[Das Gericht vertagt sich
bis 23. April 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertzwölfter Tag.
Dienstag, 23. April 1946.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl!
DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter! Auf die Vernehmung des Zeugen Struve, des Leiters der Hauptabteilung Landwirtschaft und Ernährung in der Regierung des Generalgouvernements verzichte ich. Ich rufe nun mit Erlaubnis des Gerichts den Zeugen Dr. Joseph Bühler.
[Der Zeuge Dr. Bühler betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.
ZEUGE DR. JOSEPH BÜHLER: Joseph Bühler.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir bitte den folgenden Eid nach:
Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sage, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können Platz nehmen.
DR. SEIDL: Herr Zeuge! Seit wann kennen Sie den Angeklagten Dr. Hans Frank, und in welchen Stellungen waren Sie bei ihm tätig?
BÜHLER: Ich kenne Herrn Frank seit dem 1. Oktober 1930. Im staatlichen Dienstbereich war ich bei ihm tätig seit Ende März 1933. Ich habe ihm dienstlich gedient in seiner Eigenschaft als bayerischer Justizminister, später als Reichsjustizkommissar und später in seinem Ministeramt. Von Ende September 1939 ab hat mich Herr Frank im Generalgouvernement dienstlich verwendet.
DR. SEIDL: In welcher Eigenschaft waren Sie zuletzt in der Regierung des Generalgouvernements tätig?
BÜHLER: Ich war etwa seit der zweiten Hälfte des Jahres 1940 der Staatssekretär der Regierung des Generalgouvernements.
DR. SEIDL: Waren Sie selbst Mitglied der Partei?
BÜHLER: Ich bin Parteimitglied seit 1. April 1933.
DR. SEIDL: Haben Sie irgendeine Funktion in der Partei oder in einer der Gliederungen der Partei, insbesondere in der SA und SS, ausgeübt?
BÜHLER: Ich habe in der Partei nie ein Amt ausgeübt. Ich war nie Angehöriger der SA oder der SS.
DR. SEIDL: Ich komme nun zu der Zeit, in der Sie Staatssekretär des Chefs der Regierung des Generalgouvernements waren, und ich bitte, mir nun zu sagen, wie das Verhältnis zwischen dem Generalgouverneur auf der einen Seite und dem Höheren SS- und Polizeiführer auf der anderen Seite gewesen ist.
BÜHLER: Ich darf vielleicht kurz vorausschicken, daß mein Geschäftsbereich nicht die Polizei-, die Partei- und Militärangelegenheiten im Generalgouvernement berührte.
Das Verhältnis des Generalgouverneurs zu dem ihm vom Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei beigegebenen Höheren SS- und Polizeiführer, Obergruppenführer Krüger, war von Anfang an durch tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten belastet. Diese Meinungsverschiedenheiten erstreckten sich sowohl auf die Auffassung über die Aufgabe und Stellung der Polizei im allgemeinen in einem geordneten staatlichen Gemeinwesen wie im besonderen auf die Stellung und die Aufgaben der Polizei im Generalgouvernement. Der Generalgouverneur vertrat die Auffassung, daß die Polizei die Dienerin und das Organ der staatlichen Exekutive ist, daß demgemäß er und die staatlichen Dienststellen der Polizei die Befehle zu erteilen hätten und daß sich aus dieser Aufgabenstellung der Polizei zugleich auch die Beschränkung ihres Aufgabenbereiches ergäbe.
Der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger vertrat demgegenüber die Auffassung, daß die Polizei zwar im allgemeinen auch staatliche Exekutivaufgaben zu erfüllen habe, daß sie aber bereits bei der Erfüllung dieser Aufgabe an Weisungen der Verwaltungsbehörden nicht gebunden sei, sondern daß es sich hier um fachliche Polizeifragen handle, zu deren Entscheidung die Verwaltungsorgane nicht befähigt und nicht geeignet seien. Zur Befehlsgewalt über die Polizei vertrat Krüger die Auffassung, daß wegen der Schlagkraft und der Einheit des polizeilichen Wirkens in allen besetzten Gebieten eine solche Befehlsgebung nur zentral von Berlin aus geschehen könne, daß die Befehlsgebung im Generalgouvernement nur und ausschließlich über ihn laufen könne.
Wegen des Aufgabenbereichs der Polizei vertrat Krüger die Meinung, daß die Auffassung des Generalgouverneurs über die Begrenzung dieses Aufgabenbereichs schon dadurch illusorisch sei, weil er als Höherer SS- und Polizeiführer zugleich der Beauftragte des Reichsführers-SS in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums sei. Was das Verhältnis der Polizei in der Frage der Polenpolitik anging, so vertrat Krüger die Auffassung, daß auch bei der Arbeit im fremdvölkischen Raum polizeiliche Gesichtspunkte im Vordergrund des Wirkens zu stehen hätten, daß mit polizeilichen Mitteln alles erreicht und alles verhindert werden könnte. Diese Überbewertung des polizeilichen Sektors führte beispielsweise dazu, daß bei der späteren Auseinandersetzung über die gegenseitigen Aufgabengebiete zwischen Polizei und Verwaltung auf der Liste der Zuständigkeiten der Polizei die Angelegenheiten der Fremdvölkischen verzeichnet standen.
DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, daß bereits im Jahre 1939 von dem Reichsführer-SS Himmler ein interner Erlaß erging, wonach die Behandlung sämtlicher Polizeiangelegenheiten seine Sache, beziehungsweise seines Höheren SS- und Polizeiführers sei?
