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[Pause von 10 Minuten.]

DR. DIX: Wie standen Sie zum Führerprinzip? Erkannten Sie nicht in ihm die Gefahr eines Blankowechsels und die Gefahr des Verlustes der eigenen Verantwortlichkeit? Sie haben ja gehört, daß Sir David das Führerprinzip als solches schon für verbrecherisch hält.

SCHACHT: Ob das Führerprinzip verbrecherisch ist oder nicht, darüber sind die Meinungen in der Geschichte sehr geteilt gewesen. Wenn wir zurückgehen in die römische Geschichte, so sehen wir, daß immer von Zeit zu Zeit in großer Not des Landes ein Führer erwählt wurde, dem sich alles unterordnete, und wenn ich heute die »Failure of a Mission« – »Fehlschlag einer Mission« – von Henderson lese, so finde ich auch da Sätze, wo er sagt, ich zitiere:

»People in England sometimes forget and fail to realize that even dictators can be up to a point, necessary for a period and even extremely beneficial for a nation.«

»In England vergißt man manchmal und man wird sich nicht darüber klar, daß sogar Diktatoren zu einem gewissen Grade für eine Zeitdauer notwendig, ja für eine Nation außerordentlich wertvoll sein können.«

An anderer Stelle sagt er in demselben Buch:

»Dictatorships are not always evil.« – »Eine Diktatur ist nicht immer etwas Schlechtes.«

Mit anderen Worten, es kommt darauf an, was man einem Führer anvertraut, wer ihm vertraut und wie lange ihm vertraut wird. Es ist natürlich eine völlige Unmöglichkeit, daß jemand die Führung eines Landes an sich reißt, ohne von Zeit zu Zeit dem Volke die Möglichkeit zu geben, sich darüber zu äußern, ob es ihn noch als Führer behalten will, oder nicht. Die Wahl Hitlers zum Führer war an sich kein politischer Fehler. Man konnte sie meines Erachtens mit einer ganzen Reihe von Kautelen umgeben, um die Gefahr abzuwenden, von der sie, Herr Anwalt, gesprochen haben, und ich muß beider sagen, man hat das nicht getan, und das war ein schwerer Fehler. Aber man konnte sich vielleicht auch darauf verlassen, daß eben von Zeit zu Zeit eine Wahl, ein neuer Ausdruck des Willens des Volkes erfolgen könnte, durch die der Führer korrigiert werden könnte, denn ein Führer der nicht korrigiert werden kann, wächst sich natürlich zu einer Gefahr aus. Ich habe diese Gefahr sehr wohl gesehen und habe sie auch gefürchtet und habe versucht, ihr zu begegnen.

Darf ich noch eines sagen: Eine uferlose Parteipropaganda hat dann versucht, den Gedanken des Führers als ein Prinzip in die Politik einzuführen, das heißt als ein dauerndes Prinzip. Das ist natürlich ein kompletter Unsinn, und ich habe Gelegenheit genommen, wie ich immer Gelegenheit genommen habe, meine abweichenden Ansichten öffentlich bekanntzugeben, wenn es mir möglich war. Ich habe Gelegenheit genommen, in einem Vortrag vor der Akademie für Deutsches Recht, in der nicht nur Nazis, sondern auch sonstige Juristen aller Klassen vereinigt waren, einen Vortrag zu halten über das Führerprinzip in der Wirtschaft und habe mich dabei ironisch und satirisch, wie es leider nun einmal meine Art ist, dahin ausgesprochen, daß man nicht in jeder Strumpffabrik einen Führer gebrauchen könne, sondern daß dieses Prinzip kein Prinzip sei, sondern eine Ausnahmeregel, die man sehr sorgfältig handhaben müßte.

DR. DIX: Das weiß ich, denn ich war bei diesem Vortrag dabei. Was hielten Sie von der Herrenrassen- Ideologie?

SCHACHT: Ich habe es stets für ein unerfreuliches Vorbild gehalten, wenn von der Vorstellung eines auserwählten Volkes oder von Vorstellungen, wie »Gods own country« und dergleichen die Rede war. Als überzeugter Vertreter des christlichen Glaubens stehe ich auf dem Boden der christlichen Nächstenliebe, die ich allen Menschen ohne Rücksicht auf Rasse oder Glauben entgegenzubringen habe. Ich möchte auch bemerken, daß dieses Geschwafle von der Herrenrasse, was sich einige Parteiführer zu eigen gemacht haben, von der deutschen Öffentlichkeit sehr stark der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Das war ja auch kein Wunder, denn die meisten Führer der Hitler-Partei waren ja nicht gerade Idealtypen der nordischen Rasse, und ich weiß, daß beispielsweise der kleine Goebbels in der Bevölkerung, wenn auf diese Dinge die Rede kam, umlief unter der Bezeichnung der »Schrumpfgermane«. Nur eines – das möchte ich, um gerecht zu sein, hier sagen – hatten die meisten Führer der Partei mit den alten Germanen gemeinsam: »Sie tranken immer noch eins.« Die Trunksucht war ein Hauptbestandteil der Naziideologie.

