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[Das Gericht vertagt sich bis

29. April 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsechzehnter Tag.

Montag, 29. April 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Bitte, Dr. Marx!

DR. MARX: Herr Präsident, Hoher Gerichtshof! Bevor ich in der Fragestellung an den Angeklagten Streicher fortfahre, bitte ich, mir zu gestatten, eine Erklärung abzugeben. Herr Streicher hat am Freitag nachmittag einen Fall angezogen, und zwar jene Presseangelegenheit, welche sich mit meiner Person und mit meinem, beruflichen Verhalten befaßte. Ich habe daraufhin Veranlassung genommen, diesen Fall in meiner Erklärung ebenfalls zu behandeln und habe darauf hingewiesen, daß ich damals den Schutz des Gerichtes gegen eine herabsetzende Kritik meiner Tätigkeit in Anspruch nehmen mußte, der mir auch in dankenswerter Weise zuteil geworden ist. Bei dieser Gelegenheit und bei dieser ex tempore gegebenen Erklärung meinerseits habe ich den Ausdruck »Zeitungsschreiber« gebraucht, und zwar ausschließlich in Bezug auf denjenigen Journalisten, der den fraglichen Artikel in dieser Berliner Zeitung über meine Person und über meine Tätigkeit als Anwalt brachte.

Keinesfalls war damit zum Ausdruck gebracht oder sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß ich die Presse im allgemeinen in Bezug nahm. Es lag mir durchaus fern, irgendwie die Presse, die Gruppe der Pressefachleute oder insbesondere die hier tätigen Herren der Weltpresse irgendwie zu attackieren oder sie in ihrer Berufsehre kränken zu wollen.

Die Veranlassung zu dieser meiner Erklärung ist nämlich eine Rundfunkerklärung, in welcher es hieß, daß ich, der Rechtsanwalt Marx, die Presse im allgemeinen angegriffen und herabgesetzt hätte. Ich bin mir selbstverständlich klar, was die Bedeutung der Presse ist. Ich weiß genau, was die Presse zu leisten hat, und ich bin der letzte, der die außerordentlich schwere Arbeit, die verantwortungsvolle Tätigkeit der Presse nicht voll anerkennen würde. Ich bitte daher hier vor dem Hohen Gerichtshof in aller Öffentlichkeit diese Erklärung entgegennehmen zu wollen, und bitte weiter auch die Herren von der Presse, meine Erklärung als das hinzunehmen, was es sein soll, nämlich, daß es sich nur um eine Spezialäußerung gegenüber jenem Herrn gehandelt hat, niemals aber gegen die Presse gesagt war. Das ist das, was ich sagen wollte.

VORSITZENDER: Dr. Marx! Der Gerichtshof hat Ihre Äußerung neulich in dem Sinne verstanden, wie Sie sie jetzt erklärt haben.

DR. MARX: Jawohl.

Mit der Erlaubnis des Gerichts fahre ich nunmehr in meiner Fragestellung fort.

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge! Welchen Zweck verfolgten Sie mit Ihren Reden und Ihren Aufsätzen im »Stürmer«?

STREICHER: Meine Rede und meine Artikel, die ich schrieb, sollten die Öffentlichkeit über eine Frage aufklären, die mir als eine der wichtigsten Fragen erschienen war. Nicht aufhetzen und nicht aufreizen wollte ich, sondern aufklären.

DR. MARX: Gab es außer Ihrem Wochenblatt, insbesondere seit dem Machtantritt der Partei, noch andere Presseerzeugnisse in Deutschland, welche die Judenfrage in judengegnerischem Sinne behandelten?

STREICHER: Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir zum Beispiel ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch »Die Juden und ihre Lügen« schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man soll sie vernichten...

DR. MARX: Herr Streicher! Das ist nicht meine Frage, ich ersuche Sie, meine Frage so zu beantworten, wie ich sie gestellt habe. Antworten Sie zunächst mit Ja oder Nein, ob es außer...

JUSTICE JACKSON: Ich möchte gegen diese Methode, auf Fragen durch Reden zu erwidern, ohne sie zu beantworten, Einspruch erheben. Wir sind völlig außerstande, in diesem Verfahren Einsprüche zu erheben, wenn die Erwiderungen keine Antworten auf die gestellten Fragen darstellen. In diesem Falle haben wir bereits durch Streichers eigenwillige Reden einen Angriff auf die Vereinigten Staaten zu hören bekommen, dessen Beantwortung, falls wir überhaupt darauf antworten wollten, eine Menge Beweismaterial benötigen würde. Es scheint mir absolut ungehörig, daß ein Zeuge etwas anderes tut, als die ihm gestellten Fragen zu beantworten; denn wir müssen verhindern, daß in diesem Verfahren Fragen erörtert werden, die mit dem Fall gar nichts zu tun haben. Um die Frage der Schuld oder Unschuld Streichers zu entscheiden, wird es dem Gerichtshof nichts nützen, sich mit Streitfragen zu befassen, die Streicher hier gegen uns erhoben hat – Dinge, die denkbar leicht zu erklären sind, wenn wir uns die Zeit dazu nähmen.

Es scheint mir angebracht, dem Zeugen eine Verwarnung zu erteilen, und zwar so, daß er vielleicht begreifen lernt, daß er Fragen zu beantworten und dann einzuhalten hat, so daß wir gegen Reden über unerhebliche Dinge rechtzeitig Einspruch erheben können.

VORSITZENDER: Dr. Marx! Wenn Sie Fragen an den Zeugen richten, wollen Sie versuchen, ihn zurückzuhalten, wenn er nicht die an ihn gestellte Frage beantwortet?

DR. MARX: Jawohl, Herr Präsident, ich war ja gerade im Begriff...

VORSITZENDER: Angeklagter Streicher! Sie haben gehört, was gesagt wurde und Sie werden verstehen, daß der Gerichtshof Ihre langen Reden, die keine Antworten auf die Ihnen gestellten Fragen sind, nicht zulassen kann.

DR. MARX: Ich stelle jetzt noch einmal die Frage und ersuche, zunächst die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten und dann eine kurze Erklärung zu dem Inhalt der Frage zu geben:

Gab es außer Ihrem Wochenblatt, insbesondere seit dem Machtantritt der Partei, in Deutschland noch andere Presseerzeugnisse, welche die Judenfrage in judengegnerischem Sinne behandelten?

