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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Will die Anklagebehörde den Zeugen im Kreuzverhör vernehmen?

Herr Dr. Seidl! Haben Sie keine Fragen auf Grund des Kreuzverhörs von Herrn Dr. Merkel zu stellen?

DR. SEIDL: Ich hätte nur noch eine einzige Frage an den Zeugen. Eine Frage nur.

Herr Zeuge! Im Paragraphen 4 des Erlasses vom 23. Juni 1942 ist folgendes bestimmt. Ich zitiere wörtlich:

»Die SS- und Polizeiführer in den Distrikten sind in gleicher Weise wie der Staatssekretär für das Sicherheitswesen dem Generalgouverneur, den Gouverneuren der Distrikte direkt und unmittelbar unterstellt.«

Es ist also nicht gesagt, daß das gesamte Polizeiwesen unterstellt ist, sondern nur die Polizeiführer.

Ich frage Sie nun, sind Befehle, die von Befehlshabern der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes ausgegangen sind, den Gouverneuren zugeleitet worden oder unmittelbar den Kommandeuren der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in den Distrikten?

BILFINGER: Diese Befehle sind stets unmittelbar vom Befehlshaber an die Kommandeure der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes gegangen. Der Befehlshaber konnte den Gouverneuren keinerlei Weisungen geben.

DR. SEIDL: Wenn ich Sie also recht verstehe, dann wollen Sie sagen, daß der Dienstweg im Rahmen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes am Verwaltungsaufbau des Generalgouvernements vollkommen vorbeigegangen ist?

BILFINGER: Jawohl.

DR. SEIDL: Ich habe keinerlei weitere Fragen an den Zeugen.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.

DR. SEIDL: Mit Erlaubnis des Gerichts rufe ich als nächsten Zeugen den früheren Gouverneur von Krakau, Dr. Kurt von Burgsdorf.

[Der Zeuge von Burgsdorf betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen sagen?

ZEUGE KURT VON BURGSDORF: Kurt von Burgsdorf.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Das Generalgouvernement war eingeteilt in fünf Distrikte, an deren Spitze je ein Gouverneur stand; ist das richtig?

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. SEIDL: Sie waren vom 1. Dezember 1943 an bis zur Besetzung Ihres Distrikts durch die Sowjettruppen Gouverneur des Distrikts Krakau?

VON BURGSDORF: Ja. Wenn ich mich beamtenrechtlich richtig ausdrücken will, so war ich lediglich mit der Wahrnehmung der...

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Der Verteidiger hat eben eine Frage bezüglich der Besetzung der Gegend durch Sowjettruppen gestellt. Ich protestiere entschieden gegen eine solche Fragestellung und betrachte es als einen feindseligen Ausfall.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Mir wird soeben gesagt, daß sich hier vielleicht ein Übersetzungsfehler eingeschlichen hat. Ich habe nicht mehr sagen wollen, als daß im Laufe des Jahres 1944 das Gebiet, in dem damals der Zeuge Gouverneur war, von den Sowjettruppen im Rahmen der Kriegshandlungen besetzt wurde. Ich weiß nicht, wogegen sich der Einspruch des Herrn Sowjetanklägers richtet. Es liegt mir jedenfalls vollkommen fern, hier irgendeinen feindseligen Akt oder eine feindselige Äußerung zu machen.

VORSITZENDER: Ich glaube, es handelt sich um folgendes: Das war nicht eine Besetzung, sondern eine Befreiung durch die russische Armee.

DR. SEIDL: Selbstverständlich, mehr wollte ich auch nicht sagen, als daß die deutschen Truppen aus diesem Gebiet durch die Sowjettruppen verjagt wurden. Herr Zeuge, fahren Sie mit Ihrer Antwort bitte fort.

VON BURGSDORF: Ich bin mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Gouverneurs beauftragt worden. Das ist beamtenrechtlich der richtige Ausdruck. Ich bin bis vor wenigen Monaten ja noch Offizier der Wehrmacht gewesen, und ich bin auch während meiner ganzen Tätigkeit in Krakau Offizier der Wehrmacht geblieben.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Wie war nach Ihren Beobachtungen grundsätzlich die Einstellung des Generalgouverneurs zum polnischen und ukrainischen Volk?

