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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Wollen Sie jetzt Ihren Zeugen rufen, Herr Dr. Pannenbecker?

DR. PANNENBECKER: Ja, Herr Vorsitzender, ich bitte darum. Ich bitte nunmehr den Zeugen Gisevius rufen zu dürfen. Er ist der einzige Zeuge im Rahmen des Beweisverfahrens für Frick. Und ich habe gerade deshalb den Zeugen Gisevius ausgewählt für die Klärung der polizeilichen Machtverhältnisse in Deutschland, weil er von Anfang an auf der Seite der Opposition gestanden hat und weil durch ihn meines Erachtens am besten ein Bild der damaligen polizeilichen Machtverhältnisse gewonnen werden kann.

[Der Zeuge Gisevius betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE HANS BERND GISEVIUS: Hans Bernd Gisevius.

VORSITZENDER: Wiederholen Sie bitte folgenden Eid:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

Sie können sich setzen.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Sind Sie ein Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen?

GISEVIUS: Nein.

DR. PANNENBECKER: Ist es richtig, daß Sie persönlich zu den Beteiligten der Ereignisse des 20. Juli 1944 gehört haben und damals auch im OKW zugegen gewesen sind?

GISEVIUS: Jawohl.

DR. PANNENBECKER: Wie sind Sie in den Polizeidienst gekommen?

GISEVIUS: Im Juli 1933 machte ich mein juristisches Staatsexamen. Als Sproß einer alten Beamtenfamilie meldete ich mich zum Staatsdienst in der preußischen Verwaltung. Ich gehörte damals der Deutschnationalen Volkspartei an und dem »Stahlhelm« und galt nach den damaligen Begriffen als politisch zuverlässig. So wurde ich als erste Station in meiner Ausbildung als Beamter der Politischen Polizei zugewiesen, das bedeutete meinen Eintritt in die damals gerade neu gegründete Geheime Staatspolizei. Ich war damals sehr glücklich, ausgerechnet zum Polizeidienst überwiesen zu werden. Schon damals hatte ich gehört, daß allerhand Abscheulichkeiten sich in Deutschland abspielten. Ich war geneigt zu glauben, es handle sich um letzte Ausläufer jener bürgerkriegsähnlichen Situationen, die wir von Ende 1932 und Anfang 1933 her kannten. So hoffte ich, meinen Tribut dabei leisten zu können, daß nun wieder eine ordentliche Staatsgewalt für Recht, Anstand und Ordnung sorgte. Aber diese Freude sollte von sehr kurzer Dauer sein.

Ich war noch nicht zwei Tage in dieser neuen Polizeibehörde, da hatte ich bereits entdeckt, daß dort ungeheuerliche Zustände herrschten. Da war keine Polizei, die gegen Ausschreitungen, gegen Mord, Freiheitsberaubung und Raub eintrat. Dort war eine Polizei, die diejenigen schützte, die sich solcher Exzesse schuldig machten. Verhaftet wurden nicht diejenigen, die sich dieser Schandtaten schuldig machten, verhaftet wurden diejenigen, die ihre Hilferufe zur Polizei sandten. Es war keine Polizei, die einschritt, sondern eine Polizei, deren Aufgabe es zu sein schien, zu vertuschen, noch mehr Verbrechen direkt zu fördern; denn jene SA- und SS-Kommandos, die privat Polizei spielten, wurden von dieser sogenannten Geheimen Staatspolizei ermuntert, und es wurde ihnen alle erdenkliche Hilfestellung gegeben. Am erschreckendsten und auch für einen Neuling am sichtbarsten war es, wie ein System der Freiheitsberaubung einriß, das schlimmer und furchtbarer nicht gedacht werden konnte.

Die Räume der neuen Staatspolizei, ein Riesengebäude, reichten nicht aus, um die Gefangenen zu bergen. Es wurde ein Sonderkonzentrationslager für die Geheime Staatspolizei eingerichtet, und die Namen bleiben als Schandfleck in der Geschichte bestehen. Es war Oranienburg und das Privatgefängnis der Gestapo in der Papestraße, das Columbiahaus, oder wie es zynisch genannt wurde, die »Columbia-Diele«.

Ich möchte kein Mißverständnis aufkommenlassen; im Verhältnis zu dem, was wir alle später erlebt haben, war das gewiß nur anfängerhaft, aber so fing es an, und ich kann nur meinen persönlichen Eindruck vielleicht in einer kurzen Erinnerung wiedergeben. Bereits nach zwei Tagen fragte ich einen meiner Kollegen, es war auch ein Berufsbeamter, er war von der alten Politischen Polizei in die neue übernommen worden. Er gehörte zu den Beamten, die geradezu verurteilt waren, dieser Behörde anzugehören, und so fragte ich ihn: »Sagen Sie einmal, bin ich hier in einer Polizeibehörde oder in einer Räuberhöhle?« Ich erhielt die Antwort: »Sie sind in einer Räuberhöhle, und machen Sie sich gefaßt, Sie werden noch viel mehr erleben.«

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Wem unterstand damals die Politische Polizei, und wer war Ihr unmittelbarer Chef?

