[Zum Zeugen gewandt:]
Bestreiten Sie diese Teilnahme an den Sitzungen?
ROSENBERG: Ich kann keine Auskunft darüber geben, weil ich keinen Bericht bekommen habe.
M. MONNERAY: Zum Abschluß dieses Kreuzverhörs möchte ich auf ein Dokument verweisen, das schon vorgelegt, zitiert und besprochen wurde, nämlich auf Dokument 001-PS.
Im ersten Absatz dieses Dokuments schlägt der Angeklagte die Überführung des beschlagnahmten Mobiliars nach dem Osten vor, und im zweiten Absatz unterbreitet er Hitler den Vorschlag, französische Juden an Stelle anderer Franzosen als Geiseln erschießen zu lassen.
Wenn man das Ergebnis der Fragen und Antworten, nämlich den Nutzen, den die Dienststelle des Angeklagten aus diesen Verschleppungen und Hinrichtungen gezogen hat, in Betracht zieht, so scheint der tatsächliche Beweggrund dieser Handlungen aus diesem Dokument klar hervorzugehen.
Ist es nicht Ihre Ansicht gewesen, Angeklagter, daß man sich zuerst der Leute entledigen müsse, um nachher ihr Eigentum beschlagnahmen zu können?
ROSENBERG: Nein, das stimmt nicht.
M. MONNERAY: Ich habe keine Fragen mehr, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Haben Sie den Zeugen noch etwas zu fragen, Dr. Thoma?
DR. THOMA: Herr Präsident! Darf ich ganz kurz den Angeklagten mal fragen, ob er noch irgendeine Frage wünscht. Ich glaube, ich bin sofort fertig.
ROSENBERG: Nein.
DR. THOMA: Danke schön; der Angeklagte wünscht keine Frage mehr. Dann möchte ich mit Erlaubnis des Gerichts den Zeugen Riecke vernehmen.
VORSITZENDER: Wird es lange dauern oder nicht?
DR. THOMA: Eine halbe Stunde höchstens.
VORSITZENDER: Gut, dann kann der Zeuge sich zurückziehen.
[Der Zeuge Hans Joachim Riecke betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Wie heißen Sie?
ZEUGE HANS JOACHIM RIECKE: Hans Joachim Riecke.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach:
Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
Dr. Thoma! Wollen Sie bitte den Namen buchstabieren.
DR. THOMA: R-i-e-c-k-e.
Herr Zeuge! Welche Stellung hatten Sie im Wirtschaftsstab Ost und im Ostministerium?
RIECKE: Die beiden Stellen hatte ich auf Anordnung Görings. Ich war Leiter der Geschäftsgruppe »Ernährung und Landwirtschaft«.
DR. THOMA: Welche Aufgaben hatten diese Dienststellen?
RIECKE: Die erste Hauptaufgabe dieser Dienststelle war der Wiederaufbau der russischen Landwirtschaft, die zweite Aufgabe war die Nutzbarmachung der Überschußgebiete des Südens für die Wehrmacht und Ernährung.
DR. THOMA: Welche Stellen waren zur Verwaltung in den besetzten Ostgebieten eingesetzt?
RIECKE: Neben dem Auslands-Ministerium bestanden noch eine Reihe Sonderaufgaben. Sonderaufgabe Göring für die Landwirtschaft, Himmler für die Polizei, Sauckel für die Arbeitskräftebeschaffung.
DR. THOMA: Wem unterstand die Landwirtschaft?
RIECKE: Die Landwirtschaft unterstand mit der gesamten Wirtschaft Göring. Er gab seine Weisungen unmittelbar oder über die Staatssekretäre Körner und Backe.
DR. THOMA: War das Ablieferungs-Soll für die Landwirtschaft höher als das Ablieferungs-Soll während der Sowjetverwaltung?
RIECKE: Das Ablieferungs-Soll war den früheren russischen Ablieferungen angepaßt. Die tatsächliche Ablieferung war im ersten Jahr niedriger als in der russischen Zeit, in den nächsten Jahren bei den Ackererzeugnissen ebenfalls niedriger, bei den tierischen Produkten war sie höher.
