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[Der Zeuge Herrwerth betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE FRITZ HERRWERTH: Fritz Herrwerth.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir die folgende Eidesformel nach:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

Sie können sich setzen.

DR. MARX: Seit wann kennen Sie den Angeklagten Streicher?

HERRWERTH: Seit dem Parteitag 1934.

DR. MARX: Wann sind Sie bei ihm in Dienst getreten und in welcher Eigenschaft?

HERRWERTH: Ich bin am 15. Oktober 1934 in Nürnberg angestellt worden, nicht bei Herrn Streicher persönlich, sondern ich war damals im Städtischen Kraftwagenpark, habe aber Dienst gemacht für den damaligen Gauleiter Streicher.

DR. MARX: Wann sind Sie wieder aus dem Dienst ausgeschieden?

HERRWERTH: Im August 1943.

DR. MARX: Aus welchem Grunde?

HERRWERTH: Es war eine persönliche Auseinandersetzung, an der größtenteils die Schuld bei mir war.

DR. MARX: Haben Sie auch sonstige Arbeitsobliegenheiten bei Herrn Streicher ausgeführt?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Und welche?

HERRWERTH: Ja, alles, was sich eben so von selbst ergeben hat. Ich habe auch landwirtschaftliche Arbeiten ausgeführt am Schluß.

DR. MARX: Sie waren also sehr viel um Streicher?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Und haben daher von den wichtigsten Vorgängen in jedem Zeitraum Kenntnis?

HERRWERTH: Ja, ich weiß nicht, was Sie wichtige Vorgänge nennen. Es gibt Dinge, in die ich nicht eingeweiht war, das heißt, ich nehme es wenigstens an.

DR. MARX: Ich werde Sie dann schon im einzelnen fragen.

HERRWERTH: Ja, bitte schön.

DR. MARX: Der Angeklagte Streicher wird beschuldigt, Gewaltakte gegen die Juden veranlaßt und an ihnen teilgenommen zu haben. Ist Ihnen ein Fall bekannt?

HERRWERTH: Nicht ein einziger.

DR. MARX: Warten Sie das Ende meiner Frage ab. Ich werde dann sagen »Ende der Frage«.

Haben Sie am 9. November 1938 Streicher von München nach Nürnberg zurückgefahren und wann? Ende der Frage.

HERRWERTH: Es war am 9. November, jawohl. Die Zeit weiß ich nicht genau. Streicher ist damals früher weggefahren in München, es dürfte ungefähr – ich weiß es nicht – also unverbindlich, 9.00 Uhr gewesen sein.

DR. MARX: Wußte Streicher auf dieser Rückfahrt bereits davon, daß in dieser Nacht etwas gegen die jüdische Bevölkerung unternommen werden sollte?

HERRWERTH: Nein, davon wußte er nichts.

DR. MARX: Waren Sie dann in der Nacht des 9. November Zeuge einer Unterredung Streichers mit dem SA-Führer von Obernitz?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Wo fand dieses Gespräch statt?

HERRWERTH: Ich muß zur Beantwortung dieser Frage ein klein wenig ausholen. Wenn Herr Streicher zu Bett gegangen ist, dann war es meistens in meiner Begleitung oder in Begleitung des Hausmeisters. An dem Abend ist Herr Streicher früher zu Bett als üblich, den Grund weiß ich nicht. Ich war damit mit meinem Dienst fertig. Ich ging von Herrn Streicher weg in das Kasino der Gauleitung. Dieses Kasino ist im Kellergeschoß der Gauleitung in der Schlageterstraße. Ich habe da Karten gespielt; dann kam der damalige SA-Obergruppenführer von Obernitz und hat mich, wie es so üblich war, mit dem Namen Fritz angeredet und sagte zu mir, er muß dringend Herrn Streicher sprechen. Ich habe ihm zur Antwort gegeben, daß Herr Streicher bereits im Bett liegt. Er sagte mir dann, dann müsse ich ihn wecken, er würde die Verantwortung übernehmen, es wäre eine wichtige Sache. Herr von Obernitz ist mit meinem Wagen damals in die Wohnung gefahren zu Herrn Streicher. Das Schlafzimmer von Herrn Streicher ist über meiner Wohnung. Ich hatte also auch die Schlüssel und konnte jederzeit reinkommen. Auf dem Wege zur Wohnung in der Nacht ist mir aufgefallen, daß viele SA-Männer durch die Straßen gingen. Ich habe Herrn von Obernitz nach dem Grund gefragt. Herr von Obernitz sagte mir, daß sich heute nacht etwas abspielen wird. Es sollen die Judenwohnungen demoliert werden. Weiter hat er zu mir nichts gesagt. Ich habe Herrn von Obernitz bis an das Bett von Herrn Streicher begleitet. Herr Obernitz hat dann Streicher Bericht gemacht über das, was sich in der Nacht abspielt. Die Einzelheiten sind mir nicht mehr so gut bekannt, doch ich glaube, daß er gesagt hat, daß heute nacht die Judenwohnungen demoliert werden sollen. Herr Streicher war, wenn ich mich so ausdrücken darf, überrascht. Er hat nichts gewußt davon. Er sagte wörtlich zu Herrn von Obernitz, das weiß ich noch ganz genau: »Das ist falsch, so löst man nicht die Judenfrage. Tun Sie, was Sie geheißen worden sind, ich mache nicht mit. Sollte etwas vorkommen, daß Sie mich brauchen, dann können Sie mich holen.« Erwähnen kann ich noch, daß Herr von Obernitz gesagt hat, Hitler hätte gesagt, die SA soll sich mal austoben, und zwar als Sühne für den Fall, der sich in Paris damals abgespielt hatte in Bezug auf Ernst vom Rath. Herr Streicher ist in seinem Bett liegengeblieben und war in dieser Nacht nicht weg.

