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[Zum Zeugen gewandt:]

Entschuldigen Sie bitte. Fahren Sie bitte fort, wenn Sie darauf noch etwas antworten wollen.

SCHACHT: Als ich im August 1934 die Leitung des Reichswirtschaftsministeriums übernahm, habe ich selbstverständlich zunächst an Hitler die Frage gerichtet: Wie sollen die Juden in der Wirtschaft behandelt werden? Hitler hat mir damals wörtlich erwidert: In der Wirtschaft können die Juden sich genau so betätigen wie bisher.

Dieses war die Richtlinie, die mir Hitler zugesagt hatte, und ich habe mich in der ganzen Zeit meiner Führung des Wirtschattsministeriums in diesem Sinne verhalten. Ich muß allerdings sagen, daß es nahezu alle paar Wochen einen Krach mit irgendeinem Gauleiter oder sonstigen Parteifunktionär gab in irgendeiner jüdischen Frage. Auch konnte ich die Juden natürlich nicht vor körperlichen Mißhandlungen und dergleichen schützen, weil dies unter die Zuständigkeit des Staatsanwalts fiel und nicht in mein Ressort; aber auf wirtschaftlichem Gebiet habe ich allen Juden, die sich an mich wandten, zu ihrem Recht verholfen und habe mich in jedem einzelnen Fall, wo ich allerdings manchmal mit meinem Rücktritt drohen mußte, bei Hitler gegen die Gauleiter und Parteifunktionäre durchgesetzt, und ich glaube es ist bemerkenswert, daß der Pogrom vom November 1938 erst stattfinden konnte, nachdem ich auch aus meinem Amte geschieden war. Wäre ich noch im Amte gewesen, so wäre dieser Pogrom zweifellos nicht erfolgt.

DR. DIX: Der Zeuge Gisevius hat bereits bekundet, daß im Laufe der Entwicklung ab 1933 Ihre Beurteilung Adolf Hitlers polaren Wandlungen unterlegen ist. Ich bitte Sie, dem Tribunal, weil dies eine sehr entscheidende Frage ist, eine eingehende Darstellung Ihrer inneren Einstellung und Ihrer Beurteilung Adolf Hitlers im Laufe der Jahre zu geben, so erschöpfend wie möglich, aber auch so kurz wie möglich.

SCHACHT: Ich habe Hitler in meinen früheren Ausführungen hier als einen halbgebildeten Mann bezeichnet und halte daran auch fest. Er hat keine ausreichende Schulbildung genossen, aber er hat nachher unendlich viel gelesen, hat sich ein großes Wissen angeeignet und jonglierte mit diesen Kenntnissen in einer virtuosen Weise in allen Debatten und Vorträgen. Er war zweifellos ein genialer Mensch in gewisser Beziehung. Er hatte Einfälle, auf die ein anderer nicht kam, und die geeignet waren, zuweilen aus großen Schwierigkeiten durch verblüffende Einfachheit, manchmal auch durch verblüffende Brutalität, aber doch sicher herauszuführen. Er war ein Massenpsychologe von geradezu diabolischer Genialität.

Während ich und einige andere – beispielsweise hat mir der General von Witzleben das einmal bestätigt – uns in seinen persönlichen Unterhaltungen mit uns niemals fangen ließen, so hat er doch auf andere Menschen einen ganz merkwürdigen Einfluß ausgeübt, und es war ihm namentlich – trotz seiner krächzenden Stimme – und trotz seines Überschlagens im Ton – möglich, große Massen in einem gefüllten Saal zu der unbändigsten Begeisterung zu erwecken. Ich glaube, daß er ursprünglich nicht von nur schlechten Trieben erfüllt war. Er hat ursprünglich zweifellos geglaubt, etwas Gutes zu wollen; aber er ist nach und nach diesem Zauber, den er auf die Massen ausübte, selber erlegen; denn wer sich in diese Massenverführung hineinbegibt, wird letzten Endes von der Masse geführt und verführt, und so hat ihn dieses Wechselspiel von Führer und Geführten meines Erachtens mit auf die schlechte Bahn der Masseninstinkte gezogen, von der sich jeder politische Führer freihalten sollte.

Noch eins war an Hitler bewundernswert. Er war ein Mann von einer unbeugsamen Energie, von einem Willen, der alle Widerstände über den Haufen rannte. Nur diesen beiden Eigenschaften der Massenpsychologie und seiner Willensenergie verdankte Hitler meines Erachtens, daß er bis zu 40 Prozent und nachher beinahe 50 Prozent des ganzen deutschen Volkes hinter sich scharen konnte.