DR. THOMA: Waren die tatsächlichen Ablieferungen entsprechend Görings Anordnungen?
RIECKE: Nein, Göring hatte wesentlich höhere Erwartungen.
DR. THOMA: Hat Deutschland landwirtschaftliche Maschinen, Sensen und so weiter in die besetzten Ostgebiete geschafft und in welcher Anzahl?
RIECKE: Es ist ein umfangreiches landwirtschaftliches Maschinenprogramm unter dem Namen Ost-Acker-Programm in Deutschland aufgestellt worden, wobei für Kriegsverhältnisse in erheblichem Umfang landwirtschaftliche Maschinen und Geräte in die besetzten russischen Gebiete geliefert wurden. Die Ursache dafür war die Wegschaffung und starke Zerstörung von Maschinen und Geräten bei der Räumung durch die Russen.
DR. THOMA: Am 5. Februar 1942 erging eine Agrarordnung. Welcher Gesichtspunkt lag dieser zugrunde?
RIECKE: Das Hauptziel der Agrarordnung war, die Bevölkerung zur freiwilligen Mitarbeit zu bekommen. Zunächst war vorgesehen, die Kollektivwirtschaft aufrechtzuerhalten. Das stellte sich jedoch als unmöglich heraus, da, wie gesagt, ein Teil des Großgerätes, namentlich Traktoren, nicht mehr vorhanden war. Andererseits war es auch nicht möglich, wie es die Bevölkerung zum Teil wünschte, zu Bauernbetrieben überzugehen, weil auch das Kleingerät weitgehendst fehlte. Es kam deshalb die Kompromißlösung der sogenannten Landbaugenossenschaft zustande, bei denen den russischen Bauern ein Landanteil zur Bewirtschaftung zugewiesen wurde, aber ein Teil der Arbeiten noch in gemeinschaftlicher Form weiter durchgeführt wurde.
DR. THOMA: Wie war die Wirkung?
RIECKE: Die Wirkung der Agrarordnung war im großen und ganzen günstig. Der Umfang und die Quantität der Ackerbestellung nahm wieder zu. Ein besonders gutes Beispiel für die Auswirkungen waren die Verhältnisse im sogenannten Kessel von Charkow, im Frühjahr 1942, wo bereits die zur Landbaugenossenschaft umgestellten Betriebe mehr als 70 % der Frühjahrsbestellung fertiggestellt hatten, während die nicht umgestellten Kollektivwirtschaften nur 30 % etwa zustandegebracht hatten.
DR. THOMA: Am 3. Juni 1943 wurde die sogenannte Eigentums-Deklaration erlassen. Was waren die Grundsätze hierfür?
RIECKE: Das grundsätzliche Ziel der Eigentums-Deklaration war, die durch die Agrarordnung den russischen Bauern zugewiesenen Landanteile in das Eigentum zu überführen.
DR. THOMA: Wie wurde die Gemüseversorgung der großen Städte, zum Beispiel in der Ukraine, geregelt?
RIECKE: Es wurde in der Umgebung der großen Städte in erheblichem Umfang Gartenland der arbeitenden Bevölkerung zugeteilt.
DR. THOMA: Nun einige Fragen zu Lettland:
Hat die Deutsche Regierung in Lettland das Land der lettischen Bauern beschlagnahmt?
RIECKE: Nein, im Gegenteil. Die von den Russen während der Besatzungszeit ausgesprochene Verstaatlichung wurde wieder aufgehoben. Das zu Siedlungszwecken von den Bauernhöfen abgetrennte Land wurde den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben. Um es mit einem Satz zu sagen: Es wurde der Zustand vor der russischen Besetzung wiederhergestellt.
OBERST POKROWSKY: Ich bitte um Entschuldigung. Beim besten Willen kann ich nicht verstehen, in welchem auch nur geringsten Zusammenhang diese Fragen mit der Sache des Angeklagten Rosenberg stehen sollen. Ich glaube, daß die weiteren Fragen des Verteidigers, wenn sie derselben Art sind, nicht gestattet werden sollten.
