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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Der Gerichtshof hat mich gebeten, zu erklären, daß er erwartet, daß Sie alle Fragen, die Sie wegen der angeblichen Einschüchterung des Zeugen für notwendig halten, stellen werden, wenn Sie ihn ins Kreuzverhör nehmen.

JUSTICE JACKSON: Ja, Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, ich möchte noch auf die Versuche zu sprechen kommen, die seitens des Reichsministeriums des Innern gemacht worden sind, um der willkürlichen Handhabung der Praxis der Gestapo, und insbesondere in Bezug auf die Konzentrationslager Einhalt zu gebieten, und ich bitte Sie deshalb, sich ein Memorandum anzusehen, das im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern gemacht worden ist. Es handelt sich um das Dokument 775-PS, das ich heute morgen im Rahmen des Beweisvortrages für Frick als Frick-Exhibit Nummer 9 vorgelegt habe; es ist hier Nummer 34 des Dokumentenbuches. Herr Zeuge, kennen Sie dieses Memorandum?

GISEVIUS: Nein, ich kenne es nicht. Augenscheinlich ist das Memorandum nach meinem Ausscheiden aus dem Innenministerium verfaßt worden. Ich schließe das daraus, daß in diesem Memorandum eigentlich der Reichsinnenminister bereits den Kampf aufgibt, denn er schreibt, es solle grundsätzlich geklärt werden, wer die Verantwortung trage, und notfalls müsse die Verantwortung nunmehr... ich zitiere: »... in allen Konsequenzen der Reichsführer-SS« übernehmen, »der ja bereits faktisch die Führung der politischen Polizei... für sich in Anspruch nimmt.«

Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich im Reichsinnenministerium war, versuchten wir ja gerade diese letzte Möglichkeit, daß Himmler die politische Polizei übernehmen sollte, auszuschließen. Es ist also augenscheinlich ein halbes Jahr später, nachdem die Dinge weiterhin in den Terror abgerutscht waren. Die Tatbestände, die hier zitiert werden, sind mir bekannt.

DR. PANNENBECKER: Können Sie darüber etwas sagen? Es handelt sich um einen Fall Pünder und um einen Fall Esterwege, Oldenburg.

GISEVIUS: Der am kürzesten zu schildernde Fall ist der Fall Esterwege. Es ist einer von vielen. Es wurde meiner Erinnerung nach ein SA-Führer oder Ortsgruppenführer von der Gestapo verhaftet, weil er sich über die Zustände in dem Konzentrationslager Papenburg erregt hatte. Auch das war nicht das erstemal. Ich weiß nicht, wieso der Angeklagte Frick diesen Fall besonders aufgegriffen hat. Jedenfalls zeigte mir Daluege eines Tages einen der üblichen handgeschriebenen Zettel von Frick, die er Himmler gesandt hatte. Frick hatte mit grünem Strich in großen Marginalien Himmler geschrieben, hier sei ein SA-Mann oder Ortsgruppenleiter, oder was es war, unrechtmäßig in Haft genommen, dieser Mann müsse sofort entlassen werden, und wenn Himmler noch einmal so etwas täte, würde er, Frick, gegen Himmler ein Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung einleiten.

Ich entsinne mich dieser Geschichte noch sehr genau, weil es ein bißchen merkwürdig angesichts unserer damaligen polizeilichen Zustände war, daß Himmler von Frick mit einem Strafantrag bedroht wurde, und Daluege machte diesbezügliche Äußerungen höhnischer Art über das Verhalten Fricks zu mir.

Das ist der eine Fall.

VORSITZENDER: Um welches Datum handelt es sich da?

GISEVIUS: Das muß sich abgespielt haben im Frühjahr 1935, ich schätze im März oder April.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, wissen Sie, wie Himmler auf diese Strafandrohung reagiert hat?

GISEVIUS: Ja. Es kam noch ein zweites hinzu. Das ist diese Angelegenheit Pünder, die hier steht. Er hat auf beide gleichermaßen reagiert, und deswegen ist es wohl besser, ich erzähle in diesem Zusammenhang zunächst die Angelegenheit Pünder.

