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[zum Zeugen gewandt]

Sind Sie von Krüger gebeten worden, Himmler in dieser Sache Bericht zu erstatten, und was hat dieser gesagt?

KALTENBRUNNER: Das kann sein, daß er mich gebeten hat, aber keineswegs als Vorgesetzten, sondern Sie müssen sich vergegenwärtigen, welches Gremium dort beisammen gewesen ist. Das muß ja auch aus dem Tagebuch hervorgehen. Ich bin ja dort nicht als Chef der Sicherheitspolizei oder als Vorgesetzter Krügers in Erscheinung getreten, sondern Krüger hat so wie x andere Leute dutzend anderen Leuten Vorträge gehalten über Ernährungswesen, Verwaltungswesen...

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte Sie bitten, keine weiteren Erklärungen zu geben. Sie haben meine Frage beantwortet, es lohnt nicht, weiter darüber zu sprechen.

VORSITZENDER: Dr. Seidl, wollten Sie etwas sagen?

DR. SEIDL: Herr Präsident! Es wurde dem Angeklagten Kaltenbrunner ein Zitat aus dem Tagebuche Franks vorgelesen. Das Franksche Tagebuch umfaßt 42 Bände. Ich möchte nun anregen, daß der Herr Anklagevertreter die Stelle und den Band und den Tag der Eintragung bekanntgibt, damit man überhaupt nachprüfen kann, in welchem Zusammenhang das geschehen ist.

VORSITZENDER: Sicherlich.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hier ist es genau angegeben.

Es handelt sich um eine Sitzung vom 31. Mai 1943, betitelt: Arbeitssitzung am 31. Mai 1943 in Krakau. Es ist das unter US-613, 2233-PS vorgelegte Dokument.

VORSITZENDER: Dieses Tagebuch führt doch wahrscheinlich ein Datum an?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl. Es ist eine Sitzung vom 31. Mai 1943, hier ist das Datum....

VORSITZENDER: Das wollte Dr. Seidl wissen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich habe eine zweite Frage an den Angeklagten.

VORSITZENDER: Gut, setzen Sie fort.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn der Angeklagte, wie er behauptet, lediglich mit dem Meldedienst und mit sonst nichts beschäftigt war, konnte er dann annehmen, daß die Beeinflussung der Wahlen im Iran durch Bestechung, oder daß die Entgegennahme einer Million Tomane von Ribbentrop zur Überweisung an Agenten zu seiner Betätigung im Meldedienst gehörte?

KALTENBRUNNER: Mit Bezahlung von Wahlen im Iran habe ich bestimmt nichts zu tun gehabt, aber ich gebe zu, daß selbstverständlich auch Agenten meines Meldedienstes im Iran gearbeitet haben.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Haben Sie von Ribbentrop eine Million Tomane für Bestechungszwecke erbeten?

KALTENBRUNNER: Nein, ich habe genügend Mittel gehabt, um meine Agenten selbst zu bezahlen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Dieser Brief mit der Unterschrift des Angeklagten Kaltenbrunner ist dem Gerichtshof als Nummer USSR-178 vorgelegt worden. Darin wird von der Bewilligung einer Million Tomane gesprochen. Der Angeklagte widerspricht den Aussagen Ribbentrops, der es zugegeben hat.

KALTENBRUNNER: Ich glaube, daß ich von Ribbentrop kein Geld verlangt habe, weil ich selbst genügend Geld gehabt habe. Zeigen Sie mir diesen Brief. Es wäre ohne weiteres möglich. Ich habe ausreichend Mittel für diesen Nachrichtendienst gehabt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Dieser Brief ist dem Gerichtshof im Original während des Kreuzverhörs von Ribbentrop vorgelegt worden, und wir haben nur mehr eine Abschrift davon. Natürlich kann das Original sofort aus dem Dokumentenzimmer herbeigeholt werden. Es heißt dort:

»Um einen entscheidenden Einfluß auf den Ausgang der Wahlen zu nehmen, seien allerdings Bestechungsgelder notwendig, und zwar für Teheran etwa 400.000 und für den übrigen Iran mindestens 600.000 Tomane.«

Der Brief endet wie folgt:

»Für eine kurze Mitteilung, wie weit von seiten des Auswärtigen Amtes von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll, insbesondere, ob die benötigte 1 Million Tomane von dort zur Verfügung gestellt werden kann, wäre ich dankbar. Die Verbringung dieser Geldmittel würde gegebenenfalls gelegentlich eines der nächsten Flugeinsätze von hier möglich sein.

