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[Das Gericht vertagt sich bis

13. April 1946, 30.00 Uhr.]

Einhundertsiebenter Tag.

Samstag, 13. April 1946.

Vormittagssitzung.

OBERST AMEN: Angeklagter! Soweit ich mich erinnere, haben Sie ausgesagt, daß Sie von Hitlers Kommandobefehl vom 8. Oktober 1942 bis zu irgendeinem Zeitpunkt im Jahre 1945 keine Kenntnis hatten. Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Ich glaube nicht, daß ich so gesagt habe. Ich glaube, daß es sich hier um den Befehl handelt...

OBERST AMEN: Nach dem Protokoll haben Sie gestern ausgesagt, daß Sie bis zu irgendeinem Zeitpunkt im Jahre 1945 keine Kenntnis von Hitlers Kommandobefehl vom 8. Oktober 1942 hatten. Ist das richtig? Ist das nicht auch jetzt Ihre Ansicht?

KALTENBRUNNER: Ich glaube nicht, daß ich diese Antwort gegeben habe. Der Befehl ist...

OBERST AMEN: Gut, wie verhalten sich nun die Tatsachen? Wann haben Sie das erstemal von diesem Kommandobefehl Hitlers vom 8. Oktober 1942 erfahren? Ich meine den Befehl vom 18. Oktober 1942, nicht vom 8. Wann haben Sie zuerst davon gehört?

KALTENBRUNNER: Das kann ich mit Genauigkeit heute nicht sagen.

OBERST AMEN: Gut.

KALTENBRUNNER: Jedenfalls ist dieser Befehl, wenn ich ihn im Wortlaut vorgelesen bekomme, wahrscheinlich derselbe Befehl, der auch im Wehrmachtsbericht oder in der Presse gestanden hat.

OBERST AMEN: Sehr richtig. Und Sie haben auch die Richtigkeit der Aussage Ihres eigenen Zeugen Mildner über das Bestehen eines Befehls vom Juli oder August 1944 bestritten, demzufolge die Sicherheitspolizei Mitglieder von alliierten Kommandogruppen, nachdem sie verhört worden waren, hinrichten sollte. Das stimmt doch, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Dies bin ich überhaupt nicht gefragt worden.

OBERST AMEN: Gut, verzeihen Sie, aber es macht nichts. Ich zeige Ihnen Dokument 535-PS, das ich als US-807 vorlege. Vor allem möchte ich wissen, ob die Unterschrift unter diesem Dokument von Ihnen stammt, ob es Ihre Handschrift ist.

[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]

KALTENBRUNNER: Das ist meine Unterschrift, ja.

OBERST AMEN: Das ist also Ihre Unterschrift?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Sie geben das also zu? Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Das ist meine Unterschrift. Ja.

OBERST AMEN: Nun, in einem Verhör vor Beginn dieses Prozesses haben Sie abgeleugnet, daß dies Ihre Unterschrift sei, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Das glaube ich nicht, nein.

OBERST AMEN: Dann werde ich jetzt Ihre Aussage über diesen Punkt verlesen. Dann können Sie sich vielleicht besser erinnern, ob Sie es abgestritten haben oder nicht:

»Antwort: Aus dem kann nur ersehen werden, daß die Wehrmacht vorhatte, mir einen Brief zu schreiben; ob mit Recht oder nicht mit Recht, und ob ich die richtige Autorität war, ihn zu schreiben, ist sehr fragwürdig. Auf jeden Fall wollte die Wehrmacht mit der Gestapo in Verbindung treten, wie man aus diesem Briefwechsel weiterhin ersehen kann, und ich bin überzeugt, daß ein Offizier der Gestapo, nämlich derjenige, der oben in diesem Brief genannt wird, derjenige ist, der dieses Dokument 535-PS geschrieben hat.

Frage: Das ist also der Brief, über den Ihnen nichts bekannt ist? Nichtsdestoweniger geht daraus hervor, wie Sie Ihren Wunsch durch den Brief an das OKW durchgesetzt haben. Das ist sehr klar.

Antwort: Aber ich streite ab, daß ich diesen Brief geschrieben habe.

Frage: Nun, haben Sie dies nicht vor einem Augenblick noch gewußt, und jetzt streiten Sie es ab?

Antwort: Ich wußte nicht nur von dem Hitler-Befehl nichts, sondern ich kannte auch diesen Brief nicht.

Frage: Aber Sie geben zu, daß es Ihre Unterschrift ist?

Antwort: Ich habe das nicht gesagt, daß dies meine Unterschrift ist. Ich habe nur gesagt, daß es Ähnlichkeit mit meiner Unterschrift hat, und es ist auch möglich, daß es nur ein Faksimile ist. Ich kann mich an einen Brief mit einem solchen Inhalt, der von mir selbst unterzeichnet worden war, nicht erinnern.

Frage: Würde es Sie mehr überzeugen, wenn Sie das Original sehen würden, das mit Tinte unterzeichnet ist.

Antwort: Ich würde eher überzeugt sein, aber es würde noch nicht beweisen, daß ich mit Tinte unterschrieben habe.«

Haben Sie diese Antworten gegeben, Angeklagter?

