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[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Zeuge Gisevius im Zeugenstand.]

DR. DIX: Der Vertreter der Russischen Anklage hat im Zusammenhang mit dem Anschluß Österreichs an Sie eine Frage gerichtet. Bei Beantwortung dieser Frage wurden Sie während Ihrer Antwort unterbrochen. Sie hatten gerade gesagt wörtlich: »Aber die Form...« Ich bitte Sie, diese Antwort jetzt zu Ende zu führen.

GISEVIUS: Ich wollte zum Ausdruck bringen, daß Schacht zweifellos gegen diese Form des Anschlusses war.

DR. DIX: Dann noch eine letzte Frage zu dem sogenannten Zwischenfall von gestern. Ich habe mich gestern mit Ihnen über diesen Zwischenfall unterhalten und Ihnen über die Persönlichkeit meines Herrn Kollegen Stahmer eine Erklärung abgegeben mit der Ermächtigung, von dieser Erklärung jederzeit Gebrauch zu machen. Ich bitte Sie, jetzt diese Erklärung dem Gericht abzugeben.

JUSTICE JACKSON: Darf ich hier mit einem Einwand unterbrechen? Meiner Ansicht nach ist diese Art und Weise, den Gerichtshof zu unterrichten – falls er von irgend etwas unterrichtet werden sollte –, höchst ungewöhnlich, daß nämlich Dr. Dix dem Zeugen sagt, was der Zeuge dem Gerichtshof sagen soll.

Ich habe nichts dagegen, wenn der Zeuge dem Gerichtshof erzählt, was er aus eigener Kenntnis weiß. Ich erhebe aber Einspruch dagegen, daß der Zeuge aufgefordert wird, das zu erzählen, was Dr. Dix ihm erlaubt hat, dem Gerichtshof mitzuteilen. Ich bin der Ansicht, daß dieses eine höchst ungewöhnliche Art ist, die Dinge zu klären.

DR. DIX: Nein, so ist das nicht. Ich habe zu Dr. Gisevius eine Bemerkung über Herrn Stahmer gemacht. Das ist ein Vorfall zwischen ihm und mir. Ich lege Wert darauf, daß diese meine Bemerkung von dem Zeugen erzählt und bekundet wird. Es ist doch ein Vorgang, den er beobachtet hat.

Ich ziehe es vor, mir vor dem Zeugen bestätigen zu lassen, daß ich ihm das erklärt habe. Ich sehe nicht ein, was daran ungewöhnlich sein soll. Ich bitte das zu entscheiden, sonst würde ich die Erklärung abgeben; aber ich halte es für besser, der Zeuge kann bekunden, daß ich ihm das gleich nach dem Vorfall gestern gesagt habe.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie dem Zeugen die Frage wohl stellen können.

DR. DIX: Also, ich bitte, ich habe Ihnen meine Frage gestellt, und Sie dürfen sie jetzt beantworten.

VORSITZENDER: Ich bin nicht mehr ganz sicher, wie Ihre Frage lautete, aber der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie die Frage stellen dürfen. War es etwas im Zusammenhang mit dem Vorfall, was der Zeuge uns noch nicht erzählt hat, was er aber noch sagen möchte?

DR. DIX: Die Frage bezieht sich auf ein Gespräch zwischen dem Zeugen und mir. Also, Herr Zeuge, was habe ich Ihnen gestern gesagt?

GISEVIUS: Sie haben mir sofort zum Ausdruck gebracht, daß nach Ihrer Meinung Ihr Kollege Stahmer keinen unzulässigen Druck auf mich ausüben wollte, sondern daß dieser unzulässige Druck von dem Angeklagten Göring ausging.

DR. DIX: Ich habe keine Fragen mehr.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Waren Sie während des Krieges...

VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl! Wollen Sie noch einmal Fragen stellen?

DR. SEIDL: Herr Vorsitzender, ich wollte nur eine Frage stellen...

VORSITZENDER: Ich habe nicht an die Zeit gedacht, die Sie in Anspruch nehmen würden, sondern ob es Ihnen erlaubt werden soll, noch Fragen zu stellen. Bitte, fahren Sie fort, Dr. Seidl.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Waren Sie während des Krieges zu irgendeiner Zeit im Nachrichtendienst einer ausländischen Macht tätig?

