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[Zum Zeugen gewandt:]

Sie waren also zurückgetreten von Ihrem Amt als Reichsbankpräsident. Was taten Sie denn nun?

SCHACHT: Ich ging auf meinen kleinen landwirtschaftlichen Besitz, den ich besaß, und habe als Privatmann gelebt. Habe aber dann eine Reise nach Amerika gemacht, die in das Jahr 1930 fällt, und zwar bin ich kurz nach den Reichstagswahlen oder unmittelbar nach den Reichstagswahlen von September 1930 abgereist und über London nach Neuyork gefahren. Ich habe dort etwa zwei Monate Vorträge gehalten über Fragen, die mir von amerikanischen Freunden vorgelegt worden waren.

DR. DIX: Wann erfolgte denn nun Ihre erste Berührung mit dem nationalsozialistischen Gedankengut, mit der Partei und mit Hitler persönlich, und wann haben Sie insbesondere das Parteiprogramm und Hitlers Buch »Mein Kampf« gelesen?

SCHACHT: Ich habe mich mit Ausnahme eines einzigen Males in meinem Leben um Parteipolitik nie gekümmert. Mir wurde schon in meinem 26. Lebensjahre ein sicherer Wahlkreis im Reichstag angeboten, den ich nicht angenommen habe, weil ich für Parteipolitik niemals Interesse gehabt habe. Mein Interesse galt immer der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Richtung; aber ich habe selbstverständlich für die öffentlichen Dinge stets Allgemeininteresse gehabt, aus einer Anteilnahme an dem Geschick meines Landes und meines Volkes heraus.

Infolgedessen habe ich mich im Jahre 1919 an der Gründung der Demokratischen Partei beteiligt.