Heil Hitler, Ihr ergebener Kaltenbrunner, SS-Obergruppenführer.«

Der Inhalt dieses Briefes ist ganz eindeutig. Ribbentrop hat den Brief zugegeben. Bestreiten Sie die Aussage Ribbentrops?

KALTENBRUNNER: Nein, ich denke gar nicht daran, aber ich möchte noch zu diesem Dokument folgendes sagen. Es kann mir nicht ohne weiteres in Erinnerung sein, denn es ist abgefaßt im Amt VI. Den Inhalt selbst kenne ich nicht, kannte ich bis jetzt nicht. Unterschrieben habe ich schon deshalb mit Bestimmtheit, weil es sich um einen Brief an einen Reichsminister gehandelt hat den ich selbstverständlich schon aus Gründen des Taktes persönlich unterschreiben mußte. Zum Gegenstand selbst bin ich dankbar, daß als letzte Frage in diesem Kreuzverhör an mich eine Frage über mein eigentliches Aufgabengebiet gerichtet worden ist. Sie sind der erste Ankläger, dem ich dafür dankbar sein muß, der endlich nicht mehr verheimlichen kann, daß ich meine Agenten und meine Tätigkeit bis zum Iran auszustrecken hatte.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ist das Ihre Unterschrift?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine weiteren Fragen mehr an den Angeklagten, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Welches Dokument haben Sie ihm jetzt vorgelegt?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Es ist das Dokument USSR-178, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: 178?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, 178, ein Brief Kaltenbrunners an von Ribbentrop, dem Reichsminister des Auswärtigen, datiert vom 27. Juni 1943.

VORSITZENDER: Ja, danke schön. Jetzt wird sich der Gerichtshof mit Dr. Thomas Dokumenten für Rosenberg befassen. Ist die Anklagevertretung bereit, zu beginnen? Sind Sie bereit, Herr Dodd?

MR. DODD: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Wollen Sie die Freundlichkeit haben, Herr Dodd, uns über den Stand der Angelegenheit zu unterrichten? Sind Sie damit einverstanden, Dr. Thoma, daß Herr Dodd uns zuerst mitteilt, wie die Sache steht?

DR. THOMA: Ja.

MR. DODD: Dr. Thoma hat drei Dokumentenbücher vorbereitet, und zwar zwei Bände für das erste Buch, – zwei Teile, zwei Bände. Ich möchte mich gern zuerst mit Band I und II des ersten Dokumentenbuches befassen. In diesem ersten Band...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits diese Bände eingesehen, Herr Dodd.

MR. DODD: Nun, in dem Buch, das uns vorgelegt wurde, sind eine Reihe von Autoritäten zitiert, und zwar fängt es an mit Falckenbergs »Geschichte der Neueren Philosophie« und geht dann bis zur »Einführung in die Völkerpsychologie« von Hellpach. Nach unserer Auffassung über die Entscheidung des Gerichtshofs vom 8. März ist damals erklärt worden, daß diese Bücher verwendet werden können, soweit sie zum Zwecke der Argumentation notwendig sind, und sie sollten hiefür der Verteidigung zugänglich gemacht werden. Der Gerichtshof hat weiterhin verfügt, daß bestimmte Stellen, die der Verteidiger zu zitieren wünscht, in das Dokumentenbuch zwecks Übersetzung aufgenommen werden sollen.

Wir erheben Einspruch gegen alle diese Stellen, und zwar meistens aus einem und demselben Grunde. Ich glaube, ich kann sie als Gruppe behandeln, und brauche nicht einzeln auf sie einzugehen.