STREICHER: Ja, es gab schon vor dem Machtantritt in jedem Gau antisemitische Wochenblätter und eine Tageszeitung »Völkischer Beobachter« in München. Es gab auch außerdem noch eine Anzahl von Zeitschriften, die nicht unmittelbar für die Partei tätig waren. Es gab auch ein antisemitisches Schrifttum. Nach der Machtübernahme wurde die Tagespresse gleichgeschaltet und es standen nun der Partei etwa 3000 Tageszeitungen zur Verfügung, viele Wochenblätter, alle möglichen Zeitschriften, und es war vom Führer die Anordnung ergangen, daß jede Zeitung aufklärende Artikel über die Judenfrage zu bringen hätte. Die antisemitische Aufklärung wurde also nach der Machtübernahme in großem Ausmaße besorgt von der Tagespresse und noch von Wochenblättern, Zeitschriften und Büchern. Der »Stürmer« also stand mit seiner aufklärenden Tätigkeit nicht alleine da. Ich erkläre aber ganz offen, daß ich in Anspruch nehme, am volkstümlichsten aufgeklärt zu haben.

DR. MARX: Wurden die hierfür erforderlichen Richtlinien von einer Zentralstelle ausgegeben, etwa von der Nationalsozialistischen Korrespondenz?

STREICHER: Ja. In Berlin wurde vom Propagandaministerium eine Nationalsozialistische Pressekorrespondenz herausgegeben. In dieser Korrespondenz befanden sich in jeder Nummer mehrere über die Judenfrage aufklärende Artikel. Während des Krieges hat der Führer persönlich noch den Befehl erteilt, daß die Presse viel mehr als bisher aufklärende Artikel über die Judenfrage zu bringen hätte.

DR. MARX: Die Anklage macht Ihnen zum Vorwurf, Sie hätten durch Aufreizung mittelbar zu den Massentötungen beigetragen, und laut Protokoll vom 10. Januar 1946 wird Ihnen folgendes zum Vorwurf gemacht:

Keine Regierung in der Welt hätte eine Politik der Massenvernichtung in der geschehenen Weise vornehmen können, ohne daß hinter ihr ein Volk stand, das damit einverstanden war; und das sollen Sie herbeigeführt haben. Was haben Sie dazu zu sagen?

STREICHER: Dazu habe ich folgendes zu sagen:

Aufreizen heißt, einen Menschen in den Zustand der Erregung versetzen, aus dem heraus er eine unverantwortliche Tat begeht. Hat der Inhalt des »Stürmer« aufgereizt, ist die Frage. Ganz kurz gesagt, das heißt, hier muß die Frage beantwortet werden: Was hat der »Stürmer« geschrieben? Hier liegen einige Bände des »Stürmer«, aber man müßte aus den zwanzig Jahren alle Nummern hernehmen, um die Frage erschöpfend beantworten zu können. Ich habe in den zwanzig Jahren aufklärende Artikel gebracht über die Rasse, über das, was die Juden selbst schreiben im Alten Testament, in ihrer Geschichte; was die Juden im Talmud schreiben. Ich habe Auszüge aus jüdischen Geschichtswerken gebracht, so von einem Professor Dr. Grätz, von einem jüdischen Gelehrten Gutnot.

Es ist im »Stürmer« kein Leitartikel erschienen von mir oder von einem meiner Hauptmitarbeiter, in dem ich nicht Zitate gebracht hätte aus der alten Geschichte der Juden, aus dem Alten Testament und aus jüdischen Geschichtswerken aus der neuesten Zeit. Es ist das wichtig, ich muß das betonen:

In allen Artikeln weise ich darauf hin, daß prominente Juden, führende Schriftsteller das selbst bekannt haben, was ich in der zwanzig Jahren als Schriftsteller und als Redner öffentlich Vertreter habe. Also gestatten Sie, daß ich weiterfahre:

Es ist meine Überzeugung, daß der Inhalt des »Stürmer« an sich nicht aufreizend war. Ich habe selbst in den zwanzig Jahren nie im Zusammenhang geschrieben: Brennt die Häuser der Juden nieder schlagt sie tot; nicht einmal ist solch eine aufreizende Aufforderung im »Stürmer« gestanden.

Nun kommt die Frage: Ist der Beweis zu erbringen, daß irgendeine Tat geschah, seit der »Stürmer« erscheint, eine Tat, von der man sagen kann, sie ist das Ergebnis einer Aufreizung? Als Tat die durch eine Aufreizung geschieht, betrachte ich ein Pogrom. Das ist eine spontane Tat, wenn sich Volksteile plötzlich erregt erheben und andere Menschen totschlagen. In den zwanzig Jahren ist in Deutschland kein Pogrom geschehen, in den zwanzig Jahren ist, soweit es mir bekannt wurde, kein Jude getötet worden, es ist kein Mord geschehen, von dem man hätte sagen können: Das ist die Folge einer Aufreizung, die durch antisemitische Schriftsteller oder Redner hervorgerufen wurde.

Meine Hohen Herren! Wir sind in Nürnberg. Es hieß in der Vergangenheit: Nirgends waren die Juden in Deutschland so sicher gewesen und so unbelästigt wie in Nürnberg.

VORSITZENDER: Dr. Marx! Wird das nicht schon wieder eine ziemlich lange Rede?

DR. MARX: Streicher! Sie haben doch diese Sache jetzt genügend ausgeführt, so daß man sich also ein Bild davon machen kann. Sie wollen sagen: Ich habe nicht aufgereizt, so daß nicht eine spontane Handlungsweise von irgendeiner Gruppe von Menschen oder aus einer Volksmenge heraus gegen die Juden vorgekommen ist.

STREICHER: Darf ich dazu eine Bemerkung machen:

Hier handelt es sich um den schwersten, um den entscheidendsten Vorwurf, den die Anklagevertretung gegen mich macht, und hier möchte ich das Hohe Gericht bitten, daß ich mich sachlich verteidigen darf. Ist es nicht von ungeheurer Bedeutung, wenn ich feststellen kann, daß ausgerechnet in Nürnberg kein Mord geschah, kein einzelner und auch kein Pogrom? Es ist eine Tatsache.

VORSITZENDER: Sie haben es doch schon gesagt. Ich habe es gerade niedergeschrieben, bevor ich Sie unterbrochen habe, daß Sie sagten, daß weder in Nürnberg noch anderswo Juden als Ergebnis Ihrer Tätigkeit getötet wurden.

DR. MARX: Herr Zeuge! Wir kommen ja dann noch auf diese Demonstrationen vom 9. und 10. November 1938 zu sprechen.