DR. DIX: Was hielten Sie überhaupt von der sogenannten nationalsozialistischen Weltanschauung?

SCHACHT: Eine Weltanschauung ist nach meiner Auffassung eine Zusammenfassung derjenigen sittlichen Grundsätze, von denen aus ich ein sicheres Urteil gewinnen kann gegenüber allen Erscheinungen der Welt. Infolgedessen ist es ganz selbstverständlich, daß eine Weltanschauung nicht in der Welt wurzeln kann, sondern sich über die Welt erheben muß. Sie ist etwas Metaphysisches, das heißt sie wurzelt in der Religion, und jede Weltanschauung, die nicht in der Religion wurzelt, ist meines Erachtens überhaupt keine Weltanschauung. Infolgedessen lehne ich die nationalsozialistische Weltanschauung, die nicht in der Religion wurzelt, ab.

DR. DIX: In dem Trialbrief gegen Sie wird ausdrücklich bemerkt, daß Ihnen in der Judenfrage keine Vorwürfe gemacht werden sollen. Trotzdem muß ich an Sie auch bezüglich dieses Komplexes einige wenige Fragen stellen, weil in dem gleichen Trialbrief mit der anderen Hand Ihnen wieder genommen wird, was Ihnen die eine Hand in der Judenfrage zugibt, indem nämlich die andere Hand Ihnen in diesem Trialbrief wiederholt Naziideologie vorwirft und mit Nazi-Ideologie ja untrennbar Antisemitismus strengster Observanz verbunden ist.

JUSTICE JACKSON: Ich kann ganz einfach nicht stillschweigen, wenn ich diese flagrant falsche Auslegung unserer Stellungnahme im Zusammenhang mit der Aussage dieses Zeugen höre. Es ist nicht wahr, daß wir keine Anklage erheben gegen Dr. Schacht bezüglich der Judenfrage. Wahr ist, daß wir sagen, daß er mit den Punkten des Nazi-Parteiprogramms, welche sich auf die völlige Ausrottung der Juden bezogen, nicht ganz übereinstimmte. Und aus diesem Grunde wurde er von Zeit zu Zeit angegriffen. Wir sehen weiter zu, daß er einzelnen Juden Hilfe und Unterstützung gab; aber wir behaupten, daß er der Ansicht war, die deutschen Juden sollten ihrer bürgerlichen Rechte enthoben werden und daß er ihre Verfolgung unterstützt hat und daran beteiligt war. Ich möchte nicht, daß unsere Einstellung in ein falsches Licht gerückt wird und wir dann später beschuldigt werden, durch Stillschweigen eine Richtigstellung versäumt zu haben.

DR. DIX: Ich danke, Justice Jackson, für diese Aufklärung. Um so mehr ist es ja notwendig, daß ich diese Fragen an Dr. Schacht stelle. Ich darf nur das Gericht hier in diesem Moment...

VORSITZENDER: Bitte dann stellen Sie sie...

DR. DIX: Euer Lordschaft! Es handelt sich nicht um die Frage, sondern es handelt sich um ein Problem, das ich die Anklage bitten würde, zu diesem Zeitpunkt klarzustellen; es bedarf der Klarstellung auch nach den Worten von Mr. Jackson. Wenn es dem Gericht jetzt nicht genehm ist, daß ich das jetzt tue – ich glaube es ist jetzt der richtige Moment –, dann würde ich es gern später tun. Aber ich glaube, ich bringe das jetzt vor. Es handelt sich nämlich um einen Widerspruch innerhalb der Anklage, wenigstens ich kann nur einen Widerspruch darin sehen, und ich wollte Aufklärung gewinnen, damit wir nicht dann in den Schlußplädoyers aneinander vorbeiplädieren.

Ich kann es ja kurz sagen: Es handelt sich um die Frage, ob Dr. Schacht auch Humanitätsverbrechen vorgeworfen werden. Also nicht bloß Verbrechen der conspiracy bezüglich des Aggressivkriegs, sondern auch die typischen Humanitätsverbrechen; und da weichen die einzelnen Stellen sowohl der Anklage wie auch des mündlichen Anklagevortrages voneinander ab. Ich wollte mir nur erlauben, auf diese widerspruchsvollen Stellen zunächst hinzuweisen und dann die Anklage zu bitten, später einmal abschließend zu erklären, ob sie die Anklage gegen Schacht auch zu Punkt 3 und 4 der Anklage erhebt. In der mündlichen Anklagerede sagte der Anklagevertreter, und das spricht dafür, daß die Anklage sich beschränken will auf die Punkte 1 und 2. Er sagt: Unser Beweismaterial gegen den Angeklagten Schacht beschränkt sich auf die Planung und Vorbereitung des Angriffskriegs und seine Teilnahme an der Verschwörung zum Angriffskrieg.