VORSITZENDER: Herr Dodd! Wir haben sie alle bereits gelesen und wir möchten nur die Argumente hören, die Dr. Thoma vorzubringen wünscht.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich möchte hervorheben, daß mich nur die rechtlichen Gesichtspunkte leiten, die Werke zeitgenössischer Historiker als Beweismittel in den Prozeß einzuführen. Dem Gericht obliegt die Entscheidung, ob ein Kausalzusammenhang besteht zwischen der Rosenbergschen Ideologie und den Kriegs- und Judenverbrechen. Ich behaupte, daß neben der Ideologie auch noch andere mit verursachende Umstände, sogenannte Vorbedingungen, nämlich die ganze zeitgenössische Lage, geistesgeschichtliche Lage, mitgewirkt hat. Die Hauptfrage ist aber folgende: Hat Rosenberg schuldhaft mit der Möglichkeit der Gefährlichkeit seiner Ideen gerechnet und sie trotzdem verbreitet? Welche Schuldform hat Platz zu greifen, wenn Rosenberg von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugt war und ihm der gefährliche Ablauf dieser Ideen nicht bekannt war? Ich will deshalb Tatsachen aus der geistesgeschichtlichen Lage seinerzeit anführen, aus denen hervorgeht, daß seine Ideen auch von der exakten Wissenschaft gesehen und teilweise vertreten wurden. Ich will hierzu anführen, daß auch andere Staaten nationalsozialistische Forderungen, zum Beispiel über die Verhinderung der Entstehung lebensunwerten Lebens, bereits vor dem Auftreten Rosenbergs eingeführt haben. Ferner will ich hinweisen auf die Ergebnisse der Naturwissenschaft über die Naturbasis des Menschen und die schon dadurch beschränkte Freiheit des Menschen. Ich will hinweisen auf die Folgen des technischen Zeitalters. Ich will hinweisen auf die Beachtung irrationaler Anschauungen, auch in der rationalen empirischen Wissenschaft, und ich will hinweisen auf die Gesetze des Ablaufs philosophischer Begriffe und politischer Bewegungen, die teilweise zwangsläufig sind. Aus diesen Ergebnissen der Wissenschaft kann hervorgehen, daß Rosenberg die Gefährlichkeit seiner Ideologie unterschätzen und übersehen konnte, nämlich, daß alle Ideen, einem Geistesgesetz folgend, zur Entartung kommen. Es kann dadurch der Schuldbegriff eine wesentliche Änderung erfahren und es wird, meines Erachtens, auch die Frage der Fahrlässigkeit geprüft werden müssen. Diese Thesen sollen aus den naturwissenschaftlichen Werken von Eickstedt, Mühlmann, Scheidt, Keiter und aus den philosophischen Werken von Hellpach, Messer, Tillich, Buber und so weiter dargestellt werden.

Meine Hohen Herren! Der Glaube, daß eine Philosophie des Irrationalen auf die Politik angewandt werden kann, mag unsinnig erscheinen, aber ich weise darauf hin, daß noch vor 15 Jahren in Deutschland gepredigt wurde, eine Politik, die sich auf die ethischen Forderungen des Christentums bezieht, ist Unsinn, weil sich die christliche Ethik nicht auf das politische Leben übertragen lasse. Heute wissen wir, daß dies möglich ist; deshalb plädiere ich auch vor einem Gericht, das meiner Überzeugung nach aus diesen ethischen Erwägungen heraus seine Berechtigung hat. Das ist nur ein Beispiel für die Bedeutung des Irrationalismus in der Politik. Der Glaube an die Macht des Idealen und der Moral ist ja auch irrational.

Hohes Gericht! Die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Ideologie Rosenbergs und den Kriegsverbrechen darf nicht oder sollte nicht verwechselt werden mit der Anklage der faktischen Beteiligung Rosenbergs an den Judenmorden und an den Verbrechen im Osten. Hierfür bestehen andere Zusammenhänge. Die tatsächliche Beteiligung Rosenbergs an diesen Dingen muß von mir besonders zu widerlegen versucht werden.

Ich möchte noch auf einen wichtigen Gesichtspunkt hinweisen. Angeklagt sind auch die Organisationen, deren Mitglieder teilweise früher unter dem Einfluß des Christentums und der sogenannten Jugendbewegung standen und sich für den Nationalsozialismus gewinnen ließen, weil sie glaubten, daß in ihm ihre christlichen und idealen Interessen zur Geltung kommen. Sie stehen ratlos und enttäuscht in dieser Welt jetzt in ihren Lagern. Auch sie können beanspruchen, daß dem Gericht gesagt wird, was sie geglaubt haben, und was ihnen gelehrt wurde. Ich glaube damit dargelegt zu haben, daß es sich nicht um irgendwelche ästhetischen Ausführungen hier handeln soll, sondern um ganz wichtige rechtliche Fragen.