DR. MARX: Hat Herr von Obernitz auch etwas davon gesagt, daß die Synagogen angezündet werden sollen?

HERRWERTH: Ich glaube, ja. Aber Herr Streicher hat auch damals, soviel ich weiß, abgelehnt; denn die Synagoge wurde ja von der Berufsfeuerwehr und, soviel ich weiß, im Auftrag von Herrn von Obernitz, abgebrannt.

DR. MARX: Woher wissen Sie das?

HERRWERTH: Ich war ja dabei.

DR. MARX: Haben Sie zugesehen?

HERRWERTH: Ja, ich war an der Synagoge damals in der Nacht.

DR. MARX: Woraus war dann zu schließen, daß die Berufsfeuerwehr das Feuer angezündet hatte?

HERRWERTH: Woraus es zu schließen war, weiß ich nicht, das habe ich ja gesehen. Die Berufsfeuerwehr hat ja den Brand gelegt.

DR. MARX: Haben Sie bereits gesehen wie das Feuer gelegt wurde, oder sind Sie erst hingekommen als das Gebäude bereits brannte?

HERRWERTH: Das Gebäude hat noch nicht gebrannt, aber die Feuerwehr war schon da.

DR. MARX: Stimmt's?

HERRWERTH: Ich kann nichts anderes sagen.

DR. MARX: Hat Herr Streicher damals etwas gesagt, daß er wieder eine neue Welle der Erregung von seiten der Weltpresse befürchte, wenn man die Synagoge anzündet? Hat er gesagt, deswegen lehnt er das ab?

HERRWERTH: Ich glaube, ja, aber ich kann es nicht mehr genau sagen. Aber soviel ich mich erinnern kann, war davon die Sprache.

DR. MARX: Hat Obernitz etwas davon gesagt, von wem er den Befehl habe?

HERRWERTH: Er hat nur den Ausdruck gebraucht, daß Hitler gesagt hat, die SA soll sich mal austoben.

DR. MARX: Ist es richtig, daß Sie, Zeuge, Ihrer Ehefrau noch in der gleichen Nacht von dieser Unterredung zwischen Obernitz und Streicher Mitteilung machten?

HERRWERTH: Von der Unterredung, glaube ich, habe ich nichts gesagt. Aber beim Heruntergehen vom ersten Stock in das Parterre durch meine Wohnung habe ich meiner Frau gesagt, daß ich wahrscheinlich etwas später heimkomme, weil heute noch diese Aktion steigt. Habe ihr kurz gesagt, was sich abspielt, aber nichts von der Unterredung.

DR. MARX: Sie waren dann später auf dem Pleikershof, als Streicher sich dorthin hatte zurückziehen müssen oder zurückgezogen hatte?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Können Sie sich an einen Vorfall erinnern, bei dem die spätere Frau Streicher von den Vorgängen in Magdeburg sprach, wie sie sich in der gleichen Nacht dort abspielten?

HERRWERTH: Nein, mir ist nichts bekannt davon.