BÜHLER: Daß dies so war, konnte ich aus dem Handeln der Polizei schließen. Einen Erlaß nach dieser Richtung habe ich nicht gesehen. Ich kann aber hierzu folgendes sagen: Die Polizei hat im Generalgouvernement sich in ihrer Wirksamkeit genau den von mir vorausgehend geschilderten Richtlinien angepaßt.
DR. SEIDL: Im Jahre 1942 wurde durch einen Erlaß des Führers ein Staatssekretariat für das Sicherheitswesen eingerichtet. Auf wessen Betreiben wurde diese Institution geschaffen und welche Stellung hat der Generalgouverneur damals dazu eingenommen?
BÜHLER: Diesem Erlaß ging voraus eine wüste Hetze gegen die Person des Generalgouverneurs. Die Einrichtung des Staatssekretariats für das Sicherheitswesen wurde von der Polizei als Etappe, als wichtige Etappe, im Kampf zur Beseitigung des Generalgouverneurs betrachtet. Die in diesem Erlaß kodifizierten Angelegenheiten gingen nicht erst in diesem Augenblick auf die Polizei über oder größtenteils nicht erst in diesem Augenblick; der wirkliche Ablauf der Geschehnisse war bereits in der diesem Erlaß vorausgehenden Zeit diesem Erlaßinhalt angepaßt.
DR. SEIDL: In dem Erlaß, der zur Ausführung dieses Führererlasses ergangen ist, und zwar am 3. Juni 1942, wurden in zwei Listen die sämtlichen Aufgabengebiete der Polizei aufgeführt, die auf den Staatssekretär übergehen sollten, und zwar in einer Anlage »a« die Sachgebiete der Ordnungspolizei, in einer Anlage »b« die Sachgebiete der Sicherheitspolizei. Sind diese polizeilichen Angelegenheiten damals restlos auf den Staatssekretär und damit auf den polizeilichen Sektor überführt worden?
BÜHLER: Die Verwaltung hatte diese Angelegenheiten nicht gerne abgegeben; soweit die Polizei sich nicht bereits dieser Dinge bemächtigt hatte, sind sie nur zögernd abgegeben worden.
DR. SEIDL: Sie denken dabei in erster Linie an die Gebiete der sogenannten Verwaltungspolizei, Gesundheitspolizei und so weiter?
BÜHLER: Ja, also das polizeiliche Meldewesen oder auch die Gesundheitspolizei, die Lebensmittelpolizei und derartige Sachgebiete.
DR. SEIDL: Wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, dann wollen Sie also sagen, daß das gesamte Polizeiwesen, und zwar sowohl Sicherheitspolizei als auch Sicherheitsdienst und Ordnungspolizei, einheitlich von der Zentralstelle, und zwar entweder von Himmler selbst oder vom Reichssicherheitshauptamt über den Höheren SS- und Polizeiführer gelenkt wurden.
BÜHLER: So war im allgemeinen nach meinen Beobachtungen der Befehlsweg, daß die Sicherheitspolizei unmittelbar von Berlin die Weisungen erhielt, ohne daß sie über Krüger gelaufen sind, möglich.
DR. SEIDL: Nun eine andere Frage: Ist es richtig, daß die im Generalgouvernement durchgeführten Umsiedlungen von Reichsführer-SS Himmler in dessen Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums durchgeführt wurden?
BÜHLER: Umsiedlungen brachten nach Auffassung des Generalgouverneurs, auch wenn sie in anständiger Weise gemacht wurden, immer Unruhe in die Bevölkerung. Dies konnten wir im Generalgouvernement nicht brauchen. Auch war stets mit Umsiedlungen ein Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion verbunden. Aus diesen Gründen hat der Generalgouverneur und die Regierung des Generalgouvernements Umsiedlungen während des Krieges grundsätzlich nicht gemacht. Soweit Umsiedlungen durchgeführt wurden, wurden sie ausschließlich durch den Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums durchgeführt.
DR. SEIDL: Ist es richtig, daß der Generalgouverneur wegen dieser eigenmächtigen Umsiedlungspolitik wiederholt schwerste Auseinandersetzungen mit Himmler, mit Krüger und mit SS-Gruppenführer Globocnik hatte?
BÜHLER: Das ist richtig. Die Absicht, solche Umsiedlungen zu verhindern, hat stets zu Auseinandersetzungen und zu Reibungen mit dem Höheren SS- und Polizeiführer geführt.
DR. SEIDL: Dem Angeklagten Dr. Frank werden von der Anklage Eingriffe und Konfiskationen von Industrie- und Privatbesitz zur Last gelegt. Wie war grundsätzlich die Einstellung des Generalgouverneurs zu derartigen Fragen?
BÜHLER: Die gesetzlichen Vorschriften über dieses Rechtsgebiet stammen vom Beauftragten für den Vierjahresplan. Es war einheitlich für die eingegliederten Ostgebiete und für das Generalgouvernement das Gebiet der Beschlagnahme von Privatvermögen und von Eigentum geregelt worden. In dieser Verordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan war die Errichtung der Haupttreuhandstelle Ost mit dem zentralen Verwaltungssitz in Berlin vorgesehen. Der Generalgouverneur wollte nicht, daß die Angelegenheiten des Generalgouvernements in Berlin verwaltet werden und hat sich daher dagegen gewehrt, daß die Haupttreuhandstelle Ost die Vermögensverwaltungsangelegenheiten des Generalgouvernements besorgte. Er hat, ohne daran vom Beauftragten für den Vierjahresplan gehindert worden zu sein, eine eigene Beschlagnahmeordnung für das Generalgouvernement und die Einrichtung einer eigenen Treuhandstelle für das Generalgouvernement verfügt. Die Treuhandstelle wurde besetzt von einem erfahrenen höheren Beamten des sächsischen Wirtschaftsministeriums.
