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[Pause von 10 Minuten.]

JUSTICE JACKSON: Dr. Gisevius! Ich möchte noch einige Fragen an Sie stellen, und zwar beziehen sich diese auf den Krieg und die Widerstandsbewegung, der Sie angehörten.

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Ich möchte gerne eine Frage an den Zeugen richten. Sie haben gesagt, daß Sie Listen mit den Namen der Minister und Generale aufgestellt haben, die an diesen Räubereien beteiligt waren. Aus welcher Quelle stammen Ihre Informationen?

GISEVIUS: Wir hatten Informationen aus den verschiedensten Ministerien, aus den Ministervorzimmern und aus dem Finanzministerium. Ich bin aber mit meiner Beantwortung vorhin nicht fertig geworden. Ich habe gesagt, ich konnte die Frage, welche Angeklagten sich bereichert hätten, nur negativ beantworten. Hinsichtlich des Angeklagten Schacht... ich wollte fortsetzen, daß ich persönlich diese Listen nicht eingesehen habe und daß ich nur an der Befragung des Angeklagten Schacht teilgenommen habe und daß er sich persönlich nicht bereichert habe. Ich wollte also nicht etwa sagen, daß alle Angeklagten, insbesondere der Angeklagte Papen oder Neurath, um nur diese beiden zu nennen, sich bereichert hätten. Ich weiß es nicht, wollte nur sagen, von Schacht wissen wir, oder weiß ich, daß er an diesem System nicht teilgenommen hat.

JUSTICE JACKSON: Nun, neben dem planmäßigen Raub an beschlagnahmten Gütern gab es auch offene Geschenke Hitlers an Generale und Minister, nicht wahr? Hohe Geldsummen und Güter?

GISEVIUS: Ja, das waren die berühmten Dotationen, mit denen vor allem in den Jahren seit Kriegsausbruch, mit denen systematisch die oberen Generalitäten korrumpiert wurden.

JUSTICE JACKSON: Und galt das für viele Minister?

GISEVIUS: Ich zweifle nicht.

JUSTICE JACKSON: Wie ich Ihrer Aussage entnehme, hat nun, als es zur Affäre Fritsch kam, dieses Ereignis oder diese Reihe von Ereignissen – unbeschadet der Zweifel, die Sie vor dem Jahre 1938 gehabt haben mögen – sogar Schacht davon überzeugt, daß Hitler einem Angriffskrieg zusteuerte.

GISEVIUS: Nach der Fritsch-Krise war Schacht überzeugt, daß nunmehr der Radikalismus und damit der Kriegskurs nicht mehr aufzuhalten sei.

JUSTICE JACKSON: Es herrschte nicht der geringste Zweifel unter Ihnen allen, die der Widerstandsbewegung angehörten, daß der Angriff auf Polen im September 1939 eine Angriffshandlung von seiten Hitlers war, nicht wahr?

GISEVIUS: Nein, darüber kann kein Zweifel sein.

JUSTICE JACKSON: Und daß die diplomatischen Mittel zur Wiedergutmachung des Unrechtes, das Deutschland in der Frage des Korridors und Danzigs zu erleiden glaubte, nicht erschöpft worden waren?

GISEVIUS: Ich kann da nur auf die vorhandenen Unterlagen verweisen. Es bestand nicht der Wille zum Frieden.

JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie richtig verstehe, war man sich innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung darüber einig, daß man verschiedene Modifizierungen des Versailler Vertrages und auch verschiedene wirtschaftliche Verbesserungen für Deutschland erreichen wollte, wie dies auch andere wünschten. Darüber waren sich doch alle immer einig, nicht wahr?

GISEVIUS: Wir waren uns alle einig, daß in Europa erst wieder Ruhe und ein vernünftiges Gleichgewicht zu erzielen seien, wenn noch gewisse Modifizierungen des Versailler Vertrages durchgeführt würden auf friedlichem, verhandlungsmäßigem Wege.

JUSTICE JACKSON: Im Hinblick auf diese Frage unterschieden Sie sich von den Nazis also hauptsächlich in den Methoden?

GISEVIUS: Ja.

JUSTICE JACKSON: Von Anbeginn an war es, wie ich Ihrer Aussage entnehme, der Standpunkt Ihrer Gruppe, daß ein Krieg für Deutschland wie auch für die übrige Welt nur Unheil zur Folge haben werde.

GISEVIUS: Ja.

JUSTICE JACKSON: Und daß die notwendigen Modifizierungen bei etwas Geduld auch durch friedliche Mittel erzielt werden könnten?

GISEVIUS: Absolut.

JUSTICE JACKSON: Angesichts dieser Meinungsverschiedenheit, nehme ich an, führte Ihre Widerstandsbewegung die von Ihnen beschriebenen Attentats- und Putschpläne gegen das in Deutschland herrschende Regime aus.

