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[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Bitte, geben Sie Ihren vollen Namen an!

ZEUGE FRIEDRICH STROBEL: Friedrich Strobel.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

DR. MARX: Herr Zeuge! Waren Sie am 3. Dezember 1938 in einer Versammlung des Rechtswahrerbundes in Nürnberg anwesend?

STROBEL: Ja.

DR. MARX: In dieser Versammlung soll der Angeklagte Streicher gesprochen haben, ist das richtig?

STROBEL: Ja.

DR. MARX: Wollen Sie nun bitte angeben, was der Angeklagte Streicher damals erklärt hat in Bezug auf die Demonstrationen vom 9. November 1938?

STROBEL: Er hat erklärt: »Ich hätte diese Aktion nicht so gemacht, auf eine solche Weise kann man eine Macht, wie das Weltjudentum, nicht bekämpfen.« Dann hat er noch hinzugefügt: »Aber geschehen ist geschehen« und sonst noch einige Redensarten darüber fallen lassen.

DR. MARX: Ist es richtig, daß Sie sich damals darüber wunderten daß Streicher in aller Öffentlichkeit gegen diese Aktion Stellung nahm, die doch von oben befohlen war?

STROBEL: Ja. Streicher hat öfters gegen Maßnahmen und Anordnungen der Regierung Stellung genommen, wenn er anderer Meinung war. So auch bei dieser Gelegenheit. Ich hatte damals den Eindruck, daß er offensichtlich übergangen worden war; denn in seiner Rede schwang ein gewisser hämischer Unterton mit, daß die Sache ungünstige Auswirkungen hätte. Ich machte mir damals Gedanken darüber; ich wußte nicht recht, hatte Streicher wirklich einmal einen lichten Augenblick und erkannte daher die Schädlichkeit dieser Judenaktion, oder sprach er bloß aus verletzter Eitelkeit, oder fühlte er vielleicht, daß mit der zu raschen und radikalen Erledigung des Judentums auch seine Bedeutung erlosch.

DR. MARX: Ja, also Herr Zeuge, das sind Ansichten, die Sie da äußern, aber keine Tatsachen. Darüber habe ich Sie auch nicht gefragt.

STROBEL: Das war mein Eindruck damals.

DR. MARX: Ja, ich frage Sie nun, waren Sie am 9. und 10. November 1938 in Nürnberg anwesend?

STROBEL: Ja, ich glaube... ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, es war vom 8. auf den 9. November 1938, wo diese Aktion stattfand. Am 7. November 1938 wurde doch der Herr vom Rath angeschossen, und am 8. ist er gestorben; die Nacht darauf fand doch diese Handlungsweise statt.

VORSITZENDER: Wir brauchen nicht darüber zu streiten, ob es der 8. oder 9. war. Es macht doch weiter nichts aus, nicht wahr?

DR. MARX: Meine Frage, die ich jetzt stelle, lautet: Welche Beobachtungen machten Sie nach jener Nacht, in welcher die Demonstrationen gegen die jüdische Bevölkerung stattfanden, am darauffolgenden Morgen und anschließend über die Einstellung der Bevölkerung in Nürnberg zu diesen Demonstrationen?

STROBEL: Ich erfuhr von dieser Aktion erst durch mein Kanzleipersonal, ging daraufhin in die Stadt, schaute mir die Straßen an. An den einzelnen beschädigten Geschäften standen Leute. Ich hatte den Eindruck, daß der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung sozusagen starr und stumm war. Die Leute schüttelten den Kopf, schauten sich gegenseitig an, murmelten etwas und gingen dann wieder weg. Aber man hatte allgemein den Eindruck, daß man nicht laut reden durfte. Ich habe später auch erfahren, daß Leute, die dagegen Stellung nahmen, dann, wenn es Denunzianten hörten, eben übel behandelt wurden.

DR. MARX: Aber der allgemeine Eindruck war doch so, daß die Bevölkerung von dieser Aktion ganz entschieden abrückte und daß allgemeine Entrüstung, wenn auch nicht laut, zu erkennen war?

STROBEL: Ja, der russische Sender hat seinerzeit den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hat damals gesagt: »Zur Ehre des deutschen Volkes sei es gesagt, daß es an diesen Vorgängen unbeteiligt war und daß es geschlafen hat.« Die Leute erfuhren tatsächlich – die allermeisten – erst am Morgen nach dieser Nacht von diesen Vorgängen.

VORSITZENDER: Was hat das mit dem Angeklagten Streicher zu tun?

DR. MARX: Ja, dem Angeklagten Streicher wird ja vorgeworfen, daß er zu erkennen gegeben hätte, daß er durch seine Ansprache am 10. November diese Aktion gebilligt habe. Und der Angeklagte Streicher hat sich ja auch darauf berufen, daß es sich hier um eine von oben befohlene Aktion gehandelt habe und nicht um eine spontane aus dem Volk heraus.

VORSITZENDER: Die Tatsache, daß eine Anzahl von Leuten in Nürnberg oder selbst die ganze Bevölkerung von Nürnberg die Sache mißbilligt hat, würde doch nicht beweisen, daß auch Streicher sie nicht gebilligt hat.

DR. MARX: Ja, aber er hat sich auch darauf berufen, es könnte sich nicht um eine Aufreizung gehandelt haben, weil diese Aktion von oben her befohlen war, gelenkt war, während bei einer Aufreizung die Sache aus dem Volke heraus entstanden gewesen sein müsse. So hat er doch deduziert.

STROBEL: Darf ich hierzu Stellung nehmen? Aus dem Volk heraus ist die Sache bestimmt nicht entstanden; denn selbst die SA-Männer, die bei der Handlung mitgewirkt haben, haben es größtenteils nur widerwillig getan. Das war ein Befehl von oben, das war eine organisierte Sache. Die Behauptung des Dr. Goebbels, das deutsche Volk habe sich spontan erhoben, war eine bewußte Verdächtigung des deutschen Volkes.

DR. MARX: Herr Präsident! Ich habe keine Fragen mehr an diesen Zeugen.

VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen zu stellen? Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör? Der Zeuge kann abtreten.