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[Der Zeuge Bilfinger betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Würden Sie bitte aufstehen und uns Ihren vollen Namen sagen?

ZEUGE RUDOLF BILFINGER: Rudolf Bilfinger.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Seit wann waren Sie im Reichssicherheitshauptamt tätig, und in welcher Stellung?

BILFINGER: Ich war von Ende 1937 bis Anfang 1943 im RSHA als Regierungsrat, später als Oberregierungsrat und Sachbearbeiter für Rechtsfragen und Polizei-Rechtsfragen.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß Sie zweimal, und zwar zu verschiedenen Zeiten, Abschnittsleiter der Abteilung »Verwaltung und Recht« beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau waren?

BILFINGER: Ja. Ich war im Herbst 1940 und im Jahre 1944 Abteilungsleiter der Abteilung »Verwaltung und Recht« beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau.

DR. SEIDL: Was waren Ihre Aufgaben, die Sie zu diesen verschiedenen Zeitpunkten im Generalgouvernement zu erfüllen hatten, – in ganz großen Umrissen?

BILFINGER: Ich hatte im Jahre 1940 den Auftrag, eine Reihe von Sachgebieten der Polizeiverwaltung aus der Regierung des Generalgouvernements zu übernehmen, zur Bearbeitung unter dem Höheren SS- und Polizeiführer.

DR. SEIDL: Wie war die Rechtsstellung des Höheren SS- und Polizeiführers und wie war sein Verhältnis zum Generalgouverneur? Erhielt der Höhere SS- und Polizeiführer seine fachlichen Weisungen in Bezug auf die Sicherheitspolizei und den SD vom Generalgouverneur, oder erhielt er sie unmittelbar vom Reichsführer-SS und Chef der Polizei, nämlich Himmler?

BILFINGER: Der Höhere SS- und Polizeiführer erhielt vom Anfang an seine Weisungen unmittelbar vom Reichsführer-SS Himmler.

DR. SEIDL: Ist es weiterhin richtig, daß der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement auch unmittelbar Befehle und Weisungen vom Amt IV, nämlich von der Gestapo, und Amt V, Kripo, des RSHA erhalten hat?

BILFINGER: Ja, der Befehlshaber der Sicherheitspolizei bekam sehr viele Befehle unmittelbar von den verschiedenen Ämtern des RSHA, vor allem von der Abteilung IV und V.

DR. SEIDL: Hat die Einrichtung des Staatssekretariats für das Sicherheitswesen, die im Jahre 1942 erfolgt ist, eine Veränderung in der Rechtsstellung des Generalgouverneurs in Bezug auf Maßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD mit sich gebracht?

BILFINGER: Die Einsetzung eines Staatssekretärs als solchen hat an der Rechtsstellung des Generalgouverneurs oder des Staatssekretärs nichts geändert. Es wurden lediglich neue Sachgebiete noch zu denen des Staatssekretariats für das Sicherheitswesen hinzugenommen.

DR. SEIDL: Ist Ihnen ein Erlaß des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei, Himmler, aus dem Jahre 1939 bekannt, und was ist der Inhalt dieses Erlasses?

BILFINGER: Es ist mir ein Erlaß bekanntgewesen, vermutlich aus dem Jahre 1939, über die Einsetzung des Höheren SS- und Polizeiführers, in dem bestimmt war, daß der Höhere SS- und Polizeiführer seine Weisungen unmittelbar von Himmler bekam.

DR. SEIDL: Die Einrichtung des Staatssekretariats wurde getroffen am 7. Mai 1942, und zwar auf Grund eines Erlasses des Führers. In Anwendung dieses Erlasses ist ein weiterer Erlaß am 3. Juni 1942 ergangen, der sich mit der Überweisung von Dienstgeschäften auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen beschäftigt. Ist Ihnen der Inhalt dieses Erlasses bekannt?

BILFINGER: Der wesentliche Inhalt der Erlasse, die von Ihnen angeführt sind, ist mir bekannt.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß auf Grund dieses Erlasses im Rahmen der Sicherheitspolizei die gesamte politische Polizei und die Kripo, was an sich vorher schon der Fall war, wiederum dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen unterstellt wurde?

