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[Die Zeugin Streicher betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGIN ADELE STREICHER: Adele Streicher, geborene Tappe.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir folgenden Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Die Zeugin spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. MARX: Sie sind eine geborene Tappe und sind in Magdeburg geboren?

ADELE STREICHER: Ja.

DR. MARX: Waren Sie Mitglied der NSDAP oder der Frauenschaft?

ADELE STREICHER: Nein.

DR. MARX: Wann sind Sie Sekretärin bei Herrn Streicher geworden? Und wie lange haben Sie diese Tätigkeit ausgeübt?

ADELE STREICHER: Ich wurde am 7. Juni 1940 die Sekretärin Julius Streichers und blieb in dieser Tätigkeit bis zum Kriegsende.

DR. MARX: Sie waren also während dieses Zeitraumes dauernd auf seinem Hof?

ADELE STREICHER: Ja, ich war ständig um ihn.

DR. MARX: Hatten Sie auch die gesamte Korrespondenz für Herrn Streicher zu erledigen?

ADELE STREICHER: Ja.

DR. MARX: Worin bestand diese Korrespondenz in der Hauptsache?

ADELE STREICHER: In der Hauptsache aus Briefen an seine Söhne, Verwandte.

DR. MARX: Womit hat sich Herr Streicher während dieses Zeitraumes von fünf Jahren beschäftigt?

ADELE STREICHER: Julius Streicher hat sich in der Hauptsache mit körperlichen Arbeiten, das heißt mit landwirtschaftlichen und gärtnerischen Arbeiten beschäftigt. Ab und zu hat er Artikel für den »Stürmer« geschrieben.

DR. MARX: Hat er in diesen fünf Jahren überhaupt den Hof verlassen, und war er einmal eine längere Zeit vom Hof abwesend?

ADELE STREICHER: Julius Streicher hat in den ersten Jahren seines Aufenthaltes dort den Hof überhaupt nicht, später ab und zu nur zu nachbarlichen Besuchen verlassen. Die höchste Dauer seiner Abwesenheit betrug keinen ganzen Tag und nicht eine einzige Nacht.

DR. MARX: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß es Persönlichkeiten der Partei verboten war, Herrn Streicher zu besuchen?

ADELE STREICHER: Ja, es bestand ein solches Verbot.

DR. MARX: Woraus wissen Sie das?

ADELE STREICHER: Aus Gesprächen. Dann habe ich aber erlebt, als Dr. Goebbels den Hof besuchte, daß Julius Streicher zu ihm sagte: »Doktor, Sie trauen sich zu mir her? Wissen Sie nicht, daß ein Verbot der Parteileitung besteht, mich zu besuchen?«

DR. MARX: Wann erfolgte der Besuch des Dr. Ley und des Dr. Goebbels?

ADELE STREICHER: Dr. Ley kam am 7. Mai 1944 auf den Hof. Der Besuch Dr. Goebbels erfolgte am 4. Juni 1944.

DR. MARX: Schildern Sie, welchen Charakter diese Besuche trugen und was der Gegenstand der Gespräche war.

ADELE STREICHER: Beide Besuche trugen mehr inoffiziellen Charakter. Dr. Ley erkundigte sich in der Hauptsache nach dem persönlichen Ergehen Julius Streichers. Politische Fragen wurden nicht behandelt. Ley sagte lediglich: »Streicher, der Führer wartet auf Sie.«

DR. MARX: Und was erklärte Streicher darauf?

ADELE STREICHER: Julius Streicher antwortete ihm, daß er sich an seine Einsamkeit gewöhnt habe, daß er sich als Bauer glücklich fühle. Ley möge dem Führer sagen, er, Streicher, habe keine Wünsche. Beim Besuch Dr. Goebbels war der Gesprächsgegenstand in der Hauptsache der Grund, warum Julius Streicher von seinem Amt als Gauleiter beurlaubt worden sei. Dr. Goebbels vertrat die Ansicht, Julius Streicher müsse in den Kreis der alten Parteigenossen wieder zurückkehren. Aber auch ihm gab er die gleiche Antwort: »Sagen Sie dem Führer, ich habe keine Wünsche.«

DR. MARX: Waren Sie bei diesen Gesprächen stets zugegen?