GISEVIUS: Die Politische Polizei unterstand einem gewissen Rudolf Diels. Auch er kam von der alten preußischen Politischen Polizei her. Er war ein gelernter Berufsbeamter. Man hätte denken sollen, er kannte noch die Begriffe von Recht und Anstand, aber brutal, zynisch, zum letzten entschlossen, war er gewillt, seine frühere politische Vergangenheit als Demokrat vor den neuen Machthabern vergessen zu machen und sich bei seinem weiteren Chef, dem preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister Göring, einzukaufen. Diels war es, der dieses Geheime Staatspolizeiamt erfand. Er inspirierte Göring zu dem ersten Erlaß, diese Behörde zu verselbständigen. Diels war es, der die SA und SS in diese Behörde hineinließ. Er legitimierte die Aktionen dieser Zivilkommandos. Aber bald war mir klar, so viel Unrecht konnte ein solcher bürgerlicher Renegat für sich allein nicht begehen. Er mußte einen sehr gewichtigen Hintermann haben, und sehr schnell sah ich auch, daß einer sich tagtäglich um alles bekümmerte, was in dieser Behörde geschah. Es wurden Berichte geschrieben. Es kamen telephonische Anfragen. Diels ging mehrfach am Tag zum Vortrag, und es war der preußische Innenminister Göring, der sich diese Geheime Staatspolizei als sein besonderes Reservat vorbehalten hatte. Nichts geschah in diesen Monaten in dieser Behörde, was Göring nicht persönlich wußte oder anordnete. Ich lege Wert auf diese Feststellung, weil mit den Jahren in der Öffentlichkeit sich ein anderes Bild von Göring herausgestellt hat, weil er sich zusehends von seinen Amtsgeschäften zurückzog. Damals war es noch nicht jener Göring, der zuletzt in seinem Karinhaller Marasmus erstickte. Damals war es der Göring, der persönlich sich um alles kümmerte, der auch noch nicht sich damit beschäftigte, Karinhall zu bauen oder allerhand Uniformen und Orden umzuhängen. Es war noch der Göring in Zivil, der wirklich Chef einer Behörde war und sie inspirierte und Wert darauf legte, der »eiserne« Göring zu sein.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ich glaube, daß Sie einige Dinge etwas knapper fassen können. Das was Sie nun eben sagten, wissen Sie das aus eigener Erfahrung, oder woher haben Sie das entnommen?

GISEVIUS: Ich habe es nicht nur aus eigener Erfahrung gehört und gesehen, sondern ich habe auch sehr viel gehört von einem Manne, der damals ebenfalls in der Geheimen Staatspolizei war und dessen Bekundungen im weiteren Verlauf meiner Aussage eine große Rolle spielen werden. Damals war in die Geheime Staatspolizei ein Kriminalist berufen worden, vielleicht der bekannteste Kriminalist der preußischen Polizei, ein gewisser Oberregierungsrat Nebe. Nebe war Nationalsozialist. Er hatte in Opposition zu der früheren preußischen Polizei gestanden und sich der Nationalsozialistischen Partei angeschlossen. Er war ein Mann, der ehrlich an die Sauberkeit und die Reinheit der nationalsozialistischen Ziele glaubte. So kam es, daß ich miterlebte, wie dieser Mann nun an Ort und Stelle sah, was gespielt wurde, und einen inneren Umschwung erlebte. Ich kann auch hier sagen, weil es wichtig ist, aus welchen Gründen Nebe zu einem scharfen Opponenten wurde, der dann den Weg der Opposition bis zum 20. Juli gegangen ist und später am Galgen den Tod erleiden mußte.

Nebe erhielt damals im August 1933 von dem Angeklagten Göring den Auftrag, das frühere führende Mitglied der Nationalsozialistischen Partei, Gregor Strasser, durch einen Autounfall oder Jagdunfall zu ermorden. Dieser Auftrag erschütterte Nebe so sehr, daß er sich weigerte, ihn auszuführen und eine Rückfrage in der Reichskanzlei hielt. Aus der Reichskanzlei kam die Antwort, daß dem Führer dieser Auftrag unbekannt sei. Nebe wurde daraufhin zu Göring zitiert, erhielt bitterste Vorwürfe, daß er eine Rückfrage gestellt habe. Aber der Angeklagte Göring zog es vor, ihn am Ende dieser Vorwürfe zu befördern, weil er dachte, ihn dadurch schweigen zu machen.

Das zweite, was sich damals ereignete und auch sehr wichtig ist, war, daß der Angeklagte Göring sogenannte Blankovollmachten für Morde an die Politische Polizei ausstellte. Es gab damals nicht nur sogenannte Amnestiegesetze, die die Schandtaten hinterher amnestierten, sondern es gab auch ein besonderes Gesetz, demzufolge bereits die Untersuchungen durch Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaft niedergeschlagen werden konnten, allerdings unter der Bedingung, daß in diesen besonderen Fällen der Reichskanzler oder Göring persönlich mit ihrer Unterschrift dieses anordneten.

Dieses Gesetz benutzte Göring, um Blankovollmachten an den Chef der Geheimen Staatspolizei auszustellen, wo lediglich die Namen der noch zu Ermordenden offengelassen wurden. Dieses Erlebnis erschütterte Nebe so sehr, daß er von diesem Augenblick an seine Pflicht tat im Kampfe gegen diese Gestapo. Er blieb auf unsere Bitten in ihr und hernach in der Kriminalpolizei, weil wir einen Mann wenigstens brauchten, der uns auf dem laufenden halten konnte über die polizeilichen Verhältnisse, für den Fall, daß unsere Wünsche eines Umsturzes in Erfüllung gehen sollten.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Was haben Sie nun selbst getan, als Sie diese Dinge sahen.