Ich darf hier vielleicht ein paar Worte einschalten über meine ganze geistige und charakterliche Erziehung. Mein Vater ist sein ganzes Leben hindurch ein Anhänger demokratischer Überzeugung gewesen. Er ist Freimaurer gewesen. Er ist ein Kosmopolit gewesen. Ich hatte und habe zahlreiche Verwandte in Dänemark von mütterlicher Seite her, in Amerika von väterlicher Seite her, und stehe mit ihnen bis heute in freundschaftlichem Verkehr. In dieser Einstellung bin auch ich aufgewachsen und habe mich von diesen Grundsätzen einer freimaurerischen, demokratischen, humanitären, kosmopolitischen Einstellung nie entfernt. Ich bin auch weiterhin stets in außerordentlich engem Kontakt mit dem Ausland geblieben. Ich bin sehr viel gereist. Es gibt in Europa, außer Irland und Finnland, keinen Staat, kein Land, das ich nicht besucht habe. Ich kenne Vorderasien bis herunter nach Indien, Ceylon und Burma. Ich habe Nordamerika wiederholt besucht und wollte vor dem Krieg gerade eine Südamerikareise antreten, als der zweite Weltkrieg ausbrach. Ich möchte das hervorheben, um zu sagen, daß ich niemals parteipolitisch interessiert gewesen bin. Dennoch habe ich natürlich, nachdem in den Septemberwahlen 1930 die Hitler-Partei plötzlich und völlig überraschend auf 108 Mandate gekommen war, mich für dieses Phänomen interessiert und auf dem Dampfer auf der Fahrt nach Amerika »Mein Kampf« gelesen und dabei natürlich auch das Parteiprogramm. Als ich drüben ankam, war die erste Frage die, was ich über Hitler und die Partei meinte, weil natürlich alles von diesem Ereignis in Deutschland voll war. Ich habe damals in meiner allerersten Veröffentlichung, einem Interview, auf das deutlichste gewarnt und gesagt: »Wenn ihr Ausländer eure Politik gegenüber Deutschland nicht ändert, so werdet ihr bald noch sehr viel mehr Hitler-Anhänger in Deutschland haben, als wie es jetzt der Fall ist.« Ich habe dann auch die ganze Zeit über, zwei Monate hindurch, ungefähr fünfzigmal, in öffentlichen Versammlungen gesprochen, durchaus immer wieder das Verständnis für die Reparationsfragen und Schäden des Versailler Vertrages, für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands, gefunden und kam zurück mit dem Eindruck, daß die ganze amerikanische Einstellung, die Einstellung des amerikanischen Volkes uns gegenüber doch eine verhältnismäßig freundliche sei. Ich habe rein, nicht von mir aus, sondern zufällig dann die Berührung mit nationalsozialistischen Anhängern bekommen in der Form, daß mich ein befreundeter Bankdirektor anfangs Dezember 1930 einlud, einmal bei ihm in seinem Hause zu Abend zu essen und mit Hermann Göring zusammenzutreffen. Das habe ich getan und hatte von den Ausführungen und von dem Auftreten Görings keinen übermäßig entscheidenden Eindruck. Er war durchaus zurückhaltend, bescheiden und ordentlich und lud mich ein, nun auch einmal bei ihm Hitler kennenzulernen. Ich habe anfangs Januar dann einen Abend mit meiner Frau zusammen bei Göring und seiner Frau zugebracht beim Abendbrot, wo auch Fritz Thyssen eingeladen war, und es bestand die Absicht, daß Hitler an diesem Abend auch kommen sollte und mit uns sprechen wollte. Ich bemerke auch hier, daß der ganze Zuschnitt der Göringschen Wohnung außerordentlich bescheiden und einfach war. Es gab eine einfache Erbsensuppe mit Speck zum Essen, und insbesondere machte die erste Frau Görings einen ganz hervorragenden Eindruck. Nach dem Abendbrot erschien Hitler, und es entspann sich eine Unterhaltung, die sich in der Weise abspielte, daß, sagen wir, 5 Prozent des Sprechens auf uns entfiel und 95 Prozent des Sprechens auf Hitler. Der Inhalt seiner Ausführungen betraf nationale Fragen, in denen er völlig mit uns d'accord ging. Es wurden keine extravaganten Forderungen gestellt, auf der anderen Seite aber die nationalen Notwendigkeiten Deutschlands durchaus betont. In sozialer Hinsicht hatte Hitler eine Reihe von guten Gedanken, die insbesondere darauf hinausgingen, den Klassenkampf zu vermeiden, Streiks, Aussperrungen, Lohnstreitigkeiten zu beseitigen durch einen führenden Eingriff des Staates in das Arbeitsverhältnis und in die Führung der Wirtschaft. Nicht Beseitigung, aber Einflußnahme auf die Art und Weise der Lenkung der Privatwirtschaft wurde gefordert, und es schien uns, als ob diese Gedanken durchaus vernünftig und annehmbar waren. Im übrigen zeigte er auf wirtschaftlichem und finanzpolitischem Gebiet so gut wie gar keine Kenntnisse, beanspruchte auch an diesem Abend nicht, etwas nach dieser Richtung hin zu wissen. Er bat nur darum, daß wir in der Wirtschaft doch Verständnis für seine Ideen haben möchten und daß wir ihm sachberatend gegenüberstehen müßten. Das war der Zweck des Abends.

DR. DIX: Ich komme auf diese erste Unterredung mit Adolf Hitler noch zurück, möchte aber nochmals zurückkehren zu meiner vorhin gestellten Frage bezüglich Ihrer Einstellung zum Parteiprogramm und der Ideologie, wie sie sich im Buch »Mein Kampf« entwickelte, und zwar deswegen: Sie haben ja auch hier gehört, daß die Herren der Anklagevertretung den Standpunkt vertreten, daß schon das Parteiprogramm als solches in gewissen Teilen, aber auch Teile des Buches »Mein Kampf«, verbrecherischen Charakter habe und daß dieser Charakter auch schon gleich zu Beginn des Erscheinens des Parteiprogrammes und des genannten Buches erkennbar gewesen ist. Ich möchte Sie deshalb bitten, doch noch unter diesem Gesichtspunkt Ihre damalige Einstellung, allenfalls auch Ihre heutige Einstellung zu diesem Parteiprogramm und zur Ideologie des Nationalsozialismus, soweit es sich aus dem Buch »Mein Kampf« ergibt, eingehend Stellung zu nehmen.

SCHACHT: Ich habe aus den bisherigen Verhandlungen in diesem Saal nicht den Eindruck gewonnen, daß die Einstellung der Anklagevertreter hinsichtlich des verbrecherischen Charakters des Parteiprogrammes eine einheitliche war. Ich vermerke, daß ich in dem Parteiprogramm als solchem keinerlei Anzeichen für irgendeine verbrecherische Absicht sehe.