VON BURGSDORF: Ich beantworte das – und hebe das hervor – nur für das Jahr 1944; denn nur dieses kann ich beurteilen. Da war die Einstellung des Generalgouverneurs derartig, daß er ein friedliches Zusammenleben wünschte.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß bereits im Jahre 1942 der Generalgouverneur von sich aus den Gouverneuren die Möglichkeit gegeben hat, Selbstverwaltungsausschüsse der Polen und Ukrainer bei den Kreishauptleuten einzurichten?

VON BURGSDORF: Es hat eine Regierungsverordnung dieses Inhaltes gegeben. Ob sie von 1942 ist, weiß ich nicht.

DR. SEIDL: Haben Sie selbst von den darin enthaltenen Ermächtigungen Gebrauch gemacht und solche Verwaltungsausschüsse eingerichtet?

VON BURGSDORF: Ich habe im Distrikt Krakau sofort bei jedem Kreishauptmann einen derartigen Ausschuß einrichten lassen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Wie war nach Ihren Beobachtungen die Ernährungslage im Generalgouvernement und insbesondere in Ihrem Distrikt?

VON BURGSDORF: Sie war nicht unbefriedigend; ich muß aber sagen, daß das darauf beruhte, daß neben den Rationen für die polnische Bevölkerung der Schleichhandel blühte.

DR. SEIDL: Wie war nach Ihren Beobachtungen die Einstellung des Generalgouverneurs in der Frage der Arbeitererfassung?

VON BURGSDORF: Er wünschte keine Arbeiter nach außerhalb des Generalgouvernements, weil er Interesse daran hatte, die nötigen Arbeiter im Lande zu behalten.

DR. SEIDL: Ist die Kirche im Generalgouvernement vom Generalgouverneur verfolgt worden, und wie war nach Ihren Beobachtungen in dieser Frage grundsätzlich die Einstellung des Generalgouverneurs?

VON BURGSDORF: Ich kann wieder nur antworten für meinen Distrikt und für das Jahr 1944. Da hat eine Verfolgung von Kirchen nicht stattgefunden; im Gegenteil, die Beziehungen zu den Kirchen aller Schattierungen waren in meinem Distrikt gut. Ich habe bei meinen Reisen die Geistlichen immer empfangen und niemals eine Klage gehört.

DR. SEIDL: Haben Sie in dieser Frage irgendeine persönliche Erfahrung mit dem Generalgouverneur gemacht?

VON BURGSDORF: Ja! Ich bin Mitte Januar 1944 vom Generalgouverneur, der ja gleichzeitig der Parteiführer im Generalgouvernement war, zum Distrikt- Standortführer, also zu einem Parteiamt für den Distrikt Krakau ernannt worden. Ich habe ihn, wie schon früher den Reichsinnenminister Himmler, darauf aufmerksam gemacht, daß ich überzeugter kirchlicher Christ bin. Der Generalgouverneur hat daraufhin erwidert, daß ihn das nicht störe und daß er keine Bestimmung im Parteiprogramm wüßte, die das verbiete.

DR. SEIDL: Wie war nach Ihren Beobachtungen das Verhältnis zwischen dem Generalgouverneur und der Verwaltung des Generalgouvernements auf der einen Seite, zwischen der Sicherheitspolizei und dem SD auf der anderen Seite?