Bei der Angelegenheit Pünder handelte es sich um einen Berliner Rechtsanwalt, einen sehr angesehenen Anwalt, Vertrauensanwalt der Schwedischen Gesandtschaft. Herr Pünder wurde von der Witwe des am 30. Juni ermordeten Ministerialdirektors Klausner angegangen, zu klagen, damit die Lebensversicherungsgesellschaften ihre Rente auszahlen. Da aber Herr Klausner an diesem Tage angeblich Selbstmord verübt hatte, traute sich kein Versicherungsdirektor, der Witwe das Geld auszuzahlen. Der Rechtsanwalt mußte also klagen. Nun war von den Nazis ein Gesetz gemacht worden, auf Grund dessen alle solche peinlichen, für die Nazis peinlichen Fälle vom Gericht nicht behandelt werden durften. Sie mußten an eine sogenannte Spruchkammer im Reichsministerium des Innern eingereicht werden. Wenn ich nicht irre, lautete das Gesetz: »Gesetz für den Ausgleich zivilrechtlicher Ansprüche«. Um gute Namen, Formulierungen, war man damals nie verlegen. Der Anwalt wurde durch dieses Gesetz gezwungen, seine Klage bei Gericht einzureichen Ihm ahnte Böses. Er ging ins Reichsinnenministerium zu dem Staatssekretär und sagte: »Wenn ich den Forderungen des Gesetzes genüge und klage, dann wird man mich verhaften.« Der Staatssekretär des Innenministeriums zwang ihn, zu klagen. Daraufhin ging der sehr lebenskluge Anwalt ins Justizministerium zum Staatssekretär Freisler und sagte ihm, er wolle nicht klagen, denn er würde bestimmt von der Gestapo verhaftet werden. Der Staatssekretär im Justizministerium belehrte ihn, er habe auf jeden Fall Klage einzureichen; es könne ja auch nichts passieren, weil das Gericht angewiesen sei, die Klage kommentarlos an die Spruchkammer des Innenministeriums weiterzugeben. Nunmehr klagte der Anwalt, und er wurde sofort von der Gestapo wegen Verleumdung verhaftet, weil er behauptet hatte, daß der Ministerialdirektor Klausner nicht durch Selbstmord geendet sei. Dieses war für uns geradezu ein klassisches Schulbeispiel, wohin wir in Deutschland mit dem System der Schutzhaft gekommen waren.

Ich habe mir erlaubt, diesen Fall nicht unter Hunderten, ich möchte hier sagen, mindestens unter Tausenden herauszugreifen und Frick vorzuschlagen, diese Angelegenheit zu einem besonderen Schritt nicht nur bei Göring, sondern diesmal auch bei Hitler zu machen. Ich habe damals mich hingesetzt und habe einen Brief oder Bericht Fricks an Hitler entworfen, der auch an das Justizministerium ging. Es waren mehr als fünf Seiten, und ich habe nach allen erdenkbaren Aspekten den Selbstmord des Ministerialdirektors Klausner unter Assistenz der SS-Leute und die nunmehrige Klage beleuchtet. Dieser Bericht an Hitler endete damit, daß Frick schrieb, es sei nunmehr an der Zeit, das Problem der Schutzhaft von Reichs wegen und gesetzlich aufzugreifen.

Jetzt beantworte ich Ihre Frage, was darauf geschah. Es war nämlich ungefähr dieselbe Zeit mit dem Schreiben Fricks an Himmler wegen der Freiheitsberaubung. Himmler ging mit diesen beiden Schriftstücken in eine Sitzung der Reichsleiter, das waren die sogenannten Minister der Bewegung, und legte diesen die Frage vor, ob es angemessen sei, daß ein Reichsleiter, also Frick, einem anderen Reichsleiter, also Himmler, solche Schreiben schriebe. Das hohe Gremium verneinte diese Frage und wies Frick zurecht. Dann ging Himmler in die Sitzung des preußischen Kabinetts, in der das von mir erwähnte Schutzhaftgesetz zur Diskussion stand.