VORSITZENDER: Dr. Thoma, Sie sollten zeigen, daß die Dinge, über die der Zeuge aussagt, etwas mit dem Angeklagten Rosenberg zu tun haben.
DR. THOMA: Zunächst will ich mal mit dieser Frage die sowjetische Behauptung zurückweisen, daß nach der Besetzung den Baronen ihr Land zurückgegeben worden ist. Ich verweise auf die Sowjetanklage, Dokument USSR-41, das ich gestern dem Gericht vorgelegt habe. Zweitens will ich damit beweisen, daß das dortige Gebiet in ordnungsmäßiger Weise verwaltet werden sollte, und zwar in einer solchen Weise, daß die Bevölkerung freiwillig mitarbeitete, und drittens will ich damit beweisen, daß während der ganzen deutschen Besetzung kein Ukrainer und kein Sowjetangehöriger gehungert hat, weil entsprechend landwirtschaftlich gearbeitet wurde.
Das kann ich aber nur von einem Fachmann erfahren und ich glaube, ich habe nur noch einige Fragen, und bin dann mit diesem Beweisthema fertig.
VORSITZENDER: Herr Dr. Thoma, setzen Sie fort.
DR. THOMA: Hat also die deutsche Verwaltung in Lettland das Land der lettischen Bauern beschlagnahmt?
RIECKE: Wie ich eben schon die Frage beantwortet habe, wurde im Gegenteil die Sozialisation aufgehoben. Das für Siedlungszwecke abgetrennte Land wurde den lettischen Bauern zurückgegeben, mit einem Wort: Der Zustand vor der russischen Besetzung wurde wiederhergestellt.
DR. THOMA: Wurde der ehemalige deutsche Großgrundbesitz wiederhergestellt?
RIECKE: Nein, im Gegenteil, den lettischen Bauern verblieb der Besitz, der nach 1919 restlos und auf Kosten des deutschen Großgrundbesitzes entstanden war. Er blieb in ihrem Besitz.
DR. THOMA: Welche Gedanken lagen der sogenannten Reprivatisierung zugrunde?
RIECKE: Die Reprivatisierung sollte den lettischen Bauern wieder die Sicherheit geben, auf eigenem Grund und Boden zu wirtschaften.
DR. THOMA: Galt dieses Gesetz auch in Estland und Litauen?
RIECKE: Das Gesetz galt in ähnlicher Form auch für Estland und Litauen.
DR. THOMA: Ist Ihnen eine Auslassung Darrés bekannt, als ob die lokalen Kleinbauern von ihrem Landbesitz entfernt werden und zu Proletariern gemacht werden müßten?
RIECKE: Mir ist eine solche Äußerung nicht erinnerlich.
DR. THOMA: Kennen Sie die Gesellschaft für die Bewirtschaftung des Ostlandes?
RIECKE: Es gab zwei Gesellschaften mit diesem Namen. Ich nehme an, daß die hier gemeinte Gesellschaft diejenige war, die gegründet wurde, um den in den Ostseestaaten nach der Reprivatisierung noch verbleibenden Staatsbesitz und die während der russischen Besatzungszeit nachweislichen Betriebe treuhänderisch zu bewirtschaften. In den alten russischen Gebieten des sogenannten Reichskommissariats bewirtschaftete die Gesellschaft MTS ebenfalls treuhänderisch.
DR. THOMA: Welche Haltung nahm Rosenberg zu den verschiedenen Maßnahmen, Arbeiteraushebung, Lebensmittellieferung und so weiter, ein?
RIECKE: Rosenberg konnte sich den vom Führer gegebenen Anordnungen nicht entziehen, er ist jedoch stets dafür eingetreten, diese Anordnungen ohne Zwang für die Bevölkerung durchzuführen und ihre Ausführung aufeinander abstimmen zu lassen.