VON BURGSDORF: Innerlich zweifellos schlecht, und zwar deshalb, weil die Polizei ja schließlich immer nur das machte, was sie wollte, und sich um Verwaltung nicht kümmerte. Deswegen waren auch draußen im Lande Reibungen der Verwaltungsstellen mit der Polizei durchaus vorhanden.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß bei Ihrer Amtseinführung, beziehungsweise kurze Zeit später, der Generalgouverneur einige Anweisungen in Bezug auf die Polizei gegeben hat? Ich zitiere aus dem Tagebuch des Angeklagten Dr. Frank, und zwar die Eintragung vom 4. Januar 1944:

»Der Herr Generalgouverneur gibt dem Gouverneur Dr. von Burgsdorf dann einige Weisungen für seine nunmehrige Tätigkeit. Es werde seine Aufgabe sein, sich grundsätzlich über alle maßgebenden Verhältnisse im Distrikt zu informieren. Vor allem muß das Bestreben des Gouverneurs darauf gerichtet sein, etwaigen Übergriffen der Polizei mit Entschlossenheit entgegenzutreten.«

VON BURGSDORF: An diese Unterredung vom 4. Januar 1944 kann ich mich heute nicht mehr erinnern, aber sie mag gewesen sein. Ich erinnere mich aber daran, daß nach meiner Einweisung Ende November 1943 ich hinterher noch einmal zum damaligen Generalgouverneur gegangen bin und ihm gesagt habe, daß ich draußen gehört hätte, daß die Verhältnisse mit der Polizei ungünstige wären und für die Verwaltung schwer tragbare. Daraufhin hat er mir erwidert, er täte was er könnte, um die Polizei – ich möchte einmal sagen – zur Raison zu bringen. Ich habe mich eigentlich auf Grund dieser Äußerung des Herrn Generalgouverneurs erst endgültig entschieden, überhaupt im Generalgouvernement zu bleiben. Ich hatte mich ja, wie bekannt ist, dem Reichsinnenminister gegenüber geweigert, hinzugehen.

DR. SEIDL: Übten Sie in Ihrer Eigenschaft als Gouverneur irgendeine Befehlsgewalt über die in Ihrem Distrikt eingesetzte Sicherheitspolizei und den SD aus?

VON BURGSDORF: In keiner Weise.

DR. SEIDL: Haben Sie selbst jemals eine Polizeiverfügung in die Hand bekommen?

VON BURGSDORF: Niemals. Der Befehlsweg bei der Polizei geht rein vertikal, und zwar vom Höheren SS- und Polizeiführer zu dem SS- und Polizeiführer beziehungsweise – und das ist wohl der gewöhnliche Weg – vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei zum Kommandeur der Sicherheitspolizei.

DR. SEIDL: Haben Sie in Ihrer Tätigkeit als Gouverneur irgend etwas mit der Verwaltung von Konzentrationslagern zu tun gehabt?

VON BURGSDORF: Niemals.

DR. SEIDL: Wissen Sie, von wem die Konzentrationslager verwaltet wurden?

VON BURGSDORF: Nein, aus eigener Wissenschaft nicht. Ich habe aber gehört, daß irgendeine Zentralstelle in Berlin beim Reichsführer-SS gewesen sein soll.

DR. SEIDL: Wann haben Sie zum erstenmal von dem Konzentrationslager Maidanek gehört?

VON BURGSDORF: Von Ihnen, vor ungefähr 14 Tagen.

DR. SEIDL: Sie erklären also dem Gericht unter Eid...

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. SEIDL:... daß Sie, obwohl Sie Gouverneur von Krakau im besetzten polnischen Gebiet waren, erst während Ihrer Haft davon Kenntnis erlangt haben?

VON BURGSDORF: Ja, ich bin durchaus der Überzeugung, daß ich erst durch Sie von diesem Konzentrationslager Kenntnis erhalten habe.

DR. SEIDL: Wann haben Sie zum erstenmal von dem Konzentrationslager Treblinka gehört?

VON BURGSDORF: Auch durch Sie, bei derselben Gelegenheit.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Dem Generalgouverneur wird von der Anklage der Erlaß einer Standgerichtsverordnung zur Last gelegt, welche im Jahre 1943 ergangen ist. Wie war zu dieser Zeit die Sicherheitslage im Generalgouvernement?

VON BURGSDORF: Die Sicherheitslage kann ich wiederum nur für das Jahr 1944 beurteilen. Dort wurde sie mit der Rücknahme der deutschen Truppen vom Osten immer schlechter, so daß in meinem Distrikt in steigendem Maße in weiten Teilen eine Verwaltung überhaupt nicht mehr ausgeübt werden konnte.