DR. SEIDL: Was ist mit den Industriewerken geschehen, die im Bereich des Generalgouvernements lagen und früher Eigentum des Polnischen Staates waren?
BÜHLER: Die Industriewerke, soweit sie für die Rüstung herangezogen wurden, wurden vom militärischen Sektor in Anspruch genommen, vom Rüstungsinspektor, der seinerseits dem OKW und später dem Reichsminister Speer unterstand. Soweit außerhalb des Rüstungssektors Industriewerke dem früheren... dem Polnischen Staate gehörten, hat diese der Generalgouverneur in eine Aktiengesellschaft zusammenzufassen versucht und sie getrennt als Eigentum des Generalgouvernements verwalten lassen. Hauptaktionär dieser Gesellschaft war der Fiskus des Generalgouvernements.
DR. SEIDL: Diese Werke wurden also vom Reichsfiskus vollkommen getrennt verwaltet?
BÜHLER: Jawohl.
DR. SEIDL: Die Anklagevertretung hat unter US-281 einen Auszug aus dem Tagebuch Franks als Beweisstück vorgelegt. Es ist das eine Besprechung über Judenfragen. Dabei hat der Angeklagte Dr. Frank unter anderem folgendes ausgeführt:
»Ich werde daher den Juden gegenüber grundsätzlich nur von der Erwartung ausgehen, daß sie verschwinden. Sie müssen weg. Ich habe Verhandlungen zu dem Zwecke angeknüpft, sie nach dem Osten abzuschieben. Im Januar findet über diese Frage eine große Besprechung in Berlin statt, zu der ich Herrn Staatssekretär Dr. Bühler entsenden werde. Diese Besprechung soll im Reichssicherheitshauptamt bei SS-Obergruppenführer Heydrich gehalten werden. Jedenfalls wird eine große jüdische Wanderung einsetzen.«
Ich frage Sie nun: Wurden Sie vom Generalgouverneur zu dieser Besprechung nach Berlin gesandt? Und was war gegebenenfalls der Gegenstand dieser Besprechung?
BÜHLER: Ich bin zu dieser Besprechung gesandt worden, und der Gegenstand dieser Besprechung waren Judenfragen. Ich darf vorausschicken, die Judenfragen im Generalgouvernement wurden von Anfang an als Bestandteil des Zuständigkeitsbereiches des Höheren SS- und Polizeiführers betrachtet und gehandhabt. Soweit die staatliche Verwaltung Judenangelegenheiten bearbeitete, tat sie das nur geduldet und beaufsichtigt von der Polizei.
Im Laufe des Jahres 1940 und 1941 waren unheimliche Menschenmassen, meist Juden, gegen den Einspruch und die Proteste des Generalgouverneurs und seiner Verwaltung in das Generalgouvernement hereingeführt worden. Dieses völlig unerwartete, unvorbereitete und unerwünschte Hereinführen der jüdischen Bevölkerung anderer Gebiete hat die Verwaltung des Generalgouvernements in eine außerordentlich schwierige Lage gebracht.
Die Unterbringung dieser Menschenmassen, ihre Ernährung und ihre gesundheitliche Betreuung, wie Seuchenbekämpfung, gingen beinahe, oder man darf ruhig sagen, bestimmt über die Kraft des Gebietes. Besonders bedrohlich war die Ausbreitung des Fleckfiebers, nicht nur in den Ghettos, sondern auch unter der polnischen Bevölkerung und auch unter den Deutschen des Generalgouvernements. Es schien, als wolle sich die Seuche auch im Reich und im Osten an der Front, vom Generalgouvernement ausgehend, verbreiten.
In dieser Situation kam diese Einladung Heydrichs an den Generalgouverneur. Die Besprechung sollte ursprünglich bereits im November 1941 stattfinden, wurde dann aber mehrmals abgesetzt und dürfte stattgefunden haben im Februar 1942.
Ich hatte Heydrich wegen der besonderen Probleme des Generalgouvernements um eine Einzelbesprechung gebeten und er hat mich hierzu empfangen. Hierbei habe ich ihm unter vielem anderen besonders die katastrophalen Verhältnisse geschildert, die infolge des eigenmächtigen Hereinführens jüdischer Bevölkerung in das Generalgouvernement entstanden waren. Er hat mir daraufhin erklärt, daß er gerade deshalb den Generalgouverneur zu dieser Besprechung eingeladen habe. Der Reichsführer-SS habe vom Führer den Auftrag erhalten, die gesamten Juden Europas zusammenzufassen und im Nordosten Europas, in Rußland, anzusiedeln. Ich fragte ihn, ob das bedeute, daß die weitere Hereinführung jüdischer Bevölkerung in das Generalgouvernement unterbleibe, und daß dem Generalgouvernement die vielen Hunderttausende von Juden, die ohne Erlaubnis des Generalgouverneurs hereingeführt worden waren, wieder abgenommen würden. Heydrich hat mir beides in Aussicht gestellt. Heydrich hat weiter erklärt, daß der Führer Befehl erteilt habe, die Protektoratstadt Theresienstadt als Reservat einzurichten, in welchem weiterhin alte und kranke Juden und schwächliche Juden, welche den Strapazen einer Umsiedlung nicht mehr gewachsen seien, unterzubringen seien. Aus dieser Mitteilung habe ich die bestimmte Überzeugung mitgenommen, daß die Umsiedlung der Juden, wenn auch nicht den Juden zuliebe, so um des Rufes und des Ansehens des deutschen Volkes willen, in humaner Weise vor sich gehen würde. Die Aussiedlung der Juden im Generalgouvernement wurde in der Folgezeit ausschließlich durch die Polizei durchgeführt.