Ich darf darauf aufmerksam machen, daß es zu diesem Zeitpunkt eine Seltenheit war, daß Himmler in eine preußische Ministersitzung gehen durfte. Es hat nämlich einmal in Deutschland eine Zeit gegeben, und sie währte ziemlich lange, wo Himmler nicht der mächtige Mann war, der er später durch die Feigheit und das Zurückweichen der bürgerlichen Minister und der Generale wurde. So war es eine Seltenheit, daß Himmler überhaupt in eine preußische Ministerratssitzung gehen durfte, und am Ende dieser Sitzung stand meine Entlassung aus dem Reichsinnenministerium.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ich möchte Ihnen aus dem Memorandum, das ich Ihnen eben zeigte, also 775-PS, zwei Sätze vorlesen und bitte Sie, mir zu sagen, ob der Sachverhalt insoweit richtig geschildert ist. Ich zitiere:

»Ich weise auch in diesem Zusammenhang auf den Fall des Rechtsanwalts Pünder hin, der nur deswegen mit seinen Kollegen in Schutzhaft genommen worden ist, weil er nach Erkundigung im Reichsjustizministerium und unserem Ministerium eine Klage eingereicht hat, zu der ihn ein Reichsgesetz zwingt.«

GISEVIUS: Dieser Satz ist richtig.

DR. PANNENBECKER: Und der andere Satz. Ich zitiere:

»Ich führe hier nur den Fall eines Lehrers und Kreisleiters in Esterwege an, der acht Tage in Schutzhaft saß,...«

VORSITZENDER: Dr. Pannenbecker! Wo ist der Satz, den Sie gerade verlesen haben?

DR. PANNENBECKER: In dem Dokument Frick- Dokumentenbuch Nummer 34, der zweite Satz.

VORSITZENDER: Welche Seite?

DR. PANNENBECKER: Es ist in meinem Dokumentenbuch auf Seite 80.

VORSITZENDER: Sprechen Sie vom Paragraph 3 auf Seite 70?

DR. PANNENBECKER: Nein, Herr Präsident, ich sehe, daß gerade dieser Satz nicht übersetzt worden ist aus dem Dokument. Ich darf dann noch einen weiteren Satz verlesen, der aber anscheinend übersetzt ist, und zwar unter Ziffer 3 des gleichen Dokuments.

»Ich führe hier nur den Fall eines Lehrers und Kreisleiters in Esterwege an, der acht Tage in Schutzhaft saß, weil er, wie sich nachher herausgestellt hatte, seinem Landrat einen richtigen Bericht über Mißhandlungen seitens der SS übergeben hatte.«

GISEVIUS: Ja, das entspricht den Tatsachen.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, haben Sie persönlich Unterstützung durch Frick erfahren – hinsichtlich Ihres persönlichen Schutzes?

GISEVIUS: Ja. Damals war ich bei der Geheimen Staatspolizei natürlich so suspekt, daß allerhand böse Dinge gegen mich geplant wurden. Frick ordnete daher an, daß ich in meiner Wohnung von dem zuständigen Polizeirevier geschützt wurde. Es wurde auch ein direkter Telephonapparat von meiner Wohnung zum Polizeirevier gelegt, damit ich nur den Hörer abnehmen brauchte, um bei plötzlichen Besuchen wenigstens eine Seele unterrichten zu können Weiterhin wurde von der Gestapo die übliche Methode angewandt, gegen mich mit kriminellen Vorwürfen vorzugehen. Diese Akten wurden scheinbar Hitler in die Reichskanzlei gebracht, Frick intervenierte. Es stellte sich sehr schnell heraus, daß es sich um einen Namensvetter handelte, und Frick machte am offenen Telephon darüber kein Hehl, daß diese Kerle, wie er sich ausdrückte, einmal wieder Hitler belogen hätten. Das war für die Gestapo, die dieses Telephongespräch abhörte, ein gewisses Signal, nicht mehr mit solchen Mitteln zu arbeiten.

Dann kamen wir durch Heydrich einen Schritt weiter. Er hatte die Güte, mir durchs Telephon mitzuteilen, ich hätte wohl vergessen, daß er seine persönlichen und politischen Gegner bis ins Grab verfolgen könne. Ich machte von dieser Bedrohung Trick dienstlich Mitteilung, und Frick hat entweder persönlich oder auf dem Wege über Daluege bei Heydrich interveniert, und zweifellos ist er mir dadurch sehr behilflich gewesen, denn Heydrich schätzte es nie, auf seine mörderischen Absichten offen angesprochen zu werden.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, konnte denn wenigstens ein Reichsminister hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit beruhigt sein, wenn er versuchte, gegen den Terror der Gestapo und Himmlers anzugehen?