Der Zusammenschluß aller Deutschen, der hier stets eine große Rolle spielte, wird immer nur auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes gefordert. Die außenpolitische Stellung Deutschlands wird nur beordert als eine Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen; daß damit die Diskriminierungen, die dem deutschen Volk durch den Versailler Vertrag auferlegt wurden, selbstverständlich mit beseitigt werden mußten, ist ganz klar.

Es wurde Land und Boden zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedelung unseres Bevölkerungsüberschusses gefordert. Ich kann darin kein Verbrechen sehen, weil ausdrücklich hinter Land und Boden eingefügt ist, in Klammern: Kolonien. Ich habe das immer als eine soziale Forderung aufgefaßt, die ich, lange bevor der Nazismus in Erscheinung getreten ist, auch meinerseits stets vertreten habe. Befremdend und nach meiner Auffassung über das Ziel hinausschießend waren die Bestimmungen hinsichtlich der Ausschließung der Juden von den Staatsbürgerrechten; aber beruhigend war wiederum, daß die Juden unter Fremdengesetzgebung stehen sollten, das heißt unter derselben Gesetzgebung, unter der in Deutschland ein Ausländer stand. Ich hatte gewünscht und habe es immer gefordert, daß man diesen Rechtsschutz den Juden unter allen Umständen auch wirklich geben solle; man hat ihnen diesen Rechtsschutz leider nicht gegeben. Im übrigen war betont, daß alle Staatsbürger gleiche Rechte und Pflichten haben sollten.

Förderung des Volksbildungswesens wurde als nützlich hervorgehoben. Es wurden Turnen und Sport zur Hebung der Volksgesundheit gefordert. Es wurde der Kampf gegen die bewußte politische Lüge gefordert, den ja Dr. Goebbels dann nachher sehr kräftig geführt hat; und es wurde vor allem gefordert die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse und der Grundsatz eines positiven Christentums.

Das ist im wesentlichen der Inhalt des nationalsozialistischen Parteiprogramms, und ich kann nicht finden, daß darin irgend etwas Verbrecherisches liegt. Es wäre ja auch sehr merkwürdig, wenn die Welt zwei Jahrzehnte lang mit Deutschland und ein Jahrzehnt lang mit dem Nationalsozialismus dauernden politischen und kulturellen Kontakt gehalten hätte, wenn es sich hier um ein verbrecherisches Parteiprogramm gehandelt hätte.

Was das Buch »Mein Kampf« anbelangt, so ist mein Urteil von Anfang an immer das gleiche gewesen, wie es auch heute noch ist: ein in schlechtestem Deutsch geschriebenes Buch, die Propagandaschrift eines politisch stark interessierten, um nicht zu sagen eines fanatisierten, halbgebildeten Mannes, als der sich mir Hitler auch in der Folgezeit immer gezeigt hat. Es war in dem Buch »Mein Kampf« und zum Teil auch im Parteiprogramm ein Punkt enthalten, der mir sehr zu denken gab, das war die völlige Verständnislosigkeit allen Wirtschaftsproblemen gegenüber. Das Parteiprogramm hatte einige ganz wenige propagandistische Sätze wie »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« und solche Sachen, dann »Brechung der Zinsknechtschaft« und solche Redensarten, unter denen, man sich natürlich absolut nichts Vernünftiges vorstellen konnte. Das kam auch in »Mein Kampf« wieder zum Ausdruck, der ja in wirtschaftspolitischer Beziehung völlig uninteressant ist und infolgedessen für mich auch ganz uninteressant war.

Auf der anderen Seite war in außenpolitischer Hinsicht das Buch »Mein Kampf« für mich außerordentlich fehlerhaft, weil es immer mit dem Gedanken spielte, daß man in Europa den Lebensraum Deutschlands erweitern müsse. Wenn mich diese Ausführungen nicht abgeschreckt haben, nachher mit einem nationalsozialistischen Reichskanzler zusammenzuarbeiten, so aus dem sehr einfachen Grunde, weil die Ausweitung des deutschen Raumes nach Osten hin ausdrücklich in dem Buch »Mein Kampf« davon abhängig gemacht wurde, daß die Englische Regierung hierzu ihren Segen geben würde. Es war somit für mich, der ich die englische Politik sehr gut zu kennen glaubte, eine völlige Utopie und gefahrlos, diese theoretischen Ausschweifungen von Hitler etwa ernster einzuschätzen, als ich es getan habe.