Ich darf noch ergänzen: Heydrich hat besonders verlangt die ausschließliche und ungestörte Zuständigkeit und Federführung in dieser Angelegenheit für sich, seinen Geschäftsbereich und seine Organe.
DR. SEIDL: Welche Konzentrationslager waren Ihnen während Ihrer Tätigkeit als Staatssekretär, als im Generalgouvernement liegend, bekannt?
BÜHLER: Ich wurde erstmals durch die Presseveröffentlichungen im Sommer 1944 auf das Konzentrationslager Maidanek aufmerksam. Ich wußte nicht, daß dieses Lager vor Lublin ein Konzentrationslager war. Es war eingerichtet worden als Wirtschaftsbetrieb des Reichsführers-SS, im Jahre 1941 wohl. Damals kam der Gouverneur Zörner zu mir und erzählte mir, daß er bei Globocnik Einspruch eingelegt habe gegen die Errichtung dieses Lagers, weil es die Energieversorgung der Stadt Lublin gefährde und auch in seuchenpolizeilicher Hinsicht Bedenken begegne.
Ich habe dem Generalgouverneur Mitteilung gemacht, und dieser hat Globocnik zu sich kommen lassen. Globocnik hat dem Generalgouverneur erklärt, daß er in diesem Gelände Fertigungswerkstätten für den Frontbedarf der Waffen-SS eingerichtet habe. Er sprach von Pelzfertigungswerkstätten, aber auch von einem Bauhof, der dort sich befände.
In diesen Pelzfertigungswerkstätten wurden dann auch, wie ich hörte, die aus der Pelzsammlung stammenden Pelzsachen für den Frontbedarf umgearbeitet. Globocnik hat erklärt, daß er diese Betriebe somit auf Befehl und Weisung Himmlers eingerichtet habe.
Der Generalgouverneur hat ihm den Weiterbau verboten, bis die baupolizeilichen Angelegenheiten restlos geklärt seien, bis die Baupläne den staatlichen Behörden vorgelegen hätten und bis eben alle sonstigen Erfordernisse, wie sie beim Bauen zu erfüllen sind, erfüllt gewesen wäre. Globocnik hat solche Pläne nie vorgelegt. Über das, was im Lager vor sich ging, drang irgendeine konkrete Nachricht nicht nach außen, und es hat den Generalgouverneur ebenso wie mich überrascht, als in der Weltpresse die Nachrichten über Maidanek erschienen.
DR. SEIDL: Herr Zeuge! Die Anklagevertretung hat ein Dokument vorgelegt, 437-PS, US-610. Es ist das ein Memorandum des Generalgouverneurs an den Führer vom 19. Juni 1943. Ich glaube, daß der Entwurf zu diesem Memorandum von Ihnen selbst stammt. Hier wird nun auf Seite 35 ein Bericht des Befehlshabers der Sicherheitspolizei erwähnt und zum Teil wörtlich zitiert. Und in diesem Bericht der Sicherheitspolizei wird auch der Name Maidanek erwähnt.
Wußten Sie damals, daß dieses Maidanek identisch oder wahrscheinlich identisch war mit dem Lager bei Lublin?
BÜHLER: Nein. Ich habe angenommen, daß es wie Auschwitz außerhalb des Gebiets des Generalgouvernements irgendein Lager ist, denn der Generalgouverneur hatte wiederholt auch der Polizei gegenüber und dem Höheren SS- und Polizeiführer gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß er Konzentrationslager im Generalgouvernement nicht wünsche.
DR. SEIDL: Wem unterstand die Verwaltung der Konzentrationslager im Generalgouvernement?
BÜHLER: Ich weiß es nicht, weil ich vom Bestehen dieser Lager nichts wußte. Über die Verwaltung der Konzentrationslager im allgemeinen habe ich im August anläßlich meines Besuches des Auffanglagers Pruszkow gehört. Ich habe damals eine Weisung Himmlers dem Lagerkommandanten überbracht, wonach die Verfrachtung der Warschauer Bewohner, die aus der Stadt herausgekommen waren, in Konzentrationslager sofort aufhören solle.
DR. SEIDL: Das war nach dem Warschauer Aufstand?
BÜHLER: Das war während des Warschauer Aufstandes, es wird so um den 18. oder 19. August 1944 herum gewesen sein. Der Lagerkommandant, dessen Namen ich nicht mehr weiß, hat mir damals gesagt, daß er den Befehl nicht kenne, und daß ihm lediglich vom Chef der Konzentrationslager Weisungen erteilt werden könnten.
DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, ob der Generalgouverneur selbst jemals einen Polen, einen Ukrainer oder einen Juden in ein Konzentrationslager hatte einweisen lassen?
BÜHLER: In meiner Anwesenheit ist so etwas nicht geschehen.
DR. SEIDL: Ist es richtig, daß auf der Burg in Krakau eine größere Anzahl jüdischer Handwerker beschäftigt waren, die gegen den Willen des Generalgouverneurs und in seiner Abwesenheit von der Sicherheitspolizei weggeschafft wurden?
