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[Zum Zeugen gewandt:]

Sie waren also jetzt in der Schweiz. Aber am 20. Juli waren Sie in Berlin. Wie kommt das?

VORSITZENDER: Meinen Sie den 20. Juli 1944?

DR. DIX: Ja, den bekannten 20. Juli. Wir eilen jetzt zum Ende.

GISEVIUS: Ein paar Monate nach der Eliminierung des Canaris-Oster-Kreises wurde um den General Olbricht herum eine neue Stelle von uns gegründet. Damals trat der Oberst Graf von Stauffenberg in Aktion. Er ersetzte Oster in allen Aktivitäten, und als es dann nach Monaten und nach vielen vergeblichen Versuchen und Besprechungen im Juli 1944 soweit war, bin ich dann heimlich nach Berlin zurückgekehrt, um an diesen Ereignissen teilzunehmen.

DR. DIX: Aber bei diesem Attentatsversuch hatten Sie keine direkte Verbindung mit Schacht?

GISEVIUS: Nein. Ich selber war heimlich in Berlin und sah nur Goerdeler, Beck und Stauffenberg, und es wurde ausdrücklich abgemacht, daß dieses Mal kein anderer Zivilist außer Goerdeler und Leuschner und meiner Person unterrichtet werden sollte. Wir hofften, dadurch Leben zu schützen, indem wir sie nicht in unnützer Weise mit der Mitwisserschaft belasteten.

DR. DIX: Ich komme nun zu meiner letzten Frage: Ich möchte Ihnen vorhalten, daß Schacht immerhin unter der Hitler-Regierung erste Staatsstellungen innehatte. Sie, Herr Doktor, waren, wie sich aus Ihrer Bekundung ja heute zweifelsfrei ergibt, ein Todfeind des Hitler-Regimes. Trotzdem hatten Sie, wie sich ebenfalls aus Ihrer heutigen Bekundung ergibt, besonders Vertrauen zu Schacht. Wie erklären Sie diese prima vista an sich widerspruchsvolle Tatsache?

GISEVIUS: Ich kann zur Antwort natürlich nur ein persönliches Urteil abgeben und werde dieses so kurz wie möglich fassen, möchte aber betonen, daß über das Problem Schacht nicht nur ich mir den Kopf zerbrochen habe, sondern meine Freunde desgleichen, und es war für uns immer eine Frage und ein Rätsel, das Schacht uns aufgab; vielleicht läßt es sich nur aus dem Widerspruchsvollen in dem Wesen dieses Mannes erklären, daß er diese Position in der Hitler-Regierung so lange aufrechterhielt. Zweifellos ging er hinein in die Hitler-Regierung aus patriotischen Erwägungen, und ich möchte hier bezeugen, daß er im Augenblick, als die Enttäuschung bei ihm sichtbar wurde, aus denselben patriotischen Erwägungen nunmehr entschlossen zur Opposition überging. Was mich und meine Freunde trotz vieler Widersprüche und Rätsel, die Schacht uns aufgab, an ihn fesselte, war, daß er eine ungewöhnliche Zivilcourage hatte, daß er zweifellos von einem tiefen sittlichen Ethos durchdrungen war, und daß er nicht nur an Deutschland, sondern daß er auch an die Ideale der Menschheit dachte. So kam es, daß wir mit ihm gingen, daß wir ihn zu den Unseren zählten, und wenn Sie mich persönlich fragen, so kann ich sagen, daß ich meine Zweifel, die ich oft ihm gegenüber gehabt habe, während der dramatischen Ereignisse, während der Jahre 1938/39, endgültig begraben habe. Damals hat er wirklich gekämpft, und das werde ich ihm nie vergessen. Es ist mir eine Freude, dieses auch hier bezeugen zu können.

DR. DIX: Meine Herren Richter! Ich bin nun mit der Vernehmung dieses Zeugen zu Ende.

VORSITZENDER: Möchte noch ein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen stellen?

RECHTSANWALT GEORG BOEHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Zeuge! Sie haben gestern erklärt, daß Sie Mitglied des Stahlhelms waren. Von wann bis wann waren Sie das?

GISEVIUS: Ich glaube, mein Eintritt in den Stahlhelm erfolgte 1929, und ich trat 1933 aus dem Stahlhelm aus.