KALTENBRUNNER: Das erinnere ich mich natürlich im Wortlaut nicht, ob ich diese Antworten gegeben habe. Aber, Herr Ankläger, ich darf Ihnen noch folgendes erwidern: Die Frage meiner Unterschriften ist natürlich, und zwar immer in der Richtung mich besonders zu verwirren, hundertemal in den Verhören an mich gestellt worden. Ich habe nun heute – ich glaube, daß ich dieses Dokument zum erstenmal hier sehe – sofort erklärt: Ja, das ist meine Unterschrift. Ich kenne doch meine Unterschrift. Ich weiß es doch. Sie haben mir auch Unterschriften vorgelegt, die bestimmt nicht von mir gestammt haben.

Außerdem sehen Sie aus dem Datum des Briefes, 23. Jänner 1945, daß es richtig ist, daß ich 1945, so wie Sie es mir ja auch vorgehalten haben, davon Kenntnis bekommen habe. Ich kann ja von einem Hitler-Befehl, der im Jahre 1942 erlassen worden ist, keine Ahnung haben. Und wenn ich in Ihrem Verhör, das Sie mir jetzt vorgelesen haben, erklärt habe, daß ich diesen Brief nicht geschrieben habe, so bestätigt ja dies allein schon die Chiffre oben, aus der Sie lesen IV A 2a und eine Zahl, die offensichtlich darauf hinweist, daß der Brief selbst in einer Abteilung, die diese Sachbearbeitung unter sich hatte, verfaßt worden ist.

Das ist darunter zu verstehen, daß ich diesen Brief nicht geschrieben habe. Daß er mir vielleicht zur Unterschrift vorgelegt worden ist, unter Tausenden von Schreiben, die ich an einem Tag womöglich einzusehen hatte, das kann ich selbstverständlich nicht bestreiten. Aber Sie können doch daraus nicht den Schluß folgern, daß ich unbedingte Kenntnis vom Vorgang hatte. Sie machen sich ja über den Umfang des Amtes, welches ich in vollkommener Unkenntnis jeder polizeilichen Zusammenhänge übernommen habe, aber nicht um mit diesen Aufgaben polizeiliche Funktionen zu erfüllen, sondern den großen Meldedienst zu organisieren und zu leiten, gar keine Vorstellung.

VORSITZENDER: Antworten Sie auf die Frage und halten Sie keine Reden.

Angeklagter! Ist die Unterschrift auf diesem Dokument vor Ihnen, 535-PS, US-807, nicht genau dieselbe wie Ihre Unterschrift auf Dokument 3803-PS, US- 802? Schauen Sie sich nur die zwei Unterschriften an, und sagen Sie dem Gerichtshof, ob sie nicht vollkommen gleich sind?

KALTENBRUNNER: Nein, ich habe nie so unterschrieben, sondern ich habe stets Dr. K. unterschrieben, so wie ich es hier geschrieben habe, auch in einem Brief mit »Du«.

OBERST AMEN: Wie ist es mit der Handschrift? Halten Sie sie für dieselbe, Angeklagter, oder für eine andere?

KALTENBRUNNER: Ja, gewiß ist eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden, aber ich glaube, das ist jedem einzelnen schon hier im ganzen Saal passiert, daß wiederholt in seiner Abwesenheit irgendeiner seiner Mitarbeiter einen besonders eilbedürftigen Brief mit seiner Unterschrift ausgestattet hatte.

VORSITZENDER: Oberst Amen, der Gerichtshof wird in der Lage sein, die Unterschrift selbst zu beurteilen.

OBERST AMEN: Sehr gut.

Haben Sie Beweisstück 535-PS vorliegen?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Sie werden bemerken, daß dieses Schriftstück vom Amt IV A 2a stammt, wie Sie oben links unter dem Kopf »Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD« sehen?

KALTENBRUNNER: Ja, und zuerst haben Sie gesagt, der Brief stamme von mir.

OBERST AMEN: Daß es an das Oberkommando der Wehrmacht gerichtet ist, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Und daß es sich auf den Führerbefehl vom 18. Oktober 1942 bezieht, wie auch auf die anderen Führerbefehle, auf die in der Aussage Mildners verwiesen wird, nämlich die Führerbefehle vom 18. August 1944 und vom 30. Juli 1944. Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Herr Ankläger! Ich weiß nicht, daß in diesem Zusammenhang Mildner eine Aussage abgelegt hat; mir ist eine solche Aussage weder bekannt noch vorgelegt worden. Aber ich glaube, daraus beweisen...

OBERST AMEN: Ja, geben Sie zu, daß sich dieses Dokument auf die Führerbefehle vom 18. Oktober 1942, 18. August 1944 und 30 Juli 1944 bezieht? Ja oder nein, bitte.

KALTENBRUNNER: Ja, das steht hier.

OBERST AMEN: So daß Sie am 23. Januar 1945, als Sie diesen Brief geschrieben haben, offensichtlich Kenntnis dieser Verordnungen hatten. Richtig? Ich meine...