BÜHLER: Diese jüdische Arbeiterkolonne kenne ich, weil ich auf der Burg gewohnt habe. Ich weiß auch, daß der Generalgouverneur für die Beibehaltung dieser Kolonne stets gesorgt hat; mir hat der Chef der Kanzlei des Generalgouvernements, der Ministerialrat Keit, erzählt, daß diese Judenkolonne während einer Abwesenheit des Generalgouverneurs von der Polizei gewaltsam abgeholt worden sei.
DR. SEIDL: Ich komme nun zu der sogenannten AB- Aktion, also zu der außerordentlichen Befriedungsaktion. Was waren die Umstände, die zu dieser Aktion den Anlaß gegeben haben?
BÜHLER: Es mag um die Mitte des Mai 1940 gewesen sein, als ich eines Morgens vom Regierungsgebäude, wo ich meine Dienstgeschäfte verrichtete, zur Burg zum Generalgouverneur befohlen wurde. Ich glaube mich zu erinnern, daß mit mir noch der Reichsminister Seyß-Inquart gerufen wurde. Dort trafen wir den Generalgouverneur zusammen mit einigen Herren der Polizei an. Der Generalgouverneur erklärte, daß nach Ansicht der Polizei eine außerordentliche Befriedungsaktion erforderlich sei. Die Sicherheitslage war damals nach meiner Erinnerung so, daß noch Reste der polnischen Wehrmacht sich in abgelegenen Waldgebieten umhertrieben, die Bevölkerung beunruhigten und auch wohl junge Polen militärisch ausbildeten. Zu dieser Zeit, Mai 1940, hatte sich das polnische Volk auch von dem Schock, den die plötzliche Niederlage im Jahre 1939 ausgelöst hatte, erholt und begann offensichtlich auch mit wenig Vorsicht und ohne Erfahrung allenthalben eine Widerstandsbewegung aufzubauen. Dieses Bild habe ich in Erinnerung aus Ausführungen, die die Polizei, ich weiß nicht, ob bei dieser Gelegenheit oder bei einer anderen, machte.
DR. SEIDL: Ich darf Sie vielleicht unterbrechen und nun aus dem Tagebuch Franks einen Eintrag vom 16. Mai 1940 zitieren. Hier heißt es wörtlich:
»Die allgemeine Kriegslage zwinge uns zu ernster Betrachtung der inneren Sicherheitssituation im Generalgouvernement. Aus einer Fülle von Anzeichen und Handlungen könne man den Schluß ziehen, daß eine groß organisierte Widerstandswelle der Polen im Lande vorhanden sei und man unmittelbar vor dem Ausbruch größerer gewaltsamer Ereignisse stehe. Tausende von Polen seien bereits in Geheimzirkeln zusammengefaßt, bewaffnet und würden in der aufrührerischsten Form veranlaßt, Gewalttätigkeiten aller Art zu verüben.«
Der Herr Generalgouverneur zitierte dann einige Beispiele aus der jüngsten Zeit, so etwa den bürgerkriegähnlichen Aufstand einiger Dörfer unter Führung des Majors Huballa im Distrikt Radom, die Ermordung Volksdeutscher Familien in Josefow, die Ermordung des Bürgermeisters von Grasienca und so weiter.
»Allüberall werden aufrührerische illegale Flugblätter verteilt, zum Teil sogar angeschlagen, und es kann daher kein Zweifel bestehen, daß die Sicherheitslage außerordentlich ernst ist.«
Hat sich der Generalgouverneur damals so ausgedrückt?
BÜHLER: Als ich an dieser Sitzung teilnahm, hat der Generalgouverneur längere Zeit über die Lage gesprochen. Einzelheiten sind mir nicht mehr in Erinnerung.
DR. SEIDL: Und was ist dann geschehen?
BÜHLER: Ich hatte nur einen Eindruck; es war dem Generalgouverneur in den vorausgehenden Monaten mit großer Mühe gelungen, der Polizei eine Standgerichtsordnung und ein Verfahren aufzudrängen, das sie bei Verhaftungen und bei der Behandlung verdächtiger Personen zu beachten hatte. Von Polizeiseite mußte ferner hingenommen werden, daß der Generalgouverneur die Standgerichtsurteile einer Gnadenkommission zuwies und Vollstreckung von Urteilen erst stattfinden konnte nach Bestätigung durch den Generalgouverneur. Die Ausführungen des Generalgouverneurs bei dieser Besprechung Mitte Mai 1940 ließen in mir die Besorgnis aufstehen, daß die Polizei in diesen Ausführungen eventuell die Möglichkeit sehen könnte, sich von diesen Auflagen der Standgerichtsordnung und des Gnadenverfahrens zu drücken. Aus diesem Grunde habe ich mich, nachdem der Generalgouverneur seine Ausführungen zunächst beendet hat, bei ihm zum Wort gemeldet. Der Generalgouverneur hat diese Wortmeldung zunächst abgeschnitten und hat erklärt, er wolle noch schnell etwas dem Protokollführer diktieren, was dieser sofort einer Stenotypistin in die Maschine diktieren solle und dann in Reinschrift herbringen soll. Der Generalgouverneur hat darauf eine Ermächtigung oder einen Auftrag oder irgendein ähnliches Schriftstück dem Protokollführer diktiert, und ich erinnere mich 100prozentig sicher, daß nach diesem Diktat der Protokollführer und, ich nehme bestimmt an, der Brigadeführer Streckenbach, der Befehlshaber der Ordnungspolizei, das Sitzungszimmer verlassen haben. Ich schicke dies voraus, weil daraus erklärlich ist, daß das, was sich darnach abgespielt hat, sich nicht mehr im Protokoll befindet. Der Protokollführer war nicht mehr im Zimmer anwesend. Ich habe also meiner Besorgnis Ausdruck verliehen, es möchten diese Erfordernisse, die im Standgerichtsverfahren aufgestellt waren, unter allen Umständen eingehalten werden. Ich nehme hierwegen kein besonderes Verdienst für mich in Anspruch; denn hätte ich es nicht getan, dann hätte diesen Einwand, bin ich überzeugt, der Reichsminister Seyß-Inquart gebracht, oder der Generalgouverneur hätte selbst die Gefahr gesehen, die vielleicht seine Ausführungen für dieses Arbeitsgebiet gehabt hätten. Jedenfalls hat der Generalgouverneur auf meinen Einwand hin ohne jede Debatte sofort erklärt, daß selbstverständlich Verhaftungen und Erschießungen nur nach Maßgabe der Standgerichtsordnung erfolgen konnten und daß die Urteile des Standgerichtes durch die Gnadenkommission zu überprüfen seien.