DR. MARX: Machten Sie nicht die damalige Frau Merkel darauf aufmerksam, sie möchte das Gespräch nicht auf diese Vorgänge bringen, da sich Streicher stets darüber sehr errege?

HERRWERTH: Ich kann mich entsinnen, daß Herr Streicher mal gesagt hat, daß er in seiner damaligen Vermutung recht hatte, und zwar, daß schon kurze Zeit nach dieser damaligen Nacht, ich weiß nicht durch wen, Kunde zu ihm gekommen ist, daß zum Beispiel das Glas für die Fensterscheiben wieder von Holländern gekauft werden müßte. Herr Streicher hat damals gesagt, das ist schon die erste Bestätigung für die Richtigkeit seiner damaligen Auffassung.

VORSITZENDER: Dr. Marx, einen Augenblick.

Sir David, würde es Ihnen und auch dem Verteidiger für den Angeklagten von Schirach passen, wenn wir die Dokumente erst morgen früh um 9.30 Uhr besprächen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich werde fragen. Jawohl, der Verteidiger des Angeklagten von Schirach sagt, daß es ihm recht ist.

VORSITZENDER: Sehr gut, um 9.30 Uhr morgen früh.

DR. MARX: Welche Beobachtungen machten Sie während Ihres Aufenthaltes auf dem Pleikershof über die Einstellung Streichers zur Judenfrage? Wie war das mit dem »Israelitischen Wochenblatt«?

HERRWERTH: Ja, was wollen Sie davon wissen, von dem »Israelitischen Wochenblatt«? Das hat der Herr Streicher bekommen.

DR. MARX: Hat er das regelmäßig bekommen?

HERRWERTH: Ja, das glaube ich bestimmt sagen zu können. Ich habe ja immer ganz große Stöße von Zeitungen gesehen vom »Israelitischen Wochenblatt«; laufend sind die gekommen.

DR. MARX: Herr Streicher behauptet, er hätte in den ersten Kriegsjahren erhebliche Schwierigkeiten gehabt, dieses Blatt zu bekommen, und die Polizei hätte es nicht ohne weiteres herausgegeben.

HERRWERTH: Ja, das kann schon sein. Ich weiß ja nicht, von welchem Jahrgang und von welcher Zeit sie waren. Ich habe sie eben gesehen und es ist für mich heute schwer festzustellen, von wann diese Zeitungen waren.

DR. MARX: Ja, Sie sagten, es waren immer ganze Stöße von diesen.

HERRWERTH: Mitunter ja. Da waren aber auch noch andere Zeitungen, also Schweizer Zeitungen waren noch dabei, das »Israelitische Wochenblatt« und so weiter; da sind immer so viele Zeitungen herumgelegen. Dazwischen sieht man auch wieder mal das »Israelitische Wochenblatt«. Also ich meine, daß ich sagen kann, wieviele es waren, das ist mir unmöglich.

DR. MARX: Nun ja. Hat der Herr Streicher sich mal geäußert über seine Kenntnis von den Vorgängen im Osten oder von Vorgängen in den Konzentrationslagern im Osten?

HERRWERTH: Ja, Herr Streicher hat ja davon überhaupt nichts gewußt. Da kann er sich doch auch nicht äußern, also wenigstens was meine Überzeugung ist.

DR. MARX: Haben Sie sich denn darüber mit ihm einmal unterhalten?

HERRWERTH: Ist mir nicht bekannt. Ich wußte ja selbst nichts.

DR. MARX: Haben Sie von einem Brief Kenntnis erhalten, in welchem Streicher von dem Reichsführer der SS Himmler Vorwürfe gemacht erhielt, weil er die gefangenen Franzosen zu gut behandle? Haben Sie mich verstanden?

HERRWERTH: Ja, ich habe verstanden. Aber ich muß mich jetzt besinnen. Ich weiß wohl, daß Herr Streicher mal was gesagt hat, von wegen Gefangenenbehandlung. Ich weiß, daß die Franzosen sehr gut behandelt worden sind. Aber ob da die Ursache davon ein Brief von Himmler war, das weiß ich nicht.

DR. MARX: Nein, nein. Die Ursache der guten Behandlung meinen Sie?

HERRWERTH: Nein, die Ursache, weil Herr Streicher davon gesprochen hat. Herr Streicher hat von Vorwürfen wegen guter Behandlung der Franzosen gesprochen; aber ob er davon gesprochen hat, daß die Ursache davon ein Brief von Himmler war, das weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, daß auch nur ein Franzose da war, der sich irgendwie über Behandlung beklagen hat können.