RA. BOEHM: Sie kennen die Mentalität der Stahlhelm-Angehörigen. Sie wissen, daß es fast ausschließlich Leute waren, die den ersten Weltkrieg mitgemacht hatten, und ich möchte Sie nun fragen, ob die innenpolitischen und außenpolitischen Ziele, die der Stahlhelm hatte, von den Stahlhelm-Angehörigen auf legalem oder revolutionärem Wege erreicht werden wollten?

GISEVIUS: Meines Wissens hat der Stahlhelm immer den legalen Weg propagiert.

RA. BOEHM: Jawohl. War der Kampf des Stahlhelms gegen den Friedensvertrag von Versailles, den ja jede Organisation mit nationalen Tendenzen wohl aufgenommen hat, mit legalen Mitteln oder mit revolutionären, beziehungsweise Gewaltmitteln gedacht?

GISEVIUS: Das ist natürlich sehr schwer für mich, für den gesamten Stahlhelm zu antworten; aber ich kann nur sagen, daß mir und den Stahlhelm-Angehörigen, mit denen ich in Berührung kam, bekannt war, daß der Stahlhelm den gesetzlichen Weg gehen wollte.

RA. BOEHM: Ist es richtig, daß in den Jahren 1932 und 1933 Hunderttausende, ohne Unterschied von Partei und Rasse, in den Stahlhelm eingetreten sind?

GISEVIUS: Das ist richtig. Je mehr die Dinge in Deutschland sich zuspitzten, desto mehr Leute gingen zur Rechten. Und da ich selber als Versammlungsredner dieses Anwachsen des Stahlhelms von 1929 bis 1933 miterlebte, werde ich es so beschreiben, daß diejenigen, die nicht zur NSDAP und SA gehen wollten, bewußt in den Stahlhelm eintraten, um innerhalb der deutschen Rechtsbewegung ein Gegengewicht gegen die zunehmende braune Flut zu schaffen. Das war der Tenor unserer damaligen Werbung für den Stahlhelm.

RA. BOEHM: Nun ist Ihnen ja bekannt, daß der Stahlhelm korporativ 1933 in die SA übernommen worden ist, und was ich Sie fragen wollte, war: War es bei dieser Gelegenheit dem einzelnen Stahlhelm- Angehörigen möglich nein zu sagen oder zu protestieren gegen seine Übernahme in die SA?

GISEVIUS: Möglich war das selbstverständlich, wie alles auch im Dritten Reich möglich war.

RA. BOEHM: Und was wären dann die möglichen Folgen gewesen?

GISEVIUS: Die möglichen Folgen wären eine heftige Auseinandersetzung mit den örtlichen Parteiführern oder SA-Führern gewesen. Ich bin damals nicht mehr Stahlhelmer gewesen und kann nur sagen, daß es zweifellos für viele Menschen außerordentlich schwierig gewesen sein wird, besonders auf dem Lande, ihren Übertritt zu verweigern. Nachdem sie von ihrer Führung oben, dem Minister Seldte, verraten oder, wie es damals gesagt wurde, an die SA verkauft worden waren, war ein Nichtübertritt in die SA natürlich ein offenes Mißtrauensvotum gegen den Nationalsozialismus.

RA. BOEHM: Aus meiner Korrespondenz mit den früheren Stahlhelm-Angehörigen geht hervor, daß die Leute, die als frühere Stahlhelm-Angehörige in die SA übernommen worden sind, in dieser ein Fremdkörper geblieben seien und in ständiger Opposition gegen die NSDAP und die SA geblieben waren. Ist das richtig?

GISEVIUS: Da ich nicht selber mehr dazu gehört habe, kann ich nur sagen, daß ich annehme, daß sich diese Stahlhelmer sehr unwohl gefühlt haben in ihrer neuen Gemeinschaft.

RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, ob die Stahlhelmer vor 1934 und ab 1934 in der SA an Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Juden, gegen die Kirche und so weiter teilgenommen haben?

GISEVIUS: Nein, ist mir nicht bekannt.

RA. BOEHM: Ich möchte Sie nun fragen, insoweit Sie unterrichtet sind und Bescheid wissen über die SA. Bezüglich der SA-Führer haben Sie sich wenigstens gestern bereits in zweifelsfreier Weise geäußert. Ich möchte Sie bitten, die Antwort auf meine Frage, die ich nun stelle, auf einen Kreis von SA-Angehörigen zu beziehen, der ungefähr zwischen dem einfachen SA-Mann und dem Standartenführer oder Brigadeführer liegt. Konnten Sie aus der Einstellung und der Tätigkeit des SA-Mannes bis zum Standartenführer oder Brigadeführer – ich mache diese Einschränkung, weil ich Ihre Erklärung von gestern bezüglich der Gruppen- oder Obergruppenführer in bester Erinnerung habe – entnehmen, daß diese Leute beabsichtigten, Verbrechen gegen den Frieden zu begehen?

