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[Zum Zeugen gewandt:]

Wollen Sie mir bitte nun sagen, Dr. Gisevius, war über die polizeilichen und militärischen Vorbereitungsmaßnahmen, die Sie geschildert haben, Schacht immer laufend orientiert?

GISEVIUS: Schacht war über all diese Dinge laufend orientiert. Wir trafen uns des Abends in Witzlebens Wohnung, und ich zeigte dort alles, was ich am Tage schriftlich ausgearbeitet hatte. Es wurde dann in allen Einzelheiten durchgesprochen.

DR. DIX: Spielten auch neben diesen militärischen und polizeilichen Maßnahmen, die Sie erwähnt haben, politische Maßnahmen eine Rolle?

GISEVIUS: Ja, selbstverständlich. Wir mußten ja sehr eingehend vorbereiten, was in diesem Falle dem deutschen Volk innenpolitisch zu sagen war, und ebenso gab es natürlich auch gewisse Vorbereitungen, die wir nach außen hin treffen mußten.

DR. DIX: Was heißt das nach außen hin? Außenpolitisch?

GISEVIUS: Außenpolitisch, natürlich.

DR. DIX: Warum natürlich? War das Auswärtige Amt eingebaut, oder was heißt hier außenpolitisch?

GISEVIUS: Es ist sehr schwer, über diese Dinge zu antworten, weil über die Zusammenarbeit mit dem Ausland in Zeiten des Krieges, oder unmittelbar vor einem Kriege, es sehr schwer ist, zu sprechen, denn wir befinden uns hier auf sehr umstrittenen Grenzgebieten. Wenn ich darüber sprechen soll, so ist es mindestens ebenso wichtig, wie Termine und Daten, daß ich aussage, was diejenigen geleitet hat, solche Besprechungen mit dem Ausland zu führen.

DR. DIX: Ich glaube sicher, daß das Tribunal Ihnen dies erlauben wird, daß die Motive...

VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie viel zu sehr auf Einzelheiten darüber eingehen. Wenn der Gerichtshof die Aussagen dieses Zeugen als wahr annimmt, zeigen sie, daß Schacht mit ihm und General Witzleben damals Verhandlungen geführt hat, um den Krieg zu verhindern. Ich sage, wenn der Gerichtshof es annimmt; und das können Sie sicher nicht dadurch beweisen, daß Sie diese, wie mir scheint unwichtigen Einzelheiten über die Verhandlungen vortragen lassen.

DR. DIX: Ja, ich muß aber meiner Meinung nach die Ernstlichkeit und die Intensität dieser Verschwörertätigkeit im einzelnen substantiieren. Es genügt meines Erachtens nicht, daß jemand solche Pläne...

VORSITZENDER: Aber Sie sprechen davon seit heute 10.00 Uhr früh.

DR. DIX: Euer Lordschaft! Ich gehe jetzt vom Schachtschen Standpunkt aus, ob ich den Zeugen eine Geschichte, eine politische Geschichte Schachts und damit...

VORSITZENDER: Man sagt mir, Sie haben gestern abend zugesagt, daß Sie nur noch eine halbe Stunde benötigen. Erinnern Sie sich, das gesagt zu haben? Vielleicht war es ein Fehler in der Übersetzung.

DR. DIX: Nein, oh, das ist ein schweres Mißverständnis. Ich habe gesagt, wenn ich die Fritschsche Krise noch anschneiden und vollenden soll, dann würde das noch eine halbe Stunde dauern; also die Fritschsche Krise. Meine Herren Richter! Es ist doch so: Es wird doch jetzt dargestellt die Geschichte der politischen Opposition, in der Schacht eine führende Rolle hatte, und wenn der Angeklagte Göring oder jemand anderer Zeit hatte, eine Darstellung des gesamten Geschehens von ihrem Standpunkt aus zu geben, tagelang, so glaube ich, ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, daß auch die Männer, repräsentiert hier im Saale durch den Angeklagten Schacht, die gegen dieses System unter schwersten Terrorverhältnissen gekämpft haben, die Geschichte ihrer Oppositionsbewegung im einzelnen dartun können.