DR. MARX: Da waren Sie nicht mehr zugegen als sich die Franzosen verabschiedeten?

HERRWERTH: Nein.

DR. MARX: Ist Ihnen ein Vorfall bekannt, bei welchem der Verlagsleiter Fink in den Garten der Wohnung Streichers kam und sich selbst bezichtigte, die Unwahrheit bei der Polizei in einer Aktienangelegenheit gesagt zu haben?

HERRWERTH: Die Frage muß detailliert werden, Herr Anwalt, denn mir ist nicht alles bekannt, aber teilweise. Mir ist bekannt, daß der damalige Direktor Fink in Tränen vor Herrn Streicher gestanden ist, daß er geheult hat, daß er sich selbst bezichtigt hat, daß er ein Lump wäre und ein Verräter. Aber warum das entzieht sich meiner Kenntnis, denn Herr Streicher ist mit ihm dann weiter in den Garten gelaufen. Ich sah lediglich, daß Herr Fink geweint hat und habe noch gehört, wie er sich selbst bezichtigt hat.

DR. MARX: Ist Ihnen bekannt, daß Streicher in gewissen Zeiträumen Leute der SPD oder KPD aus dem Konzentrationslager Dachau holte?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Wieviele waren das wohl?

HERRWERTH: Ich weiß es nicht; es war so ziemlich jedes Jahr an Weihnachten. Ich schätze, daß es vielleicht so 100 bis 150 Mann waren jedes Jahr. Die sind aus Dachau gekommen. Herr Streicher hat ihnen dann im Hotel Deutscher Hof in einem Nebenzimmer ein Essen gespendet und das war damals, so viel ich weiß, die Familienzusammenführung, das heißt die Zusammenführung der damaligen Häftlinge mit ihren Familienangehörigen. Herr Streicher hat auch dafür gesorgt, daß die damaligen Häftlinge alle in Arbeit gekommen sind und hat sich persönlich um sie angenommen.

DR. MARX: Brachte er auch den einen oder anderen dieser Freigelassenen wieder in eine Arbeitsstelle unter?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Was wissen Sie davon?

HERRWERTH: Ich weiß, daß drei Mann, ich glaube in die Motorradfabrik Marswerke gekommen sind. Herr Streicher hat damals den Bevollmächtigten von der Deutschen Arbeitsfront beauftragt, die Leute unterzubringen, so viel mir noch in Erinnerung ist.

DR. MARX: Welche Haltung nahm Streicher ein, als er erfuhr, daß Angehörige der Partei Autos und Villen aus jüdischem Besitz zu geringen Preisen erworben hatten?

HERRWERTH: Ich kann mich noch erinnern, als Herr Streicher von Berlin gekommen ist. Ich weiß nicht, inwieweit Herr Streicher damals über die Käufe orientiert war. Jedenfalls, wie damals Herr Streicher von Berlin gekommen ist, wo Herr Göring sich geäußert hatte über diese verbilligten Häuserkäufe, hat Herr Streicher schon in Nürnberg am Bahnhof – da habe ich selbst zugehört – gesagt, daß sofort die Käufe rückgängig gemacht werden müßten. Im übrigen ist mir nur ein Fall bekannt, wo es sich um einen Parteigenossen handelte, der einen Hauskauf getätigt hat. Ich weiß nicht, ob es mehrere waren.

DR. MARX: Ist Ihnen bekannt, ob Streicher auf seinem Hofe von der Gestapo überwacht wurde, und daß ein Verbot bestand, ihn dort zu besuchen?

HERRWERTH: Ich habe zunächst auf die erste Frage keinen offiziellen Beweis, daß hier Kriminalbeamte waren. Daß Herr Streicher einmal bewacht war, kann ich nicht direkt behaupten, aber es war mit Sicherheit anzunehmen. Ich weiß eine Frau, die sogar behauptet hat, sie wäre im Wald photographiert worden, wie sie von der Bahn zum Hofe gegangen ist.

Und die zweite Frage, was war die, Herr Rechtsanwalt?

DR. MARX: Ob ein Verbot bestanden hat, ihn zu besuchen?