GISEVIUS: Wenn Sie mich hinterher fragen, muß ich feststellen, daß lediglich Schacht ins Konzentrationslager gekommen ist. Ich muß aber wahrheitsgemäß bekunden, daß wir uns alle die Frage vorgelegt haben, wie schnell auch ein Reichsminister ins Konzentrationslager wandern könnte. Was Frick betrifft, so hat er bereits im Jahre 1934 mich vertraulich angegangen, ihm sei von dem Reichsstatthalter in Bayern die zuverlässige Nachricht zugekommen, er solle gelegentlich eines Landaufenthaltes in Bayern ermordet werden, und er bat mich, ob ich nicht Näheres eruieren könnte. Ich bin damals mit meinem Freunde Nebe im Auto persönlich nach Bayern gefahren und habe geheime Ermittlungen angestellt, die immerhin so viel ergaben, daß solche Pläne erörtert wurden. Aber, wie gesagt, Frick hat es überlebt.

DR. PANNENBECKER: Ich habe keine weiteren Fragen.

DR. DIX: Ich bitte, folgende Frage zu entscheiden. Ich habe Gisevius ja auch gerufen. Er ist ein von mir gerufener Zeuge. Es ist also keine Nachfrage, die ich jetzt stelle, sondern ich vernehme ihn, weil er mein Zeuge ist. Ich bin deshalb der Auffassung, daß es richtig und zweckmäßig ist, wenn ich mich jetzt an das Verhör von Kollege Pannenbecker anschließe und die Herren Kollegen, die dann Nachfragen stellen wollen, dann nach uns beiden kommen. Ich bitte das Gericht, diese Frage zu entscheiden.

VORSITZENDER: Sie sind der einzige Verteidiger, der den Zeugen für seinen Klienten gerufen hat?

DR. DIX: Ich habe ihn gerufen.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß, aber sind Sie der einzige Verteidiger, der ihn gerufen hat?

DR. DIX: Ich glaube, ich bin der einzige, der ihn weiter gerufen hat.

VORSITZENDER: Gut, Dr. Dix, dann können Sie ihn als nächster vernehmen.

DR. DIX: Herr Dr. Gisevius! Herr Rechtsanwalt Pannenbecker hat es ja schon erwähnt, Sie haben ein Buch veröffentlicht mit dem Titel »Bis zum bitteren Ende«. Von diesem Buch habe ich dem Gericht Zitate als Beweisdokumente vorgelegt, und sie sind deshalb auch als urkundliche Beweismittel vom Gericht angenommen worden. Aus diesem Grunde frage ich Sie: Ist der Inhalt dieses Buches historisch getreu, und haben Sie ihn nur nach Ihrer Erinnerung oder auf Grund jeweiliger Aufzeichnung geschrieben?

GISEVIUS: Ich kann hier aussagen, daß nach meinem besten Wissen und Gewissen der Inhalt historisch getreu ist. Ich habe mir in Deutschland, soweit es irgend möglich war, fortlaufend Aufzeichnungen gemacht. Ich habe bereits ausgesagt, daß mein toter Freund Oster im Kriegsministerium eine umfangreiche Dokumentensammlung angelegt hatte, auf die ich jederzeit zurückgreifen konnte. Ich habe keine wichtige Angelegenheit, in der ich Freunde aus meiner Oppositionsgruppe zitiere, niedergeschrieben, ohne nicht mehrfach mit ihnen darüber gesprochen zu haben, und seit 1938 bin ich fortlaufend, zunächst besuchsweise, später beruflich, in der Schweiz gewesen und konnte dort in Ruhe meine Aufzeichnungen fortsetzen. Dieser Band, der hier dem Gericht übergeben ist, ist im wesentlichen bereits 1941 abgeschlossen und bereits 1942 verschiedenen auswärtigen Freunden zur Einsicht übergeben worden.

VORSITZENDER: Es genügt, wenn er sagt, daß das Buch wahr ist.

DR. DIX: Seit wann kennen Sie den Angeklagten Schacht?

GISEVIUS: Ich kenne den Angeklagten Schacht seit Ende 1934.

DR. DIX: Aus welchem Anlaß und unter welchen Umständen lernten Sie ihn kennen?