Was soll ich sonst noch sagen?

DR. DIX: Ja, mir kam es hauptsächlich darauf an, Ihre eigene Meinungswandlung klarzustellen. Sie haben ja bekundet, daß der Bruch Ihrer Stellungnahme zu Hitler in der Fritsch-Affäre lag, und Sie sind ja nun der berufenste Zeuge dafür, Ihre eigene Entwicklung, nicht diejenige Hitlers, Ihre eigene Entwicklung Hitler gegenüber darzustellen.

SCHACHT: Verzeihen Sie, ich glaube, hier liegt ein grundlegender Irrtum vor, und zwar der Irrtum, als ob ich jemals ein überzeugter Anhänger Hitlers gewesen wäre; das bin ich nie gewesen, im Gegenteil; ich habe vielmehr aus Sorge um mein Volk und um mein Land, nachdem Hitler die Macht erlangt hatte, meine Kraft dafür eingesetzt, diese Macht, diesen Strom in ein geordnetes Bett zu lenken und in einem geordneten Bette zu halten. Infolgedessen konnte ich auch nicht irgendeinen Bruch mit Hitler vollziehen; ein Bruch wäre ja nur dagewesen, wenn ich vorher mit ihm verbunden gewesen wäre. Ich bin innerlich nie mit Hitler verbunden gewesen; aber ich habe äußerlich in seinem Kabinett gearbeitet, weil er nun einmal an der Macht war und weil ich es für meine Pflicht hielt, meine Kraft im Sinne des Guten für mein Volk und mein Land einzusetzen.

DR. DIX: Gut, wann entschlossen Sie sich dann aber und durch welche Umstände, durch welche Erkenntnis wurden Sie beeinflußt, um nunmehr diejenige Aktivität zu entfalten, die der Zeuge Gisevius geschildert hat?

SCHACHT: Meine ernste Kritik des Hitlerschen Verhaltens setzte bereits ein bei dem sogenannten Röhm- Putsch am 30, Juni 1934. Ich habe damals – ich bemerke zunächst, daß diese Dinge ganz unerwartet und von mir gar nicht vorausgesehen über mich gekommen sind – ich habe damals Hitler gesagt: Wie konnten Sie nur diese Leute einfach abschießen lassen? Sie hätten unter allen Umständen zum mindesten irgendein Schnellgericht einsetzen müssen. Hitler hat diese Bemerkungen, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, eingesteckt und hat nur etwas von revolutionären Notwendigkeiten und dergleichen gemurmelt, aber er hat mir nicht eigentlich widersprochen.

Ich habe dann im Laufe der zweiten Hälfte des Jahres 1934 und der ersten Hälfte des Jahres 1935 bemerkt, daß meine Vorstellung falsch war, wenn ich glaubte, daß all das, was als revolutionäre Unbotmäßigkeit, als revolutionäres Übermaß seitens der Parteikreise hingestellt wurde, von Hitler nicht gebilligt würde, und daß Hitler auch gewillt sei, diese Dinge in eine ordentliche Atmosphäre zurückzuführen. Hitler hat nichts getan, um die Übergriffe der einzelnen Parteileute und Parteigruppen abzustellen. Er hatte wahrscheinlich immer die Idee, die hier neulich oder heute, glaube ich, von einem Zeugen erst geäußert worden ist; die SA soll sich mal austoben, das heißt, er gab den breiten Massen der Partei gewisse Dinge als Volksvergnügen frei, Dinge, die sich mit einem geordneten Staatswesen unter keinen Umständen vereinigen lassen. Dieser Argwohn hat sich im Laufe der Monate bei mir ständig gesteigert, und ich habe dann schon erstmals im Mai 1935 Veranlassung genommen, ganz offiziell diese Dinge bei ihm zur Sprache zu bringen. Ich weiß nicht, ob Sie auf diese Dinge jetzt kommen wollen, dann bin ich bereit, sie zu erzählen.

DR. DIX: Mir kommt es darauf an, daß das Tribunal von Ihnen erfährt, wie Sie von Ihrer ursprünglichen Stellungnahme Hitler gegenüber, die Sie eben geschildert haben, dann zu einem Verschwörer gegen Hitler geworden sind.

