[Zum Zeugen gewandt:]
Sie wollen vielleicht in Ergänzung und zum Verständnis des Gerichts dem Gericht noch eine Bekundung über die Stellung machen, die der Vorsitzende im deutschen Kriegsgerichtsverfahren einnimmt, daß die Kontrolle des Verhörs in seinen Händen liegt, überhaupt der ganze Aufbau in seinen Händen liegt.
GISEVIUS: Herr Dr. Dix! Ich zweifle nicht, daß Sie an sich über die Zuständigkeit eines solchen Vorsitzenden besser und juristisch klarer antworten können. Ich möchte Ihnen aber folgendes sagen: Ich habe das Stenogramm dieser Sitzung gelesen, denn es ist eines jener Dokumente, das wir glaubten, einmal der Öffentlichkeit übergeben zu wollen. Auch dieses, hoffe ich, werden wir noch einmal finden; und daraus geht hervor, daß der Angeklagte Göring als Vorsitzender den Tenor der gesamten Verhandlungen und der Fragen bestimmte. Er fragte den Belastungszeugen und er sorgte dafür, daß andere Fragen nicht gestellt wurden, die vielleicht hätten peinlich werden können. Ich muß sagen aus der Lektüre dieses umfangreichen Protokolls, daß Göring es verstanden hat, die wahren Vorgänge durch seine Verhandlungsweise zu vertuschen.
DR. DIX: Ich habe bei meinen einleitenden Worten anfangs der Sitzung die Fritsch-Krise die entscheidende innenpolitische Vorstufe des Krieges genannt. Sie haben, Herr Doktor, diesen Ausdruck aufgenommen. Wollen Sie sich nach Abschluß der Schilderung der Fritsch-Krise bitte dazu entschließen, die von Ihnen aufgenommene Ansicht zu begründen; und wie war der Eindruck auf Ihre Kreise in dieser Richtung, insbesondere auch auf Schacht?
GISEVIUS: Ich muß nochmals darauf hinweisen, daß es bis zu dieser Fritsch-Krise schwer war, innerhalb der deutschen Opposition auch nur den bloßen Gedanken an Krieg laut werden zu lassen. Das kam daher, daß in Deutschland die oppositionellen Kreise so sehr von der Stärke der Armee durchdrungen waren und von der Stärke der führenden Männer, daß sie glaubten, es genüge, einen solchen Ehrenmann, wie Fritsch, an der Spitze der deutschen Armee zu sehen. Der Gedanke schien unvorstellbar, daß Fritsch ein Abgleiten in den Terror dulden würde oder auch ein Hineingleiten in den Krieg. Nur einige wenige hatten darauf hingewiesen, daß es in dem Gesetz jeder Revolution liegt, daß sie eines Tages über die Grenzen eines Volkes hinausgeht. Wir glaubten, daß diese geschichtliche Lehre auch für die nationalistische Revolution als eine drohende Gefahr sprechen werde, und deswegen warnten diejenigen, die von einer Revolution, nicht nur vor einer Diktatur, überzeugt waren, immer wieder davor, daß eines Tages diese Revolutionäre als letztes Mittel zum Kriege schreiten würden. Je mehr nun im Zuge der Fritsch-Krise klar wurde, daß der Radikalismus das Feld behauptete, wurde einem weiteren Kreise klar, daß die Kriegsgefahr nicht mehr von der Hand zu weisen war.
DR. DIX: Und gehörte zu diesem Kreise auch der Angeklagte Schacht?
GISEVIUS: Ja, in diesen Tagen der Fritsch-Krise haben Schacht wie viele andere gesagt, »das ist der Krieg«, und dieses wurde auch unzweideutig dem damaligen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, gesagt.
DR. DIX: Nun drängt sich die Frage auf, warum finanzierte denn nun Schacht, allerdings vorher, zumindest in den Anfängen die Aufrüstung?
GISEVIUS: Schacht hat mir immer zur Begründung angegeben, er habe die Aufrüstung zu defensiven Zwecken mit seinen Mitteln ausgestattet. Schacht war lange Jahre davon durchdrungen, daß ein so großes Volk in der Mitte Europas wenigstens die Mittel für eine Defensive haben müßte.
Ich darf darauf hinweisen, daß damals weite Kreise des deutschen Volkes von dem Gedanken durchdrungen waren, es könne etwa aus dem Osten eine offensive Gefahr kommen. Sie dürfen nicht vergessen, mit welcher Propaganda damals das deutsche Volk überschwemmt wurde, und daß besonders diese Gefahr aus dem Osten mit dem Hinweis auf die polnischen Aspirationen auf Ostpreußen begründet wurde.