Ich würde also das Gericht sehr bitten, ich bin kein Freund von Überflüssigkeiten, ich würde das Gericht sehr bitten, mir zu erlauben, daß der Zeuge noch über die jetzt angeschnittenen Maßnahmen der Verschwörergruppe Beck, Schacht, Canaris und so fort, Bekundungen macht. Ich bitte, davon überzeugt zu sein, ich halte es für außerordentlich wichtig, und ich nehme an, Euer Lordschaft, daß, wenn es nicht jetzt geschieht, daß sich die Prosecution in der Cross-Examination dafür interessieren wird, und ich glaube, da es jetzt im Zusammenhang geschieht, wird es weniger Zeit in Anspruch nehmen, als wenn wir abwarten, bis die Cross-Examination kommt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat nicht die Absicht, Ihnen zu sagen, wie Sie Ihren Beweis führen sollen; aber er hofft, daß Sie sich so kurz als möglich fassen und keine unnötige Einzelheit bringen.

DR. DIX: Ich bitte davon überzeugt zu sein.

Also, Herr Zeuge, Sie ließen das Stichwort »Außenpolitische Maßnahmen« fallen und wollten gerade die Motive darlegen, die einzelne von Ihnen dazu veranlaßt haben, mit dem Auslande zur Unterstützung ihrer Opposition Fäden zu knüpfen. Wollen Sie bitte damit fortfahren?

GISEVIUS: Ich möchte mich einfach nur auf die Erklärung beschränken, daß von diesem Augenblick an sehr ausführliche und substantiierte Gespräche mit dem Auslande stattgefunden haben, um alles zu versuchen, den Kriegsausbruch oder die Kriegsverlängerung oder die Kriegsausbreitung zu verhindern. Solange ich aber nicht in der Lage bin, auch über die Motive in einer so heiklen Sache mich zu äußern, wo mindestens in Deutschland unsereinem der Vorwurf des Landesverrats gemacht wird, solange werde ich nicht mehr sagen, als nur die Tatsache, daß diese Gespräche stattgefunden haben.

DR. DIX: Ich habe das Gericht nicht dahin verstanden, daß es Ihnen verwehren will, die Motive darzulegen, die Sie angeführt haben. Sie können also die Motive darlegen.

GISEVIUS: Ich bin es meinem Gewissen und vor allem auch den hieran beteiligten Toten schuldig, hier zu sagen, daß in den Dingen, die ich geschildert habe, sie unter einem unerhörten Gewissensdruck standen. Wir wußten, daß man uns vorwerfen würde, mit dem Auslande zu konspirieren.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof weiß natürlich, daß diese Dinge nicht ohne Gefahr durchgeführt wurden; aber wir sind wirklich nicht hier, um uns ein Urteil zu bilden über Leute, die unglücklicherweise ihr Leben eingebüßt haben. Wir verhandeln derzeit die Sache gegen den Angeklagten Schacht.

DR. DIX: Die Absicht des Zeugen ist mißverstanden worden. Er will nicht über die Leute sprechen, die ihr Leben dabei verloren haben, und er will auch nicht sprechen über die Gefahren, sondern er will darüber sprechen, welche Gewissenskonflikte diejenigen, die diese Schritte inaugurierten und unternahmen, durchmachen mußten, und ich glaube, dieses Recht muß man dem Zeugen gewähren, wenn er zu dieser sehr delikaten Angelegenheit hier in aller Öffentlichkeit aussagen soll. Ich würde sehr darum bitten; sonst begnügt sich der Zeuge mit allgemeinen Andeutungen, die meiner Verteidigerarbeit nicht genügen, und ich nehme an, es wird die Prosecution in der Cross-Examination diese Dinge fragen.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte versuchen, den Zeugen zur eigentlichen Sache zu bringen? Wir können natürlich nicht sagen, worüber er zu sprechen wünscht, sondern wir können nur sagen, worüber er spricht.

DR. DIX: Also, Sie wollen kurz die Erwägungen schildern, die diejenigen gehabt haben, die diese Verbindungen aufgenommen haben, und dann die Verbindungen selbst schildern.