In der Folgezeit ist hiernach auch gehandelt worden. Die Gnadenkommission hat, ich nehme bestimmt an, sämtliche Urteile aus dieser Aktion vorgelegt erhalten und bearbeitet.
DR. SEIDL: Aus einer anderen Eintragung im Tagebuch, und zwar vom 12. 7. 1940, muß man den Schluß ziehen, daß zunächst die in Frage kommenden Führer der Widerstandsbewegung nur verhaftet wurden. Ich zitiere wörtlich, es war eine Äußerung des Generalgouverneurs:
»Über die Frage, was mit den im Rahmen der AB-Aktion erfaßten politischen Verbrechern zu geschehen habe, soll demnächst eine Besprechung mit Staatssekretär Dr. Bühler, Obergruppenführer Krüger, Brigadeführer Streckenbach und Ministerialrat Wille stattfinden.«
Wer war Ministerialrat Wille, frage ich Sie, und welche Aufgabe hatte er in diesem Zusammenhang?
BÜHLER: Ich darf folgendes vorausschicken: Ich habe eine Gedächtnislücke, die mich nicht bestimmt sagen läßt, wann der Generalgouverneur dem Brigadeführer Streckenbach mitgeteilt hat, daß er auf alle Fälle standgerichtliche Verfahren und die Gnadenkommission zu beachten hätte. Dagegen glaube ich, mich bestimmt daran zu erinnern, daß zu der Zeit, zu welcher diese Besprechung zwischen Krüger, Streckenbach, Wille und mir stattgefunden hat, nur Verhaftungen vorgekommen waren und noch keine Exekutionen. Ministerialrat Wille war der Leiter der Hauptabteilung Justiz in der Regierung und hatte die federführende Bearbeitung aller Gnadenangelegenheiten. Der Generalgouverneur wollte, daß diese Angelegenheiten durch einen rechtskundigen erfahrenen Mann bearbeitet wurden.
In dieser Besprechung mit Krüger, Streckenbach und Wille war festgelegt worden, daß die bis dorthin Verhafteten dem standgerichtlichen Verfahren zugeführt und die Urteile durch die Gnadenkommission bearbeitet werden sollten. Die Polizei war nicht begeistert davon. Ich erinnere mich, daß Krüger mir unter vier Augen nach der Besprechung sagte, der Generalgouverneur sei ein Hampelmann, mit dem man nicht arbeiten könne. Er werde künftig seine eigenen Wege gehen.
VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl! Der Gerichtshof meint, daß das zu weit in Einzelheiten geht.
DR. SEIDL: Ja, ich komme jetzt zum Ende meiner Fragen.
Herr Zeuge, in einer Polizeisitzung aus dem Jahre 1940, und zwar am 30. Mai, wurde von dem Angeklagten Dr. Frank unter anderem folgendes erwähnt:
»Was wir mit den Krakauer Professoren an Scherereien hatten, war furchtbar. Hätten wir die Sache von hier aus gemacht, wäre sie anders verlaufen.«
Von wem wurden diese Professoren verhaftet und wie weit war der Generalgouverneur mit der Angelegenheit befaßt?
BÜHLER: Als der Generalgouverneur am 7. oder 8. November 1939 in Krakau eintraf, um dort seine Tätigkeit aufzunehmen, waren ohne sein Wissen sämtliche Professoren der Universität Krakau von der Sicherheitspolizei verhaftet und in Konzentrationslager des Reiches abtransportiert worden. Darunter befanden sich auch Bekannte des Generalgouverneurs, mit denen er kurz vorher noch im Rahmen der Akademie für Deutsches Recht wissenschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen unterhalten hatte. Der Generalgouverneur hat den Obergruppenführer Krüger hartnäckig und ununterbrochen bearbeitet, bis er erreicht hatte, daß der größte Teil dieser Professoren wieder aus den Konzentrationslagern freigelassen wurde. Diese seine Äußerung, die dem widerspricht, ist nach meiner Ansicht zu dem Zwecke abgegeben, um auf die Wunde der Polizei ein Pflästerchen aufzulegen, denn sie hatte diese Professoren nicht gern herausgegeben.
DR. SEIDL: Wie war die grundsätzliche Einstellung des Generalgouverneurs in der Erfassung der Arbeitskräfte?
