[Zum Zeugen gewandt:]
Sie haben ja schon bekundet, daß der für November vorgesehene Putsch unterblieb, weil die Westoffensive unterblieb. Wir brauchen darauf also nicht mehr einzugehen. Ich möchte jetzt nur fragen: Blieb Ihre Verschwörergruppe nun den Winter über, und insbesondere auch während des Frühjahrs, tatenlos oder wurden weitere Pläne verfolgt und betrieben?
GISEVIUS: Es wurde ununterbrochen versucht, auf alle erreichbaren Generale einzuwirken. Außer mit Halder und Brauchitsch versuchten wir an die Panzergenerale im Westen heranzukommen. Ich erinnere an eine Unterredung zwischen Schacht und dem General Hoeppner.
DR. DIX: Hoeppner?
GISEVIUS: Hoeppner; und ebenso versuchten wir auf die Feldmarschälle Rundstedt, Bock und Leeb einzuwirken. Auch hier haben der General Thomas und Admiral Canaris als Vermittler gewirkt.
DR. DIX: Und wie reagierten die Generale?
GISEVIUS: Als es soweit war, marschierten sie nicht.
DR. DIX: Nun kommen wir zum Sommer 1941. Hitler steht in Paris. Die Luftwaffenoffensive gegen England steht bevor. Erzählen Sie uns etwas über Ihre Verschwörergruppe und deren Tätigkeit in diesem und dem darauffolgenden Zeitraum.
GISEVIUS: Nach Paris war unsere Gruppe monatelang völlig einflußlos. Der Erfolg Hitlers hatte alle betört und es kostete groß Mühe, auf allen uns zur Verfügung stehenden Wegen wenigstens die Versuche zu unternehmen, die Bombardements auf England zu verhindern. Auch hier wieder hat die Gruppe geschlossen gearbeitet und wir haben versucht, durch General Thomas und Admiral Canaris und andere, dieses Unheil zu verhindern.
DR. DIX: Ich verstehe doch richtig, wenn Sie von der »Gruppe« sprechen, dann meinen Sie doch die Gruppe, die von Beck geführt wurde, und in der Schacht mit tätig war?
GISEVIUS: Jawohl.
DR. DIX: Nun, sind in jener Zeit nicht wiederum einige oder ein Gespräch von Schacht in der Schweiz in gleicher Richtung geführt worden?
GISEVIUS: Das war ein bißchen später. Wir sind mittlerweile schon bei 1941, und bei dieser Reise Schachts in die Schweiz versuchte er nunmehr, dafür zu plädieren, daß man so schnell wie möglich in ein Friedensgespräch kam. Wir wußten, daß Hitler sich mit dem Überfall auf Rußland herumtrug, und wir glaubten alles tun zu sollen, wenigstens noch dieses Unglück zu verhindern. Von diesem Gedanken waren Schachts Gespräche in der Schweiz damals getragen. Ich selber habe an der Vermittlung eines Essens teilgenommen, das dann in Basel mit dem Präsidenten der B.I.Z., Mr. McKittrick, einem Amerikaner, stattfand, und ich war mit anwesend, als Schacht versuchte, wenigstens diese Gedanken auszusprechen, es müsse alles getan werden, nunmehr in Verhandlungen zu kommen.
DR. DIX: Ich darf das Gericht respektvoll in diesem Zusammenhang an diesen Artikel in den »Basler Nachrichten« erinnern, den ich in seinem wesentlichen Inhalt vorgetragen habe, als wir hier diskutierten über die Zulassung des Dokumentenbeweises. Es handelt sich da um eine gleichliegende Unterhaltung Schachts mit einem amerikanischen Ökonomen. Das ist dieselbe Reise, von der der Zeuge jetzt spricht. Ich werde mir erlauben, im Dokumentenbeweis nochmals auf diesen Artikel zurückzukommen.
[Zum Zeugen gewandt:]
Nun also, der Krieg ging weiter. Zu Rußland haben Sie nichts weiter zu sagen, zum bevorstehenden Rußlandkrieg?
GISEVIUS: Ich kann nur sagen, daß Schacht wiederum Mitwisser all der vielen Versuche war, die wir unternahmen, um diese Katastrophe zu verhindern.
DR. DIX: Nun gehen wir weiter und kommen zum Zeitpunkt Stalingrad. Was geschah von Ihrer Verschwörergruppe aus nach diesem kritischen Zeitpunkt des Krieges?