Hohes Gericht! Wenn hier irgendwelche Autoren nicht geeignet sind, so kann ich darauf verzichten. Vielleicht ist Lapouge überhaupt nicht geeignet. Ich ziehe ihn hiermit zurück, obwohl gerade Lapouge darauf hinweist, daß gewisse biologische Gesetze auch in der Gesetzgebung anderer Staaten angewandt worden sind. Aber Herr Oberrichter Jackson hat da eine Stelle aus Lapouge beanstandet, und ich ziehe sie zurück. Aber ich kann auch auf das eine oder andere Buch von Martin Buber verzichten. Ich wollte gerade mit Martin Buber beweisen, daß es sich hier um Grundsätze handelt, die mit Antisemitismus gar nichts zu tun haben, sondern daß es einfach eine Philosophie ist, die genau so ihr Recht hat, wie die Philosophie der Aufklärung in den letzten Jahrhunderten. Aber ich bitte das Gericht, im Beweisverfahren durch Beweise vielleicht nur Kenntnis zu nehmen von dem wirklichen geistesgeschichtlichen Tatbestand. Hohes Gericht! Wenn ich das im Plädoyer vortrage, dann laufe ich Gefahr, daß ich ja nur meine eigene Wissenschaft vortrage. Darum brauche ich diese Unterlagen.

VORSITZENDER: Herr Dodd! Sie erheben also gegen alle Bücher bis zu dem Buche von Hellpach Einspruch? Was die übrigen Bücher betrifft, so sind dies alles Rosenbergs eigene Dokumente, nicht wahr?

MR. DODD: Mit Ausnahme der beiden letzten.

VORSITZENDER: Ja, die zwei letzten gehören in dieselbe Kategorie, nehme ich an, wie die Bücher bis Hellpach, nicht wahr?

MR. DODD: Ja, es sind auch einige Zitate aus Zeitungen im Dokumentenbuch enthalten auf Seite 182 bis 185. Wir erheben auch gegen diese Einspruch.

VORSITZENDER: Sind sie im Band II enthalten?

MR. DODD: Ja, sie sind im Band II des Dokumentenbuches 1 enthalten.

VORSITZENDER: Ich sprach augenblicklich nur von Band I des Dokumentenbuches 1.

MR. DODD: Das war unser Einspruch gegen die Dokumente in Band I.

VORSITZENDER: Dann erheben Sie keinen Widerspruch gegen die anderen Bücher.

MR. DODD: Nein, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Buch 2 enthält kein Inhaltsverzeichnis, nicht wahr?

MR. DODD: Wir erheben keinen Einspruch gegen Dokumente in Buch 2.

VORSITZENDER: Sprechen Sie von Band II des Dokumentenbuches 1?

MR. DODD: Ja, wir sprachen von Band II des ersten Buches.

VORSITZENDER: Gut, ich verstehe. Das heißt, Sie erheben keinen Einspruch gegen das Dokumentenbuch 2?

MR. DODD: Nein.

VORSITZENDER: Auch nicht gegen Dokumentenbuch 3.

MR. DODD: Nein, wir haben keinen Einspruch gegen Buch 3 vorzubringen. Ich glaube, daß unsere russischen Kollegen gegen ein Affidavit von Dr. Dencker Einspruch erheben wollen. Ich würde es jedoch begrüßen, wenn sie selbst hierzu vor dem Gerichtshof Stellung nehmen würden.

VORSITZENDER: Gibt es auch noch ein viertes Buch?

MR. DODD: Nein, Herr Vorsitzender. Wir haben aber noch nicht über den zweiten Teil des ersten Buches gesprochen.

VORSITZENDER: Man sagt mir, Sie hätten darüber schon gesprochen.

MR. DODD: Nein, ich glaube nicht. Ich habe nur die Zeitungsartikel erwähnt.

VORSITZENDER: Wo sind die Dokumente, auf die Sie sich beziehen? Sind sie im zweiten Band des ersten Buches enthalten?

MR. DODD: Das erste Dokument beginnt auf Seite 182 des zweiten Bandes des ersten Buches.

VORSITZENDER: Ja, das sind die zwei letzten im Inhaltsverzeichnis.