GISEVIUS: Ich meinerseits versuchte, diejenigen bürgerlichen Kreise zu erreichen, die mir auf Grund meiner Verbindungen offenstanden. Ich ging in die verschiedensten Ministerien, in das preußische Innenministerium, zum Staatssekretär Grauert und mehreren Ministerialdirektoren und Ministerialräten. Ich ging in das Reichsinnenministerium, ich ging in das Justizministerium ich ging in das Außenministerium, und ich ging in das Kriegsministerium. Ich sprach wiederholt mit dem damaligen Chef der Heeresleitung, dem Generaloberst von Hammerstein, Von all den Beziehungen, die ich damals anknüpfte, ist eine wiederum für meine Zeugenaussage besonders wichtig.

Damals lernte ich in der neugegründeten Abwehrabteilung des OKW einen Major Oster kennen. Ich gab ihm alles jenes Material, das bereits damals anfiel. Wir begannen mit einer Sammlung, die wir bis zum 20. Juli fortgesetzt haben, von allen Dokumenten, deren wir habhaft werden konnten. Und Oster ist derjenige Mann, der von nun an im Kriegsministerium nichts unterließ, jeden Offizier, den er dienstlich und außerdienstlich erreichen konnte, zu unterrichten. Oster wurde im Laufe der Zeit durch die Protektion des Admirals Canaris Stabschef der Abwehr. Als er den Tod am Galgen erleiden mußte, war er General. Aber es liegt mir daran, bereits hier Zeugnis abzulegen, daß nach allem, was dieser Mann getan hat an unvergeßlichem Einsatz gegen die Gestapo, gegen alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Frieden, ich berechtigt bin, zu sagen, da war unter der Inflation der deutschen Feldmarschälle und Generale wirklich ein deutscher General.

DR. PANNENBECKER: Wie verlief nun die Arbeit weiter, die Sie beobachten konnten in der Geheimen Staatspolizei?

GISEVIUS: Damals waren die Zustände in Deutschland noch so, daß man in den verschiedensten Ministerien hellhörig war. Es gab noch eine Fronde in den bürgerlichen Ministerien, es gab noch den Reichspräsidenten von Hindenburg, und so kam es, daß Ende Oktober 1933 der Angeklagte Göring gezwungen wurde, den Chef der Staatspolizei Diels zu entlassen. Gleichzeitig wurde eine Säuberungskommission eingesetzt, dieses Institut von Grund auf zu restaurieren. Ihr gehörten laut dem Ministerialerlaß Nebe und auch ich an. Aber diese Säuberungskommission trat niemals zusammen. Der Angeklagte Göring wußte diese Maßnahme zu vereiteln. Er ernannte zum Chef und Nachfolger von Diels einen noch schlimmeren Nazi, einen gewissen Hinkler, der früher in einem Gerichtsverfahren wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen war, und dieser Hinkler brachte es so weit, daß kaum 30 Tage verstrichen, daß er wieder abgesetzt wurde, und nunmehr konnte der Angeklagte Göring seinen Diels wieder zurück in die Behörde bringen.

DR. PANNENBECKER: Wissen Sie etwas über die Vorgänge, die zu dem preußischen Gesetz vom 30. November 1933 führten, durch das die Aufgaben der Geheimen Staatspolizei vom Amt des preußischen Innenministers weggenommen und auf die Behörde des preußischen Ministerpräsidenten übertragen wurden?

GISEVIUS: Das war genau der Augenblick, von dem ich spreche. Göring erkannte, daß es unzweckmäßig sei, wenn andere Ministerien sich zu sehr um seine Geheime Staatspolizei bekümmerten. Trotzdem er selber preußischer Innenminister war, störte es ihn, daß die Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums in die Geschäfte seiner Privatdomäne hineinleuchtete, und so nahm er die Geheime Staatspolizei aus der übrigen Polizei heraus und unterstellte sie sich – ihm persönlich – unter Ausschaltung aller übrigen polizeilichen Instanzen. Das war vom Standpunkt jeder geordneten Polizei ein glatter Nonsens, denn man kann keine geordnete politische Polizei machen, wenn man sie trennt von der Kriminalpolizei und der Ordnungspolizei. Aber Göring wußte, weshalb er keine andere Polizeiinstanz in die Geschäfte der Staatspolizei hineinschauen lassen wollte.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, blieben Sie nun selbst weiter im Polizeidienst?

GISEVIUS: An diesem Tage, wo Göring seinen, ich kann es nicht anders nennen, Staatsstreich – kleinen Staatsstreich – beging, daß er sich seine eigene Staatspolizei zulegte, wurde von dieser Geheimen Staatspolizei gegen mich ein Haftbefehl ausgestellt. Ich hatte damit gerechnet, hatte mich verborgen. Am nächsten Morgen ging ich zum Chef der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums, dem Ministerialdirektor Daluege, einem hohen SS-General, und meinte, es sei ja wohl nicht ganz recht, einen Haftbefehl gegen mich auszustellen. Es kam ein Kriminalkommissar der Geheimen Staatspolizei, um mich bei diesem Chef der preußischen Polizei in seinem Dienstzimmer zu verhaften. Daluege war so freundlich, mich durch eine Hintertür zu dem Staatssekretär Grauert fliehen zu lassen, und Grauert intervenierte bei Göring. Wie immer in solchen Fällen, war Göring aufs äußerste überrascht und ordnete eine strenge Untersuchung an. Das war der Fachausdruck dafür, daß solche Zwischenfälle zu den Akten gelegt wurden. Ich wurde daraufhin nicht mehr in die Geheime Staatspolizei hineingelassen, sondern als Beobachter an den gerade zu Ende gehenden Reichstagsbrandprozeß nach Leipzig geschickt. Ich konnte die letzten Novembertage einen Blick in dieses dunkle Geschäft werfen, und da ich bereits mit Nebe mich um die Aufklärung dieses Verbrechens bemüht hatte, konnte ich dort meine Wissenschaft ein wenig bereichern.