GISEVIUS: Zu keinem Zeitpunkt.

DR. SEIDL: Es ist auch nicht richtig...

VORSITZENDER: Das ist keine Frage, die Sie dem Zeugen im Rückkreuzverhör stellen sollten.

DR. SEIDL: Es ist eine Frage, Herr Vorsitzender, die sich auf die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen bezieht. Wenn sich ergeben sollte, daß dieser Zeuge, der deutscher Reichsangehöriger ist oder mindestens war, sich bei einem Nachrichtendienst einer ausländischen Macht betätigt hat, dann ist das eine Tatsache, die von Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Zeugen ist.

JUSTICE JACKSON: Ich bitte auch etwas dazu sagen zu dürfen. Erstens bin ich nicht der Ansicht, daß der Zeuge irgendeinem Angriff ausgesetzt werden sollte. Zweitens möchte ich zu erwägen geben, daß es nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen spricht, daß er dieser Art von Organisation Widerstand geleistet hat. Ich glaube, daß der Angriff auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen, falls einer gemacht werden sollte – er ist für die Angeklagten vereidigt worden und ist kein Zeuge der Anklagebehörde –, daß dieser Angriff unangebracht und kein richtiger Angriff ist, und daß der Inhalt der Frage sich nicht auf Glaubwürdigkeit bezieht.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof erlaubt Ihnen, die Frage zu stellen, Dr. Seidl.

DR. SEIDL: Beantworten Sie dann bitte noch einmal, unter Berufung auf Ihren Eid, meine Frage.

GISEVIUS: Herr Rechtsanwalt! Es ist gar nicht nötig, daß Sie mich noch einmal auf meinen Eid aufmerksam machen. Ich habe gesagt, daß ich in keinem ausländischen Nachrichtendienst stand. Ich stand im Dienste einer guten, sauberen, deutschen Sache.

DR. SEIDL: Haben Sie während des Krieges von einer der Mächte, mit denen Deutschland sich im Kriegszustand befand, Geldzuwendungen erhalten?

GISEVIUS: Nein.

DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, was die Buchstaben O S S bedeuten?

GISEVIUS: Jawohl.

DR. SEIDL: Was bedeuten diese Buchstaben?

GISEVIUS: Sie bedeuten den Organisationsnamen eines amerikanischen Nachrichtendienstes.

DR. SEIDL: Mit dieser Organisation hatten Sie nichts zu tun?

GISEVIUS: Ich habe mit mehreren Mitgliedern dieser Organisation freundschaftliche und politische Beziehungen unterhalten.

DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.

VORSITZENDER: Ich hoffe, daß die Herren Verteidiger sich daran erinnern, daß sie schon alle Gelegenheit zum Kreuzverhör gehabt haben und daß sie nicht...

DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: Die Person von Papen ist erst im Kreuzverhör des amerikanischen Anklagevertreters erwähnt worden. Infolgedessen konnte ich nicht vorher fragen.

Herr Zeuge! Sie verneinten gestern eine Frage des amerikanischen Hauptanklagevertreters, ob der Angeklagte von Papen jemals irgendwie einen Protest eingelegt hätte. Sie wiesen allerdings einschränkend darauf hin, daß irgendein Schreiben von von Papen an das Innenministerium nicht gerichtet worden sei.

Zur Erklärung möchte ich wissen, ob diese Ihre Feststellung sich lediglich auf das Innenministerium bezieht. Auf Seite 133 Ihres Buches wiesen Sie nämlich darauf hin, daß eine der Hauptbeschäftigungen des Angeklagten von Papen als Vizekanzler in der Einreichung von Protestschreiben bestanden habe, und daß er diese Proteste vor allem an Hindenburg und Göring gerichtet habe.

GISEVIUS: Ich habe letzteres heute oder gestern nochmals hervorgehoben. Irgendein Protest Papens an den zuständigen Polizeiminister nach dem 30. Juni 1934 ist mir dienstlich nicht bekanntgeworden. Ich kann nur sagen, es wäre eine außerordentliche Stützung des Polizeiministeriums gewesen, wenn ein solcher Protest mit den näheren Beschreibungen der Ermordung des engsten Mitarbeiters von Papens ins Innenministerium gekommen wäre. Dann wäre ja wohl dieses Gerücht von dem Selbstmord oder dem zweifelhaften Ableben Boses und Jungs nicht so in die Öffentlichkeit gelangt.