KALTENBRUNNER: Das ist insofern nicht richtig, als für mich der hervorspringendste Punkt in diesem Brief in der sechst-, fünft- und viertletzten Zeile liegt, da steht nämlich, daß sie ohnehin keinen Anspruch auf Vergünstigung für Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention erheben können. Wenn ich also in einem unbeschreiblich dichtgedrängten Arbeitsgang meiner Tätigkeit schon diesen Brief vorgelegt bekommen habe, liegt es nahe, daß mein erster Blick auf den Platz fällt, wo ich zu unterschreiben habe und ich die letzten Zeilen lese. Hier...

VORSITZENDER: Angeklagter! Das ist keine Antwort auf die Frage. Die Frage lautete, ob Ihnen die Befehle vom 18. Oktober 1942, vom 30. Juli 1944 und vom 18. August 1944 bekannt waren, als Sie diesen Brief schrieben. Kannten Sie sie, ja oder nein?

KALTENBRUNNER: Nein, diese Befehle kannte ich nicht, Hohes Gericht.

VORSITZENDER: Gut...

KALTENBRUNNER: Aber ich bitte schon, mich das doch noch abwehren zu lassen. Für mich war es klar, daß es sich hier um eine Stellungnahme hinsichtlich Agenten handeln mußte, die nicht unter die Bestimmungen der Genfer Konvention als Kriegsgefangene fallen, und das Recht einer kriegführenden Macht können Sie doch nicht bestreiten, Männer, die nicht unter die Kriegskonvention von Genf fallen, auch sicherheitspolizeilich zu verfolgen. Das ist ja das gute Recht jeder kriegführenden Macht; es sind doch auch deutsche Agenten, die sich in England oder in anderen Staaten feindselig betätigt haben...

VORSITZENDER: Angeklagter, Sie sind ja nicht hier, um über diesen Fall zu argumentieren, Sie sind hier, um Fragen zu beantworten.

OBERST AMEN: Angeklagter! Sie haben ausgesagt, daß Sie von dem Fall der britischen Flieger, die aus dem Stalag Luft III entflohen waren, zum ersten Male im März 1944 Kenntnis erhielten, also ungefähr sechs Wochen, nachdem die Flucht stattgefunden hatte. Nicht wahr? Stimmt das?

KALTENBRUNNER: Ja, jetzt nehme ich an, es war sechs Wochen nachher, jedenfalls in dem Augenblick, in dem zufolge der Unterhausrede das Auswärtige Amt Stellung nahm und die Amtschefs sich an mich gewandt haben, die ich dann an Himmler verwiesen habe.

OBERST AMEN: Aber als Sie vor dieser Verhandlung über die Sache verhört wurden, haben Sie wie folgt ausgesagt, nicht wahr?

»Frage: Sie erinnern sich doch an den Fall von den 80 britischen Fliegern, die im März 1944 aus dem Stalag Luft III entkamen?

Antwort: Dieser Fall ist mir unbekannt.

Frage: General Westhoff versuchte, von der Gestapo zu erfahren, was mit diesen Leuten geschehen war.

Antwort: Wenn er Verhandlungen mit der Gestapo hatte, so hatte er nicht mit mir verhandelt.

Frage: Was sagen Sie zu dem allgemeinen Vorschlag, daß entflohene Gefangene der Gestapo übergeben werden sollten?

Antwort: Solche Fälle sind mir nicht bekannt.«

Haben Sie diese Antworten gegeben, ja oder nein?

KALTENBRUNNER: Kann sein, daß ich sie gegeben habe, aber ich mache Sie aufmerksam, ich bin durch diese Fragestellung natürlich vollkommen irregeführt gewesen, ich habe von 80 entsprungenen Fliegern auch wirklich nie etwas gehört gehabt. Es ist ja auch hier nur von 50 gesprochen worden.

OBERST AMEN: Zu Ihrer Information: 80 sind entflohen und 50 wurden getötet.

KALTENBRUNNER: Und außerdem hat General Westhoff hier ja festgestellt, daß er nicht mit mir über die Saganer Fälle gesprochen hat, sondern versucht hat, von der Staatspolizei das zu bekommen, daß er mit mir hinsichtlich der Übernahme des Kriegsgefangenenwesens durch den Befehlshaber des Ersatzheeres, Himmler, gesprochen hat, und daß bei dieser Gelegenheit auch auf Sagan hingewiesen wurde.

OBERST AMEN: Nun, Angeklagter, Sie haben ausgesagt, daß Sie keinerlei Kenntnis der Tatsache hatten, daß Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in der Sowjetunion tätig waren. Sie hatten auch noch lange Zeit keine Kenntnis davon, nachdem Sie im Januar 1943 Chef des Reichssicherheitshauptamts geworden waren. Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Und Sie behaupten noch immer, daß das richtig ist?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Sie bestreiten, daß Sie, nachdem Sie bereits lange Chef des Reichssicherheitshauptamts geworden waren, davon gewußt hätten, daß diese Einsatzgruppen die Vernichtung von Juden in der Sowjetunion durchrührten?

