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[Das Gericht vertagt sich bis

25. April 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertvierzehnter Tag.

Donnerstag, 25. April 1946.

Vormittagssitzung.

DR. DIX: Herr Dr. Gisevius! Wir standen gestern im Jahre 1938. Sie waren nach Berlin in eine von Schacht arrangierte Scheinstellung zurückgekehrt und waren nunmehr in ständigem Kontakt mit Ihren politischen Vertrauten Schacht, Oster, Canaris und Nebe. Und Sie hatten zuletzt weiter bekundet, daß Sie damals in Ihrem Kreise alle das Gefühl hatten, daß irgendein Schlag bevorstände.

Und wir kommen ja jetzt tatsächlich zur sogenannten Fritsch-Krise, nach meiner Auffassung die entscheidende innenpolitische Vorstufe des Krieges. Schildern Sie bitte, und zwar im Zusammenhang, den gesamten Verlauf und die Hintergründe dieser Krise, Insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in die Geschichte dieser Krise der Einmarsch in Österreich fällt, selbstverständlich alles unter Berücksichtigung der Position und der Handlungen Schachts, auf die es ja ankommt.

GISEVIUS: Ich werde zunächst den Ablauf der Krise als solche schildern, von der es richtig ist, daß alle meine Freunde sie als die entscheidende Vorstufe des Krieges aufgefaßt haben.

Ich werde in getrennter Weise Tatsachen aneinanderreihen und halte es für gut, um das Bild nicht zu verwirren, daß ich zunächst die Person Schachts aus der Schilderung herauslasse, weil der Tatbestand als solcher schon umfangreich genug ist.

Ich werde auch in meiner Schilderung zunächst nicht auf die Herkunft unserer Informationen und auf meine eigenen Erlebnisse verweisen, sondern warten, bis ich darüber gefragt werde.

Am 12. Januar 1938 wurde die deutsche Öffentlichkeit von der Meldung überrascht, daß der damalige Reichskriegsminister vor Blomberg geheiratet hätte. Nähere Einzelheiten über seine Frau auch Bilder, wurden nicht gegeben. Nach einigen Tagen erschien als einziges Bild eine Abbildung des Marschalls mit seiner neuen Frau ausgerechnet vor dem Affenzwinger des Leipziger Zoologischen Gartens. Es erhoben sich eine Anzahl Gerüchte in der Reichshaupt Stadt, die über das Vorleben der Marschallin böse Dinge zu berichten wußten. Nach einigen Tagen befand sich auf dem Schreibtisch des Berliner Polizeipräsidenten ein dickes Aktenbündel, aus dem folgendes hervorging:

Die Frau des Marschalls von Blomberg war eine vorbestrafte Sittendirne, die allein in sieben Sittenakten großer Städte registriert war. Sie befand sich im Berliner Steckbriefregister. Ich selbst habe die Fingerabdrücke und die Bilder gesehen, und endlich war sie wegen Verbreitung unsittlicher Bilder vom Berliner Gericht bestraft worden. Der Berliner Polizeipräsident war verpflichtet, diese Akte auf dem Dienstwege dem Chef der Polizei Himmler zu übergeben.

DR. DIX: Entschuldigen Sie bitte, wer war damals Polizeipräsident?

GISEVIUS: Polizeipräsident war Graf Helldorf. Graf Helldorf erkannte, daß die Weitergabe dieses Materials an den Reichsführer-SS die Wehrmacht in eine unmögliche Situation bringen würde. Dann würde Himmler das Material gehabt haben, das er zur moralischen Beendigung der Karriere von Blombergs und zu einem Schlage gegen die Wehrmachtsführung benötigte. Helldorf ging mit diesen Akten zu dem engsten Mitarbeiter des Marschalls Blomberg, dem damaligen Chef des Wehrmachtsamts Keitel, der damals gerade in verwandtschaftliche Beziehungen, durch die Eheschließung beider Kinder, zu dem Marschall Blomberg getreten war. Der Marschall Keitel – oder damaliger Generaloberst Keitel – sah sich diese Akten genauestens an und stellte an den Polizeipräsidenten Helldorf das Ansinnen, den ganzen Skandal zu vertuschen und die Akten zu verschweigen.

DR. DIX: Vielleicht sagen Sie dem Gericht, woher Sie das wissen?

GISEVIUS: Ich weiß dies durch den Grafen Helldorf, der mir den ganzen Ablauf der Dinge geschildert hat, und durch den damals im Polizeipräsidium in Berlin sitzenden Oberregierungsrat und späteren Reichskriminaldirektor Nebe.

Keitel lehnte es ab, von sich aus Blomberg irgendwelche Konsequenzen nahezulegen. Er lehnte es ab, den Chef des Generalstabs, Beck, oder den Chef des Heeres, Generaloberst von Fritsch, zu unterrichten. Er schickte den Grafen Helldorf mit den Akten zu Göring. Helldorf unterbreitete dem Angeklagten Göring das Aktenstück. Göring behauptete, von dem Steckbriefregister und von der Vorstrafe der Frau von Blomberg nichts zu wissen. Dagegen gab er zugleich in diesem ersten Gespräch und dann in späteren Gesprächen zu, daß er folgendes bereits gewußt habe:

Erstens, daß der Marschall Blomberg bereits vor Monaten Göring gefragt habe, ob es zulässig sei, daß er ein Verhältnis mit einer Dame aus niederer Herkunft habe. Nach einiger Zeit hatte Blomberg Göring gefragt, ob er ihm behilflich sein wolle, einen Heiratsdispens zu erhalten für diese Dame, wie er sich ausdrückte, mit einer Vergangenheit. Nach einiger Zeit kam Blomberg wieder und erzählte Göring, leider habe diese Dame seines Herzens noch einen weiteren Liebhaber, und er müsse Göring bitten, ihm, Blomberg, behilflich zu sein, diesen Liebhaber beiseite zu schaffen.