DR. KUBUSCHOK: Glauben Sie nicht aber, daß es verständlich ist, insbesondere unter Berücksichtigung der Stellung Fricks, der verhältnismäßig kleinen Stellung von Frick oder unwirksamen Stellung von Frick, daß man derartige Proteste an übergeordnete Stellen anbringt, wenn man hierzu die Möglichkeit hat?

GISEVIUS: In dem Augenblick, wo sich die Minister auf der Standpunkt stellten, sie könnten sich nur an die übergeordnete Stelle, also den Diktator selber wenden, sprengten sie ja von sich aus die verfassungsmäßige Zuständigkeit einzelner Ministerien und des Reichskabinetts. Es wäre von großer Bedeutung gewesen, wenn Herr von Papen damals den formell gegebenen Weg eingehalten hätte.

DR. KUBUSCHOK: Sie bestreiten aber nicht in Übereinstimmung mit Ihrem Buche, daß von Papen auch in anderen Fragen bei diesen übergeordneten Stellen sehr viele Proteste erhoben hat?

GISEVIUS: Nein, Proteste hat er sehr oft erhoben.

DR. KUBUSCHOK: Sie haben gestern im Zuge Ihrer allgemeinen Feststellungen eine ungünstige Charakterisierung des Angeklagten von Papen gegeben. Diese Charakterisierung deckt sid mit der in Ihrem Buche enthaltenen. In Ihrem Buche gehen Sie hierbei auf einige Einzelheiten ein, aus denen Sie Ihre Schlüsse ziehen. Da der Angeklagte von Papen in Ihrem Buche einen verhältnismäßig kleinen Raum einnimmt, Sie mit ihm in Ihrer Dienst Stellung wohl auch keinerlei Konnex gehabt haben, so sind Sie bei Ihren tatsächlichen Angaben wohl auf Informationen Dritter angewiesen gewesen. Da diese, soweit sie von Papen betreffen sämtlich unrichtig sind, muß ich ganz kurz auf sie eingehen.

Erstens: Sie gehen davon aus, daß von Papen trotz der Ereignisse des 30. Juni nicht demissioniert habe.

Historisch richtig ist dagegen, daß Papen schon nach dem Publikationsverbot seiner Marburger Rede demissioniert hat, daß über diese Demission Verhandlungen zwischen Hitler und Hindenburg schwebten, und daß Hitler unmittelbar nach Papens Freilassung am 3. Juli auf dessen abermalige Forderung die Demission angenommen, ihre Veröffentlichung jedoch, trotz entgegenstehender Forderung Papens, erst für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen hat.

Ist es möglich, Herr Zeuge, daß Sie über diesen internen Vorgang nicht richtig informiert worden sind?

GISEVIUS: Es ist durchaus möglich, daß ich interne Vorgänge nicht erfahren habe. Ich möchte aber betonen, daß ein Minister oder Vizekanzler zu einer gewissen Publizität seiner Meinung und Entschlüsse verpflichtet ist, und ich kann nur sagen, gleichgültig, was Papen intern mit Hitler besprochen hat, so hat er seine Rücktrittsabsichten oder den bereits vollzogenen Rücktritt vor dem deutschen Volke meisterhaft zu verbergen gewußt, und darauf kommt es an.

DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen bekannt, daß zu diesem Punkt gerade der Angeklagte von Papen wenige Wochen vorher die schlechtesten Erfahrungen gemacht hatte, als man seine freimütige Meinungsäußerung in der Marburger Rede in der Presse unterdrückte und allen, die diese Rede verbreiteten, Strafen ausgesetzt hatte?

GISEVIUS: Es ist mir bekannt, weil wir entrüstet waren, daß ein Vizekanzler des Deutschen Reiches sich in dieser Weise das Wort verbieten ließ, und ich glaube, der 30. Juni wäre nicht so blutig über die Bühne gegangen, was die Toten auf der bürgerlichen Seite betraf, wenn damals rechtzeitig von dem Vizekanzler von Papen ein mannhaftes Nein, ein sichtbares Nein, gesprochen worden wäre.