DR. DIX: Hat sich Schacht mit Ihnen damals auch darüber unterhalten, daß er mit dieser Aufrüstung insofern politische Zwecke verfolgte, als er durch sie die Debatte über die allgemeine Abrüstung wieder in Gang setzen wollte?
GISEVIUS: Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe leider vergessen, von mir aus diesen Punkt hervorzuheben. Schacht war der Meinung, man müsse mit allen Mitteln das Gespräch um die Aufrüstung1 wieder in Gang bringen. Ihm schwebte vor, daß sehr bald schon, ich glaube, daß er diese Meinung seit 1935 hatte, die Gegenseite auf die deutsche Aufrüstung zu verweisen sei; und daß dann Hitler gezwungen werden würde, nunmehr wegen seiner bekanntgewordenen Wiederaufrüstung die Gespräche auf der Abrüstungskonferenz neu zu beginnen.
DR. DIX: Ist das, was Sie eben gesagt haben, der Gegenstand Ihrer damaligen Gespräche mit Schacht, oder ist das ein Urteil von Ihnen jetzt?
GISEVIUS: Nein, ich entsinne mich dieses Gespräches deswegen sehr genau, da ich dachte, daß Hitler einen anderen Drang hatte, als zu einer Abrüstungskonferenz zu gehen. Ich rechnete meinerseits mit einer ganz anderen Mentalität Hitlers und war etwas erstaunt, daß Schacht solche Gedankengänge Hitlers überhaupt für möglich hielt.
DR. DIX: Nun, hatten Sie den Eindruck aus Ihrer Unterhaltung mit Schacht, daß er über Art, Tempo und Ausmaß und so weiter der Aufrüstung im einzelnen orientiert war?
GISEVIUS: Ich entsinne mich deutlich, wie oft Schacht Freunde von mir und auch mich persönlich fragte, ob wir ihm nicht behilflich sein könnten, den Umfang der Aufrüstung durch Rückfragen im Kriegsministerium zu eruieren. Ich habe gestern schon die Versuche geschildert, die er unternahm, um über Oster und Thomas Einzelheiten in Erfahrung zu bringen.
DR. DIX: Nun, können Sie dem Tribunal etwas darüber sagen, ob überhaupt Schacht sich dann bemüht hat, die Rüstungsausgaben und damit die Rüstung nach Tempo und Ausmaß zu beschränken; und, bejahendenfalls, wann diese Bemühungen Schachts einsetzten?
GISEVIUS: Diese Bemühungen setzten meines Wissens bereits im Jahre 1936 ein. Unter den erregten Debatten um Schachts Rücktritt als Wirtschaftsminister im Jahre 1937 spielten diese Bemühungen eine besonders große Rolle. Ich entsinne mich, daß eigentlich jedes Gespräch um diesen Punkt kreiste.
DR. DIX: Nun wird gesagt – und verständlicherweise auch von der Anklagebehörde –, daß die Begründungen, die Schacht auch in offiziellen Eingaben und so weiter über die Notwendigkeit dieser Einschränkungen gab, hauptsächlich auf finanztechnischem Gebiet gelegen hätten, das heißt, daß er als besorgter Wirtschaftsführer und besorgter Reichsbankpräsident gesprochen hätte und nicht als besorgter Patriot, der befürchtete, daß sein Land in einen Krieg gestürzt werden könnte. Wissen Sie, haben Sie mit Schacht Unterhaltungen geführt, in deren Erinnerung Sie zu diesem meinem Vorhalt dem Tribunal etwas Nützliches sagen können?
GISEVIUS: In diesen ganzen Vorbesprechungen gab es von dem Schriftsatz, den Schacht abfaßte, Dutzende von Vorentwürfen. Sie wurden in Freundeskreisen durchgesprochen; um nur ein Beispiel zu nennen, hat Schacht wiederholt solche Schreiben auch mit Goerdeler durchgesprochen. Immer ging es um eine Frage: Was kann man sagen, damit ein solches Schreiben nicht als Provokation empfunden wird, sondern damit es den Zweck erfüllt, die übrigen bürgerlichen Minister und insbesondere den Kriegsminister Blomberg auf die Seite Schachts zu ziehen; denn das war ja gerade der Kampf: wie überzeugt man solche Minister, wie Blomberg, Neurath oder Schwerin-Krosigk, die viel loyaler Hitler gegenüberstanden, daß sie sich Schacht anschließen, statt daß sie sagen, daß Schacht wieder einmal in seiner bekannt bissigen Zunge Hitler und Göring provozierte.
Alle diese Schreiben sind nur zu verstehen aus den taktischen Gründen, die wie gesagt, eingehendst mit führenden Männern der Opposition beraten wurden.