DR. SEIDL: Wie ist nach Ihren Beobachtungen die Entwicklung der Wirtschaft in Ihrem landwirtschaftlichen und gewerblichen Sektor gewesen, und ist die Behauptung gerechtfertigt, daß unter Berücksichtigung der kriegsbedingten Verhältnisse die Verwaltung des Generalgouvernements alles getan hat, um die Wirtschaft zu fördern?

VON BURGSDORF: Die Wirtschaft in meinem Distrikt lief 1944 auf vollen Touren, sowohl in der gewerblichen Wirtschaft wie in der Landwirtschaft. Es sind gewerbliche Betriebe aus dem Reich nach dem Generalgouvernement verlegt worden, und bei der Landwirtschaft sind von der Verwaltung sehr viel Düngemittel, Saatgut und dergleichen eingeführt worden. Auch die Pferdezucht wurde in meinem Distrikt stark gefördert.

DR. SEIDL: Dem Angeklagten Frank wird vorgeworfen, in Bezug auf die Gesundheitsführung und in Bezug auf die hygienischen Verhältnisse nicht alles Erforderliche getan zu haben. Was können Sie über diesen Punkt sagen?

VON BURGSDORF: Ich kann dazu sagen, daß in meinem Distrikt – 1944 immer wieder – Krankenhäuser verbessert und auch neue eingerichtet wurden. Es ist auch namentlich auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung sehr viel geschehen. Typhus, Ruhr und Fleckfieber sind außerordentlich zurückgegangen durch die Impfungen.

DR. SEIDL: Dem Angeklagten Frank wird weiter zur Last gelegt, das höhere Schulwesen nicht entsprechend gefördert zu haben. Ist Ihnen darüber etwas bekannt, wie hier die Verhältnisse im Generalgouvernement gelegen haben?

VON BURGSDORF: Wie ich in das Generalgouvernement kam, da gab es überhaupt kein höheres Schulwesen mehr. Ich habe daraufhin auf Grund anderer Erfahrungen sofort angeregt, wieder polnische höhere Schulen einzurichten. Ich habe Fühlung genommen mit dem Präsidenten der Hauptabteilung Unterricht, der mir erwiderte, diese Pläne bestünden bei der Regierung auch schon. Ich habe ziemlich in jedem meiner Monatsberichte auf die Notwendigkeit polnischer höherer Schulen hingewiesen, und zwar deshalb, weil binnen kurzer Zeit, oder richtiger, binnen weniger Jahre, ein Mangel an Technikern, an Ärzten, an Tierärzten entstehen müßte.

DR. SEIDL: Dann meine letzte Frage: Im Generalgouvernement gab es einen sogenannten Arbeitsbereich der NSDAP. Sie waren Distrikt-Standortführer im Generalgouvernement.

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Wie war nach Ihrer Beobachtung das Verhältnis zwischen dem Generalgouverneur und dem Leiter der Parteikanzlei Bormann?

VON BURGSDORF: Ich glaube, ohne Übertreibung sagen zu dürfen: miserabel. Ich habe als Distrikt- Standortführer dieses Amt mit dem des Gouverneurs verbunden und habe den letzten großen Kampf des Generalgouverneurs gegen Bormann miterlebt. Der Generalgouverneur hielt es von seinem Standpunkt aus mit Recht für unrichtig, das Parteiamt mit dem Staatsamt verbinden zu lassen. Er befürchtete ein Hereinregieren außer der Polizei auch noch der Partei, und das wollte er verhindern. Bormann hingegen wollte auch im Generalgouvernement die Vorherrschaft der Partei gegenüber dem Staat herstellen. Daraus ergaben sich schwerste Konflikte.

DR. SEIDL: Ich habe an den Zeugen keine weiteren Fragen zu stellen.

VORSITZENDER: Wünscht einer von den anderen Verteidigern Fragen an den Zeugen zu stellen?

DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Herr Zeuge! Sie waren seinerzeit Unterstaatssekretär in der Regierung des Reichsprotektorates von Böhmen und Mähren. Von wann bis wann war das?