GISEVIUS: Es ist natürlich furchtbar schwer, solche allgemeinen Fragen zu beantworten. Wenn Sie mich hinsichtlich des Gros dieser SA-Leute fragen, kann ich natürlich die Frage nur verneinen.

RA. BOEHM: Herr Zeuge! Haben Sie beobachtet, daß auch SA-Leute eingesperrt wurden und daß auch SA-Leute in das Konzentrationslager gekommen sind?

GISEVIUS: Das habe ich sehr oft beobachtet; es wurden sehr viele SA-Leute 1933, 1934 und 1935, also in diesen Jahren, wo ich dies dienstlich zu bearbeiten hatte, von der Gestapo verhaftet, totgeschlagen, zumindest gequält und in das Konzentrationslager gebracht.

RA. BOEHM: Konnte ein Mann, der in der SA war, oder auch ein Außenstehender aus der Tätigkeit, aus dem Tun der SA-Angehörigen entnehmen, oder aus Einzelfällen auf die Gesamtheit schließen und so entnehmen, daß die SA beabsichtigte, Verbrechen gegen den Frieden zu begehen?

GISEVIUS: Nein. Wenn ich denke, mit welchen Mühen wir allein im Oberkommando der Wehrmacht jeweils in Erfahrung zu bringen versuchten, ob Hitler einen Krieg plane oder nicht, dann kann ich natürlich einem einfachen SA-Mann nicht eine Kenntnis über etwas zumuten, was wir noch nicht einmal positiv wußten.

RA. BOEHM: Die Anklage behauptet, daß die SA die Jugend und das deutsche Volk zum Kriege gehetzt habe. Haben Sie in dieser Richtung eine solche Wahrnehmung gemacht? Sie waren Angehöriger der Gestapo, und es hätte Ihnen doch eine solche Tätigkeit kaum entgehen können?

GISEVIUS: Das ist wiederum eine unerhört allgemeine Frage, und ich weiß nicht, inwieweit man gewisse Lieder oder andere Dinge bereits zur Vorbereitung auf den Krieg auffassen wird. Jedenfalls kann ich mir nicht denken, daß in den Jahren bis 1938 in der Masse der SA eine andere Stimmung war als in der Masse des deutschen Volkes; und diese Stimmung war ganz einwandfrei, daß bereits der Gedanke an Krieg ein purer Wahnsinn sei.

RA. BOEHM: Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte erkannt, aus denen Sie hätten entnehmen können, daß die SA beabsichtigt hatte, Kriegsverbrechen zu begehen, oder daß sie solche Kriegsverbrechen begangen hat?

GISEVIUS: Von dem einfachen SA-Mann muß ich dies wiederum verneinen und auch von der Masse der SA. Wieweit irgendwelche höheren Führer im Komplott bei all den furchtbaren Dingen, über die wir jetzt gehört haben, waren, kann ich nicht aussagen; aber die Masse war zweifellos nicht über solche Dinge unterrichtet und dafür erzogen.

RA. BOEHM: Herr Zeuge! Es ist wohl nicht hinwegzuleugnen, daß von einer Reihe von SA-Angehörigen Fehler gemacht worden sind, strafbare Handlungen begangen sind, und daß diese Leute sicher auch bestraft werden sollten.

Sie kennen nun die SA und wissen, was sich in Revolutionszeiten und danach zugetragen hat. Sind Sie in der Lage, zu schätzen oder prozentual zum Ausdruck zu bringen, welcher Prozentsatz von den vielen Angehörigen der SA sich strafbar vergangen haben? Dabei möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die SA ungefähr bis zum Jahre 1932/1933...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Dr. Boehm! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es nicht zulässig ist, den Zeugen zu fragen, welcher Prozentsatz einer solchen Gruppe, zu der Hunderttausende von Menschen gehören, eine bestimmte Ansicht vertritt.