KALTENBRUNNER: Das ist mir erst bei meiner grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Hitler und Himmler, ich glaube spät 1943, wahrscheinlich erst November, bekanntgeworden.

OBERST AMEN: Und Sie geben zu, nehme ich an, daß Sie im Jahre 1942 Höherer SS- und Polizeiführer in Österreich waren. Geben Sie das zu?

KALTENBRUNNER: Jawohl.

OBERST AMEN: Und Schirach war Reichsverteidigungskommissar in Wien zu derselben Zeit, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Das weiß ich nicht, wann er es geworden ist. Ich muß aber darauf hinweisen, daß die Höheren SS- und Polizeiführer in drei verschiedenen Etappen ihre Vollmacht, die sie zum Schluß hatten, bekommen haben. Im Jahre 1941, als ich Höherer SS- und Polizeiführer geworden bin, war der Vollmachtsbereich eines solchen bedeutend kleiner als am Schlusse des Krieges.

OBERST AMEN: Hoher Gerichtshof! Ich habe hier ein Dokument, das mit Flugzeug erst gestern hierhergekommen ist, von dem wir nur ein Originalexemplar besitzen, und das daher noch nicht übersetzt werden konnte. Ich habe daher die Anordnung getroffen, daß der Dolmetscher – wenn es dem Gerichtshof recht ist – Auszüge aus diesem Originaldokument, das aus den persönlichen Akten Schirachs aus Wien stammt, verliest, und das Originaldokument dem Gerichtshof dann überreicht, damit es so schnell wie möglich amtlich vorgelegt werden kann. Oder wünscht der Gerichtshof vielleicht das Dokument zuerst zu sehen? Es ist ein Originaldokument.

VORSITZENDER: Sie wollen es vorlesen, so daß es in deutscher Sprache durchkommt?

OBERST AMEN: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Sehr gut.

OBERST AMEN: Es ist das Dokument 3876-PS. Es ist ein Bericht, der von Heydrich an alle Höheren SS- und Polizeiführer und an die Reichsverteidigungskommissare über die Tätigkeit der Einsatzgruppen in der USSR während des Monats Januar 1942 gesandt wurde, und auf den Verteilerlisten erscheint der Name dieses Angeklagten. Wollen Sie bitte US-808 verlesen?

DOLMETSCHER: Das Dokument hat auf der rechten Seite oben die Initialen in Tinte »Sch« und dann mehrere Aktenzeichen: »Z-RV-K 4030-519/41g« und darunter »1320 C«. Links oben steht:

»Der Höhere SS- und Polizeiführer bei den Reichsstatthaltern in Wien, in Ober- und Niederdonau im Wehrkreis XVII.

Der Inspekteur der Ordnungspolizei.«

Darunter folgen wieder mehrere Aktenzeichen.

Das Dokument ist überschrieben: »Geheim« und trägt das Datum »Wien, den 14. Oktober 1941. Betrifft: Erfahrungsberichte über die bisherigen Kämpfe im Osten.«

VORSITZENDER: Ist das richtig? 14. Oktober 1941?

DOLMETSCHER: Ja, 14. Oktober 1941.

VORSITZENDER: Das Datum, das früher angegeben wurde, war Januar 1942. Wie erklären Sie das?

OBERST AMEN: Es erstreckt sich über den ganzen Monat. Es gibt zwei verschiedene Dokumente. Sie haben das Datum des einen genannt. Das andere Dokument trägt ein anderes Datum, nicht wahr?

DOLMETSCHER: Ja, das ist richtig.

OBERST AMEN: Geben Sie das Datum des anderen Dokuments an, damit das Protokoll in Ordnung ist.

VORSITZENDER: Oberst Amen, wir werden es verstehen, wenn wir das Dokument sehen.

OBERST AMEN: Ja, Herr Vorsitzender. Fahren Sie fort.

DOLMETSCHER: Das Datum des zweiten Dokuments ist 23. April 1942.

OBERST AMEN: Fahren Sie fort.

DOLMETSCHER: Ich setze fort:

»Betrifft: Erfahrungsberichte über die bisherigen Kämpfe im Osten. Bezug:« – und dann folgen eine Reihe von Aktenzeichen.

»Vorstehenden Erlaß des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern mit je einer Abschrift der Erfahrungsberichte des Heeresgruppenkommandos Nord und der SS-Polizei-Division übersende ich zur Kenntnisnahme und gefl. Auswertung. Im Auftrage: unterzeichnet ›Miegel‹.«

OBERST AMEN: Wollen Sie bitte zur Verteilerliste übergehen und sehen Sie, ob sie den Namen des Angeklagten enthält.

DOLMETSCHER: Der Name des Angeklagten ist auf dieser Verteilerliste nicht enthalten. Ich lese nun das nächste Dokument.

OBERST AMEN: O ja, er ist darauf.

DOLMETSCHER: Nein, er ist nicht auf diesem Dokument enthalten. Ich lese nun das zweite.

»Berlin, den 27. Februar 1942

Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD IV A 1«

und dann folgen einige Aktenzeichen.

»Geheime Reichssache

Betrifft: Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 9 der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in der UdSSR.