VON BURGSDORF: Das ist gewesen von Ende März 1939 bis Mitte März 1942.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und wem unterstanden Sie als Unterstaatssekretär direkt? Dem Staatssekretär Frank oder dem Reichsprotektor?

VON BURGSDORF: Dem Staatssekretär Frank.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Woher haben Sie Kenntnis über die Tätigkeit des Herrn von Neurath als Reichsprotektor?

VON BURGSDORF: Aus Vorträgen bei ihm und aus persönlichen Gesprächen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Welche Arten von Arbeiten hatten Sie als Unterstaatssekretär zu erledigen?

VON BURGSDORF: Ich hatte die eigentliche Verwaltung zu dirigieren.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Unterstanden Ihnen auch die Polizei und die verschiedenen SS- und Polizeifunktionen?

VON BURGSDORF: Nein.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wem unterstanden die?

VON BURGSDORF: Dem Staatssekretär Frank.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war die Stellung des Staatssekretärs Frank zu Herrn von Neurath?

VON BURGSDORF: Sie meinen dienstlich?

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja natürlich, nur dienstlich.

VON BURGSDORF: Ja, Herr von Neurath versuchte zunächst, mit Herrn Frank auszukommen. Das wurde aber, je stärker die Stellung Franks wurde, immer unmöglicher. Staatssekretär Frank, der spätere Staatsminister Frank, hat hinter sich gehabt die gesamte Macht der SS und Polizei – schließlich immer mehr – und hatte schließlich auch hinter sich Hitler.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Von wem erhielt nun Frank direkt seine Befehle?

VON BURGSDORF: Meines Wissens von Himmler. Ich habe allerdings auch erlebt, daß er ein- oder zwei- oder dreimal von Hitler direkte Weisungen erhielt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und das geschah meistens unter Umgehung des Herrn von Neurath?

VON BURGSDORF: Das kann ich von mir aus nicht recht sagen, aber ich nehme es an.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Konnte Frank dann selbständig innerhalb seines Arbeitsgebietes, in seiner politischen Funktion selbständig handeln, oder mußte er dazu die Zustimmung des Herrn von Neurath haben?

VON BURGSDORF: Ob er konnte oder durfte, möchte ich nicht entscheiden, jedenfalls tat er es aber.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Waren Herr von Neurath und Herr Frank derselben Ansicht hinsichtlich der Politik gegenüber dem tschechischen Volke?

VON BURGSDORF: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: War Herr von Neurath einverstanden mit der von Frank beziehungsweise dessen Befehlsgeber Himmler gegenüber dem tschechischen Volke verfolgten Politik?

VON BURGSDORF: Nein.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Konnte er sich nicht durchsetzen?

VON BURGSDORF: Er konnte sich gegenüber der gewaltigen Macht Hitlers und Himmlers nicht durchsetzen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war dann die eigene Politik und die eigene Einstellung des Herrn von Neurath?

VON BURGSDORF: Ich habe gerade im Anfang sehr viel über diese Dinge mit Herrn von Neurath gesprochen. Herr von Neurath hoffte und glaubte, auf Grund des Erlasses vom 15 März ein vernünftiges und friedliches Zusammenleben von Deutschen und Tschechen im Protektorat herbeiführen zu können.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Aber durch die ständig stärker werdende Stellung Franks mißlang das allmählich?

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erinnern Sie sich, daß Mitte November 1939 schwere Studentenunruhen in Prag ausbrachen?

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erinnern Sie sich auch, daß am Tage nach diesen Vorfällen Herr von Neurath und Frank nach Berlin geflogen sind?

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Erinnern Sie sich, daß Frank allein am gleichen Tage noch aus Berlin zurückgekommen ist?

VON BURGSDORF: Daß Frank am gleichen Tage zurückgekommen ist, glaube ich mich zu erinnern. Ich weiß aber nicht, ob er allein zurückgekommen ist.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Also wissen Sie auch nicht, ob Herr von Neurath mit ihm zurückgekommen ist?