DR. DIX: Nun nach der Fritsch-Krise; wie gestaltete sich denn nun die politische Verschwörerarbeit, die Sie mit Ihren Freunden und Schacht gemeinschaftlich hatten?
GISEVIUS: Ich greife das Wort, von der Verschwörung auf. Während ich bis zu diesem Augenblick unsere Tätigkeit mehr oder minder nur oppositionell nennen kann, begann in der Tat jetzt eine Verschwörung; und nunmehr tritt auch in den Vordergrund ein Mann, der später als Haupt dieser Verschwörung eine große Rolle spielen sollte. Der damalige Chef des Generalstabs, Generaloberst Beck, meinte, es sei der Zeitpunkt gekommen, wo ein deutscher General das große Alarmsignal für das In- und Ausland zu geben hat. Es ist, wie ich glaube, für das Tribunal wichtig, auch den letzten Grund zu wissen, weswegen Beck sich zu diesem Schritt entschloß. Der Chef des Generalstabs war zugegen, als Hitler im Mai 1938 in Jüterbog vor den Generalen eine große Rede hielt.
Diese Rede war gedacht als Rehabilitierung Fritschs, mit ein paar Worten wurde auch über Fritsch gesprochen; aber mehr wurde gesprochen und zum erstenmal offen vor deutschen Generalen im großen Kreise von Hitlers Absicht, die Tschechoslowakei mit Krieg zu überziehen. Beck hörte diese Rede, er war entrüstet, daß er als Chef des Generalstabs zum erstenmal von einer solchen Absicht in einem solchen Gremium hörte, ohne vorher auch nur unterrichtet oder befragt worden zu sein. Noch während der Sitzung schickte Beck zu Brauchitsch einen Brief, in dem er diesen um eine sofortige Unterredung bat. Brauchitsch verweigerte diese und ließ Beck ostentativ mehrere Wochen warten. Beck geduldete sich nicht so lange, er verfaßte ein umfangreiches Memorandum, in dem er als Chef des Generalstabs sich dagegen verwahrte, daß das deutsche Volk in Kriegsabenteuer hineingezogen würde. Beck erklärte am Ende dieses Memorandums seinen Rücktritt und hier, glaube ich, ist es Zeit, daß ich auch über diesen Chef des Generalstabs ein Wort sage...
DR. DIX: Einen Moment, Herr Doktor; wollen Sie nur noch sagen, von wem haben Sie diese Kenntnis über die Gedanken Becks und die Unterhandlungen zwischen Beck und Brauchitsch?
GISEVIUS: Beck schenkte mir sein Vertrauen, und ich habe in den letzten Jahren eng mit ihm zusammengearbeitet, und bis zur letzten Stunde seines Lebens, am 20. Juli, habe ich an der Seite von ihm gestanden und ich kann hier bezeugen, und es ist wichtig für das Gericht, daß Beck immer wieder mit dem Problem gerungen hat, was ein Chef des Generalstabs zu tun hat, wenn er sieht, daß die Dinge in den Krieg treiben; und deswegen bin ich es seinem Andenken und meinem Eide hier schuldig, nicht zu verschweigen, daß Beck die Konsequenz zog, als einziger deutscher General freiwillig von seinem Posten zurückzutreten, um zu zeigen, daß es auch für Generale in führenden Positionen eine Grenze gibt, wo sie unter Einsatz ihrer Position und ihres Lebens zurückzutreten haben und nicht mehr Befehle entgegenzunehmen haben. Beck war der Meinung, daß der Generalstab nicht nur eine Vereinigung von Waffentechnikern sei; Beck sah in dem deutschen Generalstab das Gewissen der deutschen Armee, und so erzog er seine Generalstäbler und litt die späteren Jahre seines Lebens unendlich darunter, daß Menschen, die von ihm in diesem Sinne erzogen waren, nicht diesen Weg des Gewissens gingen; und ich bin es diesem Manne schuldig, zu sagen, daß er ein Mann unbeugsamen Charakters.
VORSITZENDER: Dr. Dix! Ich glaube, wir sollten lieber das behandeln, was Herr General Beck tatsächlich getan hat.
DR. DIX: Das will ich tun, aber Euer Lordschaft...
VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre jetzt Zeit, eine Pause einzuschalten. Der Zeuge hat gesagt, daß General Beck in einem Memorandum protestiert hat und seinen Rücktritt angeboten hat. Das hat er schon vor einigen Minuten gesagt, er hat dann weitergesprochen, hat uns aber noch nicht gesagt, was General Beck wirklich getan hat.
DR. DIX: Ja.
VORSITZENDER: Wir werden jetzt eine Pause einschalten.