Als Anlage...«

OBERST AMEN: Einen Augenblick, bitte. Er liest das falsche Dokument, Herr Vorsitzender. Wir werden das gleich in Ordnung gebracht haben.

DOLMETSCHER: Mir wurde gesagt, daß ich das richtige Dokument verlese. Es ist das richtige. Ich setze fort:

»Als Anlage übermittle ich den neunten zusammenfassenden Lagebericht über die Tätigkeit der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in der UdSSR. Die Lageberichte werden in Zukunft laufend übersandt.

gez. Heydrich.«

Dann ist hier ein Stempel »Der Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis XVII, eingelangt am 5. März 1942«. Dann folgt der Verteiler, und an 13. Stelle des Verteilers befindet sich: »An den Höheren SS- und Polizeiführer SS-Gruf. Dr. Kaltenbrunner«.

OBERST AMEN: Sein Name steht auf der Liste, nicht wahr? Wenn Sie jetzt bitte auf Teil »C« im Dokument übergehen wollen.

DOLMETSCHER: Ich lese nun auf Seite 9 des Dokuments einen Auszug unter dem Titel: »C. Juden«:

»Die Haltung der Juden ist nach wie vor eindeutig deutschfeindlich und kriminell.

Es wird angestrebt, das Ostland möglichst vollständig von Juden zu säubern. Die Erschießungen werden überall so durchgeführt, daß sie in der Öffentlichkeit kaum bemerkt werden. In der Bevölkerung und selbst bei den zurückgebliebenen Juden ist vielfach die Überzeugung verbreitet, daß die Juden lediglich umgesiedelt worden sind.

Estland ist bereits judenfrei.

In Lettland wurde die Zahl der in Riga verbliebenen 29500 Juden auf 2500 verringert. In Dünaburg leben noch 962 Juden, die für den Arbeitseinsatz dringend erforderlich sind.«

Ich überspringe nun mehrere Absätze und setze fort:

»In Litauen befinden sich nunmehr noch in Kauen 15000, in Schaulen 4500 und in Wilna weitere 15000 Juden, die ebenfalls für den Arbeitseinsatz benötigt werden.

In Weißruthenien ist die Säuberung von Juden im Gange.

Die Zahl der Juden in dem bisher der Zivilverwaltung übergebenen Teil beläuft sich auf 139000 Juden. 33210 Juden wurden inzwischen von der Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des SD erschossen.«

Ich überspringe nun den Rest dieses Auszuges und setze mit der Verlesung eines anderen Dokuments fort, das das Datum »Berlin, den 23. 4. 1942« und ein unleserliches Initial in Tinte zeigt. Es ist überschrieben »Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, IV A 1« und mehrere Aktenzeichen. Es ist überschrieben mit »Geheime Reichssache«.

Auf diesem Dokument, das gezeichnet ist von Heydrich, und das das Eingangsdatum des 28. April 1942 trägt, befindet sich auf dem Verteiler an 14. Stelle folgender Vermerk:

»An den Höheren SS- und Polizeiführer SS-Gruf. Dr. Kaltenbrunner Wien.«

Ich gehe nun auf Seite 11 des Gesamtberichts über und lese einen Auszug unter der Überschrift »C. Juden«.

»Die Arbeitsweise bei der Bereinigung der Judenfrage war in den verschiedenen Frontabschnitten eine durchaus unterschiedliche.

Da das Ostland zum größten Teil judenfrei ist und die wenigen noch vorhandenen Juden, die für den dringendsten Arbeitseinsatz benötigt werden, ghettoisiert sind, lag hier die Aufgabe der Sicherheitspolizei und des SD in der Erfassung der sich meistens auf dem Land verborgen haltenden Juden. Mehrfach wurden auch Juden ergriffen, die sich unerlaubt aus dem Ghetto entfernt hatten oder den Judenstern nicht trugen. In Riga wurden u. a. drei aus dem Reich in das Ghetto überstellte Juden, die ausgebrochen waren, erfaßt und im Ghetto öffentlich erhängt.

Bei größeren Judenaktionen wurden in Minsk 3412, in Wilejka 302 und in Baranowitschi 2007 Juden erschossen.«

Ich überspringe nun drei Absätze und fahre fort:

»In den übrigen Gebieten der Ostfront bestand die Aufgabe der Sicherheitspolizei und des SD neben dem Vorgehen gegen einzelne politisch oder kriminell in Erscheinung getretene Juden in der allgemeinen Bereinigung größerer Ortschaften. So wurden allein in Rakow 15000 und in Artenowsk 1224 Juden erschossen, so daß diese Orte judenfrei sind.

Auf der Krim wurden 1000 Juden und Zigeuner exekutiert.«

OBERST AMEN: Angeklagter! Haben Sie noch immer die Kühnheit, diesem Gerichtshof zu erzählen, daß Sie nichts von der Tätigkeit dieser Einsatzgruppen wußten, bis Sie als Chef das RSHA übernommen haben?