GISEVIUS: Es war zu der Zeit, wo ich im Reichsinnenministerium saß und Material gegen die Gestapo sammelte und von verschiedenen Seiten konsultiert wurde, wenn Zwischenfälle mit der Gestapo befürchtet wurden oder stattgefunden hatten. So sandte eines Tages auch der damalige Reichswirtschaftsminister Schacht einen Vertrauten, seinen Generalbevollmächtigten Herbert Göring zu mir mit der Anfrage, ob ich Schacht behilflich sein könne. Er, Schacht, fühle sich seit langem von Himmler und der Gestapo verfolgt und habe neuerdings den begründeten Verdacht, daß Spitzel oder wenigstens ein Mikrophon in seinem eigenen Hause seien. Ich wurde gefragt, ob ich in diesem Falle behilflich sein könnte. Ich bejahte, suchte mir einen Mikrophonsachverständigen der Reichspostverwaltung und suchte am nächsten Morgen die Ministerwohnung Schachts auf. Wir gingen mit dem Mikrophonsachverständigen von Raum zu Raum und brauchten gar nicht lange suchen. Es war damals sehr schlecht gemacht worden von der Gestapo; sie hatten das Mikrophon allzu sichtbar angebracht, und überdies hatten sie eine Hausangestellte engagiert, die Schacht bespitzeln sollte und sich eine Abhörvorrichtung auf der Hausapparatur in ihr eigenes Schlafzimmer hatte legen lassen. Das war verhältnismäßig leicht festzustellen, und so konnten wir diese Sache entlarven. Bei dieser Gelegenheit sprach ich das erstemal mit Schacht.

DR. DIX: In welchem Sinne haben Sie damals mit ihm gesprochen? Haben Sie sich damals schon politisch mit ihm unterhalten?

GISEVIUS: Es ergab sich aus der Materie und der etwas merkwürdigen Situation, mit der ich mit ihm bekannt wurde. Schacht wußte, daß ich sehr stark gegen die Gestapo mich betätigte, ich meinerseits wußte von Schacht, daß er bekannt war durch zahllose Äußerungen gegen die SS und Gestapo; viele bürgerliche Kreise in Deutschland hofften auf ihn als den einzigen starken Minister, der gegebenenfalls sie schützen könnte; besonders die Wirtschaftskreise, die damals sehr wichtig waren, hofften und fanden auch oft seine Unterstützung, so daß nichts näher lag, als daß ich gleich bei diesem ersten Gespräch von mir aus ihm alles sagte, was mich bewegte. Das Kernproblem war damals die Beseitigung der Gestapo und die Beseitigung des Nazi-Regimes. Insofern war unser Gespräch ein hochpolitisches, und Schacht hörte alles an mit dem Freimut, mit dem man ihm alles sagen konnte, was ich ihm vortrug.

DR. DIX: Na, und was sagte er?

GISEVIUS: Ich sagte Schacht, die Dinge trieben doch unfehlbar einer Radikalisierung zu, ich sei zweifelhaft, ob nicht am Ende des jetzigen Kurses eine Inflation stehen würde und ob es dann nicht besser sei, er selbst führe diese Inflation herbei, weil dann er den Zeitpunkt einer solchen Krise genau vorher wisse und sich rechtzeitig mit den Generalen und den bürgerlichen Ministern auf die krisenhafte Zuspitzung einrichten könne. Ich sagte ihm: »Führen Sie doch die Inflation herbei, dann behalten Sie das Gesetz des Handelns, statt daß es die anderen Ihnen aus der Hand nehmen.« Er antwortete: »Sehen Sie, das ist der Unterschied, der uns trennt: Sie wollen die Katastrophe und ich will sie nicht.«

DR. DIX: Daraus würde folgen, daß Schacht damals noch glaubte, die Katastrophe vermeiden zu können. Wie begründete er diese Ansicht?

GISEVIUS: Ich glaube, zunächst war ihm überhaupt das Wort von der Katastrophe schon eine zu weitgehende Vorstellung. Schacht dachte in den Bahnen überkommener Regierungsverhältnisse, die er ja zeitweise, und zwar schon seit der Zeit Brünings, durch Notverordnungen und gewisse Diktaturmaßnahmen unterbrochen sah. Aber soweit ich bemerken konnte und auch aus allen späteren Gesprächen bemerkt habe, lebte er noch völlig in dem Gedanken einer Reichsregierung, die zusammentrat, Beschlüsse faßte, und wo damals die Mehrheit der Minister bürgerlich war, und zu einem Zeitpunkt, den er früher oder später ansetzen möchte, einen radikalen Kurswechsel beschließen konnte.