Ich nehme an, daß ich über diesen Punkt noch befragt werde und beschränke mich deswegen hier nur darauf, zu sagen, daß ich notfalls bereit bin, dem Angeklagten Göring sein Gedächtnis über seine Mitbeteiligung und Mitwisserschaft an diesem ersten braunen Staatsstreich und an der Beseitigung der Mittäter durch Mord aufzufrischen.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Am 1. Mai 1934 ist Frick dann preußischer Minister des Innern geworden. Sind Sie dadurch irgendwie mit Frick selbst oder mit seinem Ministerium in Berührung gekommen?

GISEVIUS: Jawohl, ich wurde sofort nach Beendigung des Reichstagsbrandprozesses, also Ende 1933, aus dem Polizeidienst entlassen und nach Ostpreußen an ein Landratsamt versetzt. Ich beschwerte mich aber über diese offensichtliche Maßregelung bei dem Staatssekretär Grauert. Da dieser und der Ministerialdirektor Daluege von meinem Streit mit der Geheimen Staatspolizei wußten, holten sie mich ins Innenministerium und gaben mir die Aufgabe, alle diejenigen Berichte, die noch fälschlicherweise an die Adresse des Innenministeriums kamen, zu sammeln und zuständigkeitshalber an den preußischen Ministerpräsidenten – Geheime Staatspolizei – weiterzugeben. Sobald Göring dieses hörte, intervenierte er wiederholt gegen meine Anwesenheit im Innenministerium. Aber der Innenminister Frick stand vor der Tür, und es gelang mir, mich in diesem Posten zu halten.

Als Frick kam, kam ich nicht sofort mit ihm in Berührung, dazu war ich ein viel zu untergeordneter Beamter. Aber ich nehme an, daß der Angeklagte Frick von meiner Tätigkeit und von meinen Anschauungen gewußt hat, denn ich wurde nunmehr ermuntert, weiterhin alle jene Hilferufe, die fälschlich zum Innenministerium kamen, zu sammeln, und ich habe ein Gutteil dieser Berichte dann auf dem Dienstwege Daluege, Grauert und Frick vorgelegt. Es war allerdings die Schwierigkeit, daß Göring in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident Frick als seinem Innenminister verboten hatte, solche Berichte zur Kenntnis zu nehmen. Frick hatte sie kommentarlos der Gestapo weiterzureichen. Ich sah keinen Hinderungsgrund, sie trotzdem Frick vorzulegen, und da Frick gleichzeitig Reichsinnenminister war und in dieser Eigenschaft den Ländern, also auch Göring, Anweisungen geben konnte, nahm Frick diese Berichte im Reichsinnenministerium zur Kenntnis und duldete es, daß sie von mir mit dem Ersuchen um Bericht an Göring gesandt wurden. Göring intervenierte mehrfach, und ich weiß, daß es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen ihm und Frick deswegen kam.

DR. PANNENBECKER: Ist Ihnen etwas bekannt darüber, daß damals von seiten des Reichsministers des Innern bestimmte Anordnungen ergingen, die das Recht der Schutzhaft einschränken sollten?

GISEVIUS: Es ist richtig, daß damals eine ganze Menge solcher Anordnungen erging. Aber wenn ich sage, daß eine Menge solcher Anordnungen ergingen, liegt darin bereits enthalten, daß sie grundsätzlich von den nachgeordneten Behörden nicht befolgt wurden. Der Reichsinnenminister war ein Minister, der keine persönliche Exekutive hatte, und es wird mir als Eindruck für meine Erziehung als Beamter unvergeßlich sein, daß damals in der Geheimen Staatspolizei wir Beamte angewiesen wurden, grundsätzlich keine Anfragen aus dem Reichsinnenministerium zu beantworten. Natürlich kam in gemessenen Abständen eine Mahnung aus dem Reichsinnenministerium. Die Tüchtigkeit eines Dezernenten in der Geheimen Staatspolizei wurde nach dem Stoß solcher Mahnzettel bemessen, die er seinem Chef Diels vorlegen konnte, um zu zeigen, daß er sich um solche Sachen nicht kümmerte.

DR. PANNENBECKER: Es kam dann ja am 30. Juni 1934 zum sogenannten Röhm-Putsch. Können Sie eine kurze Schilderung über die Situation geben, die diesem sogenannten Putsch voranging?

GISEVIUS: Ich muß zunächst sagen, daß es niemals einen Röhm-Putsch gegeben hat. Am 30. Juni hat es nur einen Göring-Himmler-Putsch gegeben. Ich bin in der Lage, über dieses düstere Kapitel einigermaßen Auskunft geben zu können, weil ich in der Polizeiabteilung des Innenministeriums diesen Fall bearbeitete und miterlebte, wie wenigstens die Funksprüche, die an diesen Tagen von Göring und Himmler an die Polizeibehörden des Reiches gesandt wurden, in meinen Besitz kamen. Der letzte dieser Funksprüche lautete, auf Anordnung von Göring seien alle Unterlagen über den 30. Juni sofort zu verbrennen.