DR. THOMA: Wer betreute die Ostarbeiter im Reich?
RIECKE: Meines Wissens die Arbeitsverwaltung durch ihre Arbeitsämter.
DR. THOMA: Wie wurden die Ostarbeiter auf dem Lande im Reiche untergebracht? Haben Sie Berichte darüber?
RIECKE: Die Unterbringung der Ostarbeiter auf dem Lande im Reiche: Ihre Versorgung war im großen und ganzen durchaus befriedigend. Berichte habe ich unmittelbar über die Reichsnährstanddienststellen erhalten.
DR. THOMA: Können Sie etwas über Rosenbergs allgemeine Haltung gegenüber den Ostvölkern sagen?
RIECKE: Wie bereits gesagt, wünschte Rosenberg persönlich, die Ostvölker zu einer Zusammenarbeit zu gewinnen. Das galt auch insbesondere in der Richtung eines Ausbaues der Erhaltung ihres kulturellen Lebens. Rosenberg hat sich zum Beispiel meines Wissens stets für eine Wiedereröffnung der Hoch- und der Fachschulen eingesetzt.
DR. THOMA: Hatte Rosenberg auf diesem Gebiete Beschränkungen? Hatte er in dieser Richtung andere Ansichten zu bekämpfen?
RIECKE: Gegen diese Bestrebungen Rosenbergs waren sehr starke Kräfte tätig, insbesondere im Führerhauptquartier von Bormann und Himmler, deren Auffassung sehr stark unterstützt wurde vom Reichskommissar Koch, der andererseits in seiner Funktion von Bormann und Himmler gestützt wurde. Es führte dazu, daß ein großer Teil der von Rosenberg geplanten Maßnahmen, insbesondere in der Ukraine, durch Koch sabotiert wurden.
DR. THOMA: Und nun eine letzte Frage. Was wissen Sie von den Konzentrationslagern und von der Behandlung der Schutzhäftlinge?
RIECKE: Die Existenz von Konzentrationslagern war mir natürlich bekannt. Die Zahl der Konzentrationslager und die Vorgänge darin nicht. In den Jahren 1933 und 1934 wurden verschiedentlich Vorhaltungen gemacht über einzelne Mißhandlungen, später wurden von Personen, die Konzentrationslager besichtigt haben, durchaus positive Berichte abgegeben. In den letzten Tagen des Monats April des vergangenen Jahres stieß ich in der Umgebung von Berlin auf zurückmarschierende Konzentrationslager. Die Verhältnisse waren so grauenhaft, daß ich unverzüglich Himmler aufgesucht habe und ihn gebeten habe, diese Lager nicht weiter marschieren zu lassen, sondern dem Feinde zu übergeben. Diese Unterredung hat in Gegenwart von Feldmarschall Keitel stattgefunden. Himmler hat leider nur ausweichend geantwortet.
DR. THOMA: Es fällt mir doch noch eine letzte Frage ein. Wurde in den besetzten Ostgebieten außer der Ernährung für die Wehrmacht auch noch eine Ernährung des deutschen Volkes mit in Betracht gezogen?
RIECKE: Etwa zwei Drittel des Aufkommens an Ernährungsgütern aus den besetzten Ostgebieten dienten zur unmittelbaren Versorgung der Wehrmacht. Das restliche eine Drittel wurde nach Deutschland abtransportiert und wurde von uns als Ausgleich zur Ernährung für die stets ansteigende Zahl ausländischer Arbeiter angesehen.
DR. THOMA: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.
VORSITZENDER: Wünscht noch ein Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. SEIDL: Herr Zeuge! Sie waren als Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft? Ist das richtig?
RIECKE: Jawohl.
DR. SEIDL: Ist es richtig, daß der Leiter der Hauptabteilung für Ernährung und Landwirtschaft der Regierung des Generalgouvernements wiederholt in Berlin war, um dort die Festsetzung der Kontingente in einer für die Bevölkerung erträglichen Höhe zu erreichen?