GISEVIUS: Nachdem es uns nicht gelungen war, die »siegreichen« Generale zu einem Putsch zu bewegen, versuchten wir, sie nunmehr wenigstens zum Putsch zu bewegen, als sie offenkundig in ihre große Katastrophe hineinrannten. Diese Katastrophe, die in Stalingrad ihren ersten sichtbaren Ausdruck fand, wurde von Generaloberst Beck in allen Einzelheiten seit Dezember 1942 vorausgesehen. Sofort trafen wir alle Vorbereitungen, um nunmehr zu dem Zeitpunkt, der beinahe mit mathematischer Genauigkeit vorauszusehen war, wo eben die Armee Paulus restlos besiegt kapitulieren mußte, um nunmehr wenigstens zu diesem Zeitpunkt einen Militärputsch zu organisieren. Ich selber bin damals aus der Schweiz zurückgeholt worden und habe an allen Gesprächen und Vorbereitungen teilgenommen. Ich kann nur das eine bezeugen, daß dieses Mal wirklich sehr viel vorbereitet war, auch die Fühlung zu den Feldmarschällen im Osten aufgenommen war, zu Witzleben im Westen; aber wiederum kamen die Dinge anders, indem der Feldmarschall Paulus kapitulierte, statt uns das Stichwort zu geben, daß abredegemäß dann Kluge auftreten sollte, um vom Osten aus den Putsch auszulösen.
DR. DIX: In diese Zeit fällt dann wohl auch das sogenannte Attentat Schlabrendorff?
GISEVIUS: Nein, ein wenig später.
DR. DIX: Dann möchte ich eine Zwischenfrage stellen: Bisher haben uns die Ziele der von Generaloberst Beck mit Unterstützung von Schacht, Goerdeler und so weiter geführten Gruppe immer als eine Putschbewegung geschildert, das heißt, als eine Bewegung, die die Regierung stürzen will. Versteift und erhöht sich jetzt nicht das Ziel auf ein Attentat?
GISEVIUS: Ja, von diesem Moment an, als die Generale uns abermals im Stiche gelassen hatten, sahen wir ein, ein Putsch war nicht mehr zu erhoffen, und von diesem Augenblick an unternahmen wir alle Schritte, um nunmehr zu einem Attentat zu kommen.
DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Präsident! Ich muß hier zu diesem Punkt eine Einwendung gegen die Aussagen des Zeugen machen. Der Zeuge Dr. Gisevius hat durch Aussagen die von mir vertretene Gruppe belastet. Diese Aussagen sind aber teilweise so allgemein gehalten, daß man auf Tatsachen nicht schließen kann. Ferner hat er eben ausgeführt, daß die Feldmarschälle im Osten die Verschwörergruppe »im Stich gelassen« haben. Diese Ausführungen sind Urteile, die der Zeuge abgibt, aber nicht Tatsachen, auf die der Zeuge sein Zeugnis beschränken muß, und ich bitte daher... Herr Präsident! Ich bin noch nicht fertig; ich wollte enden damit, daß ich beantrage und bitte, das Gericht wolle beschließen, die Ausführungen des Zeugen, die er vorhin gemacht hat, und in denen er behauptet hat, die Generale haben die Verschwörergruppe »im Stich gelassen«, aus dem Protokoll zu streichen.
DR. DIX: Darf ich kurz darauf antworten? Ich kann der Ansicht meines sehr verehrten Kollegen Dr. Laternser nicht zustimmen, daß eine Ausführung »die Generale haben uns im Stich gelassen« nicht die Bekundung einer Tatsache...
VORSITZENDER: Ich bin der Ansicht, daß wir weitere Argumente darüber nicht zu hören brauchen. Es wird bestimmt nicht aus dein Protokoll gestrichen werden, bis wir Zeit gehabt haben, es zu prüfen. Herr Dr. Laternser wird ebenfalls Gelegenheit haben, diesen Zeugen zu befragen. Er kann dann alles gewünschte Beweismaterial erläutern.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Wenn ich aber den Antrag stelle mit der Begründung: Der Zeuge macht Ausführungen, die nicht unter seine Aufgabe als Zeuge fallen, daß er also Urteile abgibt, dann ist das insoweit eine unzulässige Zeugenaussage, die aus dem Protokoll gestrichen werden müßte.