RA. BOEHM: Die Aufklärung dieser Frage wäre aber für mich sehr wichtig, Herr Präsident. Es dreht sich hier um einen Zeugen, der außerhalb der SA gestanden hat, der als Gestapo-Angehöriger vielleicht einer von den wenigen war, der in die Tätigkeit der SA hineinsehen konnte und auch hineingesehen hat, und um einen Menschen, dem vor Gericht sicher auch Glauben geschenkt wird, der auch wußte, welche Strafverfahren ungefähr durchgeführt wurden, der auch – und das will ich sagen – die Zahl der SA-Angehörigen gekannt hat, und der als einer von den wenigen in der Lage ist, dem Gericht dazu eine Aussage zu machen. Und ich glaube, daß, wenn der Zeuge in der Lage ist, sich dazu zu äußern, diese Aufklärung, die er gibt, auch für das Gericht sehr wichtig sein wird.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß weder dieser noch andere Zeugen derartige Aussagen machen können. Diese Frage wird daher abgelehnt.

RA. BOEHM: Herr Zeuge! Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen SA-Angehörige in der SA Opposition getrieben haben?

GISEVIUS: Ich habe diese Frage dadurch beantwortet, daß ich gesagt habe, daß eine ganze Anzahl von SA-Angehörigen von der Gestapo verhaftet worden ist.

RA. BOEHM: Jawohl. Ist Ihnen bekannt, welche Strafverfahren gegen Angehörige der SA eingeleitet worden sind und möglicherweise in welcher Menge?

GISEVIUS: Leider viel zu wenig, wenn Sie so fragen.

RA. BOEHM: Jawohl.

GISEVIUS: Leider gab es genug Übeltäter in der SA, die ja völlig frei herumliefen. Entschuldigen Sie, daß ich so antworten muß.

RA. BOEHM: Gewiß. Und in welchem Verhältnis stehen Sie zur Gesamt-SA?

GISEVIUS: Ja, damit sind wir wieder bei der Frage angelangt...

VORSITZENDER: Das ist genau dieselbe Frage noch einmal.

RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, unter welchen Umständen man aus der SA austreten konnte?

GISEVIUS: So, wie man aus allen Organisationen der Partei austreten konnte. Das war natürlich dann ein mannhafter Entschluß.

RA. BOEHM: Danke schön, ich habe weiter keine Fragen.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben vorhin auf die Frage des Kollegen Dix dem Gericht gesagt, daß nach der Niederlage bei Stalingrad ein Militärputsch organisiert werden sollte. Sie haben zu diesem Punkt ausgesagt, daß bereits Besprechungen stattgefunden hätten, und auch Vorbereitungen getroffen worden wären, und daß die Durchführung des Militärputsches dadurch verhindert worden sei, daß die Feldmarschälle im Osten die Verschwörergruppe im Stiche gelassen haben.

Ich bitte Sie nun, nähere Angaben über diesen Komplex zu machen, damit ich Ihrem Schluß folgen kann, nach dem die Feldmarschälle die Verschwörergruppe im Stich gelassen haben.

GISEVIUS: Seit Kriegsausbruch versuchte Generaloberst Beck bald mit dem einen, bald mit dem anderen Feldmarschall Kontakt aufzunehmen. Er schrieb Briefe, er entsandte Boten. Ich entsinne mich vor allem eines Briefwechsels mit Generalfeldmarschall von Manstein, und ich habe auch das Antwortschreiben des Generals von Manstein aus dem Jahre 1942 in meinen Händen gehabt. Auf die streng militärischen Darlegungen Becks, daß und warum der Krieg verloren sei, wußte Manstein nur die Antwort zu geben: Ein Krieg sei solange nicht verloren, als man ihn nicht selber verloren gäbe.

Beck sagte, mit solch einer Antwort eines Feldmarschalls ließen sich allerdings keine strategischen Fragen erörtern. Ein paar Monate später wurde wiederum ein Versuch gemacht, den Generalfeldmarschall von Manstein zu gewinnen: Der General von Treskow, auch ein Opfer des 20. Juli, fuhr in das Hauptquartier Mansteins, der Oberstleutnant Graf von der Schulenburg fuhr in das Hauptquartier Mansteins, aber es gelang nicht, Herrn von Manstein auf unsere Seite zu ziehen.