Ich habe mir damals erlaubt, diese Papiere in meinen Panzerschrank zu nehmen. Ich weiß noch heute nicht, inwieweit sie das Geschick oder Ungeschick des Angeklagten Kaltenbrunner überlebt haben. Ich hoffe immer noch, diese Papiere zu finden. Aber danach kann ich bezeugen, daß an diesem ganzen 30. Juni nicht ein Schuß von der SA gefallen ist. Die SA hat nicht geputscht, womit ich keineswegs ein Wort der Entschuldigung für die SA-Führer aussprechen will. Es ist am 30. Juni nicht ein SA-Führer gestorben, der nicht hundertfach den Tod verdient hätte, aber in einem ordentlichen Gerichtsverfahren.

Nur war die Lage, die Bürgerkriegssituation, an diesem 30. Juni so, daß sich schroff auf der einen Seite die SA mit Röhm an der Spitze, auf der anderen Seite Göring und Himmler gegenüberstanden. Es war dafür gesorgt, daß die SA ein paar Tage vor dem 30. Juni auf Urlaub geschickt wurde. Die SA-Führer wurden ausgerechnet zu diesem 30. Juni von Hitler zu einer Besprechung nach Wiessee geladen. An sich ist es nicht üblich, daß Putschisten, die marschieren wollen, im Schlafwagen zu einer Sitzung fahren. Und sie wurden dann auch am Bahnhof überrascht und sofort zur Exekution gefahren.

Der sogenannte Münchener Putsch spielte sich so ab, daß die Münchener SA überhaupt nicht antrat und daß eine Autostunde von München die sogenannten Hochverräter Röhm und Heines in ihren tödlichen Schlaf hineinschliefen, ohne überhaupt zu ahnen, daß nach den Schilderungen von Hitler und Göring am Abend zuvor in München sich ein Putsch abgespielt haben sollte.

Der Putsch in Berlin konnte von mir sehr genau beobachtet werden. Er spielte sich absolut unter Ausschluß jeglicher Öffentlichkeit und der SA ab. Wir in der Polizei haben von ihm nichts gemerkt. Dagegen ist richtig, daß einer der angeblichen Hauptputschisten, der Berliner SA-Gruppenführer Karl Ernst, vier Tage vor dem 30. Juni sehr besorgt zu dem Ministerialdirektor Daluege kam, es schwirrten in Berlin Gerüchte herum, die SA wolle putschen. Er bäte um eine Unterredung bei dem Innenminister Frick, damit er diesem versichern könne, es sei kein Putsch geplant. Daluege schickte mich mit diesem Auftrag zu dem Angeklagten Frick, und ich habe diese originelle Unterredung, wo ein SA-Führer dem Innenminister des Reiches versicherte, nicht putschen zu wollen, selber vermittelt.

Karl Ernst fuhr dann auf eine Erholungsreise nach Madeira. Er wurde am 30, Juni von diesem Ozeandampfer weg nach Berlin zur Exekution gebracht. Ich habe seine Ankunft auf dem Flughafen Tempelhof selber erlebt, was mir deshalb besonders interessant erschien, weil ich wenige Stunden zuvor die amtliche Meldung seiner Hinrichtung in den Zeitungen gelesen hatte.

Das war also der sogenannte SA- und Röhm- Putsch, und weil ich nichts zu verschweigen habe, habe ich höchstens noch hinzuzufügen, daß ich zugegen war, wie der Angeklagte Göring die Presse am 30. Juni über diesen Vorfall unterrichtete. Bei dieser Gelegenheit fiel das böse Wort, er, der Angeklagte Göring, habe seit Tagen auf ein mit Hitler verabredetes Stichwort gewartet. Er habe dann zugeschlagen, natürlich blitzschnell, aber er habe auch seinen Auftrag erweitert. Diese Auftragserweiterung kostete einer großen Anzahl unschuldiger Menschen das Leben. Ich erinnere nur an die Generale von Schleicher, der sofort mit seiner Frau ermordet wurde, von Bredow, den Ministerialdirektor Klausner, Edgar Jung und viele andere.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Sie sind ja selbst damals im Ministerium gewesen. In welcher Weise hat Frick von diesen Maßnahmen erfahren, und ist er selbst irgendwie eingeschaltet worden in die Niederschlagung dieses sogenannten Putsches?

GISEVIUS: Ich habe persönlich miterlebt, wie gegen einhalb zehn Uhr der Ministerialdirektor Daluege bleich von Göring zurückkam und ihm gerade mitgeteilt worden war, was sich abgespielt hatte. Daluege und ich gingen zu Grauert, und wir fuhren hinüber ins Reichsinnenministerium zu Frick. Frick stürzte aus dem Zimmer, es mag gegen zehn Uhr gewesen sein, um zu Göring zu fahren und dort zu erfahren, was sich inzwischen abgespielt hatte, und zugleich in Erfahrung zu bringen, daß er als Polizeiminister des Reiches nun nach Hause zu gehen habe und sich über den weiteren Ablauf der Dinge nicht kümmern solle. In der Tat fuhr Frick nach Hause und hat in beiden dramatischen Tagen das Ministerium nicht betreten Einmal fuhr Daluege mit mir zu ihm. Im übrigen blieb es mir, als dem jüngsten Assessor des Reichsinnenministeriums, an diesem blutigen Sonnabend und Sonntag vorbehalten, dem Innenminister des Reiches mitzuteilen, was für entsetzliche Dinge sich inzwischen in Deutschland abgespielt hatten.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Sie sprachen gerade von einer Weisung, die Frick erhalten habe, sich nicht in die Dinge einzumischen. Von wem hat er diese Weisung bekommen?