Ich war mir darüber klar, daß jede gewaltsame Gebietsveränderung auf europäischem Boden für Deutschland eine Unmöglichkeit sein würde und von den anderen Nationen auch nicht gebilligt werden würde. Im übrigen hat »Mein Kampf« eine Reihe törichter, weitschweifiger Ausführungen gehabt, aber auch manchen ordentlichen Gedanken. Insbesondere, das möchte ich hervorheben, haben mir zwei Sachen gut gefallen. Die eine war die, daß, wenn jemand in politischen Dingen anderer Ansicht ist als die Regierung, er die Pflicht hat, seine Meinung der Regierung gegenüber zum Ausdruck zu bringen; und die andere war die, daß zwar an die Stelle einer demokratischen Regierung, oder sagen wir besser einer parlamentarischen Regierung, eine Führerregierung treten müsse, daß aber auch dieser Führer immer nur bestehen könne, wenn er der Zustimmung des gesamten Volkes gewiß sei, mit anderen Worten, daß auch ein Führer von Volkswahlen demokratischer Natur abhängig sei.

DR. DIX: Dr. Schacht! Sie haben ja nun den Eindruck geschildert, den Sie sowohl von Ihrer ersten Unterredung mit Adolf Hitler empfangen hatten als auch aus dem Studium des Parteiprogrammes und von »Mein Kampf«. Glaubten Sie nun, mit Adolf Hitler arbeiten zu können, und was haben Sie überhaupt aus dieser ersten Unterhaltung mit Hitler für Folgerungen gezogen?

SCHACHT: Ein Arbeiten mit Adolf Hitler kam für mich persönlich ja gar nicht in Betracht, da ich Privatmann war und mich für die Parteipolitik nicht interessierte; und infolgedessen habe ich auch nach dieser Unterredung für meine Person und für meine etwaigen Beziehungen zu den Hitler-Kreisen nicht das leiseste getan. Ich bin ruhig wieder auf meinen Landsitz gegangen und habe privatim gelebt. Für mich persönlich habe ich also gar keine Folgerung gezogen. Aber ich habe eine andere Folgerung gezogen. Ich habe schon gesagt, daß ich selbstverständlich am Schicksal meines Landes beteiligt war. Ich habe nach dieser Unterhaltung mich mit dem Reichskanzler Brüning wiederholt auf das nachdrücklichste unterhalten und ihn beschworen, er möge doch bei seiner Kabinettsbildung und bei seiner Kabinettsweiterführung die Nationalsozialisten in das Reichskabinett hineinnehmen, weil ich glaubte, daß nur auf diesem Wege der ungeheuere Elan, die ungeheuere propagandistische Wucht, die ich bei Hitler bemerkt hatte, eingefangen und gebändigt werden könnte, dadurch, daß man sie an praktische Regierungsaufgaben heranführte. Man solle sie nicht in der Opposition lassen, wo sie immer gefährlich werden könnten, sondern man solle sie in die Regierung hineinnehmen und sehen, was sie innerhalb der Regierung leisten könnten und ob sie sich dort nicht abschleifen würden. Das war der Vorschlag und die dringende Bitte, die ich an Brüning machte. Ich bemerkte, daß Hitler damals durchaus bereit gewesen war, nach meinem Eindruck. Brüning war für eine solche Politik unter keinen Umständen zu haben und geriet nachher unter die Räder.

DR. DIX: Bleiben wir einmal einen Moment bei der Partei stehen. Die Anklageschrift bezeichnet Sie ja als Parteimitglied. Nun hat ja Göring bereits ausgesagt, daß Hitler die Verleihung des Goldenen Parteiabzeichens nur als eine Art Ordensverleihung angesehen hat. Haben Sie dieser Aussage Görings irgend etwas hinzuzufügen, etwas Neues?