SCHACHT: Die entscheidende Wendung in dieser meiner ganzen Haltung ist gekommen durch die Fritsch-Affäre in dem Augenblick, wo ich erkennen mußte, – und das ist natürlich auch nicht blitzartig, sondern im Laufe von Wochen und Monaten herauskristallisiert worden – wo ich erkennen mußte, daß Hitler auf einen Krieg ausgeht und jedenfalls doch nicht alles zu tun bereit war, um einen Krieg zu vermeiden. Ich habe mir gesagt, das ist ja eine ungeheure Gefahr, die hier auftaucht, und hier kann nur Gewalt mit Gewalt gebrochen werden. Jede Möglichkeit einer politischen Propaganda im Rahmen des deutschen Volkes war ja völlig ausgeschaltet. Es gab keine Versammlungsfreiheit, es gab keine Redefreiheit, es gab keine Schreibfreiheit, es gab nicht die Möglichkeit, sich auch nur in kleinerem Kreise zu unterhalten. Man wurde von A bis Z bespitzelt und jedes Wort, das man in einer Gruppe, die mehr als vier Augen überschritt, sagte, war lebensgefährlich. So gab es nur eine Möglichkeit, gegen diesen Terror, der jede demokratische Rektifizierung und jede vernünftige Kritik ausschaltete, Gewalt anzuwenden, und so bin ich darauf gekommen, daß gegenüber dem Hitler-Terror nur ein Coup d'état, ein Putschversuch und letzten Endes ein Attentat möglich war.

DR. DIX: Und ist die Bekundung Gisevius' richtig, daß sozusagen die Peripetie, der entscheidende Umschwungsmoment Ihrer Eindrücke und Erfahrungen während der sogenannten Fritsch-Krise gewesen ist?

SCHACHT: Die Fritsch-Krise gab, abgesehen von der inneren. Verlogenheit, die aus allen Vorgängen und Maßnahmen der Parteileute hervorging, die absolute Gewißheit, daß hier ein grundsätzlicher Wandel in der politischen Führung vorlag dadurch, daß innerhalb von etwa 10 Tagen Blomberg beseitigt wurde, Fritsch beseitigt wurde, Neurath beseitigt wurde und daß Hitler nicht nur einen in der Außenpolitik so ungeeigneten Mann wie von Ribbentrop beriet, sondern auch in einer bald darauffolgenden Rede im Reichstag verkündete, daß nunmehr mit noch größerer Kraft gerüstet werden müsse. Infolgedessen ist diese Fritsch- Krise der entscheidende Wendepunkt in meiner Einstellung gewesen, daß irgendein weiterer Versuch auf gütlichem Wege, dieses Wildwasser in ein geordnetes Bett zu bringen, versagen mußte und daß man hier nur mit Gewaltmitteln dagegen vorgehen konnte.

DR. DIX: Ich darf, wegen der Beurteilung der Fritsch-Krise, auch hier wieder aus dem Urkundenbeweis die Urkunde vorwegnehmen, die ich schon bei der Vernehmung von Gisevius produzieren wollte und es nur nicht konnte, weil damals das Dokumentenbuch bei der Prosecution noch nicht vorlag. Dieselbe Erkenntnis über die Fritsch-Krise, die uns Gisevius und jetzt Schacht hier bekundet haben, hat auch ein kluger Offizier mit politischem Scharfblick des Auslandes gehabt. Ich darf verweisen auf Exhibit Nummer 15 meines Dokumentenbuches; es ist auf Seite 41 des englischen Textes und Seite 35 des deutschen Textes. Es handelt sich um den Zweijahresbericht des Generalstabschefs der Vereinigten Staaten an den Kriegsminister über die Zeit vom 1. 7. 1943 bis 30. 7.1945, und dort lautet ein Satz:

»Die Geschichte des deutschen Oberkommandos von 1938 an ist von ständigen persönlichen Konflikten erfüllt, in welchen sich zunehmend Hitlers persönliche Befehle gegen militärisches Urteil durchsetzten. Der erste Zusammenstoß erfolgte im Jahre 1938 und endete mit der Entlassung von Blombergs, von Fritschs und Becks und im Abschieben des letzten noch wichtigen konservativen Einflusses auf die deutsche Außenpoli tik.«

Also auch hier ist der Wendepunkt klar erkannt, und ich frage Sie nun, Dr. Schacht, zusammenfassend:

Fühlten Sie sich von Hitler nur enttäuscht, oder fühlten Sie sich damals durch Hitler getäuscht. Welche Antwort geben Sie da?