HERRWERTH: Ja. Ich bin innerhalb der Stadt mit verschiedenen Parteigenossen zusammengekommen. Wen ich gefragt habe, der hat gesagt: »Man darf ja nicht raus, man darf ja nicht raus.« Und wenn ich gefragt habe, wer das Verbot erlassen hat, dann ist niemand mit der Sprache – wenn ich so sagen darf – herausgerückt. Aber so wie man vereinzelt gehört hat, soll dieses Verbot damals von dem damaligen Stellvertreter des Führes, Herrn Heß, gewesen sein.

DR. MARX: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß Streicher, wenn er erfuhr, daß Gewalttätigkeiten gegen Juden oder sonstige politische Gegner beabsichtigt waren, diese sofort abstellte?

HERRWERTH: Jawohl, wenigstens auf Grund seiner Äußerungen. Er hat jedesmal gesagt, daß das falsch ist.

DR. MARX: Ist Ihnen ein Fall bekannt, wo er jemanden, der sich solche Gewalttätigkeiten hatte zuschulden kommen lassen, maßregelte? Wenn Sie es nicht wissen, sagen Sie, ich weiß es nicht.

HERRWERTH: Gut, momentan fällt mir kein Fall ein.

DR. MARX: Ist Ihnen etwas von der Angelegenheit mit den Marswerke-Aktien bekannt? Was wissen Sie davon?

HERRWERTH: Ja, ich weiß diesen Fall von Streicher, von Erzählungen von damals schon. Ich war damals nicht persönlicher Zeuge, aber ich weiß, Herr Streicher hat mir einmal erzählt, wie sich dieser Fall abgespielt hat. Soll ich diesen Fall kurz schildern?

DR. MARX: Ja, aber nur gedrängt, bitte.

HERRWERTH: Streicher war damals in einem Schwitzbad. Da kam der damalige Direktor Fink und sein damaliger Adjutant König und haben Herrn Streicher die Aktien zum Kauf angeboten. Herr Streicher sagte: »Was sind das für Aktien?« Dann bekam er zur Antwort: »Das sind Aktien von den Marswerken.« Da sagte er: »Wieviele.« Da bekam er zur Antwort: »Für 100.000.- Reichsmark.« Dann sagte Herr Streicher: »Was kosten die Aktien?« Dann ist ihm gesagt worden: »5.000.- Mark.« Herr Streicher hat gefragt, warum diese Aktien so billig sind, dann endlich hat Herr Fink, glaube ich, damals gesagt: »Weil es Judenaktien sind.«

Wer Herrn Streicher kennt so wie ich, der weiß genau, daß Herr Streicher niemals etwas von einem Juden genommen hat. Er hat sich das damals ganz energisch verbeten, ihm überhaupt ein solches Angebot zu machen.

Zuerst war diese Debatte erledigt, dann plötzlich ist dem damaligen Gauleiter, Herrn Streicher, der Gedanke gekommen, daß er mit diesem Geld eventuell das dritte Gauhaus aufbauen kann. Beim Hinausgehen hat er die Herren darauf aufmerksam gemacht; dann haben sie sich entschlossen, die Aktien zu kaufen. Herr Streicher hat ihnen verboten, es darf kein Parteigeld verwendet werden. Dann sind beide wieder ratlos dagestanden. Herr Streicher hat gesagt, er will dann diese 5.000.- Mark vorschießen. Damit war der Fall erledigt.

Aber ein späteres Erlebnis habe ich persönlich gehabt. Es war vielleicht eineinhalb Jahre nach der damaligen Verhandlung, die Herr Streicher damals in München gehabt hat, wo er beurlaubt worden ist. Damals kam die Frau des NSKK-Obergruppenführers Zühlen zu mir und sagte, ob ich schon wisse, daß die Kriminalpolizei im Falle Streicher wieder in Nürnberg sei. Ich habe Frau Zühlen verneint und ihr noch gesagt: »Wenn sie was wissen wollen, dann sollen sie rauskommen zum Hof zu Herrn Streicher selbst, der wird ihnen die nötige Aufklärung geben.« Nach ungefähr vierzehn Tagen bis drei Wochen traf ich den Stürmer-Direktor Fischer, den Nachfolger von Herrn Fink. Ich möchte noch kurz vorauserwähnen, daß die Aktien samt den 5.000.- Mark von Herrn Streicher beschlagnahmt waren. Der damalige Direktor Fischer sagte mir, er hätte heute einen Telephonanruf bekommen, und zwar von der Treuhand-Gesellschaft. Die Treuhand-Gesellschaft meldete dem Direktor Fischer, daß sie heute auf das Konto des »Stürmers« die 5.000.- Reichsmark überwiesen habe, die Herr Streicher damals zum Kauf der Aktien vorgelegt hat.

