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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

Dr. Kauffmann, Ihr Fall ist damit beendet?

DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Ich rufe noch einen Zeugen mit Erlaubnis des Gerichts, den Zeugen Neubacher.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.

ZEUGE DR. ING. HERMANN NEUBACHER: Hermann Neubacher.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

Sie können sich setzen.

DR. KAUFFMANN: Zeuge! Welches war Ihre Stellung vor dem Krieg und während des Krieges?

NEUBACHER: Ich war während des Krieges fünf Jahre in diplomatischen Aufgaben im Ausland. Vor dem Krieg war ich Bürgermeister der Stadt Wien.

DR. KAUFFMANN: Kennen Sie den Angeklagten Kaltenbrunner?

NEUBACHER: Ich kenne ihn.

DR. KAUFFMANN: Und seit wann kennen Sie ihn?

NEUBACHER: Ich habe Kaltenbrunner zum ersten Male im Jahre 1934 anläßlich der sogenannten Befriedungsaktion des Ingenieurs Reinthaller in Österreich kennengelernt. Später sah ich ihn wieder, nach dem Anschluß.

DR. KAUFFMANN: Im Jahre 1943 wurde Kaltenbrunner zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes ernannt. Ist Ihnen diese Tatsache bekannt?

NEUBACHER: Diese Tatsache ist mir bekannt.

DR. KAUFFMANN: Wissen Sie, ob Kaltenbrunner diesen Posten gern übernommen hat?

NEUBACHER: Kaltenbrunner erzählte mir, wahrscheinlich Ende 1943, daß er diesen Posten nicht übernehmen wollte. Er hätte dreimal abgelehnt, sei aber dann militärisch befohlen worden. Er fügte hinzu, daß er sich das Versprechen geben ließ, nach dem Krieg aus diesem Amte auszuscheiden.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie irgendwelche Beobachtungen gemacht, aus denen zu entnehmen ist, wie der Angeklagte seine Aufgabe als Chef des Reichssicherheitshauptamtes auffaßte?

NEUBACHER: Ich hatte mit Kaltenbrunner, wenn ich dienstlich gelegentlich in die Zentrale kam, wiederholt Unterredungen, die aber alle Auslandsnachrichtendienst und Außenpolitik betrafen.

DR. KAUFFMANN: Dem Reichssicherheitshauptamt unterstand die Geheime Staatspolizei. Ist Ihnen diese Tatsache bekannt?

NEUBACHER: Ja.

DR. KAUFFMANN: Nach Kenntnis der Persönlichkeit des Angeklagten frage ich Sie nun: Hatte er für die Übernahme der polizeilichen Exekutive besondere Vorkenntnisse, besondere Eignung?

NEUBACHER: Kaltenbrunner hatte, auf Grund meiner Kenntnis seiner Person, keine polizeilichen Kenntnisse als er dieses Amt übernahm. Er wollte auch im Jahre 1941 aus der polizeilichen Laufbahn ausscheiden.

DR. KAUFFMANN: Welche Anhaltspunkte haben Sie für diese Tatsachen?

NEUBACHER: Ich war damals Sonderbeauftragter für Wirtschaftsfragen in Rumänien. Kaltenbrunner teilte mir mit, daß er die polizeiliche Laufbahn nicht liebe, von Polizei nichts verstehe und auch kein Interesse dafür habe. Er interessiere sich aber für Außenpolitik.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diese Aussage nichts mit der gewünschten Beweisfrage zu tun hat. Die Tatsache, daß er sie nicht gerne hatte, kann seine amtliche Stellung nicht berühren.

DR. KAUFFMANN: Man hat Kaltenbrunner den Nachfolger Heydrichs genannt. Trifft diese Bezeichnung im vollen Wortsinn auf Kaltenbrunner zu?

NEUBACHER: Das trifft nicht zu, und das weiß ich auf Grund meiner...

VORSITZENDER: Das ist Ansichtssache. Die Meinung dieses Zeugen berührt die Stellung Kaltenbrunners nicht. Der Zeuge kann nicht aussagen, ob er ein Nachfolger Heydrichs oder ein zweiter Heydrich genannt wurde.

DR. KAUFFMANN: Die Anklage spricht ja in einem negativen Sinne davon, daß Kaltenbrunner der Nachfolger des übelberüchtigten Heydrich gewesen sei. Dieser Zeuge kennt beide, deshalb glaube ich...

VORSITZENDER: Der Zeuge hat bereits zugegeben, daß er der Nachfolger Heydrichs war. Sie können ihn fragen, ob er ein zweiter Heydrich war.

DR. KAUFFMANN: Bitte wollen Sie sich dazu äußern, ob man ihn als einen zweiten Heydrich bezeichnete?

NEUBACHER: Himmler selbst hat die Äußerung gemacht...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß dies unzulässig ist.