DR. DIX: Wie war denn damals seine Einstellung zu Hitler?

GISEVIUS: Es war für mich kein Zweifel, daß er damals noch über Hitler in sehr guter Weise dachte. Ich möchte beinahe sagen, Hitler war damals noch für ihn ein ganz unantastbarer Mann.

VORSITZENDER: Über welchen Zeitpunkt sprechen Sie jetzt?

GISEVIUS: Ich spreche jetzt über den Zeitpunkt meiner ersten Begegnungen Ende 1934 und anfangs 1935.

DR. DIX: Was waren Sie denn damals beruflich? Wo waren Sie, wo arbeiteten Sie?

GISEVIUS: Ich hatte inzwischen aus dem Reichsinnenministerium ausscheiden können, war aber versetzt worden an das in Gründung befindliche Reichskriminalamt. Als wir sahen, daß die Gestapo ihren Machtapparat ausbreitete, glaubten wir eine Art Polizeiapparat neben der Gestapo errichten zu können, nämlich die reine Kriminalpolizei, und mein Freund Nebe war von uns auf den Chefposten dieses Reichskriminalamtes gesetzt worden, um von dort aus eine Polizeiapparatur aufzubauen, mit der wir eventuell der Gestapo Widerstand leisten konnten wenn es ernst wurde. Ich wurde nun mit einem Organisationsauftrag des Innenministeriums an diese neu zu bildende Behörde gesandt, um Vorschläge für die Errichtung dieser Behörde zu machen.

DR. DIX: Wir kommen nun langsam in das Jahr 1936, in das Jahr der Olympiade. Hatten Sie da einen besonderen Auftrag?

GISEVIUS: Ja, anfangs 1936 glaubte man, mir die Leitung des Polizeibefehlsstabes für die Olympiade in Berlin am Polizeipräsidium übertragen zu können. Es war eine völlig unpolitische und technische Angelegenheit, und der damalige Polizeipräsident, Graf Helldorf, glaubte, wegen meiner Beziehungen zum Innenministerium und Justizministerium würde das nützlich sein. Aber dieser Posten wurde mir sehr schnell genommen. Heydrich bemerkte es und intervenierte.

DR. DIX: Da ist in Ihrem Buch ein Brief von Heydrich abgedruckt, den ich in keiner Weise ganz verlesen möchte, den er gerichtet hat an den Grafen Helldorf, wo er ihn darauf aufmerksam macht, daß Sie während Ihrer Tätigkeit im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern stets der Geheimen Staatspolizei alle erdenklichen Schwierigkeiten bereitet hätten – schreibt er –, und daß das Verhältnis mit Ihnen sehr unerfreulich gewesen war, und er fährt fort:

»Ich fürchte, daß seine Mitwirkung in der polizeilichen Vorbereitung der Olympiade auch in diesem Rahmen die Zusammenarbeit mit der Geheimen Staatspolizei nicht gerade fördern wird und bitte zu erwägen, ob Gisevius nicht durch einen anderen geeigneten Beamten ersetzt werden kann. Heil Hitler! Ihr Heydrich.«

Ist das dieser Brief, der Sie da in Ihrer Stellung...

GISEVIUS: Jawohl, das war der Grund, weswegen ich auch aus diesem Geschäft entlassen wurde. Ich hatte dann auch nur noch wenige Wochen zu warten, dann wurde Himmler Chef der Polizei im Reich und an dem Tag, wo Himmler Reichspolizeichef wurde, wurde ich völlig aus jedem Polizeidienst entfernt.

DR. DIX: Wo kamen Sie dann hin?

GISEVIUS: Nach meiner Entlassung aus dem Polizeidienst kam ich an die Regierung in Münster, wo ich der Preisüberwachung zugeteilt wurde.

DR. DIX: Konnten Sie denn in Münster bei diesem Referat Preisüberwachung Ihre politische Arbeit fortsetzen und entsprechende Verbindungen anknüpfen?