BILFINGER: Also, diese beiden Sachgebiete waren von Anfang an dem Höheren SS- und Polizeiführer und später dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen unterstellt, und insofern brachte dieser Erlaß keine Neuerungen; es war nur eine Bestätigung.

DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, daß in der Anlage B zu diesem Erlaß in 26 Ziffern sämtliche Sachgebiete der Sicherheitspolizei auch dem Höheren SS- und Polizeiführer als Staatssekretär für das Sicherheitswesen übertragen wurden?

BILFINGER: Jawohl.

DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, daß in diesem Erlaß, und zwar in seiner Anlage B, ausdrücklich auch Judenangelegenheiten erwähnt wurden?

BILFINGER: Jawohl.

DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, daß in Ziffer 21 der Anlage B folgendes bestimmt ist:

»Sachgebiete der Sicherheitspolizei: Vertretung des Generalgouvernements bei Besprechungen und Sitzungen, namentlich bei den Reichszentralbehörden, die vorstehende Sachgebiete berühren...«?

BILFINGER: Ich weiß, daß eine solche Bestimmung sinngemäß enthalten war; ob sie die Ziffer 21 oder eine andere mit diesem Wortlaut war, kann ich mich nicht erinnern.

DR. SEIDL: Ist es weiterhin richtig, daß auch auf Grund dieses Erlasses die letzten Reste der Verwaltungspolizei aus der Verwaltung des Generalgouvernements herausgenommen und dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen, der Himmler unmittelbar unterstand, übertragen wurden?

BILFINGER: Das war die Absicht und der Zweck dieses Erlasses. Es sind aber entgegen dem Wortlaut des Erlasses nur wenige Sachgebiete aus der Verwaltung herausgenommen worden; um die übrigen wurde später hoch gekämpft. Im Ergebnis sind aber sämtliche Sachgebiete der Polizeiverwaltung herausgenommen worden.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Hatte die Verwaltung des Generalgouvernements irgend etwas mit der Errichtung und Verwaltung von KZ zu tun?

BILFINGER: Nach meiner Kenntnis nicht.

DR. SEIDL: Sie waren beim Chef der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau. Wann haben Sie selbst zum ersten Male von den KZ Maidanek, Treblinka und Lublin gehört?

BILFINGER: Wenn ich berichtigen darf, ich war beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei.

DR. SEIDL: Ja, beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei.

BILFINGER: Ich habe zum ersten Male von Maidanek gehört als Lublin und Maidanek von den Russen besetzt wurden, und durch die Propaganda hörte ich zum ersten Male von der Bedeutung des Namens Maidanek, als damals der damalige Generalgouverneur Frank eine Untersuchung anordnete über die Vorkommnisse in Maidanek und Verantwortlichkeit dafür.

DR. SEIDL: Wie war nach Ihrer Beobachtung grundsätzlich das Verhältnis zwischen dem Generalgouverneur und dem SS-Obergruppenführer Krüger, und welche Gründe waren hierfür maßgebend?

BILFINGER: Das Verhältnis war von Anfang an sehr schlecht. Gründe waren teils Fragen der Organisation und des Einsatzes der Polizei, teils sachliche Meinungsverschiedenheiten.

DR. SEIDL: Was verstehen Sie unter: sachliche Meinungsverschiedenheiten? Meinen Sie Verschiedenheiten in Bezug auf die Behandlung der polnischen Bevölkerung?

BILFINGER: Mir ist noch ein Beispiel in Erinnerung, das sich um die Bestätigung eines polizeistandgerichtlichen Urteils von Frank handelte. Er hat, entgegen der Meinung Krügers, eine Reihe von Urteilen entweder nicht bestätigt oder wesentlich abgemildert, und in diesem Zusammenhang sind mir solche sachlichen Meinungsverschiedenheiten noch in Erinnerung.

DR. SEIDL: Hat es sich dabei um Urteile gehandelt, die im Rahmen der sogenannten AB-Aktion gefällt wurden?

BILFINGER: Von einer AB-Aktion war mir nichts bekannt.

DR. SEIDL: Sie sind erst später ins Generalgouvernement gekommen?

BILFINGER: Ich kam im August 1940 ins Generalgouvernement.

DR. SEIDL: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.

DR. RUDOLF MERKEL, VERTEIDIGER FÜR DIE GESTAPO: Ich bitte, einige wenige Fragen an den Zeugen richten zu dürfen.