SCHACHT: Ich weiß nicht, ob es hier erwähnt worden ist: das Goldene Parteiabzeichen wurde damals im Jahre 1937 allen Ministern gegeben und auch den im Kabinett vertretenen Militärs. Die Militärs konnten gar keine Parteimitglieder werden, infolgedessen war mit dieser Verleihung auch gar keine Mitgliedschaft verbunden. Das andere, glaube ich, hat der Mitangeklagte Göring hier als Zeuge ausgesagt. Vielleicht kann ich noch eines erwähnen: wenn ich Parteimitglied gewesen wäre, so wäre bei meinem Hinauswurf als Minister ohne Portefeuille im Januar 1943 ganz zweifellos das Parteigericht in Aktion getreten; denn es wäre ja eine Insubordination gegenüber Hitler zutage gekommen. Ich bin niemals vor das Parteigericht gefordert worden, und auch als mir bei diesem Hinauswurf das Goldene Parteiabzeichen abgefordert wurde, hat man nicht gesagt, »Sie werden aus der Partei entlassen«; denn ich war gar nicht in der Partei drin. Man hat mir nur gesagt, »geben Sie das Ihnen verliehene Goldene Ehrenzeichen der Partei zurück.« was ich auch prompt besorgt habe.

Ich glaube, sonst wüßte ich nichts zu den früheren Äußerungen hinzuzufügen.

DR. DIX: Also wäre die Anklageschrift in diesem Punkte unrichtig?

SCHACHT: Sie ist in diesem Punkt völlig unrichtig.

DR. DIX: Warum sind Sie nicht Parteimitglied geworden?

SCHACHT: Verzeihung, ich habe mich zu einer ganzen Reihe von Punkten der nationalsozialistischen Ideologie in Widerspruch befunden. Ich glaube nicht, daß es mit meiner ganzen demokratischen Einstellung vereinbar gewesen wäre, wenn ich nun das Parteiprogramm gewechselt hätte, und zwar ein Programm, das mir zwar nicht in seinem Wortlaut, aber in der Ausführung durch die Partei im Laufe der Zeit ja doch nicht etwa sympathischer geworden ist.

DR. DIX: Also, Sie sind aus grundsätzlichen Erwägungen nicht Parteimitglied geworden?

SCHACHT: Ja, aus grundsätzlichen Erwägungen.

DR. DIX: Nun ist da von Ihnen eine Biographie von einem gewissen Dr. Reuther im Jahre 1937 erschienen. Dort wird auch der Wahrheit gemäß ausgeführt, daß Sie nicht Parteimitglied waren. Aber diese Biographie erklärt Ihren Nichteintritt in die Partei mit anderen, namentlich mit taktischen Gründen, mit der Möglichkeit, nach außen wirken zu können und so weiter. Vielleicht wäre es doch zweckmäßig, wenn Sie im Laufe der Verhandlung hierzu Stellung nehmen würden.

SCHACHT: Ich glaube, daß Hitler damals den Eindruck gehabt hat, daß ich ihm außerhalb der Partei nützen könne und daß davon vielleicht etwas bei Herrn Dr. Reuther durchgesickert ist. Im übrigen möchte ich doch bitten, mich natürlich nicht für die Auslassungen des Herrn Dr. Reuther verantwortlich zu machen; und insbesondere möchte ich mich dagegen verwahren, daß der Anklagevertreter, der hier die Anklage gegen mich mündlich vorgetragen hat, dieses Buch von Dr. Reuther als eine amtliche Darstellung bezeichnet Selbstverständlich ist dieses Buch eine reine Privatarbeit eines Journalisten, den ich durchaus schätze, der aber selbstverständlich seine eigenen Ansichten und Auffassungen hat.

DR. DIX: Haben Sie sich, Herr Dr. Schacht, vor den Juniwahlen 1932 öffentlich für Hitler betätigt?

SCHACHT: Ich habe mich vor den Juniwahlen 1932, die ja Hitler den ungeheueren Erfolg brachten, weder öffentlich noch privatim für Hitler betätigt. Es sei denn, daß ein- oder zweimal – an einmal erinnere ich mich – Hitler mir einen Parteigenossen schickte, der wirtschaftspolitische oder finanzpolitische, währungspolitische Pläne hatte; und da hat ihm Hitler wohl gesagt, er möge sich mal mit mir unterhalten, ob diese währungspolitischen Pläne durchführbar seien oder nicht. Ich kann es ganz kurz erwähnen, dieser Mann war der Gauleiter Röwer von Oldenburg. Er war bereits vor 1932... In Oldenburg waren ja die Nazis vor 1932 zur Regierung gekommen, und er war der Ministerpräsident, und er wollte ein eigenes oldenburgisches Staatsgeld einführen, was zur Folge gehabt hätte, daß auch Sachsen ein eigenes sächsisches, Württemberg ein eigenes württembergisches, Baden ein eigenes badisches – und so weiter – Staatsgeld eingeführt hätten. Ich habe mich damals über diese Sache sehr lustig gemacht und habe Hitler ein Telegramm geschickt, worin ich ihm sagte, mit solchen Wundern könne man die Wirtschaftsnöte des Deutschen Reiches nicht heilen. Wenn ich solche Fragen ausnehme, die ja eine gewisse private Verbindung darstellen könnten, so möchte ich sagen, daß ich mich weder privatim noch öffentlich in Rede oder Schrift irgendwie um Hitler oder seine Partei gekümmert habe und bin in keiner Weise für die Partei empfehlend eingetreten.