ADELE STREICHER: Ja.

DR. MARX: Bildete bei diesen Gesprächen nicht auch die Judenfrage einen Gesprächsgegenstand?

ADELE STREICHER: Nein, über die Judenfrage wurde nicht gesprochen.

DR. MARX: Wurde auch nicht über Vorgänge in den Ostgebieten oder in den Konzentrationslagern gesprochen?

ADELE STREICHER: Nein, dazu sind wir gar nicht mehr gekommen.

DR. MARX: Sprach Streicher nicht mit Ihnen über seine Gedanken, die er in Artikeln im »Stürmer« zum Ausdruck bringen wollte, und wurde da auch darüber gesprochen, wie er sich die Lösung dieses Problems der Judenfrage dachte?

ADELE STREICHER: Aus allen Gesprächen mit Julius Streicher konnte ich mit Bestimmtheit entnehmen, daß er sich die Lösung der Judenfrage niemals durch Gewaltmaßnahmen dachte, sondern eine Emigration der Juden aus Europa und deren Ansiedlung außerhalb Europas anstrebte.

DR. MARX: Stand Herr Streicher mit führenden Persönlichkeiten der Partei oder des Staates in schriftlicher Verbindung?

ADELE STREICHER: Nein, weder persönlich noch schriftlich bestand eine solche Verbindung.

DR. MARX: Ich nenne Ihnen nun verschiedene Namen, von denen Sie mir angeben wollen, ob Verbindung bestand: Himmler, Heydrich, Bormann oder auch andere leitende Männer der Polizei, oder der SS, oder der Gestapo.

ADELE STREICHER: Nein, von allen diesen Persönlichkeiten ist mir nichts bekannt. Mit Ausnahme eines Briefes von Herrn Himmler kam niemals Post.

DR. MARX: Was bildete die Veranlassung zu diesem Brief?

ADELE STREICHER: In dem Brief des Herrn Himmler beschwerte er sich darüber, daß die auf dem Pleikershof beschäftigten französischen Kriegsgefangenen zu gut behandelt würden.

DR. MARX: Wie war denn die Behandlung der Kriegsgefangenen und der ausländischen Zivilarbeiter auf dem Hof?

ADELE STREICHER: Auf dem Pleikershof wurden acht französische Kriegsgefangene, eine Polin und ein slowenisches Mädchen beschäftigt. Sie wurden alle gut und sehr menschlich behandelt. Jede Handreichung, die Julius Streicher persönlich erbat, jede Arbeit, die er selbst anschaffte, wurde von ihm besonders belohnt mit Rauchzeug, Gebäck, Obst oder auch Geldprämien. Mit einigen der Franzosen war im Laufe der Jahre ein so herzliches Verhältnis entstanden, daß sie bei ihrem sogar tränenreichen Abschied versicherten, Julius Streicher mit ihren Familien nach dem Kriege zu besuchen.

DR. MARX: Nun, hatte Herr Streicher nicht von diesen Massenhinrichtungen im Osten schließlich eine ihm glaubhaft erscheinende Kenntnis erlangt?

ADELE STREICHER: Ich glaube, im Jahre 1944 war es, als er durch Schweizer Zeitungen davon erfuhr. Amtlich haben wir niemals Kenntnis davon bekommen.

DR. MARX: Es wird aber behauptet, daß er schon früher Kenntnis erlangt haben soll.

ADELE STREICHER: Nein.

DR. MARX: Da wissen Sie nichts davon?

ADELE STREICHER: Ich weiß nur über die Schweizer Zeitungen.

DR. MARX: Gut. Sie haben einmal das Gespräch darauf gebracht, daß Sie in Magdeburg, in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938, diese Demonstrationen gegen Juden miterlebt hätten und daß Sie darüber den größten Abscheu empfunden hätten. Ist das richtig?