Herr Zeuge! Die Anklage behauptet, die Staatspolizei sei ein Zusammenschluß von Personen nach einem gemeinsam gefaßten Vorsatz, und ihre Mitgliedschaft beruhe auf Freiwilligkeit. Da Sie eine besonders gehobene Stellung im RSHA hatten, bitte ich Sie, kurz zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.

BILFINGER: Von den Angehörigen der Geheimen Staatspolizei war nur ein kleiner Teil freiwillig dabei. Der Grundstock der Angehörigen der Geheimen Staatspolizei waren die früheren Beamten, die Beamten der früheren politischen Abteilung des Polizeipräsidiums. Aus diesen früheren politischen Abteilungen des Polizeipräsidiums sind die einzelnen Staatspolizeistellen hervorgegangen, und dabei wurde der allergrößte Teil der Beamten dieser politischen Abteilungen übernommen. In Berlin war es zum Beispiel die Abteilung Ia des Polizeipräsidiums. Außerdem wurden Verwaltungsbeamte von anderen Verwaltungsbehörden zur Geheimen Staatspolizei versetzt oder abgeordnet. Im Laufe der Jahre sind dann noch von anderen Verwaltungen und Dienststellen Leute zwangsweise zur Geheimen Staatspolizei abgeordnet worden. So wurde zum Beispiel der gesamte Zollgrenzschutz im Jahre 1944 durch eine Führeranordnung in die Geheime Staatspolizei überführt. Es wurde ungefähr um dieselbe Zeit die gesamte Abwehr überführt. Im Laufe des Krieges wurden zahlreiche Angehörige der Waffen-SS, die zum Kriegsdienst nicht mehr geeignet waren, zur Geheimen Staatspolizei abkommandiert. Außerdem wurden in großem Umfang Leute, die von Haus aus mit der Polizei nichts zu tun hatten, als Notdienstverpflichtete zur Dienstleistung bei der Geheimen Staatspolizei eingezogen.

DR. MERKEL: Wenn ich zusammenfassend sage, daß die Geheime Staatspolizei eine Reichsbehörde war, und daß für Ihre Beamten das deutsche Beamtenrecht galt, dann ist das wohl richtig?

BILFINGER: Ja.

DR. MERKEL: War ein Ausscheiden für die Beamten der Geheimen Staatspolizei ohne weiteres möglich?

BILFINGER: Ein Ausscheiden aus der Geheimen Staatspolizei war außerordentlich schwierig und eigentlich unmöglich. Es konnte einer nur unter ganz besonderen Umständen ausscheiden.

DR. MERKEL: Es wurde hier erklärt, daß bezüglich der Zusammensetzung der Beamten die Geheime Staatspolizei ungefähr folgendes Verhältnis hatte: Exekutivbeamte zirka 20 %, Verwaltungsbeamte zirka 20 %, technisches Personal etwa 60 %. Stimmt diese Unterteilung ungefähr?

BILFINGER: Ich habe über die Zusammensetzung im allgemeinen keinen Überblick gehabt. Aber für einzelne Dienststellen, die ich näher kannte, stimmt diese Zahl etwa.

DR. MERKEL: Wem unterstanden die Konzentrationslager in Deutschland und in den besetzten Gebieten?

BILFINGER: Die Konzentrationslager unterstanden dem Wirtschafts- und Verwaltungs-Hauptamt unter dem SS-Gruppenführer Pohl.

DR. MERKEL: Hatte die Geheime Staatspolizei mit der Verwaltung der Konzentrationslager soweit irgend etwas zu tun?

BILFINGER: Nein. Es mögen in der Anfangszeit noch da und dort einzelne Konzentrationslager kurze Zeit von der Geheimen Staatspolizei unmittelbar verwaltet worden sein. Das ist wohl in einzelnen Fällen der Fall gewesen, aber grundsätzlich sind damals schon und später allgemein die Konzentrationslager von dem Wirtschafts- und Verwaltungs-Hauptamt verwaltet worden.

DR. MERKEL: Wissen Sie etwas darüber, wer die Befehle zu den in den Konzentrationslagern vorgekommenen Liquidationen erteilt hat?

BILFINGER: Davon weiß ich nichts.