VON BURGSDORF: Nein.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie sonst noch irgend etwas über die Vorgänge bei diesen Studentenunruhen, und was die Folgen davon waren?

VON BURGSDORF: Ich glaube, die Folgen waren, soviel ich mich erinnere, eine Exekution verschiedener Studenten und die Schließung der Hochschulen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie, ob die Schließung der Hochschulen auf Befehl von Himmler erfolgt ist?

VON BURGSDORF: Jawohl.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wissen Sie irgend etwas über die Frage der Einstellung des Herrn von Neurath zur katholischen und protestantischen Kirche?

VON BURGSDORF: Die Einstellung war absolut einwandfrei, und es hat, solange ich im Protektorat war, irgendwelche Schwierigkeiten mit den Kirchen nicht gegeben.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen bekannt, daß Herr von Neurath mit dem Erzbischof von Prag bis zu dessen Tode verkehrt hat?

VON BURGSDORF: Nein, ist mir nicht bekannt.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen irgendwie etwas bekannt, ob während der Amtszeit des Herrn von Neurath mit seiner Zustimmung oder gar auf seine Veranlassung Kunstwerke irgendwelcher Art, seien es Bilder, seien es Denkmäler, seien es Plastiken, Bibliotheken oder dergleichen, aus Staats- oder Privatbesitz beschlagnahmt und aus dem Lande gebracht worden sind?

VON BURGSDORF: Auf seine Veranlassung ist derlei sicher, ganz sicher, nie erfolgt. Ob er irgendeine Zustimmung gegeben hat, weiß ich nicht, ich glaube es aber nicht. Ich entsinne mich eines Vorfalls im Malteser Palais, wo durch irgendeine Reichsstelle, ich weiß heute nicht mehr welche, Kunstbesitz entfernt wurde. Herr von Neurath hat sofort hier alles getan, um diesen Schaden wieder zu reparieren.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen etwas darüber bekannt, daß der an sich von Anfang an von Berlin aus befohlene Zollanschluß des Protektorats an das Deutsche Reich lange Zeit hindurch nicht erfolgt ist, und zwar auf Veranlassung des Herrn von Neurath?

VON BURGSDORF: Jawohl, das ist mir durchaus bekannt. Ich muß allerdings der Wahrheit halber hinzufügen, daß auch der damalige Staatssekretär Frank gegen den Zollanschluß war, und zwar ebenso, wie Herr von Neurath, weil er glaubte, daß die Wirtschaft des Protektorats durch die stärkere Wirtschaft des Deutschen Reiches geschädigt würde.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Solange wie Herr von Neurath Reichsprotektor war, haben da irgendwelche zwangsweise Verschickungen von Arbeitern wohin immer stattgefunden?

VON BURGSDORF: Ich bin überzeugt, daß es nicht der Fall war. Es wurden Arbeiter geworben, aber auf ganz reguläre Weise. Es ist das solange geschehen, wie ich im Protektorat war.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen etwas bekannt darüber, daß Herr von Neurath die Ein- und Ausreise in und aus dem Protektorat von behördlicher Genehmigung abhängig gemacht hat?

VON BURGSDORF: Ob das Herr von Neurath getan hat, weiß ich nicht mehr; jedenfalls war es von einer Abreisebewilligung abhängig.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen etwas über die Schließung von Mittelschulen bekannt?

VON BURGSDORF: Ja.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was ist Ihnen darüber bekannt?

VON BURGSDORF: Es ist mir erinnerlich, daß die Schließung von mittleren Schulen als Folge der Schließung der Hochschule notwendig wurde. Das Mittelschulwesen im Protektorat war doch wohl etwas übersetzt. Es sind keineswegs alle Mittelschulen etwa aufgehoben worden, und es sind dafür Fachschulen sehr stark erweitert und auch wohl neue eingerichtet worden. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ist Ihnen etwas über die Einstellung Herrn von Neuraths zu der von Himmler beabsichtigten Germanisierung der Tschechei bekannt?