DR. DIX: Haben Sie denn nun im Juni 1932 nationalsozialistisch gewählt?

SCHACHT: Nein, ich denke gar nicht daran.

DR. DIX: Die Anklage stellt nun eine Reihe von Punkten auf, aus denen sie Ihre Anhängerschaft an die nationalsozialistische Ideologie beweisen will. Ich nenne sie Ihnen im einzelnen und bitte Sie dann, im einzelnen zu ihnen Stellung zu nehmen. Zunächst einmal: Sie wären ein Gegner des Vertrages von Versailles gewesen. Wollen Sie sich hierzu äußern?

SCHACHT: Es hat mich etwas in Erstaunen versetzt, diesen Vorwurf gerade aus dem Munde eines amerikanischen Anklagevertreters hier vorgetragen zu hören. Der Leutnant, der da gesprochen hat, ist vielleicht zu jung, um es noch selbst erlebt zu haben, aber er könnte es doch aus dem Unterricht wissen; jedenfalls für uns alle, die wir es damals erlebt haben, war es eines der größten Ereignisse, daß der Versailler Vertrag von Amerika abgelehnt wurde, und zwar, wenn ich mich nicht irre, mit einer überwältigenden Zustimmung des gesamten amerikanischen Volkes, und zwar aus genau den gleichen Gründen, aus denen ich den Vertrag ablehnte: nämlich, weil er im Widerspruch zu den feierlich vereinbarten vierzehn Punkten Wilsons stand und weil er auf wirtschaftspolitischem Gebiet Unsinnigkeiten enthielt, die sich zweifellos nicht zugunsten der Weltwirtschaft auswirken konnten. Ich würde deshalb aber nicht das amerikanische Volk der Anhängerschaft an die Nazi-Ideologie bezichtigen.

DR. DIX: Die Anklage behauptet ferner, daß Sie schon lange ein deutscher Nationalsozialist, also nicht nur ein deutscher Patriot, sondern ein deutscher Nationalist und Expansionist gewesen wären. Wollen Sie sich bitte dazu äußern?

SCHACHT: Sie haben selber durch die Hervorhebung des Wortes »Patriot« schon die Notwendigkeit anerkannt, sich darüber klarzuwerden, was ein Nationalist ist. Ich bin immer stolz darauf gewesen, einem Volke anzugehören, das seit mehr als tausend Jahren zu den führenden Kulturnationen der Welt gehört. Ich bin stolz darauf gewesen, einem Volke anzugehören, das der Welt Männer geschenkt hat wie Luther, Kant, Goethe, Beethoven, um nur diese zu nennen. Ich habe unter Nationalismus immer verstanden das Bestreben eines Volkes, durch sittliche Haltung und durch geistige Leistung anderen Völkern Vorbild zu sein und eine Führerstellung auf geistigem und kulturellem Gebiet zu behaupten.

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Ich glaube, wir kommen sehr weit von den eigentlichen Beschuldigungen in diesem Falle ab, was namentlich dann zu erkennen ist, wenn man den von der Anklagebehörde eingenommenen Standpunkt im Auge behält. Wir erheben keine Anklage gegen Dr. Schacht, weil er den Versailler Vertrag bekämpft hat. Wir räumen jedem deutschen Bürger das Recht ein, dies mit allen Mitteln außer Krieg zu tun. Wir wollen hier bloß herausfinden, was seine Einstellung war in Bezug auf die Beschuldigung, den Krieg vorbereitet und entfesselt zu haben.

