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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Sind Sie fertig, Dr. Kauffmann?

DR. KAUFFMANN: Mit der Vernehmung dieses Zeugen bin ich am Ende.

VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

DR. SAUTER: Herr Vorsitzender! Ich habe einige Fragen zu stellen, die natürlich den Komplex Kaltenbrunner überhaupt nicht angehen, sondern Themen behandeln, die später beim Komplex Funk zu behandeln sind. Nachdem aber der Zeuge nur einmal vorgeführt werden kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als jetzt dem Zeugen diese Fragen vorzulegen, die eigentlich praktisch erst später hierher gehören.

Herr Zeuge! Sie haben heute gesagt, Sie seien für Wirtschaftsfragen vom deutschen Auswärtigen Dienste, ich glaube, nach Rumänien entsandt worden. Ist es richtig, daß Sie während der Zeit Ihrer Tätigkeit in Rumänien auch mit der Vertretung und Behandlung der wirtschaftlichen Interessen in Griechenland beauftragt worden sind?

NEUBACHER: Im Herbst 1942 erhielt ich, unbeschadet meines Auftrages in Rumänien, den Sonderauftrag, gemeinsam mit einem italienischen Finanzexperten, Minister D'Agostino, in Griechenland die totale Auflösung der Währung und Wirtschaft durch geeignete Maßnahmen zu verhindern.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Waren Sie denn für diesen schwierigen Posten nach Ihrer Vorbildung und nach Ihrer früheren Tätigkeit geeignet? Sagen Sie uns kurz, welche Posten Sie früher bekleidet haben, damit man sich ein Bild darüber machen kann, ob Sie diesem Auftrag für Griechenland gewachsen gewesen sind. Aber bitte, Herr Zeuge, ganz kurz.

NEUBACHER: Ich war einer der ersten Wirtschaftsführer von Österreich; mit 28 Jahren Direktor, mit 30 Jahren Generaldirektor der Wiener Siedlungsgesellschaft, führte mit 33 Jahren einen großen Bau- und Baustoff-Industrie-Konzern; war Funktionär der österreichischen Nationalbank, Mitglied des österreichischen Zollbeirates, Mitglied des Rußland-Kredit- Komitees der Stadt Wien und Mitglied der Experten- Kommission für den Zusammenbruch der österreichischen Kreditanstalt. Ich habe also für diese Aufgabe eine reiche wirtschaftliche Praxis mitgebracht.

Überdies waren mir die Wirtschaftsprobleme des Balkans vollkommen geläufig, denn ich bearbeitete zuletzt die Wirtschaftsprobleme des Balkans in der Zentralfinanzverwaltung der I. G. Farben in Berlin.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich habe Ihnen vor einigen Tagen, als ich Sie im Gefängnis besuchte, einen Kommissionsbericht der Königlich Griechischen Regierung an das Internationale Militärtribunal zum Lesen und zur Stellungnahme übergeben. Stimmt nun das, was hier behauptet wird?

Es ist das Dokument USSR-379, Herr Präsident; ich wiederhole USSR-379, es hat die weitere Nummer UK-82.

Es wird in diesem Kommissionsbericht, Herr Zeuge, die Sache so dargestellt, als ob gewissermaßen durch die deutschen Instanzen, und das fällt letzten Endes auf den Angeklagten Funk zurück, die Wirtschaft in Griechenland vollständig zerstört, als ob Griechenland selbst ausgeplündert worden sei und dergleichen. Ich bitte nun, nicht in Einzelheiten einzugehen, sondern nur in Kürze Ihren Gesamteindruck hierzu zu sagen.

VORSITZENDER: Ja, General Rudenko?

GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich möchte vor dem Gerichtshof folgende Erklärung abgeben:

Der Kommissionsbericht der Griechischen Regierung ist dem Internationalen Militärgerichtshof von der Sowjetischen Anklagebehörde nach den Vorschriften des Artikels 21 des Statuts vorgelegt worden. Es scheint mir, daß die Frage der Verteidigung an den Zeugen über seine Meinung zu diesem Kommissionsbericht abzulehnen ist, da der Zeuge nicht berechtigt ist, seine Ansicht über einen Bericht der Griechischen Regierung zum Ausdruck zu bringen. Der Verteidiger darf eine konkrete Frage über irgendeine einzelne Tatsache an ihn richten, aber das ist auch alles.

DR. SAUTER: Herr Vorsitzender! Ich kann, wenn es gewünscht wird, diese einzelnen Fragen ja auch stellen. Es wird dann vielleicht etwas länger dauern, aber wenn die Sowjetrussische Anklagevertretung das wünscht, bin ich damit einverstanden. Ich darf also den Zeugen fragen.