GISEVIUS: Soviel ich weiß, hat ihm Göring eine Weisung Hitlers übergeben oder ausgesprochen. Ich weiß nicht, ob eine schriftliche Weisung vorlag, weiß auch nicht, ob Frick danach gefragt hat. Ich könnte mir denken, daß Frick an diesem Tage dachte, daß es sich nicht empfahl, gar zu viele neugierige Fragen zu stellen.

DR. PANNENBECKER: Hat nun, nachdem die Dinge abgeschlossen waren, Frick sich eingeschaltet, um die eingetretenen Folgen in irgendeiner Weise zu mildern?

GISEVIUS: Um diese Frage richtig beantworten zu können, muß ich zunächst sagen, daß am Sonnabend, den 30. Juni, wir im Innenministerium sehr wenig wußten, was sich abgespielt hatte. Am Sonntag, den 1. Juli, erfuhren wir sehr viel mehr, und zweifellos hat Frick, als die blutigen Tage vorüber waren, schon im großen ganzen ein klares Bild gehabt, was sich abgespielt hatte. Er hat mir auch in diesen Tagen aus seiner Entrüstung kein Hehl gemacht, daß offensichtliche Morde und Freiheitsberaubung vorgelegen hatten. Um bei der Wahrheit zu bleiben, muß ich also Ihre Frage zunächst dahin beantworten, daß die erste Reaktion des Angeklagten Frick, die mir zugänglich wurde, jenes Reichsgesetz war, in dem die Herren Reichsminister beschlossen, daß die Ereignisse des 30. Juni rechtens seien.

Dieses Gesetz ist von einer unerhörten psychologischen Folgewirkung für die kommenden Dinge in Deutschland gewesen. Es ist aus der Geschichte des deutschen Terrors nicht hinwegzudenken. Andererseits geschah sehr viel im Dritten Reich, was ein normaler Sterblicher nicht verstehen konnte und was man nur in den Regionen der Minister und Staatssekretäre begreifen konnte, und so muß ich dem Angeklagten Frick zugeben, daß er nach diesem Gesetz sich eine große Mühe gab, die offensichtlichsten Mißstände wieder gutzumachen. Vielleicht hat er gedacht, daß im Reichskabinett andere Minister eher den Mund aufmachen mußten, ich erinnere an den Reichskriegsminister von Blomberg, dem zwei Generale erschossen wurden und der trotzdem dieses Gesetz unterzeichnete. Ich nenne den Namen Blomberg hier bewußt und bitte, einen Augenblick mich unterbrechen zu dürfen und von einem Zwischenfall Mitteilung machen zu dürfen, der sich heute morgen abgespielt hat. Ich befand mich im Anwaltszimmer im Gespräch mit dem Rechtsanwalt Dr. Dix. Herr Dix wurde unterbrochen von Herrn Rechtsanwalt Stahmer, dem Verteidiger des Angeklagten Göring. Ich hörte, was Herr Stahmer Herrn Dix sagte...

DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Ich weiß nicht, ob das Gegenstand der Beweisaufnahme ist – ein persönliches Gespräch, das ich mit Herrn Dr. Dix geführt habe.

GISEVIUS: Es ist nicht... ich spreche nicht...

VORSITZENDER: Herr Zeuge! Sagen Sie bitte nicht weiter aus, solange über den Einspruch nicht entschieden ist. Bitte, Dr. Stahmer!

GISEVIUS: Ich habe das nicht verstanden.

DR. STAHMER: Ich weiß nicht, ob das Gegenstand der Beweisaufnahme ist, hier ein Gespräch zu offenbaren, das ich im Anwaltszimmer mit Herrn Dr. Dix persönlich geführt habe.

GISEVIUS: Darf ich dazu etwas sagen?

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte nichts weiter sagen.

GISEVIUS: Darf ich meine Mitteilung beenden?

VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie nicht, mein Herr.

DR. STAHMER: Ich habe heute morgen im Anwaltszimmer ein persönliches Gespräch mit Herrn Dr. Dix geführt, das den Fall Blomberg betrifft. Dieses Gespräch war nicht für den Zeugen bestimmt. Ich kenne den Zeugen gar nicht, habe den Zeugen auch gar nicht gesehen, jedenfalls meines Wissens nicht gesehen, und ich weiß nicht, ob es Gegenstand der Beweiserhebung ist, wenn hier ein solches Gespräch der Öffentlichkeit mitgeteilt wird.

JUSTICE JACKSON: Über diesen Zwischenfall ist mir berichtet worden, und ich bin der Ansicht, daß es für den Gerichtshof wichtig ist, von den Drohungen zu erfahren, die gegen diesen Zeugen im Gerichtsgebäude erhoben wurden, während er auf seine Vernehmung wartete. Die Drohungen richteten sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen den Angeklagten Schacht. Die Sache ist mir berichtet worden, und ich halte es für wichtig, daß der Gerichtshof davon erfährt. Ich glaube, es ist wichtig, daß das herauskommt. Ich hätte versucht, es im Kreuzverhör herauszubringen, wenn letzt nicht darüber gesprochen worden wäre, und ich glaube, daß die Aussage des Zeugen darüber zugelassen werden sollte. Die Gegenpartei hat sich hier viel Freiheit herausgenommen; wenn ich recht verstanden habe, sind gegen den Zeugen Drohungen ausgesprochen worden in seiner Gegenwart, gleich, ob sie gegen ihn beabsichtigt waren oder nicht. Ich bitte den Gerichtshof, Dr. Gisevius, der der einzige Stellvertreter der demokratischen Kräfte in Deutschland ist, die Möglichkeit zu geben, als Zeuge seine Geschichte zu erzählen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof möchte zuerst hören, was Sie weiter über diese Angelegenheit zu sagen haben Dann werden wir hören, was Dr. Dix zu sagen hat, wenn er etwas dazu erklären will, und dann wird der Gerichtshof hören, ob der Zeuge etwas darauf zu antworten hat.

