d) An die Amtschefs I-III und IV des Reichssicherheitshauptamtes.
Betr.: Behandlung abgesprungener Feindflieger.
Bezug: Ohne.
Eine Reihe von Fragen, die sich mit der Behandlung abgeschossener Feindflieger befassen, bedürfen der Klarstellung:
I.
Aufgegriffene feindliche Flieger sind grundsätzlich zu fesseln. Diese Maßnahme ist erforderlich und geschieht in voller Billigung des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht
a) zur Verhinderung der häufigen Fluchtfälle und
b) im Hinblick auf die äußerst gespannte Personallage bei den Erfassungsorganen.
II.
Feindliche Flugzeugbesatzungen, die
a) bei Festnahme Widerstand leisten oder
b) unter der Uniform Zivilkleidung tragen, sind unmittelbar bei Festnahme zu erschießen.
III.
Feindflieger – insbesondere der anglo-amerikanischen Luftwaffe – führen meist Fluchtsäcke, gefüllt mit Dolchen, verschiedensten Arten von Landkarten, Lebens mittelmarken, Ausbruchswerkzeugen usw. bei sich.
Fluchtsäcke sind von Polizeiorganen unbedingt sicherzustellen, da sie wichtigste Fahndungs-Hilfsmittel darstellen. Weiterleitung an Luftwaffe erforderlich.
IV.
Der Reichsführer-SS-Befehl vom 10. 8. 1943« – von dem Sie auch bezeugt haben, ihn nicht zu kennen – »findet zum Teil keine Beachtung, da er bis zu den untergeordneten Dienststellen wahrscheinlich nicht – wie befohlen – mündlich übermittelt worden ist. Er wird daher wiederholt:
›Es ist nicht Aufgabe der Polizei, sich in Auseinandersetzungen zwischen deutschen Volksgenossen und abgesprungenen englischen und amerikanischen Terrorfliegern einzumischen.‹
V.
Bei der Leiche eines abgeschossenen englischen Fliegers wurde eine Armbinde mit Aufschrift ›Deutsche Wehrmacht‹ und gültigem Stempel gefunden. Diese Armbinde wird nur von Kombattanten getragen und gibt dem Träger in den verschiedenen Operationsgebieten überall Zugang zu militärischen strategisch wichtigen Punkten. Abgesetzte feindliche Agenten werden vermutlich Gebrauch von diesem neuen Tarnungsmittel machen.
VI.
Einzelfälle der letzten Monate haben gezeigt, daß die deutsche Bevölkerung zwar Feindflieger festnimmt, aber dann diesen gegenüber bis zur Ablieferung bei Polizei oder Wehrmacht nicht den entsprechenden Ab stand wahrt. Zu harte staatspolizeiliche Maßnahmen gegen diese Volksgenossen würden sie abhalten, sich bei Festnahme von Feindfliegern vorbehaltlos einzusetzen, zumal diese Fälle nicht verwechselt werden dürfen mit dem Verbrechen einer Unterstützung flüchtiger Feindflieger.
Reichsführer-SS hat folgende Maßnahmen gegen Volksgenossen, die sich aus böser Absicht oder falsch verstandenem Mitleid gegenüber gefangengenommenen feindlichen Fliegern würdelos verhalten, befohlen:
1.) In besonders krassen Fällen Einweisung in ein Konzentrationslager. Bekanntgabe in den Zeitungen des Bezirks.
2.) In leichteren Fällen Schutzhaft nicht unter 14 Tagen bei der zuständigen Staatspolizeistelle. Einsatz zu Aufräumungsarbeiten in den Schadensgebieten.
Falls im Bereich einer Staatspolizeistelle zum Einsatz geeignete Schadensgebiete nicht vorhanden sind, die kurzfristige Schutzhaft bei der nächstgelegenen...« und so weiter und so weiter.
»Reichsführer-SS hat sich in dieser Angelegenheit an Reichsleiter Bormann gewandt und darauf hingewiesen, daß es Aufgabe der Hoheitsträger der Partei ist, aufklärend auf die Bevölkerung zu wirken, den unbedingt notwendigen Abstand gegenüber Feindfliegern zu wahren.
