[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
1 Gisevius sagte vor dem Gerichtshof tatsächlich »Aufrüstung«, während er eindeutig »Abrüstung« meinte.
Nachmittagssitzung.
DR. DIX: Herr Dr. Gisevius! Wir waren vor der Mittagspause beim Ausbruch des Krieges angelangt, und ich muß zunächst, damit man das Spätere versteht, Sie fragen, wie denn Ihre Kriegsverwendung war?
GISEVIUS: Ich bin am Tage des Kriegsausbruches mit einem gefälschten Einberufungsbefehl von General Oster in die Abwehr einberufen worden. Da es aber eine Vorschrift war, daß alle Offiziere oder sonstigen Mitglieder der Abwehr von der Gestapo überprüft wurden, und da ich niemals die Erlaubnis bekommen hätte, Mitglied der Abwehr zu sein, wurde zunächst das Mittel angewandt, mir einfach einen gefälschten Einberufungsbefehl zu geben, und dann blieb ich zur Verfügung von Oster und Canaris, ohne irgendwelche direkten Dienste zu tun.
DR. DIX: Wie war denn nun zunächst die Verschwörertätigkeit Ihrer Gruppe, deren Zusammensetzung Sie ja schilderten, nach Kriegsausbruch? Wer übernahm da die Führung, wer wirkte mit und was geschah?
GISEVIUS: Sofort nach Kriegsausbruch stand Generaloberst Beck an der Spitze aller oppositionellen Bewegungen, die überhaupt in Deutschland tätig waren, mit Ausnahme der Kommunisten, zu denen wir damals keine Fühlung hatten. Wir gingen davon aus, daß nur ein General im Zeitpunkt eines Krieges die Führung haben könne, und Beck war andererseits soweit über das rein Militärische hinausgewachsen, daß er der geeignete Mann war, alle Gruppen von rechts bis links zu einigen. Beck berief als seinen engsten Mitarbeiter Dr. Goerdeler.
DR. DIX: So daß also die Zivilisten, die in dieser Verschwörergruppe mitwirkten, nach wie vor nur Schacht und Goerdeler waren?
GISEVIUS: Nein, ich muß ergänzen. Im Gegenteil, jetzt kamen alle oppositionellen Gruppen, die bislang nur lose Fühlung miteinander hatten, unter dem Eindruck des Krieges zusammen Besonders die Linke, die in den ersten Jahren stark dezimiert worden war, weil ihre Führer alle verhaftet waren, besonders diese Linke stieß nun auch zu unserer zivilen Front. Ich nenne da nur Leuschner und Dr. Karl Mühlendorf. Aber ich muß ebenso die christlichen Gewerkschaften nennen, Dr. Habermann und Dr. Jakob Kaiser. Ich muß weiter katholische Kreise nennen, die Führer der Bekenntniskirche oder solche einzelnen Politiker, wie den Botschafter von Hassel, den Staatssekretär Planck, den Minister Popitz und viele, viele andere.
DR. DIX: Wie war denn nun die Einstellung dieser Linkskreise speziell zur Frage eines Putsches, einer gewaltsamen Beseitigung Hitlers oder gar eines Attentates? Beschäftigten die sich auch mit dem Gedanken eventuell eines Attentates, wie es ja später in Ihrer Gruppe vorgetragen wurde?
GISEVIUS: Nein. Die Linkskreise standen sehr stark unter dem Eindruck, daß die Dolchstoßlegende unerhörten Schaden in Deutschland angerichtet hatte, und die Linkskreise glaubten sich nicht noch einmal der Gefahr aussetzen zu dürfen, daß man hinterher sagte, Hitler oder die deutsche Armee sei nicht im Felde besiegt worden. Die Linke war jahrelang der Meinung, es müsse unbedingt nun dem deutschen Volk bewiesen werden, daß der Militarismus sich in Deutschland selber mordete, so bitter auch diese Erfahrungen dem deutschen Volke zu stehen kommen würden.
DR. DIX: Ich habe nun hier dem Gericht bereits einen Brief angeboten, den Sie, Herr Doktor, ungefähr um diese Zeit, Ende 1939, für Schacht nach der Schweiz geschmuggelt haben. Es ist ein Brief an den früheren Präsidenten der Internationalen Bank in Basel und späteren Präsidenten der First National Bank in Neuyork. Ein Mann von Einfluß und der wohl auch Zutritt bei dem Präsidenten Roosevelt hatte.
Ich hatte an sich die Absicht, meine Herren Richter, in Vorwegnahme des diesbezüglichen Urkundenbeweises diesen Brief jetzt vorzutragen. Da ich ihn aber bei der Diskussion über die Zulassung der Beweismittel in wesentlichen Punkten dem Gericht mitgeteilt habe und Herr Justice Jackson das Dokumentenbuch Schacht noch nicht vor sich liegen haben kann und vorhin bemerkte, daß er es nicht gern hätte, wenn ich in diesem Momente den Urkundenbeweis antrete, möchte ich davon absehen, meine ursprüngliche Absicht auszuführen und den Inhalt des Briefes im ganzen vorzutragen. Ich werde dann das nachholen bei meinem Dokumentenbeweis. Nur um dem Zeugen den Brief in Erinnerung zurückzurufen, schildere ich die Hintergründe des Briefes dahin, daß Schacht an den Präsidenten Fraser den Vorschlag machte, daß jetzt der Moment...
JUSTICE JACKSON: Ich erhebe keinen Einspruch gegen die Verwendung des Briefes Schacht an Léon Fraser – eines Briefes von einem Bankier an einen anderen. Wenn Sie jetzt behaupten wollen, daß Herr Fraser Einfluß auf Präsident Roosevelt hatte, so bitte ich Sie, das zu beweisen. Ich erhebe jedoch keinen Einspruch gegen den Brief.
DR. DIX: Also, das ist ein Brief vom 14. Januar 1946. Ich trage ihn nicht ganz vor. Er ist immerhin 6 Folioseiten lang. Sein Inhalt ist der...
VORSITZENDER: Von welchem Datum ist er?
DR. DIX: Ich hatte einen falschen Brief. 16. Oktober 1939. Er wird Exhibit Nummer 31 meines Dokumentenbuches. Also er schreibt an ihn, daß jetzt doch ein prächtiger Moment wäre, mit dem Präsidenten Roosevelt der Welt den Frieden zu geben – das wäre ein Sieg, auch ein Sieg Deutschlands...
VORSITZENDER: Ist dieser Brief von Schacht geschrieben?
DR. DIX: Jawohl. Von Schacht an Fraser.
VORSITZENDER: Haben Sie einen Beweis für den Brief?
DR. DIX: Wenn es dem Gericht lieber ist, kann auch Schacht den Brief behandeln. Dann werde ich nur den Zeugen fragen, ob es richtig ist, daß er diesen Brief nach der Schweiz geschmuggelt hat.