Zur Zeit von Stalingrad nahmen wir Fühlung auf mit dem Feldmarschall von Kluge und dieser wiederum mit Manstein. Und dieses Mal gingen die Gespräche so weit, daß Kluge uns eine feste Zusicherung gab und daß er uns auch versicherte, den Generalfeldmarschall von Manstein anläßlich einer ganz bestimmten, datumsmäßig festgelegten Besprechung im Führerhauptquartier zu gewinnen. Wegen der Wichtigkeit dieses Tages wurde von dem General der Nachrichtentruppen, Fellgiebel, eine Sonder-Telephonleitung aus dem Hauptquartier zu dem General Olbricht in das OKW nach Berlin gelegt. Ich selber habe diesen Fernspruch mit entgegengenommen – ich sehe heute noch diese Papierrolle vor mir –, in dem nunmehr mit dürren Worten gesagt war, daß Manstein, entgegen den von ihm vorher gegebenen Zusicherungen sich von Hitler habe überreden lassen, weiter im Amte zu bleiben. Und auch Kluge gab sich damals mit ganz geringen militärischen strategischen Konzessionen zufrieden. Wir haben dies damals als eine ganz große Enttäuschung empfunden, und ich darf deshalb nochmals wiederholen, was Beck damals sagte: »Wir wurden im Stich gelassen.«

DR. LATERNSER: Welche weiteren Vorbereitungen waren gerade noch in diesem Falle getroffen worden?

GISEVIUS: Wir hatten mit dem Feldmarschall von Witzleben feste Verabredungen getroffen. Witzleben war Kommandeur des gesamten Westens und deswegen sehr wichtig für die Auslösung eines Putsches oder für die Sicherung eines Putsches im Westen. Wir hatten weitere feste Abreden mit dem Militärgouverneur von Belgien, dem Generaloberst von Falkenhausen, getroffen; wir hatten weiterhin, ähnlich wie am 20. Juli 1944, bestimmte Kontingente von Panzertruppen in der Umgebung von Berlin zusammengezogen; wir hatten weiterhin diejenigen Truppenkommandeure bereits im OKW versammelt, die bei dieser Aktion handeln sollten.

DR. LATERNSER: Das war alles in der Zeit nach Stalingrad?

GISEVIUS: Gelegentlich des Stalingrad-Putsches.

DR. LATERNSER: Wollen Sie bitte fortfahren.

GISEVIUS: Wir hatten sämtliche politischen Vorbereitungen getroffen, die sonst noch zu treffen waren. Ich kann hier schlecht die Putschgeschichte des Dritten Reiches ganz erzählen.

DR. LATERNSER: Ja. Und was waren dann die Gründe, weshalb dieser beabsichtigte Militärputsch nicht durchgeführt worden ist?

GISEVIUS: Was war das?

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Und was waren denn die Gründe für die Nichtdurchführung dieses von der Verschwörergruppe beabsichtigten Putsches?

GISEVIUS: Wider alles Erwarten kapitulierte der Feldmarschall Paulus. Das ist bekanntlich die erste große Massenkapitulation von Generalen, während wir erwartet hatten, daß Paulus mit seinen Generalen vor seiner Kapitulation einen Aufruf an das deutsche Volk und an die Ostfront erlassen würde, in dem die Strategie Hitlers und die Preisgabe der Stalingrad- Armee mit gebührenden Worten gebrandmarkt wurde. Auf dieses Stichwort hin sollte der Generalfeldmarschall von Kluge erklären, daß er in Zukunft keine militärischen Befehle von Hitler mehr entgegennehme. Wir hofften mit dieser Konstruktion das Problem des Eides, der uns immer mehr zu schaffen machte, zu umgehen, indem nacheinander ein Feldmarschall nach dem anderen den militärischen Gehorsam gegenüber Hitler verweigern sollte, worauf Beck den militärischen Oberbefehl in Berlin übernehmen wollte.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie erwähnen gerade den militärischen Eid. Wissen Sie etwas darüber, ob Blomberg und Generaloberst Beck Widerstand geleistet haben oder versucht haben zu leisten gegen die Vereidigung der Wehrmacht auf Hitler?