DR. KUBUSCHOK: Ich habe eben vorhin ausgeführt, und Sie berücksichtigen das bei Ihrer Antwort nicht, daß von Papen tatsächlich auf Grund des Publizitätsverbotes seiner Marburger Rede demissioniert hatte.

Zweitens: Sie gehen davon aus, daß von Papen an der Kabinettssitzung vom 3. Juli teilgenommen habe, in der das Gesetz beschlossen worden ist, daß die Maßnahmen im Zuge des 30. Juni als Staatsnotwehr rechtens sind. Ist Ihnen bekannt, daß von Papen an dieser Sitzung nicht teilgenommen hat, daß er vielmehr, gerade freigelassen, in die Reichskanzlei kam, während die Sitzung tagte, und Hitler ihn aus der Sitzung in das Nebenzimmer bat; daß von Papen seine Demission abermals forderte und von Hitler erhielt und daraufhin sofort die Reichskanzlei verließ, ohne an der Sitzung teilzunehmen?

VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob es dem Zeugen möglich ist, Ihren Fragen zu folgen. Sie sind so lang und enthalten so viele Tatsachen, daß es für jeden sehr schwierig ist, ihnen zu folgen. Es ist auch für den Gerichtshof sehr schwierig.

DR. KUBUSCHOK: Der Kernpunkt der Frage war, daß von Papen an der Kabinettssitzung vom 3. Juli nicht teilgenommen hat. Meine Frage an den Zeugen...

VORSITZENDER: Herr Dr. Kubuschok! Weshalb fragen Sie den Zeugen nicht, ob er weiß, ob er daran teilgenommen hat oder nicht? Wenn das die Frage ist, die Sie stellen wollen, warum stellen Sie sie nicht?

DR. KUBUSCHOK: Meine Frage geht lediglich dahin, ob seine gegenteilige Feststellung im Buche auch durch einen Informationsirrtum von dritter Seite erklärt werden kann.

GISEVIUS: Das ist erklärlich durch die falsche Information, durch das Stillschweigen von Papens, durch das, als es an die deutsche Öffentlichkeit gekommen ist, auch ich irregeführt wurde.

DR. KUBUSCHOK: Drittens: Sie gehen davon aus, daß von Papen nachher zwar zu Hindenburg gereist sei, jedoch keinen genügenden Protest gegen die Maßnahmen erhoben habe. Ist Ihnen bekannt, daß von Papen alles versucht hat, um zu Hindenburg zu kommen, daß er aber von Hindenburg ferngehalten worden ist, und daß er seit dem 30. Juni zum erstenmal erst nach Hindenburgs Tod nach Neudeck, dem Sitz Hindenburgs, gekommen ist? Ist auch die entgegenstehende Feststellung in Ihrem Buche möglicherweise auf einen Informationsirrtum zurückzuführen?

GISEVIUS: Ja, wenn Sie mir sagen, daß er noch nicht einmal als Vizekanzler des Reiches zu dem Reichspräsidenten gekommen ist und daß er trotzdem in seinem Amte blieb, trotzdem es ausländische Journalisten gab, trotzdem es ein ausländisches Diplomatenkorps gab, trotzdem es genug Deutsche gegeben hat, die hörten und sahen – wenn Sie mir dieses alles sagen, werde ich von diesem Verhalten eines deutschen Vizekanzlers Kenntnis nehmen.

DR. KUBUSCHOK: Sie vergessen allerdings, Herr Zeuge, daß er seit mehreren Wochen bereits Vizekanzler a. D. war und kein Amt mehr hatte.

Viertens: Sie gehen davon aus, daß von Papen an der Reichstagssitzung teilgenommen habe, in der die Maßnahmen des 30. Juni gerechtfertigt wurden. Ist Ihnen bekannt, daß von Papen trotz der Aufforderung von Hitler an dieser Sitzung nicht teilgenommen hat? Können Sie auch in diesem Punkt falsch informiert worden sein.

GISEVIUS: Ich glaube, Sie haben mich darüber schon einmal gefragt.

DR. KUBUSCHOK: Nein, das ist nicht die Kabinettssitzung, das ist die Reichstagssitzung.

GISEVIUS: Ja, dann muß ich falsch informiert sein.

DR. KUBUSCHOK: Danke.