STREICHER: Jawohl. Darf ich aber weiterfahren:

Mir wird der Vorwurf gemacht von der Anklage, daß durch Aufreizung ich indirekt zu Massentötungen beigetragen hätte, und dazu bitte ich mich äußern zu dürfen:

Es steht heute etwas fest, was ich selbst nicht gewußt hatte. Ich habe hier Kenntnis vom Testament bekommen, das der Führer hinterließ, und ich nehme an, daß der Führer wenige Augenblicke vor seinem Tode der Welt die Wahrheit bekannt hat. In diesem Testament erklärt er:

Die Massentötungen seien auf seinen Befehl erfolgt, die Massentötungen seien seine Vergeltung gewesen.

Damit steht fest, daß ich selbst nicht beteiligt sein kann an dem, was hier an Unbegreiflichem geschah.

DR. MARX: Fertig?

STREICHER: Jawohl. Sie haben gesagt, daß die Anklage mir vorwirft, die Massentötungen hätten nie erfolgen können, wenn hinter der Regierung oder der Staatsführung nicht ein wissendes Volk gestanden wäre.

Meine Hohen Herren, zunächst die Frage:

Hat das deutsche Volk wirklich gewußt, was sich in den Jahren während des Krieges zutrug? Wir wissen heute...

VORSITZENDER: Angeklagter! Das ist eine strittige Frage und keine solche, über die Sie Zeugnis ablegen können. Sie können uns erzählen, was Sie wußten.

STREICHER: Ich war ein Teil dieses Volkes während des Krieges. Ich lebte während des Krieges einsam auf dem Lande, ich habe den Hof fünf Jahre lang nicht verlassen. Ich wurde bewacht von der Gestapo. Ich hatte vom Führer seit dem Jahre 1939 ein Redeverbot.

DR. MARX: Herr Streicher! Das werden wir ja später behandeln, ich habe Sie ja zu dieser Frage einvernommen und fahre dann in meinen Fragen fort. Das andere kommt dann später.

STREICHER: Ich stelle fest, ich hatte keine Gelegenheit, von dem zu erfahren, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat; darum habe ich es gesagt.

Ich habe von den Massenermordungen und Massentötungen erst erfahren in Mondorf in der Gefangenschaft. Ich erkläre aber hier: Würde man mir gesagt haben, daß zwei oder drei Millionen getötet worden seien, dann hätte ich das nicht geglaubt. Ich hätte nicht geglaubt, daß es technisch möglich sei, so viele Menschen zu töten und auf Grund der ganzen seelischen Einstellung, so wie ich auch den Führer kennengelernt hatte, hätte ich es nicht geglaubt, daß Massentötungen in dem Ausmaß, wie sie stattgefunden haben, stattfinden hätten können. Fertig.

DR. MARX: Die Anklagebehörde legt Ihnen weiter zur Last, es sei Aufgabe der Erzieher der Bevölkerung gewesen, Mörder zu erziehen und sie mit Haß zu vergiften. Diese Aufgaben hätten vornehmlich Sie sich gestellt. Was wollen Sie auf diesen Vorwurf erwidern?

STREICHER: Das ist eine Behauptung. Wir haben keine Mörder erzogen. Der Inhalt der Artikel, die ich geschrieben habe, konnte keine Mörder erziehen. Es sind keine Morde geschehen, das ist ein Beweis dafür, daß wir keine Mörder erzogen haben. Das, was während des Krieges geschah – ich habe nicht den Führer erzogen, der Führer hat den Befehl aus sich selbst heraus erteilt.

DR. MARX: Ich fahre nun fort. Die Anklagebehörde stellt weiter dahin ab, es hätten die Himmler-Kaltenbrunner-Gruppen und andere SS-Führer niemand gehabt, der ihre Befehle zu töten ausgeführt hätte, wenn Sie nicht diese Propaganda gemacht und die Erziehung des deutschen Volkes in diesem Sinne geführt hätten. Äußern Sie sich dazu!

STREICHER: Ich glaube nicht, daß die genannten Nationalsozialisten jede Woche den »Stürmer« gelesen haben. Ich glaube nicht, daß die, die vom Führer den Befehl erhalten haben, Tötungen auszuführen oder den Befehl zu Tötungen weiterzugeben, daß die durch mein Wochenblatt dazu gebracht worden sind. Es gab Hitlers Buch »Mein Kampf«, und der Inhalt dieses Buches war die Autorität, die geistige Autorität, aber ich glaube auch nicht, daß die genannten Herren dieses Buch nun gelesen haben und daraufhin den Befehl ausführten. Ich habe auf Grund der Kenntnis dessen, was in der Bewegung vorging, die Überzeugung, daß, wenn der Führer befahl, jeder gehandelt hat; und ich erkläre hier ganz offen, – vielleicht hat es das Schicksal gut mit mir gemeint – wenn der Führer es mir befohlen hätte, ich hätte nicht vermocht, Tötungen vorzunehmen. Aber vielleicht stünde ich heute unter irgendeiner Anklage, die gegen mich nicht möglich geworden ist, vielleicht weil es das Schicksal selbst so gewollt hat. Aber die Verhältnisse waren so: Suggestiv wirkte der Führer, das ganze Volk glaubte an ihn, sein Weg war so ungewöhnlich, daß man... wenn man das weiß, dann kann man begreifen, daß jeder, der einen Befehl erhielt, handelte. Und so möchte ich hiermit also das zurückweisen als unwahr und unrichtig, was man hier glaubte, gegen mich behaupten zu sollen.

DR. MARX: Was ist Ihnen über die allgemeine Einstellung Adolf Hitlers zur Judenfrage bekannt, und wann ist Hitler überhaupt Judengegner geworden, nach Ihrer Kenntnis?

STREICHER: Ich habe schon, bevor Adolf Hitler überhaupt in der Öffentlichkeit bekannt wurde, mich schriftstellerisch antisemitisch betätigt. Ich habe aber erst auf Grund seines Buches »Mein Kampf« die geschichtlichen Zusammenhänge in der Judenfrage kennengelernt. Adolf Hitler schrieb sein Buch im Gefängnis in Landsberg. Wer dieses Buch kennt, der weiß, daß Hitler schon viele Jahre zuvor, sei es durch Studium antisemitischer Lektüre, – oder durch sonstige Erfahrungen mußte er in sich dieses Wissen geschaffen haben, um dann dieses Buch im Gefängnis in so kurzer Zeit schreiben zu können. Also, Adolf Hitler hat in seinem Buch vor der Weltöffentlichkeit erklärt, daß er Antisemit sei und daß er die Judenfrage durch und durch kenne. Er selbst hat sich persönlich mit mir...