GISEVIUS: Herr Präsident! Es ging nicht nur um die Frage des Gewissens, es ging darum, daß heute noch Angehörige leben, die eventuell falschen Anschuldigungen ausgesetzt werden können, und deswegen mußte ich sagen, in Bezug auf die Gespräche im Ausland, die ich schildern werde, daß auch unser enger Freundeskreis sich über das Ausmaß des Zulässigen nicht in allem schlüssig war. Der eine ging hierin weiter und der andere zog engere Grenzen. Zum Beispiel bin ich dem Andenken des toten Admirals Canaris schuldig, hier angesichts vieler falscher Pressemeldungen richtigzustellen, daß er Konspirationen mit dem Auslande ablehnte, und ich muß mich dagegen verwahren, daß etwas, was ich aussage, jetzt auf Männer bezogen wird, deren Namen ich vorher genannt habe. Das war der Grund, weswegen ich die Erklärung abgeben wollte, und ich wollte gleichzeitig sagen, daß unsere Freunde, die so etwas machten, für sich den Vorwurf des Landesverrates ablehnten, weil wir uns menschlich zu diesem Schritt verpflichtet fühlten.

DR. DIX: Also, was geschah nun?

GISEVIUS: Es geschah folgendes: Sofort als Hitler seine Absicht bekundete, die Tschechoslowakei mit Krieg zu überziehen, haben Freunde fortlaufend die Englische Regierung zu unterrichten versucht von der ersten Absicht bis zum letzten Entschluß. Die Kette dieser Schritte begann mit einer Reise Goerdelers im Frühjahr 1938 nach London, wo er von dem Vorhandensein einer solchen oppositionellen Gruppe Mitteilung machte, die zum Letzten entschlossen sei. Es wurde dann im Namen dieser Gruppe die Englische Regierung fortlaufend unterrichtet, was sich anbahnte, und daß es unbedingt nötig sei, Klarheit zu schaffen vor dem deutschen Volke und vor den Generalen, daß jeder Schritt über die tschechische Grenze für die Westmächte ein Kriegsgrund sei. Als die Krise sich dem Höhepunkt näherte, und als wir unsere Putschvorbereitungen bis ins Letzte vorbereitet hatten, unternahmen wir einen nach Form und Inhalt ungewöhnlichen Schritt und ließen die Englische Regierung wissen, daß es in den kommenden diplomatischen Verhandlungen nicht, wie Hitler behauptete, um die Sudetenlande ginge, sondern daß Hitler die gesamte Tschechoslowakei mit Krieg zu überziehen gedenke, und daß, wenn die Englische Regierung ihrerseits fest bleibe, wir die Zusicherung geben könnten, es würde nicht zum Kriege kommen.

Das waren damals unsere Versuche, auch von außen her eine gewisse Hilfe in unserem Kampfe zur psychologischen Vorbereitung eines Putsches zu erhalten.

DR. DIX: Wir eilen nun in den September 1938 und zur Krise, die dann zu München führte. Wie war in dieser Zeit die Tätigkeit Ihrer Verschwörergruppe?

GISEVIUS: Je mehr die Krise nach München führte, versuchten wir, Halder zu überzeugen, er solle unverzüglich den Putsch auslösen. Als Halder nicht ganz klar war, bereitete Witzleben alles im einzelnen vor. Ich schildere jetzt nur die letzten beiden dramatischen Tage. Am 27. September war es klar, daß Hitler auf das Ganze gehen wolle. Um das deutsche Volk kriegslustig zu machen, ordnete er einen Umzug der Berliner Armee durch Berlin an. Witzleben hatte ihn durchzuführen. Der Umzug hatte eine völlig gegenteilige Wirkung. Die Bevölkerung, die annahm, die Truppen sollten in den Krieg ziehen, zeigte ihr offenes Mißfallen. Die Truppe sah keinen Jubel, sondern geballte Fäuste, und Hitler, der sich vom Fenster der Reichskanzlei diesen Umzug ansah, erhielt einen Wutanfall, trat zurück von seinem Fenster, erklärte, mit so einem Volke kann ich keinen Krieg führen, und Witzleben kam entrüstet nach Hause und sagte, am liebsten hätte er sofort vor der Reichskanzlei abprotzen lassen. Am nächsten Morgen...