DR. DIX: Entschuldigen Sie, das erzählte Göring damals Helldorf, und Sie haben es erfahren von Helldorf?

GISEVIUS: Ja, das erzählte Göring, und wir haben es in dem weiteren Verlauf der Untersuchung auch anderweitig erfahren. Göring schaffte darauf den Liebhaber beiseite, indem er ihm Devisen gab und ihn nach Südamerika verbannte. Trotzdem unterrichtete Göring über dieses Vorspiel Hitler nicht, er ging sogar mit Hitler zusammen als Trauzeuge zu der am 12. Januar stattfindenden Eheschließung des Marschalls Blomberg. Ich möchte hier bemerken, daß...

VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof möchte gerne wissen, wieso Sie diese Angelegenheit, die so persönlich zu sein scheint, für erheblich zu unserem Fall hier halten, und inwiefern Sie die Angeklagten Schacht, Göring oder Frick betrifft.

DR. DIX: Ich vertrete hier nur die Interessen, die berechtigten Interessen des Angeklagten Schacht. Es ist notwendig, diese Krise in ihrer ganzen Schauerlichkeit darzustellen, um zu begreifen, welche Wirkung, welche revolutionäre Wirkung, sie auf Schacht und seinen Kreis gegenüber dem Regime gehabt hat. Ich habe schon früher einmal gesagt, in der Entwicklung Schachts vom Anhänger und – bis zu einem gewissen Grade – Bewunderer Hitlers zu einem Todfeind, der ihm nach dem Leben trachtet, ist der Wendepunkt die Fritsch-Krise. Das Gericht kann diesen inneren Umschwung nicht verstehen, wenn das Gericht nicht selbst den gleichen Eindruck empfängt, den damals Schacht empfunden hat. Es kommt mir hier wahrlich in keiner Weise darauf an, unnötig irgendwie schmutzige Wäsche zu waschen. Der Entschluß, diese Fragen zu stellen und den Zeugen zu veranlassen, die Fritsch-Krise in der notwendigsten Einzelheiten zu schildern, beruht eben nur darauf daß man die weitere Entwicklung Schachts und die Entwicklung der Fritsch-Krise, sagen wir, den Kreis Oster-Canaris, zu dem Schach gehörte, gar nicht verstehen kann, wenn man nicht die Ungeheuerlichkeiten dieser Krise kennt, und angesichts dieser Tatsache muß man, so unangenehm es ist, sich dazu entschließen, diese zum Teil sehr persönlichen Dinge zur Kenntnis des Gerichts zu bringen. Ich kann es leider nicht entbehren in meiner Verteidigung. Es ist das A und O meiner Verteidigung.

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Es wäre jetzt vielleicht von Nutzen, unsere Stellungnahme bezüglich dieser Art von Aussage bekanntzugeben zur Prüfung der Frage, ob sie zulässig ist oder nicht.

Wenn jetzt über diese Dinge nicht ausgesagt wird, würde ich versuchen, sie im Kreuzverhör herauszubekommen, und zwar aus verschiedenen Gründen:

Erstens zeigen sie den Hintergrund zu den gestern behandelten Ereignissen, was nach meiner Ansicht wichtig ist, um die Glaubwürdigkeit der Aussagen beurteilen zu können.

Zweitens hatten sie Einfluß auf die Verschwörung zur Machtergreifung. Es gab verschiedene Männer in Deutschland, die die Verschwörer beseitigen mußten. Einige konnten sie ohne Schwierigkeiten umbringen. Bei der Liquidierung anderer, wie zum Beispiel im Röhm-Putsch, riefen sie einen gewissen Widerstand wach, den sie mit anderen Mitteln niederschlagen mußten. Und die Mittel, die sie gegen Fritsch und Blomberg anwandten, zeigen die Verschwörung zur Machtergreifung und Beseitigung der Männer, die allenfalls einem Angriffskrieg im Wege standen.

Meiner Ansicht nach gehörten Fritsch und Blomberg wohl zu jenen Leuten, auf die sich das deutsche Volk verlassen hat, als es die Nazis gewähren ließ, im Glauben, daß wenigstens diese beiden Männer ihre Interessen schützen würden; die Art und Weise, in der diese Männer angeschossen und aus dem Wege geräumt wurden, halten wir für einen wichtigen Teil der Verschwörung, und ich würde bitten, beim Kreuzverhör darauf einzugehen.

Das mag vielleicht für die Entscheidung des Gerichtshofs über den Fortgang des Verhörs wichtig sein.

DR. DIX: Darf ich noch etwas sagen?

VORSITZENDER: Jawohl, Herr Dr. Dix. Der Gerichtshof ist angesichts dessen, was Sie und Herr Jackson zur Begründung gesagt haben, der Meinung, daß Sie mit Ihrem Verhör fortfahren sollen. Sie werden sich nur die Mühe geben, es soweit wie möglich auf die politischen Seiten dieser Sache zu beschränken.

DR. DIX: Selbstverständlich. Aber das Persönliche ist hier von so großer politischer Wirkung gewesen, daß es hier nicht entbehrt werden kann.