KALTENBRUNNER: Auf dem Dokument ist ganz oben links klar erkenntlich »Der Höhere SS- und Polizeiführer...«

VORSITZENDER: Antworten Sie auf die Frage. Sie können das Dokument später lesen. Behaupten Sie noch immer, daß Sie nichts von diesen Einsatzgruppen wußten?

KALTENBRUNNER: Ich habe vom Inhalt dieses Dokuments keine Kenntnis. Ich verweise darauf, daß der Inspekteur der Ordnungspolizei die Dienststelle ist, die diesen Brief am 22. Oktober 1941 abgesandt hat. Erfahrungsberichte über Kämpfe im Osten, über Einsätze der Sicherheitspolizei und SD, die in dieser Zeit verfaßt worden sind, sind erstens auf Befehle Himmlers oder Heydrichs zurückgehend und nicht auf meine Befehle. Dieses Dokument kann keineswegs beweisen, wie ich selbst zu dieser gesamten Frage gestanden bin. Wenn im Verteiler alle Höheren SS- und Polizeiführer und alle Dienststellen aufgeführt sind, an die diese Erfahrungsberichte gesandt worden sind, erblicke ich darin nicht den Beweis, daß auch die Dienststellen – nämlich alle Männer, die in diesen Dienststellen gewesen sind – unbedingt auch Kenntnis haben mußten davon. Sie können nicht annehmen, daß Berichte über Gebiete, in denen der Betreffende aber auch gar keine Zuständigkeit und Einwirkungsmöglichkeit besitzt, auch faktisch zur Kenntnis genommen werden. Daß diese Verbrechen im Osten geschehen sind, daran ist ja heute gar nicht zu zweifeln. Es ist aber zu untersuchen, ob ich intellektuell, gesetzgeberisch, führungsmäßig irgendwelchen Einfluß darauf genommen habe, ob ich sie gebilligt habe, ob ich die Möglichkeit hatte, sie abzustellen; dies muß ich restlos verneinen.

OBERST AMEN: Angeklagter! Das war nur ein Dokument aus einer regelmäßigen Serie monatlicher Berichte, von denen eine Abschrift jeden Monat an Sie ging. Ist das eine Tatsache, ja oder nein?

KALTENBRUNNER: Das weiß ich nicht, wie oft solche Berichte gekommen sind. Ich sehe diesen Bericht heute zum erstenmal hier. Daß Erfahrungsberichte über alle Kampfgebiete, sei es über Sicherheitspolizei, sei es über Ordnungspolizei-Einsatz, sei es über Wehrmachtserfahrungen gekommen sind und ausgeteilt wurden im gesamten Reich, das ist natürlich nicht zu bestreiten.

OBERST AMEN: Gut, das genügt mir.

Wußten Sie etwas von einem Brief, der von Ihrem Anwalt geschrieben wurde, der für diesen Prozeß Beweismaterial zu Ihren Gunsten suchte?

KALTENBRUNNER: Ich habe mit meinem Verteidiger über einen solchen Brief bis heute nicht gesprochen. Ich bitte ihn zu befragen, ob er mir von diesem Brief Mitteilung gemacht hat.

OBERST AMEN: Nun, ist es Ihnen nicht bekannt, daß Ihr Anwalt einen Brief an das Bürgermeisteramt in Oranienburg bei Berlin schrieb und eine Antwort des Bürgermeisters erhielt, die zu Ihrer Entlastung dienen sollte?

KALTENBRUNNER: Nein, fragen Sie ihn bitte, er hat mir davon keinerlei Mitteilung gemacht.

OBERST AMEN: Nun, dann muß ich Sie auf Dokument...

VORSITZENDER: Oberst Amen! Haben Sie das Recht, sich in berufliche Angelegenheiten zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger einzumischen?

OBERST AMEN: Ich glaube ja, in diesem Fall, Herr Vorsitzender, denn der Brief ist uns vom Empfänger direkt zugesandt worden in der Erwartung, daß dieser Brief hier von uns verwendet würde. Es ist keine vertrauliche Mitteilung. Es war ein Brief...

VORSITZENDER: Wollen Sie dem Gerichtshof den Brief vorlegen?

OBERST AMEN: Ja.

DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Ich höre von dem Sachverhalt heute zum ersten Male. Darf ich vielleicht das Dokument, wenn es an mich gerichtet sein sollte, einen Augenblick einsehen, bevor es Gegenstand dieser Verhandlung wird?

OBERST AMEN: Selbstverständlich.

VORSITZENDER: Sicherlich, geben Sie es ihm zur Einsicht.

OBERST AMEN: Herr Vorsitzender...

DR. KAUFFMANN: Darf ich das aufklären?

VORSITZENDER: Wir wollen Oberst Amen zuerst sprechen lassen, denn er will das Dokument vorlegen.

DR. KAUFFMANN: Darf ich zunächst etwas sagen?

VORSITZENDER: Ja, Dr. Kauffmann, was haben Sie zu sagen?

DR. KAUFFMANN: Der Gerichtshof wird vielleicht schon gemerkt haben, daß ich eine besondere...

VORSITZENDER: Wir haben das Dokument noch nicht gesehen.

DR. KAUFFMANN: Ich habe das Dokument gesehen.