DR. KAUFFMANN: Ich habe es so aufgefaßt. Ich komme nun zur nächsten Frage.

Haben Sie Anhaltspunkte dafür, warum Himmler gerade den Angeklagten Kaltenbrunner ernannt hat?

NEUBACHER: Auf Grund von Äußerungen Himmlers mir gegenüber...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß der Zeuge darüber aussagen kann, was Himmler dachte. Himmler hat ihn ernannt.

DR. KAUFFMANN: Der Zeuge wird, soweit ich unterrichtet bin, aus einem Gespräch mit Himmler einiges berichten, aus dem sich klar ergibt, daß Himmler gerade Kaltenbrunner ausgesucht hat, weil er Kaltenbrunner in keiner Weise fürchtete. Die Anklage hat das Gegenteil behauptet, genau das Gegenteil. Er weiß aus dem Grunde, daß dieser Vorwurf der Anklage völlig unrichtig ist.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß, falls Himmler sich dem Zeugen gegenüber zu Kaltenbrunners Berufung geäußert hat, Sie ihn hierüber befragen können. Sie können ihn fragen, was Himmler über die Ernennung zu Kaltenbrunner gesagt hat.

DR. KAUFFMANN: Beginnen Sie, Zeuge.

NEUBACHER: Anläßlich einer Besprechung mit Himmler, als ich in seinem Büro im Hauptquartier die Totenmaske Heydrichs besichtigte, sagte Himmler zu mir, er hätte durch den Tod dieses Mannes einen unersetzlichen Verlust erlitten. Nach Heydrich könne kein einzelner mehr dieses riesige Amt führen. Das könnte nur der Mann, der es aufgebaut hat. Auf meine Frage, wie sei es nun mit Kaltenbrunner, äußerte sich Himmler folgendermaßen: »Natürlich, das interessiert Sie als Österreicher. Kaltenbrunner wird sich einarbeiten müssen. Er ist ja jetzt sehr eifrig mit Dingen beschäftigt, die Sie interessieren, mit dem Auslandsnachrichtendienst.«

Das waren die Äußerungen Himmlers.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie Erfahrungen darüber, daß Kaltenbrunner, bald nach seinem Dienstantritt im Jahre 1943, eifrig bemüht war, ein Gespräch mit dem Ausland aufzunehmen, weil er die militärische Lage damals für aussichtslos hielt?

NEUBACHER: Kaltenbrunner war, wie ich aus mehreren Besprechungen weiß, ständig auf der Suche nach einem sogenannten Feindgespräch. Er war der Überzeugung, daß wir aus diesem Krieg ohne Anwendung großer Außenpolitik nicht gut herauskommen können. Näheres habe ich über das Thema des Krieges mit ihm nicht besprochen. In Deutschland wurde jeder zum Tode verurteilt, der auch nur unter vier Augen an dem Siege Deutschlands einen Zweifel äußerte.

DR. KAUFFMANN: Hat Kaltenbrunner Sie in Ihren Bemühungen unterstützt, in Serbien die Terrorpolitik möglichst abzuschwächen?

NEUBACHER: Ja, ich verdanke der Unterstützung Kaltenbrunners auf diesem Gebiete sehr viel. Die deutschen Polizeistellen in Serbien wußten von mir und von Kaltenbrunner, daß dieser als Chef des Auslandsnachrichtendienstes meine Politik im Südostraum kompromißlos unterstützte. Es ist dadurch gelungen, daß ich auch auf die Polizeistellen Einfluß nehmen konnte, und die Unterstützung Kaltenbrunners war wertvoll in meinen Bestrebungen, mit Hilfe einsichtiger Offiziere das bisherige System der kollektiven Verantwortung und die Repressalien zu stürzen.

DR. KAUFFMANN: Kennen Sie die grundsätzliche Einstellung Kaltenbrunners in der Judenfrage?

NEUBACHER: Ich habe Kaltenbrunner über diese Frage nur einmal ganz kurz gesprochen. Als die Gerüchte von einer systematischen Aktion zunahmen, fragte ich Kaltenbrunner: Was ist hier wahr? Kaltenbrunner erklärte mir kurz, das sei eine Sonderaktion, die ihm nicht unterstehe, er distanzierte sich mir gegenüber von der Aktion, und später, ich glaube es war Anfang oder Ende 1944, teilte er mir einmal kurz mit, es sei auf dem Gebiete der Judenbehandlung ein neuer Kurs. Er teilte mir das mit dem Tone eines Mannes mit, der sich eines Erfolges rühmt.

DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner wird als machthungrig bezeichnet. Ich frage Sie, wissen Sie, wie seine Lebensführung war?

NEUBACHER: Die Lebensführung Kaltenbrunners war einfach. Er hat nie ein Vermögen erworben...