ADELE STREICHER: Ja, ich habe davon erzählt, und zwar, daß ich erschüttert gewesen sei, als man diese Aktion in Magdeburg durchführte. Damals regte sich Julius Streicher sehr bei diesem Gespräch auf und sagte mir: »Solchen Unsinn hat man auch in Nürnberg gemacht.« Das sei kein Antisemitismus, das sei eine Riesendummheit gewesen.

DR. MARX: Ist es richtig, daß sich Herr Streicher für Geldgeschäfte des Verlages nur sehr wenig interessierte und diese Angelegenheit dem jeweiligen Verlagsleiter unterstellte?

ADELE STREICHER: Julius Streicher hat sich um Geldangelegenheiten überhaupt nie gekümmert, weder im Hause noch im Verlag. Es kam immer wieder vor, daß die Herren des Verlags enttäuscht waren, wenn sie über Jahresbilanzen berichten wollten und Julius Streicher ihnen sagte: »Laßt mich mit Euren Geschäften in Ruhe. Es geht um ganz andere Dinge als um Geld.«

DR. MARX: Wovon wurde dann der Haushalt bestritten?

ADELE STREICHER: Ich bekam im Monat tausend Reichsmark vom Verlag. Davon wurde der Haushalt bestritten, Geschenke gemacht und so weiter.

DR. MARX: Ist Ihnen etwas bekannt, daß er Aktien erworben haben soll, die auf unsauberen Druck gegen einen jüdischen Bankier hin erworben wurden?

ADELE STREICHER: Das ist vollkommen unmöglich. Das halte ich für völlig unmöglich, daß Julius Streicher Aktien auf diese Art erworben hätte. Ich glaube nicht mal, daß er weiß, wie eine Aktie aussieht.

DR. MARX: Hat er Ihnen davon nichts erzählt?

ADELE STREICHER: Ich habe nur gehört, daß er niemals Aktien bekommen hat.

DR. MARX: Wie kam es, daß Sie noch im April 1945 zu einer Eheschließung mit dem Angeklagten kamen oder gelangten? Haben Sie die Frage verstanden?

ADELE STREICHER: Ja. Julius Streicher wollte am Kampfe in Nürnberg teilnehmen. Ich wollte ihn begleiten, da gab er mir vorher seinen Namen. Wir wollten zusammen sterben.

DR. MARX: Sie sind dann mit ihm zusammen von Pleikershof weg und begaben sich wohin?

ADELE STREICHER: Wir wollten ursprünglich nach Nürnberg, das wurde abgelehnt aus Angst vor Kompetenzschwierigkeiten. So fuhren wir Richtung München. In München wurden wir weiter verwiesen, Richtung Passau. Von Passau schickte man uns nach Berchtesgaden. Von Berchtesgaden schickte man uns nach Kitzbühel.

DR. MARX: Wie kam es, daß die ursprünglich bestandene Absicht, gemeinsam in den Tod zu gehen, dann nicht in die Tat umgesetzt wurde? Was hat ihn dazu veranlaßt?

ADELE STREICHER: Ein Gespräch mit drei jungen Soldaten war der Anlaß dazu.

DR. MARX: Und wie lautete das? Ich bin jetzt gleich fertig, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß Sie darauf eingehen sollen, Dr. Marx.

DR. MARX: Also, dann kann ich auf die Frage verzichten. Nun noch die eine Frage: Ist es richtig, daß Herr Streicher seinem jeweiligen Verlagsleiter eine schriftliche Generalvollmacht ausstellte, wonach diese über die Gelder verfügen konnten, wie es ihnen beliebte?

ADELE STREICHER: Ja, Julius Streicher stellte Generalvollmachten aus und gab dem jeweiligen Verlagsleiter sein volles Vertrauen, ohne jede Einschränkung.

DR. MARX: Herr Präsident, ich habe keine weitere Frage.

VORSITZENDER: Wünscht ein Verteidiger Fragen zu stellen?

Wünscht die Anklagevertretung Fragen zu stellen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein.

VORSITZENDER: Dann kann sich die Zeugin zurückziehen und der Gerichtshof vertagt sich bis morgen früh 9.30 Uhr.