Herr Zeuge, ist es richtig...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Sauter. In welchem Zusammenhang wollen Sie dem Zeugen eigentlich zu diesem Berichte Fragen stellen?

DR. SAUTER: In diesem Bericht der Griechischen Regierung, der von der Russischen Anklagebehörde vorgelegt wird, wird behauptet, daß zum Beispiel Deutschland nach der Besetzung Griechenlands dieses Land ausgeplündert habe, daß man in diesem Land gewissermaßen eine Hungersnot verursacht habe, indem man übermäßig viel Waren aus dem Lande herauszog; daß man das Land mit übermäßig hohen Besatzungskosten belastete, daß man das Land im Clearingverkehr sehr stark benachteiligt habe und dergleichen. Ich will durch diesen Zeugen, der sich damals als Wirtschaftssachverständiger des Deutschen Auswärtigen Amtes in Griechenland mit diesem Problem befaßte, nachweisen, zum Teile, daß diese Behauptungen unrichtig sind, und zum anderen Teile, daß diese Zustände beim Einmarsch der deutschen Truppen schon vorhanden waren, also nicht erst durch die deutschen Instanzen geschaffen wurden, und zum letzten Teile, daß gerade der Angeklagte Funk sich sehr und immer wieder bemüht hat, eine Besserstellung Griechenlands im Clearingverkehr zu schaffen, und daß er vor allem sehr beträchtliche Goldmengen nach Griechenland bringen ließ.

VORSITZENDER: Können Sie nicht einige kurze Fragen stellen, um zu zeigen, daß das von diesem Zeugen in Griechenland eingeführte System in Einklang mit dem Völkerrecht stand und Griechenland kein Unrecht zugefügt wurde? Mit diesen Fragen könnten Sie uns weiterhelfen.

DR. SAUTER: Das wollte ich ja tun, das hätte sicherlich auch der Zeuge von sich aus getan, selbstverständlich.

Also, Herr Zeuge, wissen Sie etwas darüber, wie die deutsche Wirtschaftsleitung und insbesondere der Angeklagte Funk zur Frage der Clearingschulden und der Frage der Clearingbehandlung gegenüber Griechenland stand?

NEUBACHER: Bezüglich der finanziellen gegenseitigen Belastungen und Verpflichtungen hatte ich mit dem Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk einmal gesprochen, und es war in Aussicht genommen, zu einem späteren Zeitpunkte, nach dem Kriege, Forderungen und Gegenforderungen auf der Grundlage eines einheitlichen Wertmessers abzurechnen.

DR. SAUTER: Warum ist denn schon während des Krieges diese Frage des Clearingverkehrs behandelt worden?

NEUBACHER: Ich kann über die wirtschaftlichen Vorgänge in Griechenland auf Grund eigener Beobachtungen erst Auskunft geben ab Ende Oktober 1942. In diesem Zeitpunkt, als ich zum ersten Male in Athen erschien, war die griechische Währung schon weitgehend zerstört, und der Banknotenumlauf war um zirka 3000 Prozent gestiegen. Wirtschaftliche Schädigungen in Griechenland sind auch dadurch entstanden, daß neben einer fortschreitenden Inflation der Versuch unternommen wurde, eine deutsche Planwirtschaft mit Höchstpreisen nach deutschem Muster einzuführen. Das hat natürlich die Folge gehabt, daß Verkäufer griechischer Waren, wenn sie später bezahlt wurden, einen Schaden erlitten. Andererseits aber haben die Importeure deutscher Waren, weil sie die Mark zum Kurse von sechzig ins Clearing bezahlten, aber damals, wie ich hinunterkam, zum Kurse von vielleicht 30000 weiterverkauften, ungeheuren Nutzen daraus gezogen. Dieses Chaos, das durch die Inflation im Zusammenhang mit dem Versuche einer Planwirtschaft nach deutschem Muster entstanden ist, konnte nur dadurch beseitigt werden, daß der schwarze Markt in Griechenland in einen vollkommen freien Markt verwandelt wurde. Das haben die beiden Experten der Achsenmächte Ende Oktober 1942 mit einem außerordentlichen Erfolg eingeleitet. Innerhalb weniger Wochen füllten sich alle Geschäfte und alle Märkte mit Waren und Lebensmitteln, und die Preise der Lebensmittel stürzten auf ein Fünftel, die der Industrieprodukte bis auf ein Zehntel. Dieser Erfolg konnte trotz fortschreitender Inflation vier Monate hindurch festgehalten werden.