VORSITZENDER: Dr. Marx! Das Buch »Mein Kampf« ist als Beweismittel vorgelegt und spricht für sich selbst.

STREICHER: Ich beantworte jetzt Ihre Frage, nicht in Bezug auf das Buch. Sie frugen mich, ob Adolf Hitler über die Judenfrage mit mir gesprochen hätte. Jawohl, Adolf Hitler hat über die Judenfrage immer im Zusammenhang mit dem Bolschewismus gesprochen. Das ist vielleicht von Bedeutung zur Beantwortung der Frage: Wollte Adolf Hitler einmal einen Krieg mit Rußland, hat er das schon lange voraus gewußt, daß einmal ein Krieg kommen würde oder nicht? Adolf Hitler sprach, wenn er mit uns zusammensaß, darüber, daß Stalin ein Mann sei, den er verehre als einen Tatmenschen, daß er aber in Wirklichkeit umgeben sei von jüdischem Führertum, und daß der Bolschewismus...

DR. MARX: Herr Streicher! Das geht wieder zu weit; die Frage, die ich gestellt habe, war ganz präzise, und ich bitte Sie, sich nicht soweit zu verbreiten. Sie haben gehört, daß das Gericht das beanstandet und auch im Interesse der Nichtverzögerung des Verfahrens dürfen Sie sich nicht so weit auslassen. Sie dürfen keine Reden halten.

GENERAL RUDENKO: Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß Justice Jackson vorhin ganz richtig gesagt hat, daß der Angeklagte Streicher sich an seinen Reden so berauscht, daß er nicht auf die ihm vorgelegten Fragen und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen antwortet. Darum lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf diese Tatsache und schlage vor, der Angeklagte soll sich der Reden enthalten und nur kurze Antworten auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe geben.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte fortsetzen, Dr. Marx, und versuchen, den Zeugen anzuhalten, daß er die Fragen, die Sie ohne Zweifel vorbereitet haben, beantwortet.

DR. MARX: Sehr wohl, Herr Präsident.

STREICHER: Darf ich bitten, als Angeklagter ein paar Worte dazu sagen zu dürfen. Die Frage lautete...

VORSITZENDER: Nein, Sie dürfen es nicht. Sie werden bitte die Fragen beantworten.

DR. MARX: Nächste Frage: Ist Grund zu der Annahme vorhanden, daß Hitler bei seinem Entschluß, die Juden in Europa massenweise töten zu lassen, irgendeiner Beeinflussung folgte, oder worin ist der Beweggrund für diesen furchtbaren Entschluß zu suchen?

STREICHER: Der Führer war unbeeinflußbar. Wenn zu ihm jemand gekommen wäre und hätte gesagt, es sollen Juden getötet werden, dann hätte er ihn zurückgewiesen, und wenn jemand während des Krieges, so wie ich den Führer kenne, gekommen wäre und gesagt hätte, ich habe erfahren, Sie geben den Befehl, daß Massentötungen durchgeführt werden sollen, dann hätte er auch diesen Mann zurückgewiesen. Ich beantworte also Ihre Frage damit: Der Führer war unbeeinflußbar.

DR. MARX: Sie wollen also sagen, daß er den Entschluß dazu ganz aus eigenem gefaßt hat?

STREICHER: Ich habe bereits gesagt, daß das aus seinem Testament hervorgeht.

DR. MARX: Im August 1938 wurde die Hauptsynagoge in Nürnberg abgetragen. Geschah dies auf Ihre Anordnung?

STREICHER: Ja. Es gab in meinem Gau schätzungsweise 15 Synagogen, in Nürnberg eine Hauptsynagoge und eine etwas kleinere und, ich glaube, noch einige Betsäle. Die Hauptsynagoge stand im Weichbild der mittelalterlichen Reichsstadt. Ich habe schon vor dem Jahre 1933, der sogenannten Kampfzeit, als wir noch eine andere Regierung hatten, in aller Öffentlichkeit in einer Versammlung erklärt, daß es eine Schande sei, daß man in die alte Stadt hinein so einen orientalischen, ungeheuer wuchtig großen Bau gestellt habe. Nach der Machtübernahme habe ich zum Oberbürgermeister gesagt, er solle die Synagoge abbrechen lassen und gleichzeitig das Planetarium. Ich darf darauf hinweisen, daß nach dem Weltkrieg inmitten des Ringes der Anlagen, die für die Bürger zur Erholung bereitstanden, ein Planetarium errichtet worden war, ein häßlicher Ziegelbau. Ich gab den Befehl, diesen Bau abzubrechen und sagte, es solle auch die Hauptsynagoge abgebrochen werden. Hätte ich die Absicht gehabt, dabei die Synagoge als Gotteshaus nun den Juden zu nehmen, oder hätte ich ein Fanal geben wollen, dann hätte ich den Befehl erteilt, nach der Machtübernahme in meinem Gau sämtliche Synagogen abbrechen zu lassen. Dann hätte ich in Nürnberg ebenfalls sämtliche Synagogen abbrechen lassen. Es steht fest, es wurde im Frühjahr 1938 nur die Hauptsynagoge abgebrochen; die Synagoge in der Essenweinstraße, in der Neustadt, blieb unberührt. Daß im November jenes Jahres dann der Befehl gegeben wurde, die Synagogen anzuzünden, dafür kann ich nicht.

DR. MARX: Sie wollen also sagen, daß Sie das Abbrechen dieser Kultstätte nicht aus antisemitischen Gründen, sondern deswegen anordneten, weil sie nicht in den Baustil paßte?

STREICHER: Aus städtebaulichen Gründen. Ich wollte dem Gericht ein Bild darüber vorlegen, aber ich habe keines mehr bekommen.

DR. MARX: Ja, wir haben ein Bild da.

STREICHER: Da sieht man aber die Synagoge nicht. Ich weiß nicht, ob das Gericht das Bild sehen will. Das Bild selbst zeigt nur die alten Häuser, aber die Front der Synagoge, wie sie auf den Hans-Sachs-Platz herüberschaut, die sieht man nicht. Ich weiß nicht, ob ich dem Gericht das Bild übergeben darf.

VORSITZENDER: Sicher, die Photographie kann vorgelegt werden. Lassen Sie uns das Bild sehen.

DR. MARX: Ich lasse also dem Gericht das Bild als Beweismittel in Vorlage bringen und bitte, es in diesem Sinne annehmen zu wollen.

VORSITZENDER: Welche Nummer wird es als Beweisstück tragen?