GISEVIUS: Ja, ich hatte einen ziemlichen Spielraum für Dienstreisen, ich machte eingehende Studien, nicht nur wegen der Preise, sondern wegen der politischen Lage im Rheinland und in Westfalen, und war fast wöchentlich in Berlin, um auch dort mit meinem Freundeskreis Fühlung zu halten.

DR. DIX: Haben Sie da mit Schacht Fühlung gehalten?

GISEVIUS: Von dieser Zeit an war ich beinahe wöchentlich mit ihm zusammen.

DR. DIX: Haben Sie nicht auch noch mit anderen an prominenter Stelle stehenden Männern von Münster aus im Sinne Ihrer Arbeit Verbindungen angeknüpft?

GISEVIUS: Ja, mit ein Grund, weswegen ich nach Münster gegangen war, war, daß der dortige Oberpräsident. Freiherr von Lüning, noch ein Mann der alten Schule war, sauber, korrekt, Berufsbeamter, politisch ein Mann für Recht und Ordnung. Auch er ist nach dem 20. Juli am Galgen geendet. Ich habe weiterhin Fühlung genommen mit dem Regierungspräsidenten des größten Bezirks in Düsseldorf, Staatssekretär Schmidt, und vor allem habe ich sofort nach meiner Ankunft in Münster alles versucht, um mit dem dortigen Kommandierenden General, dem späteren Feldmarschall von Kluge, Verbindung aufnehmen zu können. Dies gelang. Ich habe auch dort sofort versucht, wieder meine alten politischen Gespräche fortzusetzen.

DR. DIX: Wir kommen auf den General Kluge später noch einmal zurück, ich muß nur jetzt fragen: Um diese Zeit, also Ihrer Tätigkeit in Münster, konnten Sie da bei Schacht schon eine Änderung der Einstellung zum Regime und insbesondere zu Hitler feststellen, wie Sie vorhin als im Jahre 1934 noch bestehend dem Tribunal geschildert haben?

GISEVIUS: Ja, es war ein stetiger Prozeß, mit dem sich Schacht von den Nazis fort entfernte. Wenn ich die Phasen aufzeigen soll, so würde ich sagen, im Anfang, also 1935, war er der Meinung, nur die Gestapo sei das große Übel, Hitler sei der Mann, der Staatsmann sei oder wenigstens Staatsmann werden könne, und Göring sei der konservative starke Mann, dessen man sich bedienen müsse und bedienen könne, um gegen den Terror von Gestapo und Staat geordnete Zustände herzustellen.

Ich habe damals Schacht leidenschaftlich bezüglich des Angeklagten Göring widersprochen. Ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihm gesagt, daß nach meiner Meinung Göring der Schlimmste sei, gerade weil er sich ein solches bürgerliches und konservatives Mäntelchen umhänge. Ich habe ihn beschworen, seine Wirtschaftspolitik nicht mit Göring zu machen, da dieses ein böses Ende nehmen müsse. Schacht, dem man sehr viel nachsagen kann, nur nicht, daß er eine gute Menschenkenntnis hat, bestritt dieses sehr, und erst, als er im Laufe des Jahres 1936 zunehmend sah, daß Göring ihn nicht gegen die Partei unterstützte, sondern daß Göring die radikalen Elemente gegen ihn unterstützte, erst in diesem Moment trat zunehmend eine Wandlung bei Schacht ein, wonach er nunmehr nicht nur Himmler, sondern auch Göring als eine große Gefahr ansah, nur blieb Hitler weiterhin für ihn der Mann, mit dem man Politik machen könne, sofern es der Mehrheit des Kabinetts gelänge, ihn auf die Seite von Recht und Ordnung hinüberzubringen.

DR. DIX: Sprechen Sie jetzt ungefähr von jener Zeit, wo Schacht die Devisenbewirtschaftung an Göring abgab?

GISEVIUS: Ja, das war der Moment, wo ich ihn warnte, und wenn ich sage, er wurde wegen Göring stutzig und sah, daß Göring ihn nicht gegen die radikalen Elemente unterstützte, dann ist das dieser Zeitpunkt.

DR. DIX: Das wäre nun ein Negativ, dem man nachgegeben hätte und die Devisenbewirtschaftung an Göring abgegeben hätte. Aber wenn nun langsam die neue Erkenntnis ihm kam, hat er denn um diese Zeit nicht schon irgendwelche positiven Gedanken im Sinn der Herbeiführung eines Umschwungs betätigt?