Es scheint mir völlig falsch, hier philosophische Fragen getrennt von der Kriegsbeschuldigung zu behandeln. Ich versichere dem Gerichtshof, daß wir nicht beabsichtigen, Widerstand gegen den Vertrag von Versailles als ein Verbrechen anzusehen. Viele Amerikaner haben dies auch getan. Es ist auch kein Verbrechen, ein deutscher Patriot zu sein. Das Verbrechen ist das, das in der Anklageschrift beschrieben ist, und ich glaube, daß wir sehr weit davon abgekommen sind und nur Zeit vergeuden.

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Was haben Sie dazu zu sagen?

DR. DIX: Ich habe sehr gern und sehr freudig gehört, was Justice Jackson jetzt gesagt; hat. Aber ich muß aus Wallenstein zitieren: »Vor Tische las man's anders«. Es war ganz zweifelsfrei – einmal habe ich sogar, weil ich glaube, mißverstanden zu haben, rückgefragt –, daß der verbrecherische Charakter des Parteiprogramms, der verbrecherische Charakter des Inhalts in »Mein Kampf«, die an sich schon zu beanstandende, zum mindesten aber für die später begangenen Verbrechen kennzeichnende Gegnerschaft gegen Versailles, des weiteren der Vorwurf, Expansionist und Nationalist gewesen zu sein, wiederholt in den bisherigen Verhandlungen Dr. Schacht vorgeworfen worden sind zur Untermauerung der gegen ihn erhobenen Anklage.

Wenn also jetzt Justice Jackson in dankenswerter Offenheit erklärt: Wir machen Dr. Schacht nicht nur keinen Vorwurf daraus, daß er den Vertrag von Versailles abgelehnt hat, wir behaupten nicht, daß er mehr als ein Patriot, nämlich ein Nationalist in dem beschriebenen Sinne gewesen ist, wir argumentieren auch nicht dahin, daß aus diesen unseren Behauptungen gefolgert werden kann, daß eine spätere Mitarbeit, finanzielle Mitarbeit am Rüstungsprogramm, ein indizielles Beweismittel für seinen Dolus, einen Angriffskrieg führen zu helfen, ist, wenn das jetzt von der Anklage eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, dann bin ich vielen Fragen, die ich an sich hier in meinen Fragenkomplex aufnehmen wollte, enthoben; ich verzichte dann gerne auf das Thema des Expansionisten und Nationalisten. Über Expansionisten haben wir zwar noch nicht gesprochen, hat auch Justice Jackson noch nicht gesprochen; ich glaube zwar nicht, daß die Anklage den Vorwurf des Expansionismus, welcher ja eine Erweiterung des deutschen Lebensraumes in Europa bedeutet, zurücknehmen wird; ich weiß es nicht, aber wir werden es ja hören; wie gesagt, wenn diese eben gemachten Vorwürfe zurückgenommen werden, dann kann ich auf die Fragen verzichten und mein Klient kann auf die Beantwortung verzichten.

JUSTICE JACKSON: Natürlich habe ich keine solche Erklärung abgegeben, wie Dr. Dix annimmt. Ich habe zu Beginn klar ausgeführt, und es ist auch jetzt klar, daß es Schachts gutes Recht war, gegen den Versailler Vertrag zu sein, ein deutscher Nationalist zu sein und diese Ziele mit allen Mitteln außer Krieg zu verfolgen. Ich will aber nicht, daß mir die sehr weitgehenden Erklärungen des Herrn Dr. Dix in den Mund gelegt werden. Ich habe am Anfang deutlich erklärt, daß diese Dinge: Versailler Vertrag, Nationalismus und Lebensraum, als politische und philosophische Angelegenheiten nicht durch diesen Gerichtshof zu entscheiden sind. Wir verlangen nicht, daß Sie uns sagen, ob der Versailler Vertrag ein gerechtes Dokument war oder nicht. Es war ein Dokument. Jedermann hatte das Recht, alles zu tun, um davon loszukommen, alle Mittel außer Krieg anzuwenden.

Dr. Schacht ist beschuldigt, die Erreichung dieses Zieles durch einen Angriffskrieg wissentlich vorbereitet zu haben. Das ist der Hauptanklagepunkt gegen ihn.

DR. DIX: Dann besteht also zu diesem Punkte...

VORSITZENDER: Ich glaube, die Stellung der Anklagebehörde war von Anfang an klar, nämlich, daß alle diese Dinge nur im Zusammenhang mit der Absicht, Krieg zu führen, zu betrachten sind.