MR. DODD: Das ist richtig.

VORSITZENDER: Sie erheben also Einspruch dagegen?

MR. DODD: Ja.

VORSITZENDER: Gilt das Inhaltsverzeichnis im ersten Band des ersten Buches für beide Bände?

MR. DODD: Ja.

VORSITZENDER: Und Sie erheben Einspruch gegen alle Dokumente bis Hellpach und gegen die letzten beiden?

MR. DODD: Das stimmt.

VORSITZENDER: Ich verstehe.

Was die Dokumentenbücher 2 und 3 betrifft, so erheben Sie also keinen Einspruch. Die Sowjetunion jedoch will gegen ein Affidavit von Professor Dencker Einspruch erheben?

MR. DODD: Das ist richtig, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Es wäre vielleicht das beste, die Sowjetvertreter hierüber zu hören.

STAATSJUSTIZRAT II. KLASSE M. Y. RAGINSKY, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Dokument Rosenberg 38 lenken. Es befindet sich auf Seite 29 des dritten Dokumentenbuches. Dieses Dokument ist ein Brief vom 24. August 1931.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte. Ist es nicht ein Affidavit?

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ich spreche von zwei Dokumenten, Herr Vorsitzender, und zwar von Dokument Rosenberg 38 und das zweite ist ein Affidavit von Dencker.

VORSITZENDER: Gut. Ich habe Seite 21. Sprechen wir zuerst über Dokument 38. Es ist auf Seite 29.

STAATS JUSTIZRAT RAGINSKY: Jawohl, das ist richtig, auf Seite 29.

Dieses Dokument ist ein Brief eines unbekannten Weinhändlers an Rosenberg über eine Zeitungsnotiz. Wir kennen diese Zeitungsnotiz nicht, da der Verteidiger Dr. Thoma sie uns nicht übergeben hat. Wir glauben deshalb, daß dieses Dokument nichts mit der Sache zu tun hat, um so mehr, als Dr. Thoma in seinen Anträgen und Erklärungen nichts darüber sagt, was es beweisen soll und wovon der Brief handelt. Ich möchte sodann einige Bemerkungen zu dem von der Verteidigung vorgelegten Affidavit Denckers machen. Dieses Affidavit ist ebenfalls im Dokumentenbuch 3, auf Seite 8 bis 11 enthalten und hat die Nummer Rosenberg 35. Diesem Dokumente zufolge ist Dencker ein ehemaliger Mitarbeiter des Wirtschaftsstabes Ost. Er hat an der Begehung von Kriegsverbrechen in den von den deutschen Truppen besetzten Gebieten teilgenommen. Dencker war auch an der Plünderung der besetzten Gebiete der Sowjetunion beteiligt.

Ich möchte den Gerichtshof auf die Tatsache aufmerksam machen, daß Dr. Thoma am 6. April dieses Jahres den Gerichtshof gebeten hat, dieses Dokument zuzulassen, und es hat der Herr Generalsekretär des Gerichtshofs die Meinung der Anklagebehörde eingeholt. Ehe jedoch noch der Gerichtshof entschieden hatte, bevor die Anklagebehörde Beschluß gefaßt hatte, wurde dieses Affidavit dem Dokumentenbuch beigefügt, vervielfältigt und an alle verteilt. Was stellt dieses Affidavit dar, wenn ich fragen darf? Wir sind der Meinung, und es kann leicht bewiesen werden, daß die in diesem Dokument gegebene Darstellung ein vollkommen falsches Bild der Tatsachen gibt. Es enthält zahlreiche lügenhafte und falsche Angaben, die durch die verschiedenen, dem Gerichtshof vorgelegten und verlesenen Dokumente widerlegt wurden. Da Dencker von der Verteidigung nicht vor den Gerichtshof geladen wird, und wir keine Möglichkeit haben, die Lügenhaftigkeit seiner Aussagen durch Kreuzverhör zu beweisen, sind wir der Meinung, daß dieses Dokument nicht zugelassen werden darf.

VORSITZENDER: Ja, Dr. Thoma?