GISEVIUS: Ja, er lebte ganz in dem Gedankengang, in dem sehr viele Menschen damals in Deutschland lebten, ich möchte beinahe sagen, die Mehrheit in Deutschland; alles hinge davon ab, die bürgerlichen Kreise zu stärken im Kabinett, und vor allem und als Vorbedingung dafür das Kriegsministerium, an der Spitze Blomberg, auf die Seite der bürgerlichen Minister zu bringen. Schacht hatte also, wenn man so will, die durchaus konstruktive Idee, man müsse es auf einen Kampf um Blomberg abstellen, und in diesem Punkte fand ich mich ja gerade mit ihm, weil das derselbe Kampf war, den ich mit meinem Freund Oster zu meinem bescheidenen Teile und auf meinem viel bescheideneren Wege auch versuchte.

DR. DIX: Hatte er nun etwas zur Erreichung dieses Kampfzieles bereits damals getan?

GISEVIUS: Ja.

DR. DIX: Ich gebe Ihnen das Stichwort des Schrittes des Vizepräsidenten der Reichsbank, Dreise.

GISEVIUS: Ja, er hat damals zunächst versucht, engen Kontakt mit dem zuständigen Sachbearbeiter im Kriegsministerium, dem späteren Leiter des Wehrwirtschaftsstabes, General Thomas, zu suchen. Thomas war ein Mann, der von Anfang an dem Nationalsozialismus skeptisch oder sogar ablehnend gegenüberstand. Wie durch ein Wunder ist er nachher lebend aus dem Konzentrationslager herausgekommen, und Schacht begann damals einen Kampf um Blomberg auf dem Wege über Thomas. Ich habe an diesem Kampf an meinem Teile teilgenommen, weil Schacht mich auf dem Wege über Oster als Mittelsmann benutzte, teilweise hörte ich über diese Verbindungen von Herbert Göring, teilweise sind mir diese Dinge aus vielen Gesprächen mit Thomas auch vertraut, und ich kann hier bezeugen, daß es damals schon außerordentlich schwer war, eine Verbindung zwischen Schacht und Blomberg herzustellen, denn ich war so naiv, wiederholt Schacht zu sagen, er möge doch einfach Blomberg antelephonieren und um eine Besprechung bitten. Schacht erwiderte mir, Blomberg werde bestimmt ausweichen und es sei nur die Möglichkeit, wenn er zuvor diese Besprechung über Oster und Thomas vorbereite. Dieses geschah. Ich weiß, mit welchen Erwartungen wir den mehrfachen Besprechungen Schachts mit Blomberg entgegensahen. Ich bin natürlich nicht selber als Zeuge zugegengewesen, aber wir haben damals sehr genau über diese Besprechungen gesprochen. Ich habe mir Notizen gemacht, und ich war sehr erfreut, daß sich diese meine Erinnerungen genau decken mit den Erinnerungen Thomas', von dem ich handschriftliche Aufzeichnungen besitze. Thomas wurde wiederholt von Blomberg zurechtgewiesen, ihn doch nicht mit solchen Bedenken Schachts zu belästigen. Schacht wäre ein Querulant und er, Thomas, solle sich...

VORSITZENDER: Ist es nötig, in alle diese Einzelheiten zu gehen, Dr. Dix?

DR. DIX: Ja, ich glaube, Euer Lordschaft, es wird notwendig sein. Diese Entwicklung von einem überzeugten Anhänger Adolf Hitlers zu einem ausgesprochenen Opponenten und Revolutionär, ja Verschwörer, ist natürlich ein so komplizierter psychologischer Prozeß, daß ich glaube, dem Tribunal die Einzelheiten dieser Entwicklung nicht ersparen zu können. Ich werde in unwesentlichen Dingen bestimmt Ökonomie üben, aber ich wäre dankbar, wenn dem Zeugen – es ist mein einziger Zeuge – zu diesem Punkt doch eine gewisse Freiheit auch hinsichtlich des Details gegeben werden könnte. Aber ich würde Sie bitten...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt, daß Sie die Hauptsache wiedergeben können, ohne derart auf Einzelheiten einzugehen. Sie müssen auf jeden Fall versuchen, so wenig unnötige Einzelheiten wie möglich wiederzugeben.

DR. DIX: Das will ich gern tun.