DR. SAUTER: Dr. Neubacher! Ist es richtig, daß der Angeklagte Funk, der damals Reichswirtschaftsminister war, sich auch in den Gesprächen mit Ihnen oder im Briefwechsel mit Ihnen sehr dafür einsetzte, daß, trotz der damaligen Warenknappheit in Deutschland, Waren in erheblichem Umfange aus Deutschland und anderen europäischen Ländern nach Griechenland gesandt wurden?

NEUBACHER: Ich war mit dem Herrn Reichswirtschaftsminister Funk, mit dem ich die Schwierigkeiten meiner Aufgabe besprach, vollkommen einer Meinung darüber, daß nach Griechenland ein Maximum an Waren transportiert werden müsse, und zwar nicht nur Lebensmittel. Ich habe damals nicht nur 60000 Tonnen Lebensmittel sichergestellt, sondern auch deutsche Exportware, weil es aussichtslos ist, eine Inflation oder die Folgen einer Inflation auf die Preise abzubremsen, wenn keine Ware vorhanden ist. Der Reichsminister Funk hat den Export nach Griechenland im Sinne einer Gesundung der dortigen Landverhältnisse mit allen Mitteln unterstützt.

DR. SAUTER: Es ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, daß der Angeklagte Funk sich, weil für Deutschland selbst der Transport nach Griechenland unmöglich geworden war, sehr dafür einsetzte, daß Waren mit Hilfe neutraler Schiffe auf Grund eines englischen freien Geleits von Deutschland nach Griechenland gebracht wurden, um die schon vorher sehr bedrohliche Hungersnot möglichst zu bekämpfen?

NEUBACHER: Ich glaube, das war 1941 auf 1942, als ich noch nicht in Griechenland war. Als im Jahre 1943 unsere Seeschiffahrt in den griechischen Gewässern vollkommen zu Ende war, weil alle Schiffe torpediert waren und die Eisenbahn unaufhörlich Gegenstand von Sabotageakten und Sprengungen gewesen ist, habe ich mit Hilfe des schwedischen Gesandten Alar, welcher die Internationale Hilfsaktion für Griechenland leitete, freies Geleit der Engländer für Lebensmittellieferungen nach Griechenland beantragt. Die Engländer haben diesen Antrag angenommen, und nach dem Aufhören unserer eigenen Transportmöglichkeiten ging monatlich einmal das Schwedenschiff »Halaren« von Triest oder Venedig nach Piräus mit deutschen Lebensmitteln für Griechenland.

DR. SAUTER: Und an diesen Aktionen, Herr Zeuge, war der damalige Reichswirtschaftsminister Funk auch maßgebend beteiligt?

NEUBACHER: Reichswirtschaftsminister Funk hat sich für die griechische Frage, die einzigartig ist in der Wirtschaftsgeschichte, besonders positiv interessiert und mich in meinen Bestrebungen mit allen Mitteln unterstützt.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wissen Sie etwas davon, daß der Angeklagte Funk sich namentlich auch dafür einsetzte, daß die Besatzungskosten möglichst gering gehalten werden, und daß er dafür eintrat, daß man lieber einen erheblichen Teil der Besatzungskosten auf deutsches Konto verbuchen soll, damit Griechenland nicht allzusehr belastet wird. Was wissen Sie darüber?

NEUBACHER: Im einzelnen weiß ich über diese Dinge, die sich in Berlin abgespielt haben, zu wenig. Ich habe aber jeweils die Lage in Griechenland Reichswirtschaftsminister Funk in großen Zeitabständen dargestellt, und ich weiß, daß er meine Darstellungen zur Grundlage seiner eigenen Einflußnahme gemacht hat. Er war sich vollkommen im klaren darüber, daß das griechische Wirtschaftsproblem im Kriege und innerhalb der Blockade so unendlich schwierig war, daß alle Anstrengungen gemacht werden mußten, um eine totale Auflösung der Währung und Wirtschaft zu verhindern; und darauf hat er jederzeit Einfluß genommen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Hat der Angeklagte Funk seine Tätigkeit in dem Sinne ausgeübt, daß dadurch die griechische Währung, die Drachmenwährung, vernichtet oder verschlechtert werden solle, oder hat er umgekehrt sich im Interesse einer Stützung der Drachmenwährung, insbesondere zwecks Vermeidung einer katastrophalen Hungersnot, bemüht? Ich bitte Sie, uns kurz zu sagen, was Sie hierüber wissen.

