HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Es tritt eine Störung in der Lichtleitung ein.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.

[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Der Gerichtshof wünscht zu wissen, wie lange Sie Ihr Verhör des Angeklagten noch fortzusetzen gedenken. Sie haben schon beinahe einen ganzen Tag gebraucht, und der Gerichtshof ist der Ansicht, daß mit Rücksicht auf die Vorschriften des Statuts das Verhör des Angeklagten sicherlich innerhalb eines Tages zu beendigen ist.

DR. DIX: Euer Lordschaft! Ich tue zweierlei nicht gerne: prophezeien, was dann nicht eintrifft, oder etwas versprechen, was ich nicht halten kann. Auf die Frage darf ich antworten, ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß ich heute fertig werde. Ich bin mir der Vorschrift des Statuts vollkommen bewußt: auf der anderen Seite bitte ich zu bedenken, daß die Anklage gegen Schacht von der Anklagebehörde durch viele Beweismittel, direkte und indirekte beweiserhebliche Tatsachen, zu beweisen versucht worden ist und daß es meine Pflicht ist, zu diesen einzelnen Beweismitteln der Anklage Stellung zu nehmen.

Ich bitte, an meine Fragen einen strengen Maßstab zu legen, und wenn das Gericht der Auffassung ist, daß es unerheblich ist, habe ich mich eben zu fügen. Ich glaube aber, daß ich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht habe, alle Fragen zu stellen, die für die Widerlegung der Beweisführung der Anklage erheblich sind. Also bestimmt werde ich heute nicht fertig. Ich wäre dankbar, wenn ich nicht prophezeien müßte; es kann schneller gehen, vielleicht morgen im Laufe des Tages, es kann aber auch noch den ganzen Tag dauern. Ich kann es nicht genau voraussagen. Ich werde jedenfalls mich bemühen, nur erhebliche Fragen zu stellen Wenn das Gericht der Auffassung ist, daß es neben der Sache ist, bitte ich mir dies zu sagen, wenn ich meine Auffassung begründet habe.

VORSITZENDER: Dann halte ich es für besser, daß sie sogleich fortsetzen, Herr Dr. Dix. Wenn wir glauben, daß Ihre Fragen zu lang oder unerheblich sind, werden wir es Ihnen sagen.

DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Nun, Herr Dr. Schacht. Wir hielten bei den Mefo-Wechseln, als ein geeignetes Mittel, die Aufrüstung geheimzuhalten. Haben Sie zu dieser Frage noch etwas hinzuzufügen?

SCHACHT: Ja, eine Geheimhaltung war natürlich mit den Mefo-Wechseln an sich hinsichtlich der Tatsache der Rüstung gar nicht verbunden, denn die Mefo-Wechsel gingen ja an jeden Lieferanten, der damit bezahlt wurde, und das waren natürlich Hunderte und Tausende von kleinen und großen Lieferanten im ganzen Lande.

Außerdem liefen diese Mefo-Wechsel, bevor sie zur Reichsbank gebracht werden durften, mindestens drei Monate im Publikum um, und die Lieferanten, die Geld brauchten, benutzten diese Mefo-Wechsel dazu, um sie bei den Banken diskontieren beziehungsweise bevorschussen zu lassen. Also auch sämtliche Banken waren in dieses System eingeweiht.

Ich möchte aber ferner sagen, daß die sämtlichen Mefo-Wechsel, die die Reichsbank aufnahm, im Wechselbestand der Reichsbank jeweils ausgewiesen wurden. Ferner möchte ich sagen, daß die Geheimhaltung der Staatsausgaben – und die Rüstungsausgaben waren ja Staatsausgaben – nicht eine Angelegenheit des Reichsbankpräsidenten war, sondern eine Angelegenheit des Reichsfinanzministers. Wenn der Reichsfinanzminister die Garantien, die er für die Mefo- Wechsel übernommen hatte, nicht veröffentlichte, so war das seine Sache und nicht meine Sache. Ich bin dafür nicht verantwortlich, sondern dafür verantwortlich war der Reichsfinanzminister.

DR. DIX: Bei der nächsten Frage, Euer Lordschaft, könnte man zweifeln, ob die Frage erheblich ist. Persönlich halte ich sie für die Entscheidung dieses Prozesses für nicht erheblich. Sie ist aber von der Anklage erörtert worden, und aus diesem Grunde allein halte ich mich für verpflichtet, Dr. Schacht Gelegenheit zur Rechtfertigung und Antwort zu geben.

Die Anklage hat nämlich den Standpunkt vertreten, daß diese Finanzierung durch die sogenannten Mefo- Wechsel vom Standpunkte einer soliden Finanzgebarung aus sehr bedenklich gewesen ist. Kann man den Standpunkt vertreten, daß das gewesen sein mag oder nicht, für diese Entscheidung...