DR. STAHMER: Ich habe gar keine Bedenken, dem Gericht Klarheit darüber zu geben, was ich gesagt habe. Ich habe gestern abend mit dem Angeklagten Göring den Fall besprochen und habe ihm mitgeteilt, daß der Zeuge Gisevius voraussichtlich...

VORSITZENDER: Wir wollen nicht hören, welche Unterredung Sie mit dem Angeklagten Göring gehabt haben, sondern nur, was Sie jetzt zur Begründung Ihres Einwandes gegen diese Aussage des Zeugen zu sagen haben.

DR. STAHMER: Herr Präsident! Es gehört nur ganz kurz dazu; Göring hat mir gesagt: Ob der Zeuge Gisevius ihn belaste, interessiere ihn gar nicht, aber er möchte nicht, daß der erst kürzlich verstorbene Blomberg, und zwar handelt es sich da, soviel wie ich angenommen habe, nur um die Ehe des Herrn Blomberg, daß dieser Vorgang, der die Ehe des Blomberg beträfe, hier vor aller Öffentlichkeit zur Sprache käme. Wenn das nicht verhindert werden könne, dann würde allerdings Göring auch seinerseits, und zwar handelt es sich nur um Schacht, weil Schacht diese Dinge, soweit wie mir gesagt war, zur Sprache bringen würde, dann würde er allerdings auch jede Rücksicht auf Schacht fallen lassen.

Das ist das, was ich dann heute morgen dem Rechtsanwalt Dix mitgeteilt habe. Ich glaube, das wird mir Rechtsanwalt Dix bestätigen, und zwar habe ich das, wenn ich das noch sagen darf...

VORSITZENDER: Sie werden gleich zu Wort kommen, Dr. Dix.

DR. STAHMER:... und zwar habe ich gesagt, ich möchte lediglich – das war weder für Schacht noch war es für den Zeugen bestimmt, noch war es hier für Herrn Pannenbecker, sondern ich habe gesagt, aus kollegialen Gründen möchte ich es Herrn Dr. Dix mitteilen. Das ist das, was ich gesagt und getan habe. Daß der Zeuge Gisevius da war, habe ich in dem Moment jedenfalls nicht gewußt, es war jedenfalls in keiner Weise für ihn bestimmt. Ich habe, wenn ich weiß, auch abseits mit Herrn Dr. Dix gesprochen.

VORSITZENDER: Damit ich Sie recht verstehe, Sie sagen, daß Sie Dr. Dix den wesentlichen Inhalt Ihrer Unterredung mit Göring mitgeteilt haben und erklärten, daß Göring seine Einwendung gegen eine Wiedergabe der Tatsachen zurückziehen würde, wenn der Angeklagte Schacht wünschte, daß über sie ausgesagt werde. Stimmt das?

DR. STAHMER: Nein. Göring wäre es gleich, was über ihn gesagt würde. Er möchte nur den toten Blomberg geschont wissen, und er möchte nicht, daß Dinge, die die Ehe des Blomberg beträfen, zur Sprache kämen. Wenn Schacht das nicht verhinderte – ich habe nur von Schacht gesprochen –, dann wolle er seinerseits auch die Rücksicht gegen Schacht fallen lassen, keine Rücksicht mehr auf Schacht nehmen, und das ist das, was ich Herrn Dr. Dix aus kollegialen Gründen mitgeteilt habe.

VORSITZENDER: Warten Sie einen Augenblick bitte, ich kann Sie nicht hören. Nun?

DR. STAHMER: Ja, wie gesagt, ist das das, was ich Dr. Dix, und zwar lediglich aus kollegialen Gründen mitgeteilt habe. Damit war das Gespräch beendet, und ich habe Dr. Dix gegenüber ausdrücklich hervorgehoben, ich sage ihm das nur aus kollegialen Gründen.

VORSITZENDER: Weiteres haben Sie dazu nicht vorzubringen?

DR. STAHMER: Nein.

DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Den Vorgang habe ich – und, wie ich glaube, gut und zuverlässig – wie folgt in Erinnerung:

Ich stand heute früh im Anwaltszimmer im Gespräch mit dem Zeugen Dr. Gisevius, und ich glaube, auch mein Kollege Professor Kraus war mit in diesem Gespräch. Hierauf trat der Kollege Stahmer an mich heran und sagte, er müsse mich sprechen. Darauf sagte ich, ich wäre im Moment in einer wichtigen und eiligen Besprechung mit Gisevius, ob es nicht Zeit hätte. Darauf sagte mir der Kollege Stahmer, nein, er müßte mich sofort sprechen.