VORSITZENDER: Dr. Marx, glauben Sie nicht, daß er zuviel in Einzelheiten geht?

DR. MARX: Ja.

HERRWERTH: Ja, ich mache es kürzer.

Der Mann von der Treuhand-Gesellschaft hat gesagt, daß die 5.000.- Mark freigegeben waren, weil sich die Unschuld von Herrn Streicher erwiesen hat.

DR. MARX: Sie waren damals beim Obersten Parteigericht dabei?

HERRWERTH: Jawohl.

DR. MARX: Was hatte denn da Herr Fink gesagt? Hat er sich nicht wieder bezichtigt, daß er die Unwahrheit angegeben hätte?

HERRWERTH: Ich war bei der Vernehmung von Herrn Fink nicht dabei.

DR. MARX: So, gut. Ich frage Sie nun noch: Sie waren damals zugegen, wie sich der Vorfall in München abspielte – in der Künstlerhaus-Gaststätte, nicht wahr – mit dem Mann, der Streicher belästigte?

HERRWERTH: Ja.

DR. MARX: Geben Sie eine Schilderung, wie sich der Vorfall zutrug.

HERRWERTH: Ja. Herr Streicher hat nach dem Essen das Lokal verlassen. Ich kann mich nicht mehr so genau an die einzelnen Worte erinnern. Aber ich bemühe mich, so gut wie möglich zu schildern. Herr Streicher hat damals das Lokal verlassen und beim Hinausgehen hat dieser Mann Herrn Streicher in einer, ich möchte sagen, ungebührlichen Art und Weise angesprochen. Streicher ging weiter und war im ersten Moment ganz sprachlos und frug seine Begleitung und auch mich, ob wir den Mann kennen. Niemand hatte ihn gekannt.

Daraufhin hat Herr Streicher seinen Sohn Lothar nochmals reingeschickt, um den Mann zu sprechen und ihn zu fragen, wie er dazu kommt, sich so zu benehmen. Lothar Streicher ist herausgekommen und hat gesagt, daß der Mann sich wieder so benommen hat.

DR. MARX: Fassen Sie sich doch bitte kürzer. Sie sollen bloß sagen, wie sich der Vorfall kurz entwickelt hat, und was Sie und auch den Herrn Streicher veranlaßt hat, mit dem Mann tätlich zu werden.

HERRWERTH: Sein Benehmen.

DR. MARX: Ja, und was ist dann erfolgt?

HERRWERTH: Herr Streicher hat den Wirt gebeten um ein Zimmer, und in diesem Zimmer hat Streicher den Mann persönlich zur Rede gestellt. Auch da wieder hat der Mann anzügliche Antworten gegeben, und daraufhin ist es zuerst durch Lothar Streicher zum Schlagen gekommen. Nun, wie das so war, er war ein kräftiger Mann und da hat natürlich alles zusammengeholfen, bis er überwältigt war.

DR. MARX: Ja, ist schon gut. Ich bin mit der Vernehmung dieses Zeugen zu Ende, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Hat einer der Verteidiger Fragen an den Zeugen?

Wünscht ein Vertreter der Anklagebehörde, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?

Der Zeuge kann alsdann den Saal verlassen.

DR. MARX: Ich bitte dann den Zeugen Wurzbacher, wenn er da ist... Ist er nicht da? Ich weiß nicht, welcher Zeuge sich noch im Zeugenzimmer befindet. Ist noch jemand da? Also Wurzbacher? Hiemer?

OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Frau Streicher ist da.

VORSITZENDER: Ist der Zeuge Wurzbacher nicht hier?

GERICHTSMARSCHALL: Ich will nachsehen. Er war eben noch nicht hier. Er wurde nicht vorgeladen.

VORSITZENDER: Herr Dr. Marx, welche weiteren Zeugen haben Sie?

DR. MARX: Die Ehefrau des Angeklagten könnte nun gerufen werden.

VORSITZENDER: Gut. Lassen Sie diese rufen.

GERICHTSMARSCHALL: Der Zeuge Strobel ist jetzt da.

VORSITZENDER: Dr. Marx wünscht Frau Streicher zu rufen.

DR. MARX: Verzeihung, Herr Präsident. Wenn die Gestellung der Zeugin Streicher Schwierigkeiten macht, so könnte ja der Zeuge...