DR. THOMA: Meine Herren! Ich bin auch damit einverstanden, daß der Universitätsprofessor Dr. Dencker, der behauptet, es seien im Wert von 180 Millionen Traktoren und sonstige Landwirtschaftsgeräte in die Ukraine geschafft worden, als Zeuge vernommen wird. Aber dieses Dokument ist ja geradezu von ausschlaggebender Bedeutung dafür, daß in der Ukraine aufgebaut wurde, und daß eine geordnete Wirtschaft geführt werden sollte, und daß das Land eben nicht sinnlos ausgenutzt werden sollte, sondern daß man mit langen Plänen für die Interessen des Landes und der Bevölkerung gesorgt hat. Ich bitte also das Gericht, diese eidesstattliche Versicherung zuzulassen. Eventuell stelle ich den Antrag, den Professor Dencker in Bonn als Zeugen zu laden für den Fall, daß das Gericht beeindruckt ist von den Ausführungen des Herrn sowjetischen Anklagevertreters.

VORSITZENDER: Ja.

DR. THOMA: Und dann, Herr Präsident, bitte ich um Entschuldigung. Ich habe die vorherige Beanstandung im Dokumentenbuch 3 nicht verstanden. Ich habe nämlich mein Dokumentenbuch 3 nicht bei mir und weiß nicht, um was es sich handelt.

VORSITZENDER: Auf Seite 29 ist ein an Rosenberg gerichteter Brief, und zwar von jemand ohne Unterschrift. Es ist Dokument Rosenberg 38.

DR. THOMA: Ja, ja. Dieses Dokument ist mir aber vom Gericht erlaubt worden, und die Unterschrift heißt: »Adolf Hitler«. Das hat die Schreiberin offenbar nicht lesen können.

VORSITZENDER: Es ist ein Brief, nicht wahr?

DR. THOMA: Jawohl, Sir, ist mir bereits genehmigt worden, meine Hohen Herren. Und nun bitte ich um Entschuldigung. Ich bin mir jetzt immer noch nicht klar, ist von meinem ganzen Dokumentenbuch nur der Hellpach genehmigt? Wünscht Sir David oder Mr. Dodd nur, daß der Hellpach zitiert wird, sonst gar nichts? Dann möchte ich doch Gelegenheit haben, bezüglich der anderen Autoren, im einzelnen anzuführen, was die beweisen sollen. Ich habe zum Beispiel mit...

VORSITZENDER: Wir haben ja noch keine Entscheidung gefällt. Wir dachten, daß Sie uns die Gründe zur Stützung der Dokumente in Buch 1, Band I und II angegeben haben.

DR. THOMA: Ja.

VORSITZENDER: Wenn Sie uns die Gründe angegeben haben, so brauchen Sie nichts weiter darüber zu sagen.

DR. THOMA: Ja, Herr Präsident, ich dachte nur, daß ich bezüglich der einzelnen Bücher noch ganz kurz sagen kann, was ich damit beweisen will. Also mit Messer, Tillich, Leeuw und Bergson will ich ja beweisen, daß die Neuromantik, also diese irrationale Philosophie, die ihren Vorläufer hat in Rousseau, mit einer elementaren Gewalt in Deutschland Eingang gefunden hat, und zwar auch beeinflußt von französischen, englischen und amerikanischen Philosophen. Zweitens mit Martin Buber, da will ich ja beweisen, daß diese Philosophie nicht antisemitisch ist, sondern daß sie im Gegenteil von Buber nicht nur gepredigt, sondern auch ihre Anwendung auf praktische Fälle empfohlen wurde, nämlich gerade aus Martin Buber, da haben wir ja diese entscheidenden Ausdrücke, die hier in diesem Prozeß immer die Rolle spielen, von der Bedeutung des Blutes, vom Mythus des Blutes, von der Verbindung von Volkstum und Lebensraum, von der Intuition, von den Begriffen der Bewegung, der Gestalt des Erbes und so weiter.

Und dann, Hohes Gericht, diese Zitate, Eickstedt, Mühlmann, Scheidt, Keiter, dazu möchte ich vor allem die Erklärung abgeben, daß diese Persönlichkeiten keine Nationalsozialisten sind, sondern daß sie sogar teilweise im Kampf mit der Ideologie Rosenbergs lagen. Aber sie sind ein Beweis dafür, daß diese Ideen von Rasse, Volk, Nation, Blut und Boden und so weiter von den Fachgelehrten der Naturwissenschaft beachtet worden sind; und Hellpach hat nun in der Einführung in die Völkerpsychologie diese äußerst wichtige Behauptung aufgestellt, und Hellpach ist ein ganz großer Name in der deutschen Geistesliteratur, daß jede These zur Überthese und Entartung führt.