3.) Den Befehlshabern und Inspekteuren der Sicherheitspolizei und des SD stelle ich anheim, den Absatz V und VI des vorstehenden Erlasses auch schriftlich an die nachgeordneten Dienststellen bekanntzugeben.
gez. Dr. Kaltenbrunner.
Beglaubigt: Rose, Kanzleiangestellte.«
Verneinen Sie, daß Sie mit der Herausgabe dieses Dokuments etwas zu tun gehabt haben? Leugnen Sie, daß Sie es unterzeichnet haben?
KALTENBRUNNER: Ich habe diesen Befehl niemals vorgelegt bekommen. Ich verweise auf meine Beantwortung von gestern gegenüber den Führungs- und Befehlsverhältnissen des Geheimen Polizeiamts Amt IV A, welches am Kopfe des Briefes auch als Herausgeber erkenntlich ist, und in diesen Fragen der direkten Befehlsgebung Himmlers unterstand.
VORSITZENDER: Ich habe die Antwort auf die Frage nicht gehört. Haben Sie es unterschrieben?
KALTENBRUNNER: Nein.
OBERST AMEN: Sie verleugnen Ihre Unterschrift und leugnen, etwas von diesem Dokument, welches Ihren Namen trägt, gewußt zu haben. Ist das richtig?
KALTENBRUNNER: Herr Ankläger, ich habe Ihnen...
OBERST AMEN: Werden Sie darauf antworten, Angeklagter? Sie leugnen dieses Dokument ab, wie Sie jedes andere Dokument abgeleugnet haben, das Ihnen heute gezeigt worden ist. Ist das richtig?
KALTENBRUNNER: Ich habe gestern erklärt und dem Verteidiger gegenüber ebenfalls erklärt, daß mir diese Dokumente nicht vorgelegt worden sind. Ich muß es heute wissen. In gewisser Hinsicht trifft mich gewiß ein Verschulden, daß ich nicht mehr Achtung darauf gegeben habe, ob nicht unter meinem Namen solche Sachen herausgegeben werden. Ich habe dieses Mitverschulden keineswegs geleugnet gestern. Wie aber zu dieser Frage selbst meine Einstellung ist, geht glatt aus der Aussage Koller hervor.
VORSITZENDER: Ich verstehe das nicht. Sagen Sie, daß die Unterschrift unter diesem Dokument nicht die Ihre ist oder daß Sie es vielleicht unterschrieben haben, ohne auf den Erlaß zu schauen? Was sagen Sie?
KALTENBRUNNER: Meine Herren! Ich habe dieses Dokument und diesen Erlaß nie vorgelegt bekommen. Ihn zu unterschreiben wäre ja auch meiner inneren Einstellung zu der gesamten Frage völlig entgegengestanden. Wie ich in dieser Sache gestanden bin, das geht ja hervor aus der Aussage Koller.
VORSITZENDER: Ich frage Sie ja nicht nach Ihrer inneren Einstellung. Ich frage Sie, ob der Name darauf von Ihrer Hand geschrieben ist.
KALTENBRUNNER: Nein.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte das Dokument gerne sehen.
OBERST AMEN: Die Unterschrift ist in Schreibmaschine geschrieben, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Ja. Lassen Sie uns das Dokument einmal ansehen.
Angeklagter, wer war Rose?
KALTENBRUNNER: Ich weiß es nicht, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Oberst Amen, können Sie uns sagen, wie lange Sie mit Ihrem Kreuzverhör noch brauchen werden?
OBERST AMEN: Vielleicht eine halbe Stunde. Es hängt von den Antworten des Angeklagten ab.
VORSITZENDER: Gut. Dann wird sich der Gerichtshof vertagen. Wir werden morgen früh um 10.00 Uhr diesen Teil des Falles fortsetzen und werden uns um 12.30 Uhr vertagen, um Dr. Thoma und die Anklagebehörde wegen seiner Dokumente anzuhören.