SCHACHT: Die Antwort ist die, daß ich mich nie von Hitler enttäuscht gefühlt habe, weil ich nicht mehr von ihm erwartet habe, als was man von ihm nach Kenntnis seiner Natur erwarten konnte. Ich fühlte mich aber im höchsten Maße von ihm getäuscht, belogen und betrogen, denn er hat alles, was er vorher dem deutschen Volk und damit auch mir versprochen hatte, hinterher nicht gehalten. Er versprach gleiche Rechte für alle Staatsbürger, und er gab seinen Anhängern ohne Rücksicht auf ihre Fähigkeiten viel bessere Rechte als allen anderen Staatsbürgern.

Er versprach, die Juden unter Fremdengesetzgebung zu stellen, das heißt, unter denselben Schutz, den Ausländer hatten. Er hat die Juden rechtlos und gesetzlos werden lassen.

Er versprach den Kampf gegen die politische Lüge und hat mit seinem Minister Goebbels niemals etwas anderes betrieben als politische Lüge und politischen Betrug.

Er versprach dem deutschen Volke die Festhaltung am positiven Christentum und hat es gelitten und gefördert, daß die kirchlichen Einrichtungen geschmäht, geschändet und beeinträchtigt wurden.

Er hat in außenpolitischer Beziehung jederzeit einen Zweifrontenkrieg abgelehnt und hat ihn nachher doch gemacht. Er hat alle Gesetze der Weimarer Republik, der er die Treue geschworen hat bei Antritt seines Kanzleramtes, verachtet und mißachtet.

Er hat die Gestapo gegen die persönliche Freiheit mobil gemacht. Er hat jeden freien Meinungs- und Nachrichtenaustausch durch Gewalt geknebelt und gebunden und hat Verbrecher begnadigt und in seinen Diensten gehalten. Er hat alles getan, um seine Versprechen nicht zu erfüllen. Er hat die Welt, Deutschland und mich betrogen und belogen.

DR. DIX: Kehren wir zur Zeit der Machtergreifung zurück. Sie haben im November 1932 öffentlich geäußert, daß Hitler Reichskanzler werden würde. Was veranlaßte Sie zu dieser Äußerung?

SCHACHT: Zu dieser Äußerung veranlaßte mich die Tatsache, daß Hitler bei den Juli-Wahlen 1932 40 Prozent aller Reichstagsmandate für seine Partei errang. Das ist ein Ergebnis, das, wenn ich recht unterrichtet bin, seit Bestehen des Reichstags, also seit 1871, niemals vorgekommen war. Für mich als Demokrat und Anhänger einer demokratisch-parlamentarischen Regierung war es völlig unausweichbar, daß man diesem Manne die Regierungsbildung in die Hand geben mußte. Ich wüßte nicht, was anderes hätte geschehen können. Es gab nur eine einzige andere Möglichkeit, eine Alternative, und das war ein Militärregime. Aber schon das Kabinett Papen war ja mit einigen präsidialen Vollmachten ausgestattet und konnte sich trotzdem nicht gegen das Parlament halten, und als Herr Schleicher den Versuch machte, ein Militärregime ohne die Nazis einzuführen, scheiterte er nach ganz wenigen Wochen, weil er vor die Alternative sich gestellt sah, entweder einen Bürgerkrieg zu machen oder zurückzutreten.

Hindenburg und auch Schleicher zunächst – wenn er im letzten Moment auch anders getan haben mag – waren immer vorher der Meinung, daß die Wehrmacht einen Bürgerkrieg nicht ertragen könne, und von Hindenburg war keineswegs bereit, einen Bürgerkrieg zuzulassen, sondern war notgedrungen und sehr ungerne doch in die Notwendigkeit versetzt, schließlich dem Manne die Zügel der Regierung in die Hand zu legen, der nun einmal dank seiner Agitation und dank der Unfähigkeit der vorangegangenen Regierungen, dank auch der rücksichtslosen Politik des Auslandes gegen Deutschland, die Majorität der deutschen Wähler für sich gewonnen hatte.

DR. DIX: Sie wissen, daß die Anklage Ihnen vorwirft, Hitler und dem Nazi-Regime zur Macht verhelfen zu haben. Ich muß Sie deshalb fragen, ob Sie zwischen den Juli-Wahlen 1932 und dem Tage der Kanzlerschaft Hitlers, also dem 30. Januar 1933, öffentlich für Hitler gesprochen haben?