RIECKE: Soweit ich mich erinnere, hat bei den laufenden Verhandlungen, die mit dem Generalgouvernement geführt wurden, er diesen Standpunkt mehrfach vertreten.
DR. SEIDL: Wie ist nach Ihren Beobachtungen die Ernährungssituation der Bevölkerung des Generalgouvernements gewesen?
RIECKE: Nach meinen eigenen Beobachtungen und den mir zugegangenen Berichten waren die Rationen, die festgesetzt waren, wesentlich geringer als bei uns im Reiche. Es wurde aber weitgehend ein Ausgleich durch den schwarzen und den freien Markt geschaffen.
DR. SEIDL: Ist es richtig, daß zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion von seiten der Verwaltung des Generalgouvernements außerordentliche Anstrengungen gemacht wurden?
RIECKE: Es wurden sehr erhebliche Anstrengungen von seiten des Generalgouvernements zur Stärkung der Landwirtschaft gemacht. Man kann sogar sagen, daß die ganze übrige Wirtschaft, soweit sie nicht für Rüstungszwecke eingespannt war, ausschließlich für die Ernährungswirtschaft arbeitete. Ich habe außerdem auch aus dem Reich Düngemittel, wenn auch nur in begrenztem Umfang, und laut dem Ostlandprogramm Maschinen und Geräte eingeführt.
DR. SEIDL: Welchen Anteil hatten die Lieferungen der besetzten Gebiete am gesamten Nahrungsmittelaufkommen Deutschlands?
RIECKE: Nach Berechnungen, die unabhängig von unserem Ministerium durchgeführt wurden, belief sich der Anteil der Lieferungen der besetzten Gebiete am Ernährungsaufkommen Deutschlands in den Jahren 1942 und 1943 auf etwa 15 %, in den übrigen Jahren um etwa 10 % herum, meistens weniger.
DR. SEIDL: Nun eine letzte Frage. Die Sowjetische Anklagevertretung hat ein Dokument USSR-170 vorgelegt. Es handelt sich hier um eine Sitzung mit den Leitern der deutschen Dienststellen in den besetzten Gebieten am 6. August 1942 unter Vorsitz des Reichsmarschalls. Ich lasse Ihnen dieses Dokument übergeben, und ich bitte mir zu sagen, ob die Darstellung in diesem Dokument das Verhältnis zwischen Deutschland und den besetzten Ländern richtig wiedergibt. Sie waren ja bei der Sitzung selbst mit dabei.
RIECKE: Das Dokument stellt das Protokoll der Sitzung dar, an der ich teilgenommen habe. Es ist zunächst grundsätzlich zu sagen, daß das Dokument, beziehungsweise das Protokoll, vor allen Dingen die Ausführungen des Reichsmarschalls, die tatsächlichen Verhältnisse von Deutschland zu den besetzten Gebieten auf dem Ernährungsgebiet nicht wiedergibt. Die Forderungen, die Göring in dieser Sitzung ausgesprochen hat, waren so hoch, daß sie gar nicht ernst genommen werden konnten. Es war uns im Ernährungssektor auch klar, daß wir mit Gewalt niemals auf die Dauer irgend etwas erreichen könnten. Die Mehrforderungen, die Göring in dieser Sitzung gestellt hat, sind auch tatsächlich niemals erfüllt worden. Ich glaube auch, daß Göring selbst nicht an die Erfüllbarkeit dieser Forderungen geglaubt hat. So sind, soweit ich weiß, an Frankreich die Mehrforderungen Görings überhaupt nicht überbracht worden, Belgien hat trotz des Verbots Getreide geliefert bekommen, ebenso die Tschechoslowakei trotz des Verbots Fett. Vorweggegangen war am Tage vor dieser Sitzung eine Besprechung der Gauleiter. Sie stand, soweit ich mich noch erinnere, unter dem Eindruck der zunehmenden Luftangriffe im Westen und der dadurch für die Bevölkerung insbesondere zunehmenden Belastungen. Die westlichen Gauleiter vertraten den Standpunkt, daß die deutsche Ernährung bei zunehmender Belastung der Bevölkerung unzureichend sei, daß dagegen ein großer Teil der besetzten Gebiete noch im Überfluß lebe. Das Reichsernährungsministerium und die Vertreter der besetzten Gebiete saßen selbst gewissermaßen auf der Anklagebank, nicht genügend von den besetzten Gebieten zu fordern, beziehungsweise zu liefern. Diese Forderungen wurden von Göring aufgegriffen, und bei seiner Veranlagung und seinem Temperament führte dies zu den im Protokoll und im Dokument angeführten starken Übertreibungen.
DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wie war die Ernährungslage der ausländischen Arbeiter in Deutschland?
RIECKE: Alle Gruppen von ausländischen Arbeitern, mit Ausnahme der Ostarbeiter, bekamen die gleichen Rationen wie die deutsche Bevölkerung.
DR. SERVATIUS: Wie war die Versorgung der Ostarbeiter?
RIECKE: Die Ostarbeiter bekamen auf verschiedenen Gebieten niedrigere als die anderen, bei Brot und Kartoffeln höhere Sätze.
DR. SERVATIUS: War die Versorgung so, daß der Gesundheitszustand dieser Arbeiter gefährdet war?
RIECKE: Diese Frage läßt sich nicht eindeutig beantworten. Sie muß im Zusammenhang stehen mit der von den Arbeitern geforderten Arbeitsleistung. Bei normalen Arbeiten mußten die Rationen durchaus ausreichend sein.
DR. SERVATIUS: Hat Sauckel sich besonders für die Ernährung dieser Arbeiter eingesetzt?
RIECKE: Sauckel ist, soviel ich weiß, bei meinem Minister mehrfach vorstellig geworden in Richtung auf eine bessere Versorgung, wobei von Backe stets die Gegenforderung gestellt worden ist, nicht mehr zusätzliche Arbeitskräfte nach Deutschland hineinzubringen. Backe hat mehrfach den Vorschlag gemacht, die Zahl der Arbeitskräfte zu beschränken und dafür lieber noch besser zu versorgen.
DR. SERVATIUS: Ich habe an den Zeugen keine weiteren Fragen mehr.
DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Sind Sie in Ihrer Eigenschaft als Staatssekretär für die Landwirtschaft nicht Ende 1944 und Anfang 1945 auch in die Niederlande gekommen?
RIECKE: Jawohl, ich bin in dieser Zeit in den Niederlanden gewesen.
DR. STEINBAUER: Wurde dort nicht, bei diesem Anlaß von seiten der Wehrmachtsstellen und der Polizei, schwere Klage erhoben über Sabotage der niederländischen Landwirtschaft, insbesondere über die verantwortlichen Regierungsstellen aus den Niederlanden?
RIECKE: Ich kann mich auf eine derartige Unterhaltung nicht mehr besinnen.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß sich der Angeklagte Seyß-Inquart für die Drosselung der Lebensmittelausfuhren aus den Niederlanden nach Deutschland eingesetzt hat?
RIECKE: Jawohl, unter anderem auch in dieser Sitzung, die in diesem Protokoll hier vorliegt.
DR. STEINBAUER: Und daß er trotz Klagen die niederländischen Beamten im Ernährungsamt belassen hat?
RIECKE: Ja, das ist der Fall.
DR. HANS FLÄCHSNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SPEER: Darf ich einige Fragen an den Zeugen richten, Herr Präsident?
Herr Zeuge! Können Sie mir Aufschluß über folgende Fragen geben? Bekamen die in der Kriegsproduktion beschäftigten Konzentrationslagerhäftlinge die gleichen Ernährungszulagen für Schwer- und Schwerstarbeiter wie die übrigen Arbeiter?
RIECKE: In der Zeit, in der ich mit diesen Fragen betraut war, wurden für alle Inhaftierten, also auch für die Konzentrationslagerhäftlinge, die gleichen Rationen wie für die übrige Bevölkerung festgesetzt, wenn sie in Arbeit waren. Sie hätten demnach die gleichen Rationen bekommen müssen.