Meine Hohen Herren! Ich habe nur eine ganz kurze Bemerkung und eine abschließende Bemerkung dazu zu machen. In der letzten Nummer der »Neuen Zeitung« steht, daß in der französischen Constituante vor einigen Tagen eine der wichtigsten und grundlegendsten Auseinandersetzungen der Gegenwart begonnen hat, daß es sich hier nämlich handelt um die Menschen rechte, und daß man geprüft hat, welche innere Haltung denn die Männer von der Widerstandsbewegung gehabt haben, und da hat man ganz bestimmte Thesen aufgestellt über die Freiheit und Krise der Menschenrechte und hat auf verschiedene Widersprüche hingewiesen.

VORSITZENDER: Ja.

DR. THOMA: Da hat man, meine Hohen Herren, folgendes festgestellt: Es besteht ein Widerspruch zwischen der Verkündigung der Freiheit und der immer stärkeren Versklavung durch die Technik. Das behaupten wir auch

Zweitens: Es besteht ein Widerspruch zwischen dem Wachsen des materiellen Reichtums und der geistigen Verarmung.

Drittens: Es besteht ein Widerspruch in allen Erscheinungsformen des Fortschrittes, indem jede Vervollkommnung durch eine entsprechende Dekadenzerscheinung wettgemacht wird.

Viertens: Es entsteht ein Widerspruch zwischen einem humanistischen Ideal des 18. Jahrhunderts und den Entdeckungen der Wissenschaft vom Menschen, Biologie, Tiefenpsychologie, die seine Gebundenheit an die Naturgesetze aufgewiesen haben.

Fünftens: Widerspruch zwischen der durch oberflächliche Einflußmittel, wie Zeitungen, Radio, Film und alle Formen der Propaganda »aufgeklärten« (in Gänsefüßchen) Masse und dem Verschwinden einer denkenden, gebildeten Elite. Darüber ist in der Constituante des gegenwärtigen französischen Parlaments zur Zeit in diesen Tagen verhandelt worden; und darum bitte ich, meine Hohen Herren, solche Fragen gehören auch vor diesen Prozeß, weil sie entscheidend sind für die geistespolitische Haltung des Volkes, denn aus der Idee des völkischen Prinzips können auch hohe ethische Gesichtspunkte herausgefunden werden. Daß sie entartet sind, ist ein geistesgeschichtlicher, naturgeschichtlicher, aber auch schuldhafter Prozeß zum Teil, nur zum Teil.

VORSITZENDER: Dr. Thoma, sind Sie fertig? Haben Sie Ihr Vorbringen abgeschlossen?

DR. THOMA: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat natürlich noch keine Entscheidung gefällt und wird Ihre Argumente prüfen; ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß in der Anklageschrift oder in diesem Verfahren gegen den Angeklagten Rosenberg keine Beschuldigung erhoben wird, daß er diese Philosophie erdacht habe oder weil er gewisse philosophische Ideen vertrat. Die Anklage gegen ihn lautet, daß er seine philosophischen Ideen in einer bestimmten Form verwertet habe. Das ist alles, was ich jetzt dazu zu sagen habe. Die andere Angelegenheit, die ich noch erwähnen will, betrifft den von Ihnen gestellten Antrag, Rosenberg bei Behandlung seines Falles nicht gleich als Zeugen aufzurufen, sondern etwas später. Wenn der Gerichtshof zu der Schlußfolgerung kommen sollte, daß alle diese anderen philosophischen Werke nicht behandelt werden müssen, wäre es dann nicht unnötig, die Vernehmung Rosenbergs auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben? Wäre es dann nicht im Interesse der Durchführung des Prozesses, ihm als ersten Zeugen aufzurufen?

DR. THOMA: Herr Präsident! Dazu darf ich zweierlei sagen. Ich habe nämlich irrtümlich angenommen, daß jedes Beweisverfahren beginnen muß...