SCHACHT: Ich stelle zunächst fest, daß Hitlers Macht im Juli 1932 mit der Erringung von 230 Reichstagsmandaten errungen war. Alles andere, was jetzt folgte, ist nur eine Folgeerscheinung dieser Reichstagswahlen. Ich habe in dieser ganzen Zeit – mit Ausnahme dieses einen Interviews, das Sie erwähnt haben, wo ich nichts weiter gesagt habe, als daß Hitler Reichskanzler werden muß auf Grund demokratischer Grundsätze und demokratischer Regeln –, ich kann sagen, ich habe während dieser ganzen Zeit kein Wort für Hitler geschrieben oder öffentlich geredet.

DR. DIX: Haben Sie sich in jener Zeit, bei der Neugestaltung des Reichskabinetts, bei Hindenburg für Hitlers Kanzlerschaft bemüht?

SCHACHT: Ich habe niemals dazu beigetragen, durch Rücksprache mit irgendeinem der maßgeblichen Herren, sei es Hindenburg, sei es Meißner oder sonst jemandem, irgendeinen Einfluß zu Gunsten Hitlers auszuüben. Ich bin an der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler völlig unbeteiligt.

DR. DIX: Der Anklagevertreter wirft Ihnen in diesem Zusammenhang vor, daß Sie im November 1932 das Prestige Ihres Namens Hitler zur Verfügung gestellt hätten, und er beruft sich dabei auf eine Äußerung von Dr. Goebbels in dessen Buch »Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei«. Was haben Sie hierzu zu sagen?

SCHACHT: Ich hätte nie erwartet, daß dieser Wahrheitsapostel Goebbels hier noch einmal gegen mich mobil gemacht werden könnte. Aber ich kann ja nichts dafür, wenn Herr Goebbels sich geirrt hat.

DR. DIX: Der Anklagevertreter führt des ferneren aus, daß Sie die finanziellen Mittel für Hitler zur Reichstagswahl vom 5. März organisiert hätten, und zwar bei einer industriellen Versammlung, über welche sich ein Affidavit des Industriellen von Schnitzler, EC-439, US-618 äußert. Was haben Sie hierzu zu sagen?

Das ist Exhibit 3 unseres Dokumentenbuches, englischer Text Seite 11.

SCHACHT: Im Februar 1933, nachdem Hitler also bereits Reichskanzler war und die Wahlen vom 5. März eine Grundlage für die neue Regierungsbildung abgeben sollten, bat mich Hitler, ob ich bei einer Versammlung, die Göring einberufen wollte und die den Zweck haben sollte, Gelder für die Wahlen zusammenzubringen, nicht freundlichst für ihn den Bankier machen möchte. Ich hatte gar keine Veranlassung das abzulehnen. Die Versammlung fand statt am 26. Februar; und nun hat der Anklagevertreter es so dargestellt, als ob ich in dieser Versammlung für einen Wahlfonds geworben hätte. Die Anklage hat aber selbst ein Dokument, D-203, vorgelegt, welches offenbar eine Wiedergabe der Wahlrede Hitlers, die er an diesem Abend gehalten hat, sein soll.

DR. DIX: Darf ich Sie mal unterbrechen? Ich darf das Gericht darauf aufmerksam machen, das ist unser Exhibit Nummer 2, und zwar Seite 9 des englischen Textes.

Entschuldigen Sie bitte, fahren Sie fort.

SCHACHT: D-203. Dieses Dokument schließt mit folgendem Satz. Ich zitiere:

»Göring... leitete dann sehr geschickt über zu der Notwendigkeit, daß andere nicht im politischen Kampf stehende Kreise wenigstens die nun mal erforderlichen finanziellen Opfer bringen müßten.«

Ende des Zitats.

Es geht also aus diesem Bericht, den die Anklage selbst vorgelegt hat, ganz klar hervor, daß nicht ich hierfür Geld geworben habe, sondern daß Göring für Geld geworben hat. Ich habe lediglich dieses Geld nachher verwaltet und in dem Affidavit Schnitzlers, Dokument EC-439, hat die Anklagevertretung sorgfältig diejenigen entscheidenden Stellen weggelassen, die mich nicht belasten, sondern entlasten.