VORSITZENDER: Die Anklagebehörde hat ihn nicht als machthungrig bezeichnet. Es besteht keine Beschuldigung gegen ihn, machthungrig gewesen zu sein.

DR. KAUFFMANN: Machthungrig und grausam. Diese beiden Worte wurden ausdrücklich genannt.

VORSITZENDER: Aber »machthungrig« und »grausam« sind zwei verschiedene Begriffe.

DR. KAUFFMANN: Ja, ich frage eben auch nur nach dem ersten Wort.

VORSITZENDER: Ich möchte gern wissen, wo diese Ausdrucksweise gebraucht worden ist.

DR. KAUFFMANN: Die Anklageschrift enthält die beiden Worte »machthungrig« und »grausam«.

MR. BIDDLE: Sie sind bestimmt nicht in der Anklageschrift enthalten. In der Anklageschrift sind die Worte »machthungrig« und »grausam« nicht zu finden. Wir erinnern uns auch nicht, daß sie in der Darstellung der Anklagebehörde erwähnt wurden.

DR. KAUFFMANN: Ich würde es sonst nicht notiert haben. In der Anklageschrift ist eine Seite mit der Überschrift: »Zusammenfassung und Schluß«. Ich verweise auf den letzten Absatz, da heißt es:

»Wie alle anderen Nazis war Kaltenbrunner machtgierig. Um sich diese zu sichern, schrieb er seinen Namen mit Blut. Ein Name, der in der Erinnerung haften wird als ein Symbol für Grausamkeit für...«

VORSITZENDER: Wo sind Sie? Woraus verlesen Sie?

DR. KAUFFMANN: Aus der Anklageschrift auf der letzten Seite, unter der Überschrift: »Zusammenfassung und Schluß.«

MR. DODD: Ich denke, ich kann die Sache aufklären. Es ist ziemlich klar, daß der Verteidiger aus meinem Schriftsatz liest. Der Schriftsatz wurde dem Gerichtshof niemals vorgelegt, er wurde jedoch dem Verteidiger übergeben.

DR. KAUFFMANN: Wenn das nicht aufrechterhalten wird, brauche ich darüber keine Fragen zu stellen. Ich komme jetzt zum nächsten Punkt. Ist Ihnen bekannt, ob Kaltenbrunner einen Befehl zur Räumung der Konzentrationslager erteilt hat?

NEUBACHER: Nein.

DR. KAUFFMANN: Hat Kaltenbrunner nach Ihren Erfahrungen und Beobachtungen als Chef dieses Amtes alles getan, um Maßnahmen der Unmenschlichkeit abzuschwächen oder zu verhindern?

NEUBACHER: Ich muß darauf aufmerksam machen, daß ich fünf Jahre im Ausland gewesen bin und in Fragen der inneren Entwicklung Deutschlands wenig Beobachtungen machen konnte. Wie ich Kaltenbrunner kennengelernt habe, zweifle ich nicht daran, daß er sich der Illusion hingegeben hat, den Kurs beeinflussen zu können. Dazu war er keineswegs fähig.

DR. KAUFFMANN: Damit komme ich zur letzten Frage.

Ist Ihnen ein Fall bekannt, daß er sich, entgegen einer Maßnahme der Polizei, dafür eingesetzt hat, in Serbien zwei Kirchenfürsten der orthodoxen Kirche zu befreien?

NEUBACHER: Ja, das ist mir bekannt. Die beiden Kirchenfürsten...

VORSITZENDER: Wieso ist das im Hinblick auf Kaltenbrunner erheblich?

DR. KAUFFMANN: Er wird beschuldigt, die Kirchen verfolgt zu haben in seiner gesamten Politik. Die Anklage enthält ausdrücklich den Vorwurf, Kaltenbrunner habe die Kirche verfolgt mit dem Ziel der Vernichtung des Christentums; und zwar ist dies, das kann ich mit Sicherheit sagen, im Protokoll enthalten. Darauf hat diese Frage Bezug.

VORSITZENDER: Kann denn eine Antwort hierauf eine Beschuldigung gegen Kaltenbrunner abschwächen?

DR. KAUFFMANN: Wenn ein Angeklagter die Kirche auszurotten bestrebt ist, dann wird er nicht eine Maßnahme treffen, die damit im genauen Gegenteil steht. Das wird der Zeuge bekunden können.

VORSITZENDER: In Bezug auf die Kirchen oder auf Einzelpersonen?

DR. KAUFFMANN: Auf Einzelpersonen, als Vertreter der Kirche natürlich. Man kann beides nicht trennen, die Sache von der Person.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diese Frage unzulässig ist.

DR. KAUFFMANN: Danke schön. Ich bin damit mit der Vernehmung dieses Zeugen am Ende.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nun vertagen.