DR. MARX: Ich kann es jetzt nicht sagen, Herr Präsident. Ich werde mir erlauben, die Nummer noch anzugeben und beschränke mich zunächst darauf, es zu übergeben. Ich konnte die Vorlage nicht früher machen, weil ich nicht in den Besitz dieses Bildes gekommen war. Es war erst in den letzten...

VORSITZENDER: Ja, setzen Sie fort.

DR. MARX: Haben Sie sich bei Ihrem Vorhaben hinsichtlich der Hauptsynagoge auf irgendwelche Äußerungen von Kunstsachverständigen gestützt?

STREICHER: Ich hatte oft Gelegenheit, mit Architekten darüber zu sprechen. Jeder Architekt erklärte: Daß sich ein Stadtrat fand, der ohne jedes städtebauliche Gefühl war, das könne man nicht begreifen.

Die Äußerungen richteten sich nicht gegen die Synagoge als jüdisches Gotteshaus, sondern gegen den Bau in diesem Stadtteil. Auch Fremde, die ich führte, – jeden Reichsparteitag begleitete ich Engländer, auch Amerikaner über den Hans-Sachs-Platz, und ich entsinne mich nur in einem Fall, wo ich frug: »Fällt Ihnen nichts auf?« – denen ist nichts aufgefallen; aber alle anderen Gäste blieben stehen und sagten: »Wie kommt der Bau da herein unter diese mittelalterlichen Häuser?« Ich hätte auch die Möglichkeit, aus dem Jahre 1877 ein Buch vorzulegen, das in der Gefängnisbibliothek sich befindet, wo ein Professor Berneis, der berühmt war, der schrieb damals an den Schriftsteller Uhde in der Schweiz, er hätte jetzt den Sachsplatz gesehen...

DR. MARX: Herr Streicher! Das genügt schon. Also Sie haben zu erkennen gegeben, daß Sie sich auch auf die Urteile Ihnen maßgeblich erscheinender Architekten und so weiter berufen zu können glaubten?

STREICHER: Jawohl.

DR. MARX: Haben Sie nun damals, als die Synagoge abgebrochen wurde, eine Ansprache gehalten?

STREICHER: Jawohl. Ich mache aber darauf aufmerksam, die Anklagevertretung legte einen Artikel, einen Bericht aus der »Tageszeitung« vor, der wurde geschrieben von einem einfachen jungen Mann. Ich erkläre, daß dieser Artikel nicht die wirklichen Ausführungen enthält, die ich gemacht habe.

DR. MARX: Ich komme nun zu den Demonstrationen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Was können Sie über diese Demonstrationen sagen, und welche Rolle spielten Sie dabei? Handelte es sich dabei um Demonstrationen, die aus der Bevölkerung heraus entstanden waren?

STREICHER: Alljährlich kamen die Gauleiter, SA- und SS-Führer in München mit dem Führer zusammen anläßlich des historischen Tages des 9. Novembers. Wir befanden uns am 9. November beim Abendessen im alten Rathaussaal, und da war es üblich, daß nach dem Essen der Führer eine kurze Ansprache hielt. Am 9. November 1938 war ich nicht ganz wohl gewesen. Ich nahm am Essen teil und entfernte mich, ich fuhr nach Nürnberg zurück und legte mich zu Bett. Gegen Mitternacht wurde ich geweckt, mein Chauffeur sagte mir, der SA-Führer von Obernitz möchte den Gauleiter sprechen. Ich empfing ihn und er sagte folgendes: »Gauleiter, Sie waren schon weg, da nahm der Propagandaminister Dr. Goebbels das Wort und sagte – ich kann es jetzt nur so ungefähr wiederholen: Der Gesandtschaftsrat vom Rath ist in Paris ermordet worden. Das ist jetzt bereits der zweite Mord, der im Ausland an einem prominenten Nationalsozialisten geschah. Dieser Mord ist nicht der Mord des Juden Grünspan, sondern hier handelt es sich um die Ausführung einer Tat, die vom Gesamtjudentum gewollt sei. Es müsse nun etwas geschehen.« Ich weiß nun nicht, ob Goebbels gesagt hat, der Führer hätte es befohlen, ich erinnere mich nur, daß von Obernitz zu mir sagte, Goebbels hätte erklärt, es müßten die Synagogen angezündet werden; und da kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber ich glaube, er sagte mir, es müßten auch an jüdischen Geschäftshäusern die Fensterscheiben eingeschlagen werden und die Häuser demoliert werden. Ich sagte daraufhin zu Obernitz – ich war nämlich überrascht – und sagte: »Obernitz, ich halte es für falsch, Synagogen anzuzünden, und ich halte es in diesem Augenblick für falsch, jüdische Geschäftshäuser zu demolieren, ich halte diese Demonstrationen für falsch. Wenn in der Nacht die Leute losgelassen werden, dann können Taten geschehen, die nicht zu verantworten sind.« Ich sagte zu Obernitz, ich halte insbesondere das Anzünden von Synagogen deshalb für falsch, weil im Ausland, aber auch im deutschen Volke die Meinung entstehen könnte, der Nationalsozialismus hätte jetzt den Kampf gegen die Religion aufgenommen. Obernitz gab zur Antwort: »Ich habe den Befehl.« Dann sagte ich: »Obernitz, ich übernehme hier keine Verantwortung.« Obernitz ging, die Tat geschah. Das, was ich hier unter Eid erklärt habe, habe ich bei mehreren Vernehmungen bereits gesagt und wird bestätigt werden von meinem Chauffeur, der von diesem nächtlichen Gespräch Zeuge war, und der kurz darauf beim Schlafengehen seiner Frau sagte, was er bei mir oben gehört habe.

DR. MARX: Sind Sie fertig?

STREICHER: Ja, Sie haben dann weiter gefragt...

DR. MARX: Jawohl, ob es sich um eine spontane, aus dem Volk heraus angewandte Gewalttat handelte.

STREICHER: Jawohl, in der nationalsozialistischen Presse erschien nach dieser Aktion ein gleichlautender Artikel, in dem hieß es, daß eine spontane Erhebung des Volkes den Mord an Herrn vom Rath gerächt hätte. Es war von Berlin aus also bewußt angeordnet, öffentlich zu erklären, die Demonstration von 1938 sei eine spontane Handlung gewesen. Daß das nicht der Fall war, das habe ich auch in Nürnberg erleben können, und es ist bemerkenswert, daß der Unwille gegen das, was in der Demonstration geschehen war, sich selbst hier in Nürnberg geäußert hat, hinein bis in die Parteigenossenschaft.