VORSITZENDER: Ich habe gesagt, daß wir es noch nicht gesehen haben. Wir haben Ihnen gestattet, daß Sie es sich zuerst ansehen, so daß Sie, bevor wir es sehen, alle erforderlichen Einwendungen machen können, und dann werden wir es uns ansehen.

DR. KAUFFMANN: Ja, Herr Präsident, ich bin der Auffassung, daß das ein nicht fairer Eingriff in die Rechte und in die Pflichten der deutschen Verteidigung ist. Die ganze Welt kann dieses Dokument lesen. Es ist eine Anfrage von mir an das Bürgermeisteramt in Oranienburg. Oranienburg ist ein großes Konzentrationslager gewesen. Da ich besonders im Rahmen unserer Absprache mit den Kollegen die Aufgabe hatte, diese Fragen der »Kenntnis des deutschen Volkes« zu klären, habe ich diesen Brief an das Bürgermeisteramt gerichtet und Fragen gestellt, die jeder Mensch lesen kann, mit der Bitte, man möge mir auf diese Fragen Antwort geben. Ich habe beabsichtigt, gegebenenfalls diese Antworten dem Gericht zu unterbreiten. Dieselben Fragen sind an andere Städte gegangen. Ich habe diese Dokumente bereits zur Übersetzung eingereicht und werde sie später dem Gericht überreichen. Aber es ist ein unmöglicher Zustand, daß ein Brief eines Verteidigers und die an den Verteidiger ergangene Rückantwort hier von der Anklage geöffnet wird.

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Das Dokument, das Oberst Amen als Beweismittel vorlegt, ist weder Ihr Brief an den Bürgermeister in Oranienburg noch dessen Antwort an Sie.

OBERST AMEN: O ja, es ist die Antwort.

VORSITZENDER: Verzeihen Sie, ich glaubte, Sie sagten, es sei ein Brief, der an die Anklagebehörde gesandt wurde?

OBERST AMEN: Ich sagte, daß eine Abschrift an unsere Anklagebehörde gesandt wurde, nicht nur vom Empfänger – soweit ich es verstehe, – es war kein Begleitbrief dabei –, sondern sie ist auch an die Britische Anklagebehörde gegangen in einem vom 2. April 1946 datierten Brief von Major Wurmser.

VORSITZENDER: Ich verstehe jetzt. Ich glaube, Sie haben vorher nicht gesagt, daß es sich um eine Abschrift handelt. Ich habe es so verstanden, daß es durch einen Irrtum an Sie gesandt worden wäre. Wenn es die Abschrift eines Briefes ist, der an Dr. Kauffmann gesandt wurde, dann ist es ja ganz klar, was es ist.

OBERST AMEN: So fasse ich es auf, Herr Vorsitzender. Es ist eine Abschrift seines Briefes; mir ist aber keineswegs bekannt, daß es sich um eine Vertrauenssache handelt...

VORSITZENDER: Was meinen Sie mit: eine Abschrift seines Briefes? Meinen Sie des Briefes, der an Dr. Kauffmann gesandt wurde?

OBERST AMEN: Eine Abschrift des von Dr. Kauffmann an den Bürgermeister von Oranienburg gesandten Briefes und der Antwort des Bürgermeisters an Dr. Kauffmann. Wenn Sie die Antwort lesen, Herr Vorsitzender, werden Sie verstehen, wieso sie direkt an uns zur Kenntnisnahme ging.

DR. KAUFFMANN: Darf ich noch etwas dazu sagen, nur zwei, drei Sätze, bitte?

Ich sehe in der Vorlage dieser beiden Dokumente einen ganz besonders schweren Eingriff in die Rechte der Verteidigung. Es ist der Verteidigung nicht möglich gewesen, in Dokumente der Anklage hineinzusehen, und es würde uns nie der Gedanke gekommen sein, Dokumente der Anklage, die zu unseren Gunsten sprechen, dem Gericht vorzulegen. Es ist ausschließlich eine Beziehung zwischen mir als Absender und der absendenden Stelle wieder an mich zurück; wie darf hier die Anklage sich in derartige ganz persönliche Beziehungen einmischen? Ich glaube nicht, daß das fair ist.

OBERST AMEN: Verzeihen Sie, Herr Vorsitzender. Ich glaube, ich kann diese ganze Sache wohl aufklären. Dies ist ein Brief vom 2. April 1946 von Major Wurmser an die Britische Anklagebehörde und er lautet wie folgt:

»In der Anlage finden Sie den Originalbriefwechsel bezüglich Oranienburg. In Übereinstimmung mit Ihrem Ersuchen habe ich festgestellt, daß dieser Briefwechsel in folgender Weise empfangen wurde:

Er war an die Anklagevertretung adressiert und wurde dem Generalsekretär übermittelt. Das Original wurde anscheinend direkt an Dr. Kauffmann gesandt, und zwar hat der Absender, der Bürgermeister von Oranienburg, ein Herr Klaußmann, gleichzeitig einen Durchschlag an die Anklagevertretung gesandt, die nicht nur seine Antwort enthielt, sondern auch eine Abschrift des Briefes, den Dr. Kauffmann an ihn gerichtet hatte.«

VORSITZENDER: Ich glaube, wir verstehen jetzt den Sachverhalt.

