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[Das Gericht vertagt sich bis

26. April 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertfünfzehnter Tag.

Freitag, 26. April 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Gisevius im Zeugenstand.]

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof!

Dr. Gisevius! Gestern sprachen Sie von Herbert Göring und sagten, daß Schacht Ihnen von den Gestapomikrophonen in seinem Haus Mitteilung gemacht habe. Wollen Sie uns sagen, in welcher Beziehung Herbert Göring zu dem Angeklagten stand?

GISEVIUS: Herbert Göring war ein Vetter des Angeklagten Göring. Ich kannte ihn seit langen Jahren und Herbert, wie seine übrigen Geschwister, warnten mich seit langen Jahren vor dem Unheil, das über Deutschland hereinbrechen werde, wenn jemals ein solcher Mann wie ihr Vetter Hermann Göring auch nur den kleinsten verantwortlichen Posten erhalten würde. Sie machten mich mit den vielen Eigenschaften des Angeklagten Göring vertraut, die wir mittlerweile alle kennengelernt haben, angefangen von seiner Eitelkeit, über seine Prunksucht, über seine Verantwortungslosigkeit und über seine Skrupellosigkeit, die über Leichen ginge. So war ich einigermaßen bereits unterrichtet, was ich von dem Angeklagten zu gewärtigen hatte.

JUSTICE JACKSON: Während der Zeit, in der Sie diese Nachforschungen anstellten und diese ersten Gespräche mit Schacht hatten, und bis zum Jahre 1937 ungefähr, waren Sie, wie ich verstehe, Schacht gegenüber sehr kritisch eingestellt, weil er den Nazis zur Macht verholfen hatte und weiterhin Hilfe leistete. Ist das richtig?

GISEVIUS: Ich begriff nicht, wie so ein kluger und wirtschaftlich fähiger Mann wie Schacht sich so eng mit Hitler hatte einlassen können. Ich stand vor einem um so größeren Rätsel, als auf der anderen Seite dieser Schacht vom ersten Tage an in tausend Kleinigkeiten den Nazis Widerstand leistete und die deutsche Öffentlichkeit sich an den vielen spitzigen und witzigen Bemerkungen, die er über die Nazis machte, erfreute. So stand ich vor einem Rätsel, bis ich den Mann kennenlernte, Schacht. Und dann...

JUSTICE JACKSON: Während dieser Zeit hatte Schacht großen Einfluß auf das deutsche Volk, nicht wahr? Insbesondere auf Deutsche, die Verantwortung und Einfluß hatten?

GISEVIUS: Er hatte großen Einfluß, indem viele Deutsche hofften, in ihm einen Sachwalter für Recht und Anstand zu finden, und da Sie hörten, daß er sehr viele Schritte in dieser Hinsicht unternahm; ich erinnere an seine Tätigkeit im Wirtschaftsministerium, wo er Beamte, die nicht Parteigenossen...

JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie unterbrechen darf: Ich glaube, das haben wir schon besprochen, und ich möchte gerne in dieser Sache vorankommen.

GISEVIUS: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Während dieser Zeit haben Sie Schacht genau berichtet, was Sie über die verbrecherische Tätigkeit der Gestapo in Erfahrung gebracht haben; nicht wahr?

GISEVIUS: Ja, ich sprach von Mal zu Mal offener, und es liegt auf der Hand, daß sich...

JUSTICE JACKSON: Und er nahm den Standpunkt ein, wenn ich Sie recht verstehe, daß Hitler und Göring von diesen Dingen nichts wußten?

GISEVIUS: Ja, er meinte, daß Hitler von solch furchtbaren Dingen nichts wußte und Göring höchstens nur einen Teil.

JUSTICE JACKSON: Und er hielt zu Göring bis zum Jahre 1937, als Göring ihn aus dem Wirtschaftsministerium hinauswarf; nicht wahr?

GISEVIUS: Ich glaube, dieser Zeitpunkt liegt schon Ende 1936: ich mag mich irren. Und ich glaube, man sollte eher sagen, er suchte Görings Unterstützung und hoffte, daß Göring ihn abschirmte gegenüber der Partei und der Gestapo.

JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, Schacht achtete nicht auf Ihre Warnung vor Göring bis gegen Ende des Jahres 1936 oder 1937?

GISEVIUS: Das ist richtig.