Die Anklagevertretung legte einen Artikel vor, einen Bericht über eine Rede, die ich am 10. November gehalten habe; und das ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß das Volk gegen diese Aktion war. Ich war gezwungen, auf Grund der Stimmung, die in Nürnberg herrschte, in öffentlicher Rede zu sagen, man solle doch nicht soviel Mitleid haben mit den Juden. So war die Sache vom November 1938.

Vielleicht wäre es auch wichtig, mich zu befragen, wie ausgerechnet ich dazu kam, diese Demonstration abzulehnen.

DR. MARX: Ich dachte, das hätten Sie bereits ausgeführt. Gut. Wer hat denn nun die noch bestehende Synagoge in der Essenweinstraße anzünden lassen?

STREICHER: Wer den Befehl erteilt hat, weiß ich nicht; ich glaube, SA-Führer von Obernitz; die Einzelheiten kenne ich nicht.

DR. MARX: Eine weitere Frage: Brachten Sie selbst Ihre Ablehnung gegenüber diesen Brutalitäten auch öffentlich zum Ausdruck?

STREICHER: Jawohl. Ich habe in kleinem Kreis von führenden Parteigenossen das gesagt, was ich immer gesagt habe, was ich öffentlich immer gesagt habe; ich habe erklärt, das sei falsch. Ich habe vor Rechtsanwälten gesprochen in einer Versammlung – ich weiß nicht, ob mein Verteidiger selbst anwesend war –, ich habe, ich glaube noch im November 1938, vor den Nürnberger Rechtswahrern in einer Versammlung erklärt, was hier geschah in dieser Aktion, ist falsch, dem Volk gegenüber und dem Ausland gegenüber. Wer die Judenfrage so kennt, wie ich sie kenne, so sagte ich damals, der begreift mich, warum ich diese Demonstration für unrichtig, für falsch halte. Ich weiß nicht, ob das dem Führer damals gemeldet wurde, aber ich bin seit dem November 1938 nie mehr gerufen worden, wenn der Führer nach Nürnberg kam in das Hotel »Deutscher Hof«. Ob das der Grund war, ich weiß es nicht, aber ich habe nun diese Demonstration öffentlich kritisiert.

DR. MARX: Die Anklage nimmt an, daß im Jahre 1938 eine schärfere Behandlungsweise den Juden gegenüber anfing. Trifft dies zu und woraus ist dies zu erklären?

STREICHER: Ja, daß im Jahre 1938 die Judenfrage in ein neues Stadium trat, das ist ja durch die Demonstration bewiesen. Ich selbst kann dazu nur sagen, daß vorher keine Besprechungen darüber stattgefunden haben. Ich nehme an, daß der Führer impulsiv, wie er war, aus dem Augenblick heraus, vielleicht erst am 9. November, dazu kam, dem Dr. Goebbels zu sagen: Erklären Sie den Organisationen, die Synagogen müssen niedergebrannt werden. Ich selbst, wie gesagt, habe keiner Besprechung beigewohnt und weiß nicht, was vorgegangen war, um die Beschleunigung herbeizuführen.

DR. MARX: Am 12. November 1938 wurde die Verordnung erlassen, nach der die Juden aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet werden sollten. Bestand zwischen der Anordnung der Demonstrationen vom 9. November und jener weiteren Verordnung vom 12. November 1938 ein Zusammenhang, und war diese auf die gleiche Ursache zurückzuführen?

STREICHER: Ja, hier kann ich nur sagen, es ist meine Überzeugung, daß das im Zusammenhang steht. Der Befehl, vielmehr die Verordnungen, die so tief in das Wirtschaftsleben eingreifen sollten, kamen von Berlin. Wir hatten keine Besprechung. Ich erinnere mich nicht, daß Gauleitertagungen waren, auf denen darüber gesprochen worden wäre; ich weiß das nicht. Das ist gekommen, so wie alles gekommen ist; wir sind vorher nicht unterrichtet gewesen.

DR. MARX: Wie kam es, daß nicht Sie, sondern der Mitangeklagte Rosenberg mit der Betreuung dieser Frage beauftragt wurde?

STREICHER: Rosenberg war der geistige Betreuer der Bewegung, war aber mit dieser Sache nicht beauftragt, weder mit der Demonstration noch mit wirtschaftlichen Dingen.

DR. MARX: Nein, wir reden da aneinander vorbei. Ich meine, Rosenberg war doch derjenige, der von der Staatsführung mit der sogenannten Betreuung, mit der rassenpolitischen und sonstigen Aufklärungsarbeit beauftragt war und Sie selbst doch nicht. Wie ist das zu erklären, daß man da nicht auf Ihre Person gegriffen hat?

STREICHER: Rosenberg kam, wie er ja selbst sagte, schon sehr früh zum Führer und war jedenfalls geistig und auf Grund seines Wissens dazu geeignet, diese Betreuung zu übernehmen. Ich habe mich mehr der volkstümlichen Aufklärung zugewandt.

VORSITZENDER: Dr. Marx! Er hat uns erzählt, daß er mit der Aufgabe nicht betraut wurde. Wenn er nicht mit Rosenberg in irgendeiner Verbindung stand, kann er uns nicht mehr darüber sagen, als daß ihm der Auftrag nicht erteilt worden ist. Alles andere sind nur Erläuterungen und Erörterungen.

DR. MARX: Ich frage nun weiter: Wurde im Laufe des Jahres 1939 gegen Sie ein Redeverbot erlassen?

STREICHER: Jawohl. Im Herbst 1939 hatten meine Feinde es soweit gebracht, daß der Führer, ohne daß ich zuvor gefragt worden war, über den Parteigenossen Heß hinweg mir ein schriftliches Redeverbot hatte zukommen lassen, mit der Androhung sofortiger Verhaftung, wenn ich das Verbot übertreten würde.

DR. MARX: Ist es weiter zutreffend, daß im Jahre 1938 sich von Regierungskreisen aus das Bestreben zeigte, den »Stürmer« am weiteren Erscheinen zu verhindern?

STREICHER: Solche Absichten haben öfter bestanden und auch zu jener Zeit. Vielleicht darf ich in dem Zusammenhang gleich noch zwei Dokumente erwähnen, dann kann man Zeit sparen. Die Anklagevertretung hat Kopien vorgelegt, einen Brief von Himmler und von Baldur von Schirach. Da kann ich gleich eine harmlose Aufklärung geben. Damals, im Jahre 1939, haben Bestrebungen bestanden, den »Stürmer« zu verbieten. Bormann hatte sogar einen ähnlichen Befehl hinausgegeben. Da schrieb der Chefredakteur des »Stürmer« an prominente Parteigenossen, sie möchten ihre Meinung über den »Stürmer« sagen. Und daraufhin liefen auch Briefe ein von Himmler und von Schirach.

