[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
[Der Angeklagte Streicher im Zeugenstand.]
SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Vorsitzender! Ich möchte fragen, ob der Gerichtshof die Güte hätte, eine halbe Stunde zur Besprechung der Dokumente des Angeklagten Baldur von Schirach zur Verfügung zu stellen. Wir sind bereit, die strittigen Punkte zu klären, wann immer es dem Gerichtshof paßt.
VORSITZENDER: Ja.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: [zum Zeugen gewandt] Ich will Ihnen nun einige Fragen über die Rolle vorlegen, die Sie bei den verschiedenen Aktionen gegen die Juden in den Jahren 1933 bis 1939 gespielt haben.
Sehen Sie sich zunächst Dokument M-6 an. Es ist in dem Dokumentenbuch, das Sie vor sich haben, Seite 20, und Seite 22 in dem Dokumentenbuch, das der Gerichtshof hat. Es ist das Beweisstück GB-170.
Ich möchte auf Ihre Bemerkungen über die Nürnberger Gesetze verweisen. Sie sagten heute vormittag, daß Sie glaubten, mit dem Erlaß dieser Gesetze sei die Judenfrage endgültig gelöst. Betrachten Sie nunmehr den Absatz auf der Mitte der Seite, der mit den Worten anfängt: »Denen aber, die da glauben...«:
»Denen aber, die da glauben, die Judenfrage wäre durch die Nürnberger Gesetze für Deutschland nun endgültig geregelt und damit erledigt, sei gesagt: Der Kampf geht weiter – dafür sorgt schon das Weltjudentum selbst – und wir werden diesen Kampf nur siegreich bestehen, wenn jeder deutsche Volksgenosse weiß, daß es hier um Sein oder Nichtsein geht. Aufklärungsarbeit der Partei erscheint mir notwendiger denn je, wenn auch heute mancher Parteigenosse diese Dinge als nicht mehr aktuell und dringend zu betrachten scheint.«
STREICHER: Jawohl, das habe ich geschrieben.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Was meinen Sie mit den Worten: »Der Kampf geht weiter«, wenn Sie die Judenfrage durch die Nürnberger Gesetze schon gelöst hatten?
STREICHER: Ich habe heute bereits erklärt, daß ich die Lösung der Judenfrage darin sehe, daß zunächst im Lande die Frage gelöst wird und dann international. Also: »Der Kampf geht weiter« – das heißt in dem internationalen Antisemitenbund, den ich geschaffen hatte, und der beschickt war aus allen Ländern; in dem wurde nun die Frage diskutiert, was international gemacht werden könne, um die Judenfrage zur Endlösung zu bringen.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Haben wir es daher so zu verstehen, daß alles, was Sie nach 1936 gesagt und geschrieben haben, sich nur auf das internationale Problem bezog und mit den Juden in Deutschland selbst nichts zu tun hatte?
STREICHER: Ja, in der Hauptsache international, selbstverständlich.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte Sie nun auf ungefähr die Mitte des nächsten Absatzes hinweisen, wo es heißt:
»Die fünfzehnjährige Aufklärungsarbeit des ›Stürmers‹ hat bereits ein Millionenheer von Wissenden dem Nationalsozialismus zugeführt.«
Stimmt das?
STREICHER: Das stimmt.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, Sie haben heute früh dem Gerichtshof gesagt, daß bis 1933 und auch noch später die Auflage Ihrer Zeitung nur sehr klein gewesen sei. Stimmt es nun, daß Ihre fünfzehnjährige Arbeit dem Nationalsozialismus ein Millionenheer zugeführt hat?
STREICHER: Ich habe heute gesagt, daß mit der Gleichschaltung der Presse dreitausend Tageszeitungen in den Dienst der Aufklärung über Judensachen gestellt wurden, also neben dem »Stürmer« dreitausend Tageszeitungen.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehr gut. Ich glaube, daß Sie weiter nichts hinzufügen brauchen. Lassen Sie mich nur diesen Absatz zu Ende lesen:
»Die Weiterarbeit des ›Stürmers‹ wird dazu beitragen, daß auch noch der letzte Deutsche mit Herz und Hand sich in die Front derer begibt, die sich zum Ziele gesetzt haben, der Schlange Alljuda den Kopf zu zertreten.«
Einen Augenblick, lassen Sie mich meine Frage stellen. Es steht doch hier gar nichts von einem internationalen Problem. Sie sprechen doch hier nur zu den Deutschen, nicht wahr?
STREICHER: In dem Artikel? Ja. Und wenn im Ausland der Artikel gelesen wird, dann auch zum Ausland. Aber die Bemerkung: »der Schlange den Kopf zertreten« ist ein biblischer Ausdruck.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Lassen Sie uns kurz den Abbruch der Synagoge am 10. August 1938 erörtern, über den Sie schon gesprochen haben. Sehen Sie sich Seite 41 des Ihnen vorliegenden Dokumentenbuches an; es ist Seite 42 des englischen Dokumentenbuches, das dem Gerichtshof vorliegt.
Wir haben Ihre Erklärung über den Abbruch der Synagoge gehört. Die »Fränkische Tageszeitung« vom 11. August veröffentlicht darüber folgendes:
»In Nürnberg wird die Synagoge abgebrochen. Julius Streicher leitete selbst durch eine mehr als eineinhalbstündige Rede den Beginn der Arbeiten ein.«
Haben Sie am 10. August 1938 zur Bevölkerung Nürnbergs eineinhalb Stunden über die architektonischen Werte der Stadt Nürnberg gesprochen?
STREICHER: Im einzelnen weiß ich nicht mehr, was ich gesprochen habe. Aber ich nehme Bezug auf das, was Sie hier bemerkt haben und für wichtig finden.
In Nürnberg bestand eine Filiale des Propagandaministeriums. Der junge Regierungsrat hat jeden Tag Pressekonferenzen gehabt mit den Redakteuren und hat damals in der Pressekonferenz den Redakteuren gesagt, es wird Streicher sprechen, und daß die Synagoge abgebrochen werde und daß das geheimgehalten werden müßte.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe Sie gefragt, ob Sie diese eineinhalb Stunden lang über die baulichen Schönheiten Nürnbergs gesprochen haben und nicht gegen die Juden; wollen Sie uns das einreden?
STREICHER: Auch das, selbstverständlich.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Erinnern Sie sich, daß bei der Pressekonferenz, von der Sie gerade gesprochen haben – zweifellos haben Sie das Dokument gesehen, es ist Seite 40 im Dokumentenbuch des Gerichtshofs –, vereinbart wurde, daß die Sache ganz groß aufgezogen werden sollte, zu zeigen, wie die Synagoge abgebrochen wurde. Was war der Zweck, die Zertrümmerung der Synagoge so groß aufzuziehen?
STREICHER: Ich war lediglich Sprecher. Das, was Sie hier andeuten, hat die Vertretung des Propagandaministeriums gemacht. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn Sie annehmen – ich möchte so sagen –, daß ich auch für eine große Aufmachung selbstverständlich gewesen wäre, wenn man mich gefragt haben würde.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jetzt habe ich noch eine Frage bezüglich der Demonstrationen, die im November des gleichen Jahres folgten.
Herr Vorsitzender! Ich verweise auf Seite 43 des Dokumentenbuches, Seite 42 des deutschen Textes.