DR. MERKEL: Können Sie etwas über die Grundlagen der Schutzhaft sagen. Auf Grund welcher Gesetzbestimmungen wurde nach dem Jahre 1933 die Schutzhaft verhängt?

BILFINGER: Die Schutzhaft beruhte auf Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom Februar 1933, in der eine Reihe von Grundrechten der alten Weimarer Verfassung aufgehoben wurden.

DR. MERKEL: Ist dann später ein Erlaß des Innenministers bezüglich Schutzhaft ergangen, ungefähr Ende 1936 oder Anfang 1937?

BILFINGER: Ja, da wurde das Schutzhaftgesetz verfaßt.

Die Rechtsgrundlage an sich blieb bestehen. Die Schutzhaftverhängung wurde damals beschränkt auf die Geheime Staatspolizei, während vorher noch eine Reihe anderer Dienststellen, zu recht oder unrecht, Schutzhaft verhängt hatten. Um nun das zu verhindern, wurde damals die Schutzhaft auf die Geheime Staatspolizei beschränkt.

DR. MERKEL: Ist es richtig, daß Sie eine Zeitlang in Frankreich waren, und in welcher Eigenschaft?

BILFINGER: Ich war im Spätsommer und Herbst 1943 als Kommandeur der Sicherheitspolizei in Frankreich, Toulouse.

DR. MERKEL: Wissen Sie etwas über einen Befehl, entweder des RSHA oder des Befehlshabers der Sipo für Frankreich, oder von einzelnen Kommandeuren, darüber, daß bei Vernehmungen von Gefangenen Mißhandlungen oder Folterungen anzuwenden seien?

BILFINGER: Nein, solche Befehle sind mir nicht bekannt.

DR. MERKEL: Wie erklären Sie sich dann die von der Anklage unter Beweis gestellten tatsächlich vorgekommenen Mißhandlungen und Grausamkeiten bei Vernehmungen?

BILFINGER: Es ist möglich, daß eine Anzahl solcher Mißhandlungen vorgekommen sind, die entweder unerlaubt, also verbotenermaßen vorgekommen sind, oder von Angehörigen anderer deutscher Dienststellen in Frankreich, die nicht zur Sicherheitspolizei gehörten, verübt worden sind.

DR. MERKEL: Sind Ihnen während Ihrer Tätigkeit in Frankreich, entweder amtlich oder vom Hörensagen, solche Mißhandlungen zur Kenntnis gekommen?

BILFINGER: Von Angehörigen der deutschen Polizei oder der Deutschen Wehrmacht sind mir solche Mißhandlungen nicht zur Kenntnis gekommen.

DR. MERKEL: Sondern?

BILFINGER: Es sind mir Mißhandlungen zur Kenntnis gekommen von Gruppen, die aus Franzosen bestanden, und die im Auftrag irgendwelcher deutschen Dienststellen tätig waren.

DR. MERKEL: Gab es sogenannte Gestapo-Gefängnisse in Frankreich?

BILFINGER: Nein, die Sicherheitspolizei in Frankreich hatte keine eigenen Gefängnisse. Sie hat ihre Gefangenen in die deutschen Wehrmachtshaftanstalten eingeliefert.

DR. MERKEL: Ich habe noch eine letzte Frage: Die Anklage hat eine große Reihe von Verbrechen gegen Humanität und Kriegsrecht unter Beteiligung der Geheimen Staatspolizei unter Beweis gestellt. Kann man nun sagen, daß diese Verbrechen völlig offen lagen und allen Angehörigen der Geheimen Staatspolizei in ihrer Gesamtheit bekannt waren, oder war es so, daß diese Verbrechen nur einem engbegrenzten Personenkreis bekannt waren, der mit der Durchführung der betreffenden Maßnahmen unmittelbar beauftragt war? Wissen Sie darüber etwas?

BILFINGER: Ich habe die Frage von Anfang an nicht ganz verstanden. Bezieht sich das auf Frankreich oder allgemein auf die Sipo?

DR. MERKEL: Dies bezieht sich allgemein auf die Sicherheitspolizei.

BILFINGER: Irgendwelche Mißhandlungen und Folterungen waren nicht erlaubt und nach meiner Kenntnis nicht allgemein üblich und noch viel weniger allgemein oder einem größeren Kreis bekannt. Ich wußte nichts davon.

DR. MERKEL: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wir werden für zehn Minuten vertagen.