Es sind etwa 15 Briefe von Prominenten der Bewegung eingelaufen, sie sollten lediglich ein Entgegenkommen auf eine Anfrage sein.

DR. MARX: Das genügt.

Ist es richtig, daß Sie bei Ausbruch des Krieges nicht zum Wehrkreis-Kommissar Ihres eigenen Gaues ernannt wurden?

STREICHER: Jawohl.

DR. MARX: Wie ist das zu erklären?

STREICHER: Ja, vielleicht ist das nicht so wichtig; das sind die damaligen Verhältnisse gewesen, gewisse persönliche Stimmungen und so weiter, es ist ohne Bedeutung. Ich bin eben also nicht Wehrkreis-Kommissar geworden.

DR. MARX: Die Anklage führt aus, daß nach dem 1. September 1939 sich die Verfolgung der Juden immer mehr verschärfte. Worauf ist das zurückzuführen?

STREICHER: Die Frage könnte nur der Führer beantworten, ich nicht.

DR. MARX: Glauben Sie nicht, daß dies mit dem Kriegsausbruch an sich zusammenhängt?

STREICHER: Das hat ja der Führer dann immer wieder öffentlich erklärt, jawohl.

DR. MARX: Gegen Sie fand vor dem Obersten Parteigericht ein Verfahren statt. Wie kam es dazu, was ergab sich dabei und wie war der Ausgang dieses Verfahrens?

STREICHER: Ich bin dankbar, daß ich Gelegenheit habe, hier vor dem Internationalen Gerichtshof ganz kurz etwas sagen zu dürfen, worüber ich bis heute schweigen mußte auf Grund eines Führerbefehls. Ich selbst hatte vor dem Obersten Parteigericht gegen mich ein Verfahren eingeleitet, um mich meiner Denunzianten zu erwehren. Es wurde mir der Vorwurf gemacht, warum ich nicht...

VORSITZENDER: Spricht der Angeklagte über einen Befehl Hitlers, durch den ihm ein Redeverbot auferlegt wurde, oder spricht er von etwas anderem?

Sie erinnern sich daran, Dr. Marx, daß bestimmte Behauptungen aus dem Protokoll gestrichen wurden. Sollte er darüber sprechen, dann glaube ich, haben wir nichts damit zu tun. Erinnere ich mich recht, daß etwas aus dem Protokoll gestrichen wurde?

DR. MARX: Ja, es wurde, Herr Präsident, nur aus dem Göring-Bericht auf verschiedenes verzichtet. Es wurde nur der eine Passus aus dem Göring-Bericht weggelassen, der sich auf jene Affäre mit den drei Jugendlichen bezog; alles andere aber hat die Anklage aufrechterhalten. Es muß die Verteidigung daher zu diesen Punkten Stellung nehmen können, wenn die Anklagebehörde nicht erklärt, daß sie eben auf den Göring-Bericht überhaupt verzichtet, und da spielt auch das Verfahren vor dem Obersten Parteigericht eine Rolle. Er kann sich ja kurz dazu äußern.

VORSITZENDER: Gut.

DR. MARX: Zeuge! Fassen Sie sich kurz.

STREICHER: Jawohl. Wichtig ist also, ich habe gegen mich selbst ein Verfahren eingeleitet; es handelte sich um etwa 10 Punkte, die gegen mich vorgebracht wurden, darunter auch eine Aktien-Angelegenheit vom Göring-Bericht. Es liegt eine eidesstattliche Erklärung vor, in der heißt es, ich sei verurteilt worden. Ich darf hier feststellen, der Prozeß wurde gar nicht zu Ende geführt, es wurde kein Urteil gefällt. Das ist die Beantwortung der Frage, die Sie an mich gestellt haben.

DR. MARX: Hatte da diese Aktien-Angelegenheit mit den Aktien der Mars-Werke etwas zu tun gehabt?

STREICHER: Darauf werden wir dann zu sprechen kommen. Das war nicht der Hauptteil.

DR. MARX: Sie wurden dann dauernd auf den Pleikershof verwiesen und konnten diesen nicht verlassen. Standen Sie dort unter Bewachung der Gestapo, und fand auch eine Kontrolle der Besucher statt?

STREICHER: Das ist nicht richtig, daß ich verwiesen wurde auf den Pleikershof. Richtig ist, daß ich mich freiwillig zurückgezogen habe mit der Absicht, nie mehr in der Bewegung tätig zu sein. Richtig ist, daß die Gestapo mich bewachte, jeden Besucher anhielt, auf die Polizei lud und sie ausfrug, welche Unterhaltungen stattgefunden hätten. Das ist eine Tatsache.

DR. MARX: Unterhielten Sie während Ihres Aufenthalts auf dem Pleikershof irgendwelche Beziehungen, auch schriftlicher Art, mit irgendwelchen führenden Persönlichkeiten der Partei oder des Staates?

STREICHER: Nein. Ich habe überhaupt mit prominenten Persönlichkeiten der Bewegung und des Staates keine schriftlichen Beziehungen gehabt, und darum hat auch die Anklagevertretung kaum Briefe finden können. Ich nahm nie brieflich Stellung, weder zur Judenfrage noch zu sonstigen Dingen. Ich habe also, um Ihre Frage genau zu beantworten, zu erklären: Ich habe mit prominenten Persönlichkeiten von Partei und Staat keine Korrespondenz unterhalten.

DR. MARX: Wurden Sie nach Ausbruch des Krieges irgendwie oder von irgendwelchen beabsichtigten Maßnahmen gegen die Juden verständigt oder nach dieser Richtung zu Rate gezogen?

STREICHER: Nein.

DR. MARX: Wie waren Ihre Beziehungen zu Himmler? Kannten Sie diesen überhaupt näher? Haben Sie mit diesem wegen Maßnahmen gegen die Juden sich je besprochen, oder sprach dieser von beabsichtigten Massenhinrichtungen derselben?