VORSITZENDER: Ja.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich habe nämlich irrtümlich angenommen, daß jedes Beweis verfahren beginnen muß mit der Vernehmung des Angeklagten. Ich habe angenommen, daß nicht vorher Dokumente verlesen werden dürfen, und darum habe ich das Gesuch gemacht, erst einige einführende Dokumente bringen zu dürfen, damit dann die Vernehmung des Angeklagten Rosenberg glatter vor sich gehen kann, weil das Gericht durch die Dokumente, meines Erachtens, rascher über die ganzen Tatbestände unterrichtet werden kann, und ich habe ferner gebeten, daß der Zeuge Riecke, der ebenfalls rasch einführt in die Ostfragen, besonders in die Ernährungsfragen, daß der ebenfalls beschleunigend wirken könnte, wenn vor Rosenberg Riecke vernommen wird. So dachte ich das mir. Ich möchte also schon in der ersten Reihenfolge die wichtigsten Dokumente verlesen, nicht nur ideologischer Art, sondern alle, die den Einsatzstab und die Verwaltung im Osten betreffen. Und dann möchte ich den Zeugen Riecke aufrufen und dann den Angeklagten Rosenberg.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits erklärt, daß seiner Ansicht nach es in jedem Normalfall zur Beschleunigung beiträgt, wenn der Angeklagte zuerst aufgerufen wird. Aber natürlich kann jedes Dokument, das wesentlich ist, dem Zeugen während seiner Aussage vorgelegt werden, so daß er Erklärungen dazu geben kann.

DR. THOMA: Ich glaube, Hohes Gericht, daß, wenn ich zu den Dokumenten nur ganz kurze Bemerkungen mache, daß das noch rascher gehen wird, wie wenn Rosenberg zu den einzelnen Dokumenten in Ausführungen Stellung nimmt. Deswegen dachte ich, eingangs einige Dokumente vorzulesen, nur aus Zeitersparnisgründen.

VORSITZENDER: Damit Sie vorbereitet und in der Lage sind, am Montag früh zu beginnen, hat der Gerichtshof nach Erwägung des Sachverhalts entschieden, Rosenberg solle zuerst aufgerufen werden. Das ist die Entscheidung des Gerichtshofs.

Hinsichtlich der Dokumente werden wir über die in Bezug auf die beanstandeten Dokumente zu treffende Verfügung noch beraten.

Ich sagte, Montag früh, verzeihen Sie, ich wollte sagen nach Beendigung des Falles Kaltenbrunner.

DR. THOMA: Hohes Gericht! Nur noch einen ganz kurzen Hinweis in der Frage der Ideologie Rosenbergs. Ich bitte, da die Rede von Herrn von Menthon zu lesen, der nämlich behauptet, daß diese Ideologie allein schon verbrecherisch war, weil sie im Zusammenhang steht mit seiner Tätigkeit als Redakteur und Herausgeber des »Völkischen Beobachter«, als Verfasser des Mythus, nur als Verfasser des Mythus und anderer Schriften. Er habe dadurch die psychologische Vorbereitung des deutschen Volkes für den Angriffskrieg geleitet.

VORSITZENDER: Ich sagte bereite, daß nicht der Ursprung seiner Philosophie oder seine philosophische Einstellung überhaupt unter Anklage stehen, sondern die Verwertung seiner philosophischen Ideen. Der Gerichtshof wird darüber entscheiden.

MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Ich möchte noch klarstellen, daß wir Einspruch erheben gegen Hellpachs Werke. Ich entnehme, daß... Dr. Dix hat mich ersucht, die Bitte vorzubringen, daß seine Dokumente heute vorgenommen werden.

VORSITZENDER: Ich glaube, es ist zu spät jetzt. Aber wir werden die Dokumente in Kürze behandeln, wenn Dr. Dix es wünscht.

DR. DIX: Ich wäre nur dankbar. Wir haben es besprochen, erst mit Sir David, und dann habe ich es besprochen mit Mr Dodd und Mr. Albrecht, und die Herren haben objections erhoben; die sollen vor den Court gebracht werden. Nun sind sie aber noch nicht übersetzt; also, es muß die Entscheidung bald erfolgen, sonst wird das Dokumentenbuch nicht fertig. Also, ich wäre dankbar, wenn wir vielleicht am Montag das kurz diskutieren können.

VORSITZENDER: Ja, wir werden versuchen, es am Montag zu erledigen.

DR. DIX: Am Montag?

VORSITZENDER: Ja.