NEUBACHER: Der Reichsminister Funk hat sich in dem letzten Sinne bemüht und hat das dadurch bewiesen, daß er den Export nach Griechenland forcierte und schließlich im Einvernehmen mit dem Vierjahresplan das schwierigste Opfer brachte, das es für Deutschland gab, nämlich die Hergabe eines großen Betrages in Gold zwecks Verlangsamung der griechischen Inflation.

DR. SAUTER: Sie sagen: eines großen Postens Gold. Wir haben in Deutschland, wie Sie wissen, während des Krieges schon sehr wenig Gold gehabt. Können Sie uns sagen, wie groß der Posten Gold war, den damals der Angeklagte Funk nach Griechenland geschickt hat, um auf diese Weise einigermaßen die Drachmenwährung zu halten und die befürchtete Katastrophe zu vermeiden? Wie groß war der Posten?

NEUBACHER: Insgesamt wurden in Griechenland und in Albanien zusammen nach meiner Erinnerung ein und drei Zehntel Millionen Goldpfund verwendet.

DR. SAUTER: Ein und drei Zehntel Millionen Goldpfund?

NEUBACHER: Um die Währungen zu stützen, nach meiner Erinnerung über eine Million Goldpfund in Athen.

DR. SAUTER: Und dann hätte ich noch eine letzte Frage, Herr Zeuge. Ist es richtig, daß gerade durch griechische Händler all diese Bemühungen der deutschen Wirtschaftsführung und des deutschen Wirtschaftsministers vielfach durchkreuzt und vereitelt worden sind, und daß, um nur ein Beispiel anzuführen, Fälle vorkamen, wo deutsche Fabriken deutsche Motoren um 60 Drachmen an Griechenland, an griechische Händler verkauften, also um 60 Drachmen, die praktisch nichts mehr wert waren, und daß die griechischen Händler diese nämlichen Motoren, die sie um 60 Drachmen von Deutschen gekauft hatten, dort an die Deutsche Wehrmacht um 60000 Drachmen das Stück verkauften? Das sollen Fälle sein, die Sie festgestellt, und über die Sie dann auch an den Angeklagten Funk berichtet haben; und deshalb frage ich das, ob das richtig ist.

NEUBACHER: Dazu habe ich folgendes zu bemerken: Das ist tatsächlich geschehen, aber ich stelle fest, daß die griechischen Händler so handeln mußten, das war eben eine Folge der Inflation und des schwarzen Marktes. Das griechische Volk ist viel zu intelligent, sich durch Inflation hineinlegen zu lassen. Dort ist jedes Kind ein Kaufmann. Daher war es nur auf dem Wege möglich, dieser selbstverständlichen Spekulation, die gar nichts Unmoralisches an sich hat, entgegenzutreten, daß eben der schwarze Markt mit rein kaufmännischen Methoden in einen total freien Markt verwandelt wurde, dann war es mit diesen Experimenten zu Ende.

DR. SAUTER: Diese Verwandlung des schwarzen Marktes in einen freien Markt, also ein Problem, das auch in Frankreich eine große Rolle gespielt hat, ist durch Ihre Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Angeklagten Funk herbeigeführt worden?

NEUBACHER: Ja, das habe ich mit meinem italienischen Kollegen D'Agostino Ende Oktober 1942 eingeleitet.

DR. SAUTER: Danke sehr, Herr Zeuge.

Herr Präsident, ich habe keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen.

DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Hoher Militärgerichtshof! Zur Information werde ich den Zeugen über das Thema »Die Anschlußfrage« befragen.

Sie haben, Herr Zeuge, dem Gericht Ihre wirtschaftliche Tätigkeit geschildert. Waren Sie nicht auch politisch tätig?

NEUBACHER: Ich war politisch tätig als Obmann des Österreichisch-Deutschen Volksbundes.

DR. STEINBAUER: Welches waren die Ziele dieses Österreichisch-Deutschen Volksbundes?

NEUBACHER: Der Österreichisch-Deutsche Volksbund war eine überparteiliche und überkonfessionelle Einrichtung, die sich vollkommen einseitig zum Ziele setzte, die Revision des Anschlußverbotes in den Friedensverträgen anzustreben und die Frage des deutschösterreichischen Zusammenschlusses durch eine Volksabstimmung auf friedlichem Wege zur Entscheidung zu bringen. Im Vorstand dieses Österreichisch-Deutschen Volksbundes waren alle Parteien offiziell vertreten, mit Ausnahme der nationalsozialistischen und kommunistischen Partei. Die deutsche Organisation gleichen Namens stand unter der Führung des sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe.