JUSTICE JACKSON: Und während dieser Zeit gab es wohl keinen Zweifel, nicht wahr, daß Schacht die führende wirtschaftliche Persönlichkeit in dem Wiederaufrüstungsprogramm war, bis er dann durch Göring und den Vierjahresplan verdrängt wurde?

GISEVIUS: Ich weiß nicht, ob alles genau durchgekommen ist. Er war als Wirtschaftsminister selbstverständlich der führende Mann für die deutsche Wirtschaft, nicht nur allein für die Wiederaufrüstung, sondern für alle Fragen in der deutschen Wirtschaft und die Wiederaufrüstung war ja nur ein Teil davon.

JUSTICE JACKSON: Schacht glaubte – und wenn ich Sie recht verstehe, glaubten auch Sie während dieser Zeit, daß der deutschen Verfassung nach kein Krieg erklärt werden könne ohne die Ermächtigung des Reichskabinetts. Ist das richtig?

GISEVIUS: Ja.

JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, vom Standpunkt der deutschen Verfassung aus war der Krieg, so wie Hitler ihn erklärte und durchführte, nach Ihrer Ansicht rechtswidrig?

GISEVIUS: Nach unserer festen Überzeugung, ja.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, gestern haben wir festgestellt, welche Stellung Sie hätten haben sollen, wenn der Sturz des Hitler-Regimes gelungen wäre. Schacht war als Kanzler in Betracht gezogen, falls dieser Umsturz gelingen sollte, nicht wahr?

GISEVIUS: Nein, das ist nur richtig für das erste Angebot, das Halder im August 1938 oder Juli 1938 bei seinem ersten Besuch bei Schacht machte. Damals fragte, nach den mir zuteil gewordenen Informationen, Halder Schacht, ob er im Falle eines Umsturzes bereit wäre, einen solchen Posten zu übernehmen, und Schacht antwortete: Er wäre zu allem bereit, falls die Generale die Nazi-Herrschaft und Hitler eliminierten.

Schon im Jahre 1939 war aus einzelnen Opponenten eine Gruppe geworden, und spätestens mit dem Zeitpunkt, wo Beck das anerkannte Oberhaupt aller Verschwörer wurde, von links nach rechts, trat mit Beck Goerdeler als die führende Persönlichkeit für einen Reichskanzlerposten in den Vordergrund, so daß von diesem Zeitpunkt an wir nur noch von Goerdeler zu sprechen haben.

JUSTICE JACKSON: Und jetzt will ich Sie einiges über den Angeklagten Keitel fragen. Wir haben natürlich gehört, daß Hitler das tatsächliche Staatsoberhaupt war. Ich will Sie aber fragen, ob Keitel eine wirklich führende und mächtige Stellung im Reich innehatte.

GISEVIUS: Keitel hatte eine der einflußreichsten Stellungen im Dritten Reich inne. Ich möchte hier sagen, daß ich aufs engste befreundet war mit vier der nächsten Mitarbeiter von Keitel. Das ist der Chef des Waffenamtes im OKW, der ermordete General Olbricht, zweitens der Chef der Abwehr, Admiral Canaris, er ist ebenfalls ermordet worden, drittens der Chef des Heeres, Abteilung Rechtswesen, Ministerialdirektor Sack, er ist ebenfalls ermordet worden, und endlich der Chef des Wehrwirtschaftsamtes General Thomas, der wie durch ein Wunder dem Morde entgangen ist. Mit allen diesen Männern, darf ich sagen, verband mich eine enge Freundschaft, und so habe ich sehr genau von ihnen erfahren, welchen ungeheuren Einfluß Keitel auf das OKW und auf die gesamten Dinge der Armee und dadurch auch auf die Vertretung der Armee vor dem deutschen Volke hatte. Es mag sein, daß Keitel Hitler nicht sehr viel beeinflußt hat. Ich muß aber hier bezeugen, daß Keitel um so mehr das OKW und die Armee beeinflußte. Keitel entschied, welche Akten an Hitler weiterzugeben waren. Es war nicht möglich, daß der Admiral Canaris oder einer der anderen genannten Herren einen dringenden Bericht von sich aus Hitler vorlegen konnte. Keitel nahm ihn an sich und was ihm nicht gefiel, gab er nicht weiter, oder er hat diesen Männern den dienstlichen Befehl gegeben, nicht in dem betreffenden Sinne zu berichten. Ebenso hat Keitel wiederholt diesen Männern angedroht, daß sie sich lediglich auf ihre Fachressorts zu beschränken hätten und daß sie bei jeder politischen Äußerung, die kritisch gegenüber der Partei und der Gestapo und gegen die Judenverfolgung, gegen die Morde in Rußland oder gegen den Kirchenkampf seien, daß er sie dann nicht schützen werde und, wie er später sagte, daß er sich nicht scheuen würde, diese Herren aus der Wehrmacht zu entlassen und der Gestapo zu übergeben. Ich habe die Aufzeichnungen des Admirals Canaris in seinem Tagebuch darüber gelesen. Ich habe die Aufzeichnungen des Generals Oster aus den Chefbesprechungen im OKW darüber gelesen. Ich habe den Chefrichter des Heeres, Dr. Sack, darüber gesprochen, und es liegt mir daran, hier auszusagen, daß der Generalfeldmarschall Keitel, der seine Offiziere schützen sollte, sie wiederholt mit der Gestapo bedrohte. Er hat diese Herren unter Druck gesetzt, und diese Herren haben dies als einen besonderen Schimpf empfunden.

JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, gleichgültig ob Keitel Hitler beeinflussen konnte oder nicht, jedenfalls hatte er eine vollkommene Kontrolle über das gesamte ihm unterstellte OKW, nicht wahr?

GISEVIUS: Hitler sagen Sie? Nein Keitel.

JUSTICE JACKSON: Gleichgültig, ob Keitel über Hitler eine Kontrolle ausübte oder nicht, jedenfalls kontrollierte und kommandierte er das gesamte OKW, das ihm unterstand.

GISEVIUS: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, wie immer Hitlers Neigungen gewesen sein mögen, diese Leute auf der Anklagebank hier bildeten einen Ring um ihn, der Informationen seitens Ihrer Gruppe über die Ereignisse von ihm fernhielt, es sei denn, daß sie wollten, daß Hitler sie erfahren sollte; war das nicht so?

GISEVIUS: Jawohl. Ich glaube, daß ich auch noch zwei Beispiele erwähnen soll, die mir besonders kennzeichnend erscheinen. Erstens wurde mit allen Mitteln versucht, den Feldmarschall Keitel zu bewegen, Hitler vor dem Einmarsch in Holland und Belgien zu warnen und ihm, das heißt Hitler mitzuteilen, daß die von Keitel vorgelegten Informationen über die angebliche Neutralitätsverletzung der Holländer und Belgier falsch seien. Die Abwehr sollte ja diese die Holländer und Belgier inkriminierenden Berichte anfertigen. Der Admiral Canaris weigerte sich damals, diese Berichte zu unterschreiben. Ich bitte dies nachzuprüfen. Er hat Keitel wiederholt gesagt, daß diese angeblich vom OKW angefertigten Berichte falsch seien. Das ist das eine Beispiel, wo Herr Keitel an Hitler nicht weitergegeben hat, was er weitergeben sollte.

Das zweite war, daß Keitel von Canaris und Thomas gebeten wurde, die Einzelheiten über die Morde in Polen und Rußland Hitler vorzulegen. Es lag dem Admiral Canaris und seinen Freunden daran, bereits die Anfänge dieser Massenmorde zu unterbinden und bereits dann Keitel zu unterrichten, als die ersten Vorbereitungen von der Gestapo für diese Schandtaten getroffen wurden. Wir waren in den Besitz der Unterlagen durch Nebe und andere Persönlichkeiten gekommen. Keitel wurde hierüber eingehend unterrichtet und auch hier wiederum hat er nicht im Anfang widerstanden, und wer nicht am Anfang der Gestapo das Handwerk legte, der durfte sich nicht wundem, wenn nachher am Ende millionenfaches Unrecht entstand.

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Ich glaube, Ihre Frage lautete: Bildeten die Männer auf der Anklagebank hier einen Ring, der es Ihnen unmöglich machte, an Hitler heranzukommen? Die Frage wurde aber so beantwortet, als ob sie sich nur auf Keitel bezogen hatte. Wenn Sie die Frage bezüglich aller Angeklagten stellen wollten, sollte das, glaube ich, klargestellt werden.

JUSTICE JACKSON: Jawohl, das stimmt.