DR. DIX: Einen Moment, das hat Witzleben Ihnen gesagt, »am liebsten hätte er vor der Reichskanzlei abprotzen lassen«?

GISEVIUS: Jawohl.

DR. DIX: Und woher leiten Sie Ihre Kenntnis der Bemerkung Hitlers her, als er vom Balkon zurücktrat?

GISEVIUS: Das wurde uns von verschiedenen Seiten aus der Reichskanzlei gesagt.

DR. DIX: Also nun weiter.

GISEVIUS: Am nächsten Morgen glaubten wir – das war der 28. –, es sei nunmehr die Gelegenheit zur Ausführung des Putsches da. An diesem Morgen wurde uns auch bekannt, daß Hitler das letzte Angebot des englischen Premierministers Chamberlain abgelehnt und den Vermittler Wilson mit einem negativen Bescheid zurückgeschickt hatte. Witzleben bekam diesen Brief und fuhr mit diesem Brief zu Halder. Er glaubte, daß nunmehr der Beweis für Hitlers Kriegswillen erbracht sei. Halder stimmte diesem zu. Halder ging zu Brauchitsch, während Witzleben in Halders Zimmer wartete. Nach einigen Momenten kam Halder zurück und erklärte, auch Brauchitsch sehe nunmehr ein, es müsse nun gehandelt werden. Er wolle nur noch zur Reichskanzlei hinüberfahren und sich vergewissern, ob Witzlebens und Halders Schilderung richtig sei. Brauchitsch fuhr in die Reichskanzlei, nachdem Witzleben ihm noch telephonisch gesagt hatte, alles sei bereit – und dies ist jene Mittagsstunde des 28. September, in der plötzlich und wider Erwarten in der Reichskanzlei die Intervention Mussolinis erfolgte, und wo Hitler dann unter dem Eindruck von Mussolinis Schritt einwilligte, nach München zu gehen, so daß wirklich im letzten Augenblick die Aktion eliminiert wurde.

DR. DIX: Letzten Endes durch München, meinen Sie?

GISEVIUS: Selbstverständlich.

DR. DIX: Nun war München vorbei; wie sah es nun in Ihrer Verschwörergruppe aus?

GISEVIUS: Wir waren außerordentlich deprimiert, und wir waren überzeugt, daß nunmehr Hitler in kurzer Frist aufs Ganze gehen würde. Wir haben nicht gezweifelt, daß München das Signal zum Weltkrieg war. Ein Teil unserer Freunde überlegte, ob wir emigrieren sollten. Mit Goerdeler und Schacht wurde dies besprochen. Goerdeler schrieb damals in dieser Überlegung einen Brief an einen politischen Freund nach Amerika, in dem ausdrücklich diese Frage gerichtet wurde, ob denn nun die Oppositionellen emigrieren sollten, Goerdeler sagte: »Es gibt sonst nur eine andere Möglichkeit, nämlich, daß wir Talleyrandsche Methoden annehmen, um uns überhaupt in Deutschland in Zukunft in unserer politischen Arbeit halten zu können.« Wir entschlossen uns auszuharren, und dann eilten die Dinge über die Judenpogrome der Eroberung Prags zu.

DR. DIX: Bevor wir zu Prag kommen: Sie erwähnten die Judenpogrome und meinen offenbar den November 1938. Wissen Sie oder erinnern Sie sich, wie sich Schacht aus Anlaß dieser Vorfälle verhalten hat?

GISEVIUS: Schacht war entrüstet über die Judenpogrome. Er hat dies auch in einer öffentlichen Rede vor dem Reichsbankpersonal bekanntgegeben.

DR. DIX: Ich werde diese Rede später im Urkundenbeweis verlesen. Nun, wie ging es nun weiter? Wir sind jetzt am Ende des Jahres 1938. Waren neue politische Ereignisse am Horizont, die auf Ihre Verschwörergruppe stimulierend wirkten?