DR. DIX: Sehr richtig. Aber als Indiz für den Kriegführungsdolus; wenn diese Dinge jetzt von der Anklage nicht mehr als Indiz, das heißt als indirektes Beweismittel für den Dolus eines aggressiven Krieges, verwendet werden – worüber sich Justice Jackson noch nicht geäußert hat –, dann kann ich auf diese Erörterung verzichten. Aber darüber scheint doch kein Zweifel zu sein – ich glaube nicht, daß ich darüber die Anklage mißverstehen konnte –, daß sie bei ihrer Beweisführung des bösen Trachtens Dr. Schachts auf einen Aggressivkrieg, auf diese Gegnerschaft gegen den Versailler Vertrag, auf den Nationalismus, auf den Expansionismus und die Erweiterung des Lebensraums Bezug genommen hat. Wir wollen hier keine akademischen und theoretischen Ausführungen über die Begriffe Lebensraum und Nationalismus machen; aber solange die Anklage aus diesen Dingen, deren abstrakte Berechtigung in der Person meines Klienten sie anerkennt, schließt, daß sie mit ein Grund und ein Beweis für seinen Dolus waren, solange muß mein Mandant die Möglichkeit haben, dem Tribunal zu sagen, was er denn zum Beispiel unter Lebensraum verstanden hat, wenn er einmal von ihm gesprochen haben sollte, was ich aber noch nicht weiß. Aber ich glaube trotzdem, daß zwischen Justice Jackson und mir noch eine kleine Unklarheit besteht und ich auch nicht ganz dem folgen kann, was Euer Lordschaft gesagt haben...

VORSITZENDER: Sie haben ihn über seine Ansichten über Nationalismus befragt. Das, was Sie fragten, nämlich seine Ansichten über Nationalismus, scheint eine Zeitverschwendung zu sein.

DR. DIX: Ich habe ihm vorgehalten, daß die Anklage gesagt hat, er sei ein Nationalist und ein Expansionist gewesen und daß die Anklage daraus gefolgert hat, daß er einen Angriffskrieg geplant habe, als er die Rüstung finanziert habe; da muß er natürlich dartun, daß er wohl...

VORSITZENDER: Justice Jackson hat ausgeführt, daß die Anklagebehörde niemals behauptet hat, daß er einfach Ansichten eines Nationalisten und eines Expansionisten gehabt, sondern daß er diese Ansichten gehabt und beabsichtigt habe, Krieg zu führen, um die Verwirklichung dieser Ansichten durchzusetzen.

DR. DIX: Richtig, Euer Lordschaft! Aber es wird behauptet, daß diese Ansichten unter anderem ein Beweis dafür seien, daß er die Absicht gehabt habe, Krieg zu führen, also das, was wir Juristen als Indiz, ein Indiz für seinen Kriegführungsdolus nennen; solange nicht diese Argumentation – es ist kein Vorwurf, den Justice Jackson jetzt mehr erhebt, es ist eine Argumentation der Anklage –, solange die Anklage nicht diese Argumentation...

VORSITZENDER: Darüber besteht kein Streit. Er gibt zu, daß er diese Ansichten vertreten hat. Es ist deshalb völlig unnötig, darauf einzugehen. Die Anklagebehörde sagt, er habe diese Ansichten vertreten. Er selbst gibt zu, diese Ansichten vertreten zu haben. Die einzige Frage ist: Vertrat er sie mit der harmlosen Absicht, sie auf friedlichem Wege durchzusetzen, oder hatte er die behauptete verbrecherische Absicht, sie durch einen Krieg durchzusetzen?

DR. DIX: Ich möchte hierzu nichts mehr sagen; nur das eine – Expansionismus – ist noch nicht erörtert. Sollte Dr. Schacht expansionistische Bestrebungen gehabt haben, so würde Justice Jackson bestimmt nicht sagen, daß er diese nicht beanstandet. Deshalb...

VORSITZENDER: Dr. Dix! Ich glaube, Sie können ihn über Expansionisten befragen, über seine Gedanken, was Expansionisten sind und was er unter Expansionismus verstanden hat. Im übrigen scheint es mir, daß Sie genau das beweisen, was die Anklagebehörde bewiesen hat.

DR. DIX: Entspricht durchaus meiner Meinung. Also Herr Dr. Schacht, waren Sie...

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.