VORSITZENDER: Falls Sie meinen, daß diese Aussage auf Hörensagen beruht, so möchte ich hierzu erklären, daß das dem Gerichtshof völlig klar ist. Dadurch wird die Aussage nicht unzulässig; Sie können den Zeugen später ins Kreuzverhör nehmen.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich bin nicht richtig verstanden worden. Ich sagte nicht und begründe den Antrag auf Streichung nicht darauf, daß der Zeuge nunmehr Angaben gemacht hat, die er vom Hörensagen kennt, sondern ich sage: Es ist keine Bekundung von Tatsachen, sondern ein Urteil, das der Zeuge abgibt, wenn er behauptet, »die Generale im Osten haben die Verschwörergruppe im Stich gelassen«.
DR. DIX: Darf ich kurz antworten mit einem Satz. Wenn ich einer Gruppe von Generalen nahelege zu putschen, und sie putschen nicht, so ist das eine Tatsache, und ich kann mit den Worten bekunden »sie haben uns im Stich gelassen«. Ich kann natürlich auch sagen: »Sie haben nicht geputscht«, aber das ist eine Sache des Ausdrucks. Beides ist eine Tatsache und kein Urteil. Er bewertet ja die Handlungsweise der Generale nicht ethisch, nicht militärisch oder politisch, sondern er stellt fest: »Sie haben nicht gewollt«.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Also, wenn ich mich recht entsinne, waren Sie gerade dabei zu bekunden, daß nunmehr die Politik der Verschwörergruppe sich vom Putsch zum Attentat steigert. Habe ich das so recht in Erinnerung?
GISEVIUS: Ja.
DR. DIX: Wollten Sie dazu noch etwas bekunden?
GISEVIUS: Sie hatten mich nach dem ersten Schritt in dieser Richtung gefragt, seit der Generaloberst Beck alle Hoffnung aufgegeben hatte, noch einen General zum Putsch gewinnen zu können. Damals wurde gesagt, nunmehr bleibt nichts anderes übrig, als Deutschland und Europa und die Welt durch ein Bombenattentat von dem Tyrannen zu befreien. Unverzüglich wurde nach diesem Entschluß die Vorbereitungsarbeit aufgenommen. Oster sprach mit Lahousen, Lahousen gab aus seinem Arsenal die Bomben, die Bomben wurden ins Hauptquartier Kluges nach Smolensk gebracht, und es wurde mit allen Mitteln versucht, ein Attentat durchzuführen, das nur dadurch gescheitert ist, daß anläßlich eines Frontbesuches Hitlers die bereits in sein Flugzeug gelegte Bombe nicht explodierte. Dies war im Frühjahr 1943.
DR. DIX: Nun passierte in der Abwehr OKW ein Ereignis, welches durch die weitere Entwicklung der Dinge und auf das weitere Verhalten Schachts, auch auf Ihr weiteres Verbleiben in Deutschland, von bedeutendem Einfluß war. Wollen Sie das schildern?
GISEVIUS: Allmählich war auch Himmler nicht entgangen, was sich im OKW abspielte, und auf Drängen des SS-Generals Schellenberg wurde nunmehr eine große Untersuchung gegen die Canarisgruppe eingeleitet. Es wurde ein Sonderkommissar eingesetzt. Schon am ersten Tage der Untersuchung wurde Oster seines Amtes enthoben und eine Anzahl seiner Mitarbeiter verhaftet. Wenige Zeit darauf war auch Canaris seines Postens enthoben. Ich selber konnte seit dieser Zeit Deutschland nicht mehr betreten, und damit war diese Gruppe, die bisher gewissermaßen die Geschäftsführung aller Konspirationen trug, eliminiert.
DR. DIX: In diese Zeit, nämlich Januar 1943, fällt auch die Entlassung Schachts als Reichsminister ohne Portefeuille. Waren Sie seit diesem Vorgang mit Schacht zusammen?
GISEVIUS: Ja. Ich war zufällig an diesem Tag in Berlin und erlebte dann, wie dieser Entlassungsbrief kam. Es war ein ungewöhnlich scharfes Schreiben. Ich weiß noch, daß ich in der Nacht in das Landhaus von Schacht hinausgebeten wurde, und da in diesem Schreiben nur angegeben war, daß Schacht entlassen werde, berieten wir, ob er seine Verhaftung zu gewärtigen habe.
DR. DIX: Ich darf die Herren Richter daran erinnern, daß ich dieses Schreiben bei der Vernehmung Lammers zu Protokoll verlesen und Lammers vorgehalten habe. Das Schreiben ist also bereits – ich meine das Entlassungsschreiben Schachts, unterzeichnet von Lammers – zu Protokoll verlesen und wird auch in meinem Dokumentenbuch enthalten sein.