GISEVIUS: Ich weiß nur, daß Beck bis in die letzten Tage seines Lebens mir den Tag seiner Eidleistung auf Hitler als den schwärzesten Tag seines Lebens geschildert hat und mir eine genaue Schilderung gegeben hat, wie er sich persönlich bei dieser Eidleistung überrumpelt fühlte. Er hat mir geschildert, daß er zu einem militärischen Appell befohlen worden sei, daß plötzlich verkündet worden sei, es müsse dem neuen Staatsoberhaupt geschworen werden, daß unerwarteterweise eine neue Eidesformel vorgetragen wurde. Und Beck kam nie mehr von dem furchtbaren Gedanken los, daß er vielleicht damals hätte nicht schwören dürfen, und er sagte mir, er habe beim Nachhausegehen einem Kameraden gesagt: »Dies ist der schwärzeste Tag meines Lebens.«

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben bei Ihrer Aussage weiter erwähnt, daß zwischen Polenfeldzug und Westfeldzug, oder mit Beginn des Westfeldzuges ein weiterer Militärputsch versucht werden sollte, und daß dieser Putsch gescheitert sei, weil Halder und Feldmarschall von Brauchitsch ausgewichen seien. Diesen Ausdruck ›ausgewichen‹ haben Sie in Ihrer Aussage vorhin gebraucht. Ich bitte Sie, mir nun anzugeben, auf Grund welcher Tatsachen Sie zu diesem Urteil, daß die beiden Generale ausgewichen seien, gekommen sind.

JUSTICE JACKSON: Ich erhebe nicht den Einwand, daß dies uns schaden könnte, falls wir recht viel Zeit hätten, aber das Beweismaterial für diese Putsche, drohenden Putsche, angeblichen Putsche, wurde unserer Ansicht nach hier nur im Zusammenhang mit der Haltung des Angeklagten Schacht zugelassen. Wir führen hier keinen Prozeß gegen diese Generale wegen ihrer etwaigen Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einem Putsch. Uns ist es ebenso recht, wenn sie an keinem Putsch teilgenommen haben. Ich sehe nicht ein, zu welchem Zweck dies nochmal vorgebracht wird. Ich weise den Gerichtshof auf den beschränkten Zweck hin, für den diese historischen Tatsachen zugelassen wurden. Ich bin der Ansicht, daß es keinen Zweck hat, das in diesem Zusammenhang zu wiederholen.

VORSITZENDER: Was ist Ihre Antwort darauf, Dr. Laternser?

DR. LATERNSER: Nachdem der Zeuge über diesen Komplex gesprochen hat und angegeben hat, daß sowohl Halder als auch Brauchitsch ausgewichen seien, und ich nicht feststellen kann, ob dieses Urteil, das dieser Zeuge mit dem Ausdruck »ausgewichen« gefällt hat, richtig ist, glaube ich, auf Grund der abgelaufenen Tatsachen verpflichtet zu sein, diesen Punkt näher aufzuklären. Ganz allgemein möchte ich noch weiter anfügen, daß auch der Anklage gegenüber die Berechtigung besteht, auf diese Punkte einzugehen. Ich erinnere nur an die Ausführungen, die der Herr Anklagevertreter der Französischen Republik gemacht hat, in denen er ausgeführt hat, daß bei all diesen Zuständen es unverständlich sei, daß Halder sich nicht, wie auch das ganze deutsche Volk, wie ein Mann gegen das Regime erhoben habe. Wenn ich also von dem Standpunkt der Anklagebehörde ausgehe, dann ist eine Befragung über den Punkt, wie ich es eben vorgenommen habe, ganz zweifellos von Wichtigkeit. Ich bitte daher, diese Frage zuzulassen.

VORSITZENDER: Die Anklage gegen das Oberkommando lautet dahin, daß es im Sinne des Statuts eine verbrecherische Organisation war, das heißt, daß es einen Angriffskrieg geplant oder Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Verbindung mit einem Angriffskrieg begangen hat. Ob es an Putschen teilgenommen hat oder nicht oder beabsichtigt hat, daran teilzunehmen, um den Krieg zu beenden, scheint für diese Frage nicht sehr wesentlich zu sein.

DR. LATERNSER: Ich stimme mit der Meinung des Herrn Präsidenten in diesem Punkte vollkommen überein, daß es nicht als von besonderer Wichtigkeit zu betrachten ist. Im übrigen aber...

VORSITZENDER: Ich habe nicht gesagt, daß es nicht von besonderer Wichtigkeit sei. Ich habe gesagt, daß es bezüglich der Erheblichkeit nicht wesentlich ist. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß keine dieser Fragen erheblich ist.

DR. LATERNSER: Ich ziehe dann diese Frage zurück. Ich habe dann noch eine letzte Frage.