OBERST AMEN: Ich glaube, er wurde gerade zu dem Zweck an die Anklagevertretung gesandt, zu dem ich ihn zu verwenden beabsichtige.

VORSITZENDER: Oberst Amen! Mit welcher Begründung behaupten Sie, ganz abgesehen von der Frage des zwischen Verteidiger und seinem Klienten bestehenden Vorrechts, daß dieses Dokument – offenbar ein von einer Privatperson an Dr. Kauffmann gerichteter Brief, von dem eine Abschrift an Sie gesandt wurde – überhaupt ein Beweismittel ist?

OBERST AMEN: Herr Vorsitzender! In diesem Dokumentenbuch des Angeklagten ist nämlich ein Brief enthalten, der sich genau auf denselben Punkt bezieht, das heißt, der Angeklagte hat diese Frage zu seiner eigenen Verteidigung aufgeworfen. Er hat den Brief nicht gelesen.

VORSITZENDER: Darum geht es hier nicht. Dieser Brief an Dr. Kauffmann, von welchem Sie eine Abschrift haben, ist, soweit ich sehe, keine eidesstattliche Erklärung.

OBERST AMEN: Nein, es ist keine eidesstattliche Erklärung.

VORSITZENDER: Wie kann es dann Beweismittel sein? Der Zeuge ist nicht hier.

OBERST AMEN: Es hat den gleichen Beweiswert, wie so viele andere Briefe auch, die hier zum Beweis vorgelegt werden. Ich glaube, daß es viel mehr Beweiswert hat, als die meisten anderen vorgelegten Briefe, denn es ist ein Brief einer Amtsperson, eines Bürgermeisters, der die Sache untersucht hat und meiner Ansicht nach einen der wichtigsten Punkte in dieser ganzen Sache festgestellt hat, nämlich ob...

VORSITZENDER: Nein, ich möchte im Augenblick nichts über den Inhalt des Briefes hören.

OBERST AMEN: Meiner Meinung nach ist es wichtiger als alles andere in diesem Prozeß, daß dieser Brief dem Gerichtshof vorgelegt wird und er gehört zur Sache besonders da... Aber, Sie wünschen nicht, daß ich darüber jetzt spreche,... besonders wenn es sich um etwas handelt, was der Angeklagte zu seiner eigenen Verteidigung vorzulegen beabsichtigte und was jetzt...

VORSITZENDER: Aber er hat es nicht zu seiner eigenen Verteidigung vorlegen wollen.

OBERST AMEN: Nun, ich sage, daß er beabsichtigte, diese Frage durch Aufnahme dieses Briefes in sein Dokumentenbuch vorzubringen, so daß selbst, wenn es sonst nicht erheblich wäre, es ganz bestimmt erheblich wird, wenn der Angeklagte gerade diese Frage in seinen eigenen Dokumenten aufwirft. Aber ganz abgesehen davon scheint es mir eine der wichtigsten Fragen in diesem Falle zu sein.

Ich werde darüber nicht mehr sprechen, da Sie, Herr Vorsitzender, dies nicht wünschen, aber ich kann mir kaum etwas Wichtigeres denken als die Frage, die da in Form einer amtlichen Mitteilung vorgelegt wird.

VORSITZENDER: Oberst Amen, die einzige Frage, die ich gestellt habe, war, wieso dieses Dokument, das keine eidesstattliche Erklärung ist, gültiges Beweismittel werden kann. Hat der Zeuge, der im Kreuzverhör vernommen wird, es gesehen?

OBERST AMEN: Es kann als eine offizielle Mitteilung angesehen werden an seinen Verteidiger. In Ausübung seiner Amtspflichten als Bürgermeister war es ein Teil seiner Aufgaben...

VORSITZENDER: Ja, Dr. Kauffmann?

DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Ich will jetzt nicht zur prozessualen Frage sprechen, sondern nur noch bemerken, daß dieser Brief...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte.

DR. KAUFFMANN: Ich möchte mich nicht mehr verbreiten über die eben angeschnittene prozessuale Frage, sondern betonen, daß diese beiden Dokumente mit dem Fall Kaltenbrunner als solchem nichts zu tun haben. Wie ich eben schon sagte, kann jeder dieses Dokument einsehen, aber weil dieses Dokument mit Kaltenbrunner nichts zu tun hat, hat es von vornherein keinerlei Beweiswert.

OBERST AMEN: Es hat noch darüber hinausgehenden Beweiswert, Herr Vorsitzender, da, wenn die Dinge, auf die sich dieser Brief bezieht, den Leuten in Oranienburg bekannt waren, wie in dem Briefe geschildert wird, dann muß sicherlich auch die Person die in Deutschland die Stelle eines Chefs des Reichssicherheitshauptamtes einnimmt, soviel Kenntnis davon haben, wie der kleinste Mann dieses Ortes gehabt zu haben scheint.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof unterbricht die Verhandlung.