STREICHER: Ich kannte Himmler, wie ich die SA- Führer kannte oder andere SS-Führer. Ich kannte ihn aus den gemeinsamen Tagungen, Gauleitertagungen und so weiter. Ich habe aber mit Himmler nicht ein einziges politisches Gespräch gehabt, es sei denn, daß einmal die Frage auf dies oder jenes im Beisein von anderen kam, in Gesellschaft. Ich habe das letztemal Himmler in Nürnberg gesehen, als er vor Offizieren im Kasino sprach. Das war, ich kann es nicht mehr genau sagen, aber ich glaube, einige Zeit vor dem Kriege. Eine Unterhaltung über die Judenfrage hat nie mit ihm stattgefunden. Er selbst war ja aufgeklärt. Er hat sein eigenes Organ gehabt, das »Schwarze Korps«. Und wie er zu mir innerlich stand, das habe ich erst während meines Aufenthaltes auf dem Hof erfahren müssen. Ich wurde denunziert bei ihm; es hieß, ich behandle die französischen Gefangenen zu human. Daraufhin bekam ich einen Brief, in dem er mir Vorhalt machte, ernstlichen Vorhalt machte. Ich gab ihm darauf keine Antwort. Ohne bei mir vorher angefragt zu, haben, ob die Beschuldigung wahr ist, machte er mir einen ernstlichen Vorhalt, und ich erkläre offen, ich hatte damals das Gefühl, daß es möglich sein könnte, daß sogar ich der Freiheit durch eine Verhaftung entzogen würde.

Das war das Verhältnis zu Himmler.

DR. MARX: Das genügt.

Sie haben im Laufe dieser Verhandlungen die Namen einer ganzen Anzahl höherer Polizei- und SS-Führer nennen hören, welche bei den Judenverfolgungen eine maßgebliche Rolle spielten, wie zum Beispiel Heydrich, Eichmann, Ohlendorf und so weiter. Bestanden irgendwelche Beziehungen zwischen Ihnen und einem dieser Höheren Polizei- und SS-Führer?

STREICHER: Ich habe die Namen, die Sie jetzt nannten, erst hier gehört bei einer Vernehmung. Ich kannte die Herren nicht, und sie werden mich wohl gesehen haben, aber zwischen mir und Höheren SS-Führern oder SA-Führern hat nie eine Besprechung stattgefunden. Ich war auch nie in Berlin auf einer Stelle des Herrn Himmler, in einem Ministerium. Es hatte also nie eine Besprechung stattgefunden.

DR. MARX: Die Anklagebehörde zieht aus mehreren Artikeln im »Stürmer« den Schluß, daß Sie bereits im Jahre 1942, im Jahre 1943 Kenntnis von den erfolgten Massenhinrichtungen von Juden gehabt haben müssen.

Was erklären Sie hierzu, und wann und auf welche Weise erlangten Sie Kenntnis von den erfolgten Massenhinrichtungen im Osten?

STREICHER: Ich war Abonnent des »Israelitischen Wochenblattes«, das in der Schweiz erscheint. In diesem Wochenblatt kamen manchmal Andeutungen, daß irgend etwas nicht ganz in Ordnung sei; und, ich glaube es war Ende 1943 oder 1944 – ich glaube 1944 – da erschien ein Artikel im »Israelitischen Wochenblatt«, da hieß es, daß im Osten, ich glaube, es hieß in Polen, die Juden massenweise verschwinden würden. Ich habe dann in einem Artikel, der ja vielleicht später noch mir vorgehalten wird, darauf Bezug genommen. Ich erkläre aber offen, daß mir das »Israelitische Wochenblatt« in der Schweiz keine Autorität gewesen wäre, alles zu glauben. Es wurde dort nicht von Zahlen gesprochen, nicht von Massentötungen, sondern nur vom Verschwinden.

DR. MARX: Sind Sie fertig?

STREICHER: Jawohl.

DR. MARX: Haben Sie im »Stürmer« Vorschläge zur Lösung der jüdischen Frage gemacht, und zwar auch noch während des Krieges?

STREICHER: Jawohl.

DR. MARX: Und in welchem Sinne?

STREICHER: Ich vertrat, wie ich schon gestern sagte, den Standpunkt, daß die Judenfrage nur international zu lösen sei, weil ja die Juden in allen Völkern sich befinden, und deshalb brachten wir Artikel in meinem Wochenblatt, die sich beziehen auf die zionistische Forderung, einen Judenstaat zu schaffen, so wie er auch in der Balfour-Deklaration vorgesehen war oder angedeutet war. Also zwei Lösungsmöglichkeiten, eine Vorlösung innerhalb der Völker durch entsprechende Gesetze, und dann durch Schaffung eines Judenstaates.

Während des Krieges, es war, glaube ich, im Jahre 1941 oder 1942, hatten wir wieder einen Artikel geschrieben – wir unterstanden der Berliner Zensur – und den eingesandten Bürstenabzug wies die Zensurstelle zurück mit dem Bemerken, der Artikel dürfe nicht gebracht werden, in dem wir Madagaskar für die Errichtung eines Judenstaates gefordert hatten. Mit Rücksicht auf die politischen Beziehungen zu Frankreich durfte dieser Artikel nicht gebracht werden.

DR. MARX: Wenn Sie also eine Lösung dieser Frage durch Massentötungen erwartet hätten, hätten Sie dann diesen Artikel auch geschrieben?

STREICHER: Damals jedenfalls wäre es ja unsinnig gewesen, ihn noch zu bringen.

DR. MARX: Machten Sie sich keine Gedanken darüber, daß Sie die Judenfrage einseitig behandelten? Daß Sie die Eigenschaften des jüdischen Volkes, welche als groß bezeichnet werden können, überhaupt außer acht ließen?

STREICHER: Ich habe diese Frage nicht recht verstanden, vielleicht auch nicht recht gehört.

DR. MARX: Es kann Ihnen zum Vorwurf gemacht werden, daß Sie ganz einseitig nur Ihnen nachteilig erscheinende Eigenschaften des jüdischen Volkes behandelten, während Sie andere Eigenschaften des jüdischen Volkes nicht in das Blickfeld rückten. Wie erklärt sich das?

STREICHER: Ich glaube, diese Frage, die wird sich hier eigentlich erübrigen. Das ist eine ganz natürliche Angelegenheit, daß ich als Antisemit, so wie ich die Judenfrage kennengelernt habe, kein Interesse daran hatte. Vielleicht sah ich die Vorzüge, die Sie oder andere beim Judentum sehen, nicht. Das mag sein. Ich hatte jedenfalls kein Interesse daran nachzuforschen, welche besonderen Vorzüge hier festzustellen wären.

DR. MARX: Danke.

VORSITZENDER: Das scheint ein geeigneter Augenblick, zu unterbrechen.