DR. FLÄCHSNER: War der Angeklagte Speer oder das von ihm geleitete Ministerium für das ordnungsmäßige Einhalten der Ernährungssätze in den Betrieben zuständig, soweit die letzteren – die Betriebe – die Versorgung übernommen hatten?
RIECKE: Nein, das Ministerium Speer war für diese Dinge nicht zuständig. Soweit es die Belieferung auf die Anforderung hin betraf, waren die Ernährungsämter zuständig. Soweit es die Verteilung von gelieferten Lebensmitteln in den Betrieben betrifft, die Verwaltung der Lager beziehungsweise die Betriebe.
DR. FLÄCHSNER: Und eine weitere Frage. Welche Maßnahmen hat Speer ergriffen, um eine allgemeine Ernährungskatastrophe zu verhindern, die sich gleichmäßig auf die Millionen fremdländischer Personen in Deutschland ausgewirkt hätte?
RIECKE: Speer stellte vom Dezember 1944 an ganz bewußt die Rüstungsaufgaben hinter die Ernährung. Und zwar auch ganz bewußt zwecks Überleitung eines neuen Regimes, einer neuen Verwaltung einer Besatzungsmacht. Speer gab dem Ernährungstransport von diesem Zeitpunkt an den Vortritt vor den Rüstungstransporten. Speer sorgte dafür, daß das Saatgut für die Frühjahrsbestellung mit seinen Transportmitteln hinausgebracht wurde. Speer setzte sich außerordentlich stark für die Wiederherstellung der durch Luftangriffe zerstörten Ernährungsbetriebe, noch vor Rüstungsbetrieben, ein, und vor allen Dingen verhinderte er in dieser letzten Phase mit uns gemeinsam die sinnlosen Zerstörungen von Ernährungsbetrieben, entgegen den Weisungen, wie sie von Hitler gegeben waren. Dieses tat er ohne Rücksicht auf seine Person und eventuell eintretende Folgen.
DR. FLÄCHSNER: Danke.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Haben Sie den Westfeldzug mitgemacht?
RIECKE: Jawohl.
DR. LATERNSER: In welcher Eigenschaft?
RIECKE: Als Bataillonskommandeur im Felde.
DR. LATERNSER: Haben Sie während des Westfeldzuges von oben her bedenkliche Befehle bekommen? Also solche Befehle meine ich, die gegen das Völkerrecht verstoßen haben.
RIECKE: Ich habe keine solchen Befehle bekommen.
DR. LATERNSER: Haben Sie die Feststellung treffen können oder getroffen, daß von höheren militärischen Stellen das Plündern geduldet würde?
RIECKE: Nein, im Gegenteil. Es wurde im Falle des Plünderns schärfstens eingeschritten.
DR. LATERNSER: Sie waren dann später auch im Osten. Allerdings, wie ich gehört habe, nicht als Soldat.
Haben Sie dort Einblick gehabt in das Operationsgebiet, also auch in die Kommissariatsgebiete?
RIECKE: Ich habe in beide Gebiete Einblick gehabt.
DR. LATERNSER: Wie war dort die Behandlung der Bevölkerung durch die deutschen Soldaten?
RIECKE: Ich kann im allgemeinen sagen, daß insbesondere in der Ukraine die Behandlung der zivilen Bevölkerung im Wehrmachtsteil, im Operationsgebiet, entgegenkommender war. Man nahm hier Rücksicht auf die Bedürfnisse im zivilen, verwaltenden Teil.
DR. LATERNSER: Worauf führen Sie diese Unterschiede zurück?
RIECKE: Ich führe sie zurück auf eine andere Grundeinstellung des Soldaten, der frei war von politischen Tendenzen und vor allem auch darauf, daß die Truppen erklärlicherweise Ruhe im Hinterland haben wollten.
VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör?
MR. DODD: Es kann in zwei Minuten erledigt sein, Herr Vorsitzender.