Ganz gleiche Ausführungen enthält Seite 3 des Trialbriefs. Ebenso ist ja in der Anlage A der Anklage die Anklage gegen Schacht beschränkt auf die Punkte 1 und 2. Nun aber steht auf Seite 1 der Anklageschrift folgendes:

»... beschuldigen die obengenannten Regierungen der Verbrechen gegen den Frieden, der Verbrechen gegen das Kriegsrecht und der Verbrechen gegen die Humanität in dem im folgenden erörterten Sinn und eines gemeinsamen Planes und einer Verschwörung zur Begehung dieser Verbrechen.«

Und dann werden alle Angeklagten aufgeführt, auch der Angeklagte Hjalmar Schacht.

Und auf Seite 17 der Anklageschrift des deutschen Textes, Seite 17, steht:

»Auf Grund des Vorhergehenden sind die Angeklagten« – also alle Angeklagten – »... schuldig.«

Für alle. Da sind wieder Punkt 1, 2, 3, 4 gemeint. Und ebenso heißt es auf Seite 18 der Anklageschrift:

»Sämtliche Angeklagten begingen vom 1. September 1939 bis 8. Mai 1945 Kriegsverbrechen in Deutschland und in allen von deutschen Truppen seit dem 1. Septem ber 1939 besetzten Ländern und Gebieten und in Österreich, der Tschechoslowakei, Italien und auf hoher See.«

Und auf Seite 46 heißt es:

»In einer Reihe von Jahren vor dem 8. Mai 1945 haben sämtliche Angeklagte Verbrechen gegen die Humanität in Deutschland...« und so weiter.

Also einzelne Teile des mündlichen und des schriftlichen Anklagevortrages sprechen für eine Beschränkung der Anklage gegen Schacht auf die Punkte 1 und 2, andere Stellen dagegen bringen unmißverständlich zum Ausdruck, daß er auch der Verbrechen gegen die Humanität angeklagt wird.

Ich glaube, es wäre nützlich – es braucht ja nicht gleich geschehen, ich wollte es aber vorsorglich jetzt schon sagen –, wenn die Anklage bei passender Gelegenheit erklären würde, in welchem Umfange nunmehr die Anklage gegen Schacht erhoben gilt.

JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender! Es nimmt nur einen Moment in Anspruch, dies zu beantworten. Ich denke, daß das Kreuzverhör, das heißt, das Verhör nicht mit irgendeinem Mißverständnis weitergeführt werden sollte.

Immer und in allen Dokumenten, die mir bekannt sind, ist der Angeklagte Schacht der Schuld des Anklagepunktes 1 bezichtigt.

Anklagepunkt 1 behauptet, daß der allgemeine Plan oder die Verschwörung die Begehung von Verbrechen umfaßte, indem die Angeklagten Angriffskriege planten, vorbereiteten und entfesselten. Bei der Entwicklung und im Verlauf dieses gemeinsamen Planes kam es zum Begehen von Kriegsverbrechen, denn der Plan sah rücksichtslose Angriffskriege vor, die die Angeklagten beschlossen und auch durchführten. Das schließt auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.

Wir behaupten hier, daß, obgleich der Angeklagte Schacht die einzelnen Verbrechen nicht im Felde begangen hat, er doch für alle Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden muß, die von einem der Angeklagten oder deren Mitverschwörern begangen wurden, und zwar bis zu der Zeit, als er öffentlich mit dieser Gruppe, mit der er sich verbündet hatte, brach.

Das ist unser Standpunkt. Herr Dr. Dix sollte sein Verhör unter der Annahme durchführen, daß jeder Anklagepunkt auch für Schacht gilt, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, wo er öffentlich und dokumentarisch – so daß es jedermann bekannt war – sich von dieser Gesellschaft, der er sich angeschlossen hatte, lossagte.

DR. DIX: Wahrscheinlich liegt es an mir. Aber ich sehe noch nicht ganz klar. Erstens weiß ich nicht, welcher Zeitpunkt dann von der Anklage angenommen wird, von dem die Anklage einräumt, daß Schacht offen mit dem Regime gebrochen hat. Ich müßte also, wenn ich meine Examination...

VORSITZENDER: Ich denke, daß es an Ihnen ist, den Zeitpunkt festzusetzen, an dem er mit diesem Regime öffentlich gebrochen hat. Können Sie mich nicht hören?

DR. DIX: Ich soll mich jetzt entschließen?

VORSITZENDER: Ja. Ich glaube es ist besser, wenn Sie mit der Beweisaufnahme fortfahren.

DR. DIX: Gut, ich darf ja später nochmal darauf zurückkommen.