VORSITZENDER: [unterbrechend] Stellen Sie die Frage, Dr. Dix, fragen Sie.

DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Sie haben ja gehört, worauf ich hinaus will.

SCHACHT: Es ist selbstverständlich, daß für eine normale Zeit und eine normale Wirtschaftskonjunktur zu solchen Mitteln, wie es die Mefo-Wechsel gewesen sind, nicht gegriffen wird. Wenn man sich aber in einer Notlage befindet, so ist es immer üblich gewesen und immer eine von allen Wissenschaftlern empfohlene Politik, daß die Notenbank für billiges Geld sorgt und für Kredit sorgt, damit die Wirtschaft dementsprechend daraus Beschäftigung erhalten kann.

Selbstverständlich waren die Mefo-Wechsel eine durchaus riskante Operation, aber mit einer vernünftigen Finanzgebarung verbunden waren sie absolut nicht riskant; ich führe zum Beweise dessen an, daß, wenn Herr Hitler nach dem Jahre 1937 die anfallenden Gelder, wie es vorgesehen war, zur Rückzahlung der Mefo-Wechsel benutzt hätte – die Gelder waren vorhanden –, dann wäre dieses System genau so glatt abgewickelt worden, wie es von mir angekurbelt worden ist. Aber Herr Hitler zog es vor, die Rückzahlung der Mefo-Wechsel einfach zu verweigern und statt dessen dieses Geld in weiteren Rüstungen anzulegen. Das konnte ich nicht voraussehen, daß jemand sein Wort auch in dieser Sache, in einer rein geschäftlichen Sache, so brechen würde.

DR. DIX: Wenn aber das Reich die Wechsel eingelöst, also bezahlt hätte, so hätten wohl die Mittel teilweise für weitere Aufrüstung gefehlt und hätte die Einlösung der Mefo-Wechsel rüstungsbeschränkend gewirkt. Das ist doch ein richtiger Schluß?

SCHACHT: Das war ja der Zweck meiner späteren Kündigung der Sache. Ich habe gesagt, wenn die Mefo-Wechsel nicht zurückbezahlt werden, dann ist hier ein böser Wille vorhanden, dann wird hier weiter aufgerüstet, und das darf nicht sein.

DR. DIX: Sie haben sich vorhin bereits über die Frage der Geheimhaltung der Rüstung in anderem Zusammenhang am Rande geäußert. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?

SCHACHT: Ich glaube, daß es ganz allgemein erfaßt werden muß, daß Staatsausgaben nicht in das Gebiet des Reichsbankpräsidenten fallen, daß Staatsausgaben und -einnahmen unter der Kontrolle des Reichsfinanzministers stehen und dementsprechend auch seiner Publikationspflicht oder Verantwortung. Die Reichsbank hat jeden Wechsel, den sie in ihrem Bestande hatte, in ihrem Bestande allwöchentlich ausgewiesen.

DR. DIX: Das war das, was Sie zusätzlich zu der grundsätzlichen Frage der angeblichen Geheimhaltung der Rüstung noch zu bemerken haben?

SCHACHT: Jawohl.

DR. DIX: Ebenso haben Sie am Rande schon auseinandergesetzt, warum Sie grundsätzlich für eine Aufrüstung waren. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?

SCHACHT: Ja. Darüber sind natürlich einige sehr wichtige Bemerkungen zu machen, und da diese Frage ja den Hauptvorwurf gegen mich bildet, so darf ich hierauf vielleicht noch etwas eingehen.

Ich habe ein ungerüstetes Deutschland in der Mitte Europas umgeben von lauter militärisch aufgerüsteten Staaten für eine Friedensgefahr gehalten, und ich bemerke, daß nicht nur diese Staaten aufgerüstet waren, sondern daß diese Staaten zu einem großen Teil weiter und neu aufrüsteten. Das Neuaufrüsten bezieht sich insbesondere auf die beiden Staaten Tschechoslowakei und Polen, die ja vorher nicht bestanden, und das weitere Aufrüsten bezieht sich insbesondere beispielsweise auch auf die englische Seekriegsaufrüstung, die in das Jahr 1935 fällt und so weiter.

Ich bin selbst ferner – ich möchte das noch einmal ganz kurz erwähnen – der Ansicht gewesen, daß ein Land, welches keine Rüstung besitzt, sich nicht verteidigen kann und daß es infolgedessen im internationalen Rat keine Bedeutung hat. Der englische Premierminister Baldwin hat einmal im Jahre 1935 gesagt:

»Ein Land, das nicht gewillt ist, die notwendigen Vor sichtsmaßnahmen zu seiner eigenen Verteidigung zu ergreifen, wird niemals Macht in dieser Welt haben, weder moralische noch materielle Macht.«

Ich habe die Ungleichheit zwischen den umgebenden Mächten um Deutschland und Deutschland als eine ständige moralische und materielle Gefahr für Deutschland empfunden.