BÜHLER: Der Generalgouverneur und die Regierung des Generalgouvernements waren bestrebt, möglichst viele polnische Arbeiter für das Reich zu vermitteln. Es war uns aber klar, daß durch eine gewaltsame Erfassung von Arbeitern zwar augenblickliche Vorteile geschaffen werden konnten, daß aber dadurch eine Werbung von Arbeitskräften auf lange Zeit hin nicht mehr viel Erfolg brachte. Der Generalgouverneur hat mir daher die Weisung gegeben, durch eine umfangreiche und intensive Propaganda Stimmung für den Arbeitseinsatz im Reich zu machen und allen gewaltsamen Methoden der Werbung von Arbeitskräften entgegenzutreten. Auf der anderen Seite hat der Generalgouverneur seine Werbung von Arbeitskräften für das Reich dadurch erfolgreich gestalten wollen, daß er im Reich für eine anständige Behandlung der polnischen Arbeitskräfte eingetreten ist. Es ist jahrelang mit dem Reichskommissar für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel, verhandelt worden, und es sind auch Verbesserungen erzielt worden. Insbesondere hat sich der Generalgouverneur auch gegen die Kennzeichnung der Juden... der Polen im Reich gewendet. Ich erinnere mich eines Briefes des Reichskommissars Sauckel, in dem dieser dem Generalgouverneur mitteilt, daß er alle Anstrengungen gemacht hat, um eine gleiche Behandlung der polnischen Arbeiter mit den übrigen ausländischen Arbeitern zu erzielen, daß aber seine Bemühungen dort von Erfolg nicht mehr gekrönt waren, wo der Einfluß des Reichsführers-SS diesen Bemühungen entgegenstand.
DR. SEIDL: Ich komme nun zu einem anderen Punkt.
Die Anklage hat unter der Nummer US-275, 1061-PS, den Bericht des Brigadeführers Stroop über die Vernichtung des Warschauer Ghettos vorgelegt.
Sind Sie oder ist der Generalgouverneur vorher über die von der Sicherheitspolizei geplanten Maßnahmen in Kenntnis gesetzt worden?
BÜHLER: Ich bestimmt nicht. Vom Generalgouverneur kann ich sagen, daß mir nicht bekannt ist, daß er von irgendwelchen Plänen gehört hat.
DR. SEIDL: Was ist Ihnen nachher über die Geschehnisse und Ereignisse im Jahre 1943 über das Warschauer Ghetto bekanntgeworden?
BÜHLER: Ich habe erfahren, was so ziemlich jeder erfahren hat, daß ein Aufstand im Ghetto ausgebrochen sei, der von langer Hand vorbereitet war; daß die Juden das Baumaterial, das ihnen für Luftschutzzwecke in das Ghetto geliefert wurde, zur Einrichtung von Befestigungsanlagen benutzt hätten, und daß während des Aufstandes den deutschen Kräften heftiger Widerstand geleistet wurde.
DR. SEIDL: Ich komme nun zu dem Warschauer Aufstand im Jahre 1944. Inwieweit war die Verwaltung des Generalgouvernements an dessen Niederschlagung beteiligt?
BÜHLER: Da unsere Kameraden in Warschau von den Aufständischen eingeschlossen waren, haben wir den Generalgouverneur gebeten, er möge beim Führer eine Hilfe für die schnelle Niederschlagung des Warschauer Aufstandes anfordern. Im übrigen war die Verwaltung bei der fürsorgerischen Betreuung der Bevölkerung, bei den Räumungsarbeiten aus dem Kampfgebiet, aus den Vierteln, die zerstört werden sollten, hilfsweise tätig. Irgendeine Kommandogewalt dort hat die Verwaltung nicht ausgeübt.
DR. SEIDL: Sie haben am 4. November 1945 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Diese eidesstattliche Versicherung trägt die Nummer 2476-PS. Ich lese Ihnen nun diese eidesstattliche Versicherung, die sehr kurz ist, vor und bitte Sie, mir dann zu sagen, ob der Inhalt richtig ist.
Ich zitiere:
»Im Zuge der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes vom August 1944 wurden etwa 50-60000 Bewohner Warschaus (polnische Schätzung), in deutsche Konzentrationslager abtransportiert. Auf Grund einer Demarche des Generalgouverneurs Dr. Frank beim Reichsführer-SS Himmler hat dieser weitere Deportationen verboten. Der Generalgouverneur hat versucht, die bis zur Einstellung der Deportationen in Konzentrationslager des Reiches eingelieferten 50000 bis 60000 Warschauer wieder freizubekommen. Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Obergruppenführer Kaltenbrunner, hat dieses schriftliche und von mir bei einem persönlichen Besuch in Berlin im September oder Oktober 1944 auch mündlich vertretene Ersuchen mit der Begründung abgelehnt, daß diese Warschauer Bevölkerung in geheimen Rüstungsfertigungen des Reiches eingesetzt seien und daß daher eine generelle Entlassung nicht in Frage kommen könne. Einzelanträge wolle er wohlwollend prüfen. Kaltenbrunner hat Einzelanträgen auf Entlassung aus dem Konzentrationslager in der Folgezeit entsprochen.
Kaltenbrunner hat im Gegensatz zu der polnischen Schätzung die Zahl der in Konzentrationslager des Reiches abtransportierten Warschauer als geringfügig bezeichnet. Ich habe meiner zuständigen Dienststelle die Äußerung Kaltenbrunners über die Zahl der Inhaftierten zugänglich gemacht, und nach erneuter Nachforschung habe ich die oben erwähnte Zahl von 50000 bis 60000 bestätigt erhalten. Dies waren die Leute, die nach Deutschland in Konzentrationslager geschafft worden waren.«
Ich frage Sie nun:
Ist der Inhalt dieser eidesstattlichen Versicherung, die vor einem amerikanischen Offizier abgegeben wurde, richtig?