Ich zitiere den Satz, oder die zwei Sätze deshalb folgendermaßen; ich muß leider auf englisch zitieren, weil ich nur den englischen Text vor mir habe:

»Dr. Schacht proposed to the meeting the raising of an election fund of-as far as I remember-three million Reichsmark. The fund was to be distributed between the two ›Allies‹ according to their relative strength at the time.

Dr. Stein suggested that the Deutsche Volkspartei should be included, which suggestion, it I remember rightly, was accepted. The amounts which the individual firms had to contribute were not discussed.« –

»Dr. Schacht schlug der Versammlung vor, einen Wahlfonds von – soweit ich mich entsinne – drei Millionen Reichsmark aufzubringen. Der Fonds sollte unter die zwei ›Verbündeten‹ gemäß ihrer gegenwärtigen Stärke verteilt werden. Dr. Stein schlug vor, daß die Deutsche Volkspartei mit eingeschlossen werden sollte, welcher Vorschlag, wenn ich mich recht erinnere, angenommen wurde. Die Beträge, welche die einzelnen Firmen beisteuern sollten, wurden nicht erörtert.«

Es geht hieraus hervor, daß dieser Wahlfonds gesammelt wurde nicht für die Nazi-Partei allein, sondern für die Nazi-Partei und die ihr verbündete nationale Gruppe, in der ja auch Herr von Papen, beispielsweise, und Hugenberg sich befanden und die in der Sitzung selbst ausgedehnt wurde auf eine dritte Parteigruppe, die Deutsche Volkspartei. Es war also ein gemeinsamer Wahlfonds für diejenigen Parteien, die gemeinsam in den Wahlkampf gingen, und nicht ein Nazi-Fonds.

DR. DIX: Nun sind hier von der Anklage eingeführt worden diejenigen Gesetze, welche nach der Machtergreifung erlassen worden sind und welche die totalitäre Herrschaft der Nazis und damit Hitlers einleiteten und schließlich herstellten.

Wir müssen die Frage Ihrer persönlichen Verantwortung als späteres Kabinettsmitglied zum Gegenstand der Prüfung machen. Ich muß mit Ihnen diese Gesetze im einzelnen durchgehen. Ich will sie Ihnen aber jetzt erst mal im ganzen ins Gedächtnis zurückrufen.

Da ist zunächst das Ermächtigungsgesetz; dann das Gesetz über das Verbot der Parteien und die Herstellung einer Partei; das Gesetz über die Einheit von Partei und Staat; dann das Gesetz über die Enteignung der SPD und der Gewerkschaften; dann das Beamten-Vereinigungsgesetz; dann das Gesetz über die gesetzliche Begrenzung der Berufe für die Juden; dann das Gesetz über die Einsetzung des Volksgerichtshofs; schließlich das Gesetz über die Legalisierung von Morden vom 30. Juni 1934; und das Gesetz über die Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers- und des Reichspräsidenten in der Person Hitlers.

Wie steht es mit Ihrer Verantwortung in Ihrer Eigenschaft als Kabinettsmitglied zu diesen Gesetzen?

SCHACHT: Ich bin bei dem Erlaß aller dieser Gesetze überhaupt nicht Kabinettsmitglied gewesen. Ich habe keine Stimme im Kabinett gehabt. Ich habe Stimme im Kabinett gehabt erst nach dem 1. August 1934, wo insbesondere das letzte und verhängnisvolle Gesetz zur Vereinigung der Ämter von Reichspräsident und Reichskanzler beschlossen wurde. Ich habe auch dieses Gesetz nicht mitberaten und nicht mitvotiert. Ich bin an allen diesen Gesetzen völlig unbeteiligt.

DR. DIX: Ich weiß nicht, ob ich es genannt habe; ich möchte Sie nur vor einem Mißverständnis behüten. Das gilt nicht für das Gesetz über die Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten nach dem Tode Hindenburgs in der Person Hitlers.

SCHACHT: Selbstverständlich. Auch da bin ich nicht beteiligt.

DR. DIX: Und warum nicht?

SCHACHT: Weil ich noch gar nicht im Kabinett war. Ich habe meine Ernennung als Minister erst am 3. oder 4. August ausgehändigt bekommen. Ich habe an der Beratung dieses Gesetzes nicht teilgenommen, habe nicht dafür votiert und habe es auch nicht unterschrieben.