DR. STEINBAUER: Danke, ich habe hier eine Liste des Vorstandes aus dem Jahre 1926. Da erscheinen Sie als Obmann, als Stellvertreter der Staatsrat Paul Speiser. Als Kassenwart Dr. Arthur Seyß-Inquart und dann ein Dr. Benedikt Kautski, ein Herr Georg Stern, Hofrat und Präsident des Bankenverbandes, und ein gewisser Dr. Stolper. Ist das richtig?

NEUBACHER: Ja.

DR. STEINBAUER: Warum traten diese Männer verschiedenster Parteieinstellung und Konfession für den Anschluß in einem derartigen Zeitpunkt ein?

NEUBACHER: Nach den Verträgen von Versailles und St. Germain entstand in Österreich auf breitester Basis eine Bewegung für die Vereinigung dieses unter schwerster Wirtschaftsnot leidenden Landes mit Deutschland. Dieser Bewegung gehörten Menschen aller Parteien und Konfessionen an, wie aus der Zusammensetzung dieser Namen, die Sie, Herr Doktor, genannt haben, hervorgeht.

DR. STEINBAUER: Ist Ihnen, Herr Zeuge, bekannt, in welcher Form und unter welchen Bedingungen insbesondere auch die bisherige Stellung der Haupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1918 im Anschluß gedacht war?

NEUBACHER: Über die technische Form habe ich keine genaue Vorstellung, aber alle Österreicher waren sich schon auf Grund ihres wohlbegründeten historischen Selbstbewußtseins darüber einig, daß der Stadt Wien der Rang einer zweiten Hauptstadt Deutschlands zukommen müsse.

VORSITZENDER: Es tut mir leid. Der Gerichtshof beschäftigt sich wirklich nicht mit der Frage, ob der Anschluß wünschenswert war oder nicht, ob er gerechtfertigt war oder nicht. Der Gerichtshof befaßt sich nur mit der Frage, ob er durch Gewalt erreicht worden ist. Der größte Teil dieser Aussage scheint überhaupt unerheblich zu sein.

DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich muß leider sagen, daß ich da anderer Auffassung als das Gericht bin, weil ich der Meinung bin, und das trifft nicht nur für den Angeklagten Seiß-Inquart, sondern auch für alle Angeklagten, die am Anschluß beteiligt sind, das ist Göring, Ribbentrop, Papen, Neurath, zu, daß es wichtig ist, zu wissen, unter welchen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Auspizien und in welcher politischen Situation sich Österreich befand, als diese Männer für den Anschluß eintraten. Daher meine ich, daß es sehr wichtig ist, doch auch festzustellen, wie die Gesamteinstellung war. Ich habe mir erlaubt, in meinem Dokumentenbuch eine kurze historische Darstellung zu geben, um die verschiedenen Auffassungen klarzulegen.

Herr Zeuge! Sie sind dann im Jahre 1938 Bürgermeister der Stadt Wien geworden?

NEUBACHER: Das ist dann nach dem Anschluß.

DR. STEINBAUER: Da war Seyß-Inquart gleichzeitig Reichsstatthalter für den Gau Wien, oder richtiger gesagt für das Land Österreich. Stimmt das?

NEUBACHER: Ich wurde Bürgermeister von Wien unter Seyß-Inquart als noch österreichischem Bundeskanzler am 13. März 1938 vormittag; damals war Seyß-Inquart Bundeskanzler von Österreich.

DR. STEINBAUER: Ja, sehr gut. Wie lange waren Sie dann Bürgermeister der Stadt Wien?

NEUBACHER: Nach österreichischem Recht bis Februar 1939; dann wurde der Gauleiter Bürckel Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien und damit auch oberster Chef der Kommunalverwaltung. Dadurch...

DR. STEINBAUER: Danke schön.

Wie war nun die Stellung zwischen Seyß-Inquart einerseits und dem Kommissar für die Reichsvereinigung Bürckel andererseits?

NEUBACHER: Das Verhältnis war notorisch schlecht. Bürckel kümmerte sich nicht um die Kompetenzen des Reichsstatthalters Seyß-Inquart, er regierte über ihn hinweg und versuchte mit allen Methoden der Verleumdung, der Intrige und der Provokation, Seyß-Inquart zu stürzen und zu entfernen. Es ist dies ihm auch gelungen.

DR. STEINBAUER: Danke schön. Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung den Zeugen zu verhören?

OBERST AMEN: Nein.

VORSITZENDER: Keine Fragen?

OBERST AMEN: Nein.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.