GISEVIUS: Ja, aber ich möchte ergänzen, daß wir nicht nur an die großen Gefahren nach außen dachten, sondern daß wir ebenso uns vergegenwärtigten, welche Gefahren in einem solchen Terrorsystem lagen. Es war von Anfang an eine Gruppe von Menschen in Deutschland, die überhaupt noch nicht an die Möglichkeit eines Krieges dachten und die sich trotzdem gegen Unrecht, Freiheitsberaubung und Glaubenskämpfe auflehnten.

Am Anfang stand also nicht der Kampf gegen den Krieg, sondern, wenn ich so sagen darf, der Kampf um die Menschenrechte; und es hat vom ersten Augenblick an in allen Schichten des Volkes, in allen Berufskreisen und allen Altersklassen Menschen gegeben, die für diese Gedanken zu kämpfen, zu leiden und zu sterben wußten.

JUSTICE JACKSON: Hier handelt es sich nur um die Frage, was für Beweggründe und Ziele Sie in der Widerstandsbewegung im Hinblick auf das deutsche Volk hatten; ich möchte Sie daher bitten, dem Gerichtshofe die Hauptziele anzugeben, die Ihrem Widerstand zugrundelagen.

GISEVIUS: Ich möchte sagen, daß der Tod unter den Männern der Widerstandsbewegung eine so reiche Ernte gehalten hat, daß ich nur deshalb hier sprechen kann, und daß sonst Würdigere zuständig wären, diese Antwort zu erteilen; und ich fühle mich nur mit dieser Einschränkung zu der Antwort berechtigt, daß es, ob Juden oder Christen, in Deutschland Menschen gab, die an Glaubensfreiheit dachten, an das Recht und an die Menschenwürde, nicht nur für Deutschland, sondern in tiefer Verantwortlichkeit als Deutsche auch für die höhere Gemeinschaft Europas und der Welt.

JUSTICE JACKSON: Es war eine Gruppe, die diese Widerstandsbewegung bildete, wenn ich Sie recht verstehe?

GISEVIUS: Es war eben nicht nur eine Gruppe, sondern viele Menschen haben das Geheimnis ihres Widerstandes nicht mehr dem Gestapoprotokoll anvertrauen wollen, sondern es schweigend mit in den Tod nehmen müssen, und nur wenige Menschen haben die Auszeichnung genossen, daß man heute von ihnen als von einer Gruppe sprechen kann.

JUSTICE JACKSON: Und die meisten Männer, die in dieser Bewegung mit Ihnen verbunden waren, sind tot?

GISEVIUS: Fast alle.

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie noch irgend etwas hinzufügen, um Ihre eigene Haltung dem Gerichtshof gegenüber zu erklären, Dr. Gisevius?

GISEVIUS: Entschuldigen Sie, ich habe nicht richtig verstanden.

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie irgend etwas hinzufügen, um dem Gerichtshof Ihre Stellungnahme näher zu erklären, Ihre Gefühle, Ihre starken Gefühle in dieser Sache, damit der Gerichtshof Ihr eigenes Verhältnis zu dieser Angelegenheit verstehen und richtig einschätzen kann?

GISEVIUS: Ich möchte ungern von mir sprechen, sondern Ihnen, Herr Ankläger, danken, daß Sie von der Anklagebank mir Gelegenheit gegeben haben, für Tote und Lebende ein entscheidendes Zeugnis abzulegen.

JUSTICE JACKSON: Ich habe mein Kreuzverhör beendet.

GENERALMAJOR G. A. ALEXANDROW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender!

VORSITZENDER: Wir haben uns doch mit den Vertretern der Anklagebehörde dahin geeinigt, daß die Zeugen für den Angeklagten Frick nur von einem Anklagevertreter ins Kreuzverhör genommen werden sollen?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Die Anklagevertreter haben eine Vereinbarung dahin getroffen, daß das Verhör mit dem Angeklagten Schacht und dessen Zeugen von der Amerikanischen Anklage allein vorgenommen wird, daß jedoch bei im Kreuzverhör auftretenden zusätzlichen Fragen auch der Anklagevertreter der USSR Fragen stellen kann. Die Sowjetische Anklagevertretung hat einige zusätzliche Fragen an den Zeugen Gisevius zu stellen, die hier von großer Wichtigkeit sind. Ich bitte daher um Ihre Erlaubnis, diese Fragen an den Zeugen stellen zu dürfen.

VORSITZENDER: Was für Fragen sind es, die, wie Sie sagen, von besonderer Wichtigkeit für die Sowjetunion sind? Ich will nicht die einzelnen Fragen hören, sondern nur wissen, um welche Art von Fragen es sich handelt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Es sind Fragen, die sich auf die Rolle des Angeklagten Frick bei der Vorbereitung des Krieges beziehen, Fragen, die mit den Beziehungen des Angeklagten Schacht zum Hitler-Regime zusammenhängen, und noch andere wesentliche Fragen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt unterbrechen, um zu beraten, ob dem Anklagevertreter noch ein Kreuzverhör bewilligt werden soll nach dem Kreuzverhör, das bereits stattgefunden hat.