DR. DIX: Nun steht aber in der Anklage, daß Sie Reichstagsmitglied waren. Dann hätten Sie doch als Reichstagsmitglied für diese Gesetze gestimmt, denn nach 1933 hat es ja eigentlich nur einstimmige Beschlüsse des Reichstags gegeben?

SCHACHT: Ja. Leider steht in der Anklageschrift sehr vieles, was nicht richtig ist. Ich bin in meinem ganzen Leben nicht Mitglied des Reichstags gewesen und ein einziger Blick in das Reichstag-Handbuch hätte die Anklagebehörde darüber aufgeklärt, daß ich auch in dieser Zeit kein Mitglied des Reichstags war. Ich habe mit allen diesen Gesetzen, weder als Kabinettsmitglied noch als Reichstagsmitglied, nichts zu tun; denn beides bin ich in dieser Zeit nie gewesen.

DR. DIX: Hat eigentlich Adolf Hitler den Eid auf die Weimarer Verfassung geleistet?

SCHACHT: Selbstverständlich hat Adolf Hitler den Eid auf die Weimarer Verfassung geleistet, als er Reichskanzler wurde, in die Hand des Reichspräsidenten Hindenburg, und er hat in diesem Eid gelobt, nicht nur die Reichsverfassung zu respektieren, sondern auch alle Gesetze, soweit sie nicht ordnungsmäßig geändert wurden, zu beachten und zu erfüllen.

DR. DIX: Ist die Weimarer Verfassung eigentlich jemals formell aufgehoben worden?

SCHACHT: Die Weimarer Verfassung ist niemals aufgehoben worden.

DR. DIX: Ist das Führerprinzip irgendwo gesetzlich oder staatsrechtlich nach Ihrer Auffassung festgelegt worden?

SCHACHT: Das Führerprinzip ist durch kein einziges Gesetz festgelegt worden und der nachträgliche Versuch, die Verantwortung der einzelnen Minister dadurch herabzuschwächen – ich treffe mich selbst damit –, daß man sagt, es sei ein Gewohnheitsrecht geworden, stimmt nicht. Die Verantwortung der Minister bestand weiter – auch meine eigene Verantwortung bestand weiter – und wurde lediglich durch den Terror und die Gewaltbedrohung Hitlers niedergehalten.

DR. DIX: Die Fragen, ob das Ermächtigungsgesetz dem Kabinett oder dem Führer galt, ob das erste Kabinett nach 1933 ein nationalsozialistisches oder eine Kombination der Rechtsparteien war, und die Frage über die Entwicklung Hitlers zum autokratischen Diktator habe ich alle schon dem Zeugen Lammers gestellt. Wir wollen nicht wiederholen. Haben Sie dem, was Lammers bekundet hat, noch irgend etwas Neues hinzuzufügen?

SCHACHT: Ich habe mir lediglich zwei Sachen notiert. In der Reichstagsrede Hitlers vom 23. März 1933 spricht er noch, ich zitiere:

»Es ist der aufrichtige Wunsch der nationalen Regierung...«

Also nicht der nationalsozialistischen, wie es immer später heißt, sondern nationalen Regierung. Und ein zweites. In dem Aufruf an die Wehrmacht, den der Reichswehrminister von Blomberg am 1. Februar 1933 erlassen hat, kommt der Satz vor, ich zitiere:

»Ich übernehme das Amt mit dem festen Willen, die Reichswehr nach dem Vermächtnis meiner Amts Vorgänger als überparteiliches Machtmittel des Staates zu erhalten...«

Dieses und andere Umstände, die schon behandelt sind, gaben mir die Überzeugung, daß es sich hier um ein nationales Koalitions-Kabinett handelte, während Hitler daraus, durch seine Terror- und Gewaltherrschaft, eine reine Nazi-Diktatur machte.

DR. DIX: Das von Schacht bekundete Zitat findet sich in unserem Dokumentenbuch, Exhibit Nummer 4, Seite 14 des englischen Textes. Nun, als Sie Wirtschaftsminister wurden...

VORSITZENDER: Es ist jetzt 5.00 Uhr und wir vertagen uns nunmehr.

DR. DIX: Darf ich die Frage stellen: Vertagen wir uns auf morgen? Verhandeln wir morgen, weil morgen der 1. Mai ist? Es herrscht eine Unklarheit, ob morgen verhandelt wird oder nicht.

VORSITZENDER: Ja, der Gerichtshof wird morgen tagen.