VON BURGSDORF: Ja, ich erinnere mich an die Denkschrift, die Herr von Neurath über diese ganze Angelegenheit an Hitler gemacht hat. Diese Denkschrift sollte eigentlich diese Zwangsgermanisierungspläne Himmlers auf die lange Bank schieben. Von Neurath stand auf dem Standpunkt, und er hat es mir gegenüber oft ausgesprochen, daß er solche Germanisierungsbestrebungen im Interesse des Friedens im Protektorat nicht wünsche.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wünscht die Anklagebehörde ein Kreuzverhör vorzunehmen?

MR. DODD: Wollen Sie uns bitte sagen, wann Sie der Nazi-Partei beigetreten sind?

VON BURGSDORF: Am 1. Mai 1933.

MR. DODD: Haben Sie in irgendeiner ihr angegliederten Organisation ein Amt erworben?

VON BURGSDORF: Ich bin SA-Gruppenführer ehrenhalber gewesen.

MR. DODD: Irgendwelche anderen Ehren oder Auszeichnungen?

VON BURGSDORF: Ich habe dann noch ein paar Jahre, wie ich aber das schon in der demokratischen Zeit gemacht habe, die Rechtswahrung der Verwaltung des Gaues Sachsen geführt.

MR. DODD: Waren Sie nicht auch Oberbannführer in der Hitler-Jugend?

VON BURGSDORF: Ich bin einmal Oberbannführer geworden aus Anlaß der Anwesenheit des Reichsjugendführers in Prag. Das war aber eine reine Höflichkeitsbezeigung, die keinerlei Folgen hatte. Ich möchte noch einmal anführen, da Sie von Parteiämtern sprechen, daß ich eben, was vorhin gesagt wurde, als Folge meiner Stelle als Gouverneur in Krakau von Mitte Januar 1944 bis zum Ende, also bis Mitte Januar 1945, Distrikt-Standortführer war.

MR. DODD: Ist Ihnen nicht auch das Goldene Ehrenzeichen der Hitler-Jugend verliehen worden?

VON BURGSDORF: Nein.

MR. DODD: Hatten Sie nicht irgend etwas mit Reinhard Heydrich zu tun, während Sie in Prag waren?

VON BURGSDORF: Ich bin bei Heydrich noch gewesen bis Mitte 1942. Dann bin ich, wie übrigens allgemein bekannt ist, wegen Heydrichs Kurs aus dem Protektorat weggegangen und als 55jähriger zur Armee.

MR. DODD: Was für ein Amt hatten Sie in Beziehung zu Heydrich?

VON BURGSDORF: Dasselbe wie unter Herrn von Neurath. Ich war Unterstaatssekretär.

MR. DODD: Ich möchte Sie folgendes fragen: Sie haben uns gesagt, daß Sie niemals von Maidanek, dem Konzentrationslager, gehört haben?

VON BURGSDORF: Ja.

MR. DODD: Und Sie haben niemals von Auschwitz gehört?

VON BURGSDORF: Von Auschwitz, ja.

MR. DODD: Haben Sie etwas von einer Einrichtung gehört, die man Lublin nannte?

VON BURGSDORF: Von Lublin? Nicht von dem Konzentrationslager, aber von der Stadt Lublin natürlich.

MR. DODD: Wußten Sie etwas über ein Konzentrationslager namens Lublin?

VON BURGSDORF: Nein.

MR. DODD: Sie wußten von vielen anderen Konzentrationslagern dem Namen nach, nehme ich an?

VON BURGSDORF: Nur von deutschen Lagern, ja, von Dachau und Buchenwald.

MR. DODD: Das ist alles.

VORSITZENDER: Haben Sie noch irgendwelche Fragen, Dr. Seidl?

DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.

VORSITZENDER: Wer ist Ihr nächster Zeuge?

DR. SEIDL: Der nächste Zeuge wäre die frühere Sekretärin des Generalgouverneurs, Fräulein Kraffczyk.

Wenn ich aber das Gericht gestern richtig verstanden habe, so soll heute um 16.30 Uhr die Sitzung zu Ende gehen?

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich bis Dienstag vormittag vertagen.