GISEVIUS: Es kam zunächst zu der schroffen Entlassung von Schacht aus dem Reichsbankdirektorium. Der Wunsch Schachts, das Kabinett werde in dieser Geschichte beraten, erfüllte sich nicht, und unsere Hoffnung, eine Kabinettskrise auslösen zu können, war eitel. So hatte unsere Oppositionsgruppe keinen Ansatzpunkt. Wir mußten warten, wie die Dinge sich anläßlich der Eroberung Prags abspielen würden.

DR. DIX: Einen Moment, Sie erwähnen hier die Entlassung Schachts als Reichsbankpräsident. Wissen Sie etwas über dieses Geschehen, seine Begleitumstände, die Wirkung auf Schacht und so weiter?

GISEVIUS: Ich habe es miterlebt, wie die verschiedenen Briefe oder Memoranden des Reichsbankdirektoriums entworfen wurden, wie sie immer mehr abgemildert wurden und wie dann die Entlassung kam. Wenige Minuten nach dem Empfang des Entlassungsschreibens von Hitler las Schacht es mir vor und war entrüstet über den Inhalt. Er wiederholte mir jenen Passus, in dem Hitler ihn lobend erwähnte, wegen seiner Mitwirkung bei der deutschen Wiederaufrüstung, und Schacht sagte: »Jetzt will er mich auch noch auf diese Mitwirkung öffentlich festlegen, jetzt will er mich auch noch auf seine Kriegspolitik festlegen.«

DR. DIX: Nun blieb aber doch Schacht Minister ohne Portefeuille. Ist dieses Problem, ob er das tun sollte oder anders handeln konnte, zwischen Schacht und Ihnen damals besprochen worden?

GISEVIUS: Ja, aber soviel ich weiß, war es dasselbe Gespräch wie immer, wenn er zurücktreten sollte. Er hat mit Lammers gesprochen, und ich nehme an, daß Lammers ihm die übliche Antwort gegeben hat.

DR. DIX: Also, er glaubte, bleiben zu müssen, gezwungen zusein, zu bleiben?

GISEVIUS: Ja.

DR. DIX: Nun wollten Sie schon ein paarmal ansetzen – ich unterbrach Sie – mit Prag. Wollen Sie dies bitte in seiner Auswirkung auf Ihre Verschwörergruppe, soweit Schacht beteiligt war, schildern?

GISEVIUS: Seit Dezember hatte unsere Gruppe feste Beweismittel, daß Hitler im März Prag überfallen wollte. Zynisch wurde diese neue Aktion der »Märzwirbel« genannt. Da sehr offen in Berliner Kreisen darüber gesprochen wurde, hofften wir, es würden Nachrichten davon auch in die Englische und Französische Botschaft dringen. Wir waren fest davon überzeugt, daß es diesmal keinen Überraschungserfolg geben würde; aber Halder war bereits anderer Meinung. Er meinte, es sei Hitler auch der Weg nach Prag von den Westmächten freigegeben. Er lehnte vorherige Besprechungen ab und wollte warten, ob diese Prager Aktion kampflos über die Bühne geht. Und dieses geschah.

DR. DIX: Nun, in welcher Richtung? Sie haben das schon bekundet, diese Schritte bei der Englischen und Französischen Botschaft.

GISEVIUS: Nein, es waren keine Schritte bei der Englischen und Französischen Botschaft.

DR. DIX: Wollen Sie darüber noch etwas sagen? Hatten Sie noch etwas dazu zu sagen?

GISEVIUS: Nein, ich habe gesagt, daß wir keine Schritte unternommen haben.

DR. DIX: Also jetzt ist Prag vorbei und nun, glaube ich, sind Sie gemeinschaftlich mit Schacht im Dienst Ihrer Gruppe nach der Schweiz gefahren. Ist das richtig?