BÜHLER: Ich kann noch einiges ergänzen.
VORSITZENDER: Ehe noch etwas ergänzt wird: Ist es ein Beweisstück? Ist es vorgelegt worden?
DR. SEIDL: Es hat die Nummer 2476-PS.
VORSITZENDER: Das beweist aber nicht, daß es als Beweismaterial vorgelegt worden ist. Ist es vorgelegt worden? Herr Dr. Seidl! Sie wissen doch sehr wohl, was »vorgelegt« heißt. Wurde es vorgelegt? Hat es eine US-Beweisstück-Nummer?
DR. SEIDL: Nein, eine US-Exhibit-Nummer hat es nicht.
VORSITZENDER: Wollen Sie es dann als Beweismaterial vorlegen?
DR. SEIDL: Ich will es nicht förmlich als Beweismaterial vorlegen, aber ich will den Zeugen über den Inhalt dieser eidesstattlichen Versicherung fragen.
VORSITZENDER: Aber es ist ein Dokument, und wenn Sie es dem Zeugen vorlesen, müssen Sie es als Beweismittel einführen und ihm eine Beweisstück-Nummer geben. Sie können dem Zeugen keine Dokumente vorlegen und sie nicht als Beweismittel vorlegen.
DR. SEIDL: Ich lege dann dieses Dokument als Beweisstück Frank Nr. 1 vor.
Ich frage Sie nun, Herr Zeuge, ob der Inhalt dieser eidesstattlichen Versicherung richtig ist, und ob Sie diese eidesstattliche Versicherung gegebenenfalls noch zu ergänzen haben?
BÜHLER: Ich möchte sie kurz ergänzen:
Es ist möglich, daß ich zweimal bei Kaltenbrunner war wegen dieser Frage, nicht nur einmal; ich hatte, nachdem Kaltenbrunner auch das zweitemal eine Entlassung abgelehnt hatte, auf Grund meiner Erfahrungen, die ich im Lager Pruszkow mit dem Lagerkommandanten machte, den Eindruck, als liege es nicht im Machtbereich Kaltenbrunners, diese Entlassung zu verfügen. Er hat zu mir hierüber nicht gesprochen.
DR. SEIDL: Aber aus seinen Äußerungen haben Sie den Eindruck gewonnen, daß er vielleicht auch selbst nicht die Macht hatte, die Leute zu entlassen?
BÜHLER: Ich hatte bei diesen Besprechungen auch Fragen der Polenpolitik angeschnitten, und ich hatte auf Grund dieser Besprechungen den Eindruck, als könnte ich Kaltenbrunner für eine vernünftige Polenpolitik und als Bundesgenossen bei Himmler gewinnen. Er hat jedenfalls die Gewaltmethoden, die Krüger angewendet hat, im Gespräch mit mir verurteilt. Aus diesen Äußerungen entnahm ich, daß Kaltenbrunner keine Gewaltmethoden gegenüber den Polen angewandt wissen wollte, und daß er mir geholfen hätte, wenn er gekonnt hätte.
DR. SEIDL: Die Sowjetische Anklagevertretung hat ein Beweisstück vorgelegt, das die Nummer USSR- 128 trägt. Es ist das ein Fernschreiben der Nachrichtenstelle des Höheren SS- und Polizeiführers Ost an den Generalgouverneur, und zwar unterzeichnet vor Dr. Fischer, dem damaligen Gouverneur von Warschau.
Hier heißt es unter Ziffer 2) wie folgt:
»Obergruppenführer von dem Bach hat den neuen Auftrag erhalten, Warschau zu pazifizieren, das heißt, Warschau noch während des Krieges dem Erdboden gleichzumachen, soweit nicht militärische Belange des Festungsbaues entgegenstehen. Vor dem Abreißen sollen aus Warschau alle Rohstoffe, alle Textilien und alle Möbel geräumt werden. Die Hauptaufgabe fällt der Zivilverwaltung zu.
Ich gebe hiervon Kenntnis, da dieser neue Führerbefehl über die Niederlegung Warschaus für die weitere neue Polenpolitik von größter Bedeutung ist.«
Wie hat nach Ihrer Erinnerung der Generalgouverneur diese Fernschreiben aufgefaßt und aufgenommen, und inwieweit hat sich durch dieses Fernschreiben in der grundsätzlichen Einstellung etwa geändert?
BÜHLER: Dieses Fernschreiben betraf Weisungen, die der Obergruppenführer von dem Bach von dem Reichsführer-SS bekommen hatte. Die Verwaltung des Generalgouvernements hat die Zerstörung Warschaus nicht begrüßt, sondern ich erinnere mich, daß mit der Generalgouverneur zusammen besprochen wurde, welche Wege noch gegangen werden könnten, um eine Zerstörung Warschaus hintanzuhalten. Welche praktischen Wege dann eingeschlagen wurden, weiß ich nicht mehr. Es mag sein, daß weitere Schritte wegen der Aussichtslosigkeit solcher Schritte unterblieben sind.
DR. SEIDL: Ich komme nun zu einem anderen Gegenstand...
VORSITZENDER: Wir wollen uns jetzt für zehn Minuten vertagen.