Ich trat darauf vielleicht fünf oder sechs Schritte seitlich von meiner bisherigen Gesprächsgruppe mit dem Kollegen Stahmer. Kollege Stahmer sagte mir folgendes: Es ist durchaus möglich – ich weiß nicht mehr genau, daß er die Worte, was er mir sagte, eingeleitet hat mit den Worten, er sage mir das aus kollegialen Gründen. Wenn er das sagt, so wird es sicher so gewesen sein, ich weiß es nicht mehr. Er sagte mir: »Hören Sie mal, der Göring steht auf dem Standpunkt, daß ihn der Gisevius soviel angreifen kann, wie er will, wenn er aber den Blomberg, den toten Blomberg angreift, dann wird Göring auspacken, und zwar gegen Schacht, denn er weiß eine ganze Menge von Schacht, was Schacht unangenehm sein würde. Er, Göring, habe bei seiner Aussage zurückgehalten; aber wenn, wie gesagt, Blomberg, der tote Blomberg angegriffen werden würde, dann würde er gegen Schacht auspacken.« Das war das – oder dem Sinne nach, würde er Dinge gegen Schacht vorbringen; das war das Gespräch. Ich kann nicht mit völliger Bestimmtheit – oder ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, daß der Kollege mir gesagt hat, ich möge Gisevius darauf aufmerksam machen. Wenn er sagt, er habe es nicht gesagt, dann ist es sicher wahr, und ich glaube ihm. Ich konnte aber diese Mitteilung gar nicht anders auffassen, als daß ich dem Gisevius diese von Göring vorausgesagte Entwicklung mitteilte, ich glaubte – ich hatte nicht den geringsten Zweifel – damit im Sinne und im Auftrage von Göring beziehungsweise des Kollegen Stahmer zu handeln, daß das der Zweck der ganzen Übung war; denn wozu sollte denn sonst Herr Stahmer mir in dem Moment, das war unmittelbar vor der Aussprache mit Gisevius, wo ich mit Gisevius im Gespräch stehe, wo er mir sagte, er hätte keine Zeit, ich müßte das Gespräch unterbrechen; wozu sollte er es mir, dann mitteilen, als daß eben dieses von Göring gemeinte und in Aussicht gestellte Unheil eventuell vermieden würde, beziehungsweise daß eben der Zeuge Gisevius, auf den es ankam, sich den Umfang seiner Aussage diesbezüglich überlegen solle. Also ich habe gar keinen Zweifel gehabt, daß es der Zweck der Mitteilung des Herrn Stahmer an mich war, von dieser Mitteilung Gisevius Mitteilung zu machen. Wie gesagt, wenn Herr Stahmer mir nicht gesagt hätte – und er hat sicher die Wahrheit gesagt, wenn er sagt, er hätte mir es nicht ausdrücklich gesagt –, so hätte ich, wenn ich zuerst gefragt worden wäre, wahrscheinlich mit genau demselben guten Gewissen gesagt, er hätte gesagt, sagen Sie es dem Gisevius. Aber auf dies, nein, nein... Auf diesen Wortlaut will ich mich in keiner Weise festlegen. Jedenfalls, daran ist kein Zweifel, so hat die Unterhaltung stattgefunden, und ich habe sofort geglaubt, im Sinne von Dr. Stahmer und Göring zu handeln, wenn ich nun unmittelbar – denn ich trat ja wieder zu Gisevius zurück, er stand ja fünf oder sechs Schritte von mir entfernt, oder noch weniger. Ich habe ihn sogar vorher einleitend verstanden, er hätte Teile davon gehört. Ich weiß nicht, ob ich ihn richtig verstanden habe – ich habe ihm von dem Inhalt dieses Gespräches Mitteilung gemacht. Das ist der Vorgang, wie er sich heute früh abgespielt hat.

DR. STAHMER: Darf ich nochmals folgendes erklären: Ich habe selbstverständlich weder Dr. Dix den Auftrag gegeben, das Gisevius mitzuteilen, noch habe ich damit gerechnet, sondern ich bin von folgendem ausgegangen, daß Gisevius heute vormittag noch vernommen würde, und daß der Zeuge von Herrn Dr. Dix nach den Eheverhältnissen von Blomberg gefragt würde. So war es mir nämlich mitgeteilt worden vorher, daß Herr Dr. Dix diese Frage an den Zeugen stellen würde, und deswegen habe ich Herrn Dr. Dix darauf hingewiesen, in der Annahme, daß er dann von einer solchen Frage, die die Eheverhältnisse Blombergs betraf, Abstand nehmen würde. Irgendwie für den Zeugen war das gar nicht bestimmt, und ich weiß mit aller Bestimmtheit, daß ich Herrn Dr. Dix gesagt habe. ich mache aus kollegialen Gründen diese Mitteilung und daß er sich dabei noch bei mir bedankt hat dafür. Er hat noch gesagt: »Ich danke Ihnen sehr.« Jedenfalls, wenn er mir gesagt hätte: »Ich werde das dem Zeugen mitteilen«, dann hätte ich sofort gesagt: »Um Gottes willen, das ist ja nur eine Mitteilung, die für Sie persönlich bestimmt ist.« Und ich bin wirklich etwas überrascht, daß hier Herr Dr. Dix das Vertrauen, das ich ihm entgegengebracht habe, in dieser Weise...

VORSITZENDER: Herr Dr. Stahmer! Wir haben jetzt gehört, wie sich die Sache abgespielt hat; ich glaube, wir brauchen nicht mehr darüber zu hören, als was wir zur Prüfung der Frage brauchen, ob wir den Zeugen seine Aussage fortsetzen lassen sollen.