GISEVIUS: Nicht nur mit Schacht, sondern auch mit Goerdeler. Wir waren der Meinung, daß Schacht in Deutschland – entschuldigen Sie – daß Prag in Deutschland von einer unerhörten psychologischen Auswirkung gewesen sei. Für das Ausland war Prag das Signal, daß mit Hitler kein Friede und kein Vertrag zu halten sei. In Deutschland mußten wir leider feststellen, daß nunmehr die Generale und das Volk davon überzeugt waren: dieser Hitler kann machen, was er will, niemand wird ihm in den Arm fallen, er ist von der Vorsehung geschützt. Dies alarmierte uns. Wir sahen auf der einen Seite, daß die Westmächte nunmehr die Dinge sich nicht mehr weiter bieten lassen würden. Wir sahen auf der anderen Seite, daß in Deutschland die Illusion wuchs, die Westmächte würden nicht zum Kriege schreiten. Wir sahen, ein Krieg ist nur zu verhindern, wenn die Westmächte unzweideutig nicht nur dem Außenminister, nicht nur Hitler, sondern mit allen Mitteln der Propaganda dem deutschen Volke klarmachen, daß nunmehr jeder weitere Schritt nach dem Osten den Krieg bedeute. Dies schien uns die einzige Möglichkeit, die Generale zu warnen und sie zu einem Putsche zu bewegen, und dieser Möglichkeit dienten die Gespräche, die Schacht, Goerdeler und ich unmittelbar nach Prag in der Schweiz führten.

DR. DIX: Mit wem?

GISEVIUS: Wir trafen uns mit einem Mann, der sehr gute Beziehungen zur Englischen und Französischen Regierung hatte. Dieser Mann hat auch sehr genau berichtet, zumindest der Französischen Regierung. Ich kann dies deswegen bezeugen, weil wir die Abschrift seiner Berichte später nach der Eroberung von Paris in den Geheimpapieren Daladiers finden konnten. Dieser Mann wurde von uns genauestens darüber unterrichtet, daß spätestens im Herbst der Streit um Danzig beginnen würde. Wir sagten, daß wir als gute Deutsche zweifellos der Ansicht seien, Danzig sei eine deutsche Stadt, und eines Tages müsse über diesen Punkt friedlich gesprochen werden. Wir warnten aber davor, daß jetzt diese Gespräche um Danzig isoliert geführt würden, weil Hitler nicht Danzig wollte, sondern ganz Polen, weil er nicht Polen wollte, sondern die Ukraine, daß es deswegen darauf ankam, auch in der Propaganda des Auslandes nach Deutschland hin unbedingt klarzustellen, daß jetzt das Limit erreicht sei, und daß die Westmächte einschreiten würden. Wir sagten, daß wir nur dann die Möglichkeit zu einem Putsch hätten.

DR. DIX: Und in diesem Sinne hatte der genannte Vertrauensmann berichtet, wie Sie festgestellt haben?

GISEVIUS: Er hat berichtet, und ich muß auch sagen, daß sehr bald von englischer Seite durch öffentliche Erklärungen – sei es im Radio, sei es in der Presse, sei es im Unterhaus – damit begonnen wurde, diese Zweifel bei der deutschen Generalität und beim deutschen Volke zu beheben. Es ist von nun an zunehmend von englischer Seite alles geschehen, was geschehen konnte, um die deutschen Generale zu alarmieren.

DR. DIX: Traf damals in der Schweiz Schacht nicht auch seinen Freund Montague-Norman und hat im gleichen Sinne mit ihm gesprochen? Das wissen Sie, da waren Sie dabei?

GISEVIUS: Jawohl. Wir dachten, wir sollten diese Gelegenheit, daß Schacht mit einem engen Vertrauten des englischen Prime-Ministers Chamberlain sprechen konnte, nicht entgehen lassen, und Schacht hat sehr eingehende Gespräche mit Montague-Norman gehabt, um auch diesem die psychologische Situation in Deutschland nach Prag zu schildern und ihn zu beschwören, die Englische Regierung solle nunmehr die notwendigen Klarstellungen unternehmen.

DR. DIX: Stand Ihre Sprachregelung damals nicht unter dem Schlagwort dem Ausland gegenüber: »Ihr müßt Nazis gegen Deutsche ausspielen«?

GISEVIUS: Jawohl, das war der Tenor aller unserer Gespräche. Wir wollten, daß dem deutschen Volke klargemacht würde, daß die Westmächte nicht gegen Deutschland seien, sondern nur gegen diese Nazi- Überraschungspolitik und gegen die Nazi-Terrormethode im Innern, wie nach außen.

DR. DIX: Nun kamen Sie von der Schweiz zurück und was geschah nun mit Schacht insbesondere?

GISEVIUS: Wir sahen, daß in Deutschland die Dinge immer schneller der Augustkrise zutrieben; daß die Generale nicht davon abzubringen wären, Hitler bluffe nur, und es werde ein neues München oder Prag geben. Und nun begannen alle jene verzweifelten Bemühungen, die wir unternahmen, um auf die führenden Generale, insbesondere auf Keitel, einzuwirken, daß der entscheidende Marschbefehl gegen Polen nicht gegeben würde.

DR. DIX: Kehren wir zu Schacht zurück. Rückkehr von der Schweizer Reise, also im Frühjahr 1939. Sie wissen, daß Schacht dann aus Deutschland weggegangen ist und eine Reise nach Indien gemacht hat?

GISEVIUS: Er ging nach Indien und hoffte möglichst lange dort bleiben zu können, um nach China zu kommen. Aber unterwegs erreichte ihn der Befehl Hitlers, er dürfe chinesischen Boden nicht betreten, und er mußte zurückkehren und kam dann wenige Tage vor dem Kriegsausbruch, soweit ich mich erinnere, wieder zurück.

DR. DIX: Sie sagten China; sympathisierte denn Schacht auch mit Chiang-Kai-Chek trotz des Bündnisses mit Japan?

GISEVIUS: Jawohl. Er sympathisierte außerordentlich mit der Chinesischen Regierung, wie auch unser ganzer Kreis. Wir alle hatten sehr gute, liebe chinesische Freunde, mit denen wir uns bemühten, die Fühlung aufrechtzuhalten trotz des japanischen Bündnisses.

DR. DIX: Wann kam Schacht ungefähr von Indien zurück?

GISEVIUS: Ich denke anfangs August, ich kann mich aber...

DR. DIX: Nun eilen ja die Dinge zum Krieg. Hat nun Schacht vor Ausbruch des Krieges noch irgendwelche Schritte unternommen, um den Ausbruch des Krieges zu verhindern?

GISEVIUS: Er hat eine große Anzahl von Schritten unternommen, aber diese Schritte sind überhaupt nicht isoliert zu schildern, weil ja sonst der Eindruck entstehen würde, nur Schacht habe diese Schritte unternommen. In Wirklichkeit war die Sache so, daß eine große Gruppe nunmehr kämpfte, und daß jeder die Schritte tat, die für ihn am nächsten lagen, und daß jeder den anderen unterrichtete, was er getan hatte, und was für den anderen zweckmäßig sei. Aus diesem Grunde fürchte ich, es würde ein völlig falsches Bild entstehen, wenn ich isoliert und lediglich auf die Person Schachts zugespitzt alle diese verzweifelten Versuche vom August 1939 bis zum Einfall in Holland und Belgien schildern würde.

DR. DIX: Das Tribunal hat davon Kenntnis genommen, daß es nicht heißen soll, daß nur Schacht das getan hat; aber hier steht nun einmal der Fall Schacht zur Verhandlung. Also ich würde Sie schon bitten, nur die Schilderung der Bemühungen von Schacht zu geben.

GISEVIUS: Dann muß ich vorausschicken, daß Schacht von all den vielen anderen Dingen Mitwisser war und im gewissen Zusammenhang auch Mittäter. Von ihm selber kann ich in diesem Augenblick nur sagen, daß Schacht Mitverfasser war der Thomasschen Denkschrift an den General Keitel, oder der beiden Denkschriften, in denen Schacht mit unserer Gruppe Keitel die Gefahren des Krieges darlegte, und daß Schacht weiterhin dann über Thomas und Canaris Schritte unternahm, um an Brauchitsch und Halder mit seiner Intervention heranzukommen. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß alle die Schritte, die Beck unternahm, die Goerdeler unternahm, mit Wissen von Schacht und auch mit seiner Mitarbeit erfolgt sind. Es handelte sich hierbei um eine ganz große Aktion.

DR. DIX: Ein Kollektiv? Spielt da nicht ein Versuch Schachts eine Rolle, noch im letzten Moment, Ende August, im Hauptquartier über Canaris bei Brauchitsch vorstellig zu werden?

GISEVIUS: Jawohl. Nachdem der General Thomas mit seinen beiden Denkschriften gescheitert war und nachdem auch die Anregung des Generals Thomas bei Keitel, Goerdeler oder Schacht zu empfangen, gescheitert war, versuchte Schacht an Brauchitsch oder Halder heranzukommen. Thomas suchte zu diesem Zwecke wiederholt den General Halder auf; aber es war typisch, daß er in diesen kritischen Tagen nicht über das Vorzimmer des Generals Halder, über den General von Stülpnagel, hinwegkam. Halder ließ sich verleugnen und ließ nur bestellen, er wolle Schacht nicht sehen. Daraufhin unternahmen wir an dem dramatischen 25. August einen weiteren Schritt. Es ist dies jener Tag, an dem Hitler bereits einmal den Marschbefehl gegeben hatte. Sobald uns die Nachricht erreicht hatte, daß Hitler Halder zum Marsche angewiesen hatte, versuchten Schacht und ich, zunächst Thomas zu erreichen, und wir fuhren dann gemeinsam mit Thomas zum Admiral Canaris, damit beide, Thomas und Canaris, Schacht begleiteten, wenn er, ohne vorherige Anmeldung, ins Hauptquartier nach Zossen fuhr, um dort Brauchitsch und Halder vor das fait accompli seiner Anwesenheit zu stellen. Schacht beabsichtigte, Brauchitsch und Halder darauf aufmerksam zu machen, daß nach der geltenden Verfassung vor einem Kriegsausbruch das Reichskabinett gehört werden müsse. Brauchitsch und Halder würden sich des Eidbruches schuldig machen, wenn sie ohne Wissen der zuständigen politischen Instanzen einem Kriegsbefehl Folge leisten würden. Dies war in großen Zügen das, was Schacht sagen wollte, um seinen Schritt zu motivieren. Als Thomas und Schacht in der Bendlerstraße ankamen, ging Thomas zu Canaris. Es war gegen 6.00 Uhr oder...

DR. DIX: In der Bendlerstraße liegt das OKW. Das Gericht muß das wissen. Bendlerstraße heißt OKW.... OKH.

GISEVIUS: Als wir im OKW ankamen und unten auf der Straße an einer Ecke warteten, sandte Canaris uns Oster; und das war der Augenblick, wo Hitler plötzlich zwischen 6.00 und 7.00 Uhr den Widerruf seines Marschbefehles an Halder gegeben hatte. Das Hohe Gericht wird sich entsinnen, daß Hitler, beeindruckt durch die neue Intervention Mussolinis, plötzlich den bereits gegebenen Marschbefehl widerrief. Und leider standen nunmehr Canaris und Thomas und unser ganzer Freundeskreis unter dem Eindruck, daß dieser Widerruf eines Marschbefehls ein unerhörter Prestigeverlust von Hitler sei. Oster meinte noch, es sei in der Kriegsgeschichte nicht dagewesen, daß ein Oberbefehlshaber einen so einschneidenden Befehl im Zuge eines Nervenzusammenbruches zurücknahm. Canaris sagte mir: »Jetzt ist der Friede Europas für 50 Jahre gerettet, denn jetzt hat Hitler alles Ansehen bei den Generalen verloren.« Und leider kam im Zuge dieser psychologischen Wende über uns alle das Gefühl, wir könnten den nächsten Tagen mit Ruhe entgegensehen. So kommt es, daß, als Hitler dann doch, drei Tage später, den entscheidenden Marschbefehl gab, dieses auch für unsere. Gruppe völlig überraschend kam. Ich wurde von Oster ins OKW gerufen. Schacht begleitete mich. Wiederum fragten wir Canaris, ob er nicht eine neue Unterredung mit Brauchitsch und Halder vermitteln könnte. Aber Canaris sagte mir: »Jetzt ist es zu spät.« In seinen Augen standen Tränen und er sagte mir: »Dies ist das Ende Deutschlands.«

DR. DIX: Euer Lordschaft! Jetzt kommen wir zum Kriege und ich glaube, den Krieg werden wir besser nach Tisch erledigen.