Ich verweise ferner darauf, daß Deutschland sich – das soll gar keine Kritik, sondern lediglich eine Feststellung sein – nach dem Versailler Vertrag in einem Zustand äußerster Verwirrung befand. Die Verhältnisse in Europa waren so, daß beispielsweise für Rußland der latente Konflikt, der latente Gegensatz bestand mit Finnland, mit Polen, welche zu einem Großteil russisches Gebiet ja bei sich hatten, mit Rumänien, welches Bessarabien besaß; daß für Rumänien der Konflikt bestand über die Dobrudscha mit Bulgarien, über Siebenbürgen mit Ungarn; daß der Konflikt bestand für Serbien mit Ungarn, für Ungarn mit fast allen Nachbarländern, der Konflikt zwischen Bulgarien und Griechenland; kurz der ganze Osten Europas befand sich in einem einzigen Stadium gegenseitiger Beargwöhnung und Interessenkonflikte.

Dazu kam, daß in einer Reihe von Ländern interne Konflikte schwerster Art bestanden. Ich erinnere an den Konflikt zwischen Tschechen und Slowaken. Ich erinnere an die Bürgerkriegsverhältnisse in Spanien. Alles das wird verständlich machen, daß ich es für absolut notwendig hielt im Falle eines Ausbruches irgendeines kriegerischen Konfliktes in diesem Hexenkessel, daß es in einem solchen Falle für Deutschland absolut notwendig sein müßte, zum mindesten seine neutrale Haltung zu schützen. Das konnte unmöglich mit dem kleinen Hunderttausend-Mann-Heer geschehen, sondern dazu mußte eine vernünftige Armee geschaffen werden.

Es ist mir zufällig hier im Gefängnis eine Nummer der »Daliy Mail« aus dem April 1937 in die Hände gefallen, wo die Zustände in Europa geschildert werden; ich bitte um die Erlaubnis – es handelt sich um einen einzigen Satz –, daß ich den hier zitiere. Ich muß ihn englisch zitieren. Er gibt nicht etwa die Ansicht der »Daily Mail« wieder, sondern schildert lediglich die Zustände in Europa. I quote: (Ich zitiere):

»All observers are agreed that there is continual peril of an explosion and that the crazy frontiers of the peace treaties cannot be indefinitely maintained. Here, too, rigorous non-interference should be the King of the British chariot. What vital interests have we in Austria or in Czechoslovakia, or in Roumania, or in Lithuania or Poland?«

»(Alle Beobachter stimmen überein, daß eine ständige Explosionsgefahr besteht und daß die verrückten Grenzen der Friedensverträge nicht auf ewig aufrechterhalten werden können. Auch hier sollte strenge Nichteinmischung für die Leitung des britischen Staatswagens maßgebend sein. Was für lebenswichtige Interes sen hätten wir denn in Österreich oder in der Tschechoslowakei, oder in Rumänien, oder in Litauen oder Polen?)«

Es schildert dies lediglich das ganze Gebrodel, das damals in Europa herrschte; und in diesem überhitzten und stets vor Explosionsgefahr zitternden Kessel lag das unbewehrte Deutschland. Ich habe das für eine ganz schwere Gefahr für mein Land gehalten.

Jetzt wird man mich fragen, ob ich Deutschland denn irgendwie für bedroht gehalten hätte. Nein, meine Herren Richter, ich habe Deutschland nicht für unmittelbar von einem Angriff bedroht gehalten. Ich war auch nicht der Ansicht, daß etwa Rußland einen Angriff auf Deutschland machen würde. Aber wir hatten beispielsweise den Ruhreinbruch erlebt vom Jahre 1923, und diese ganze Vergangenheit und die gegenwärtige Lage machte es für mich zu einer absoluten Forderung, die Gleichberechtigung Deutschlands zu fordern und, wenn sie in Angriff genommen wurde, zu unterstützen.

Wir werden ja auf die Gründe, wie ich annehme, für die Durchführung der Rüstung noch kommen, wie sich das Ausland uns gegenüber verhalten hat, und so weiter.

DR. DIX: Was wußten Sie damals über die Bemühung Deutschlands, die Abrüstung der anderen Mächte herbeizuführen? War dieser Gesichtspunkt mit für Ihre Entschließungen maßgebend?

SCHACHT: Ich darf hier folgendes sagen: Ich war nicht grundsätzlich für Aufrüstung. Ich war grundsätzlich für die deutsche Gleichberechtigung. Diese deutsche Gleichberechtigung konnte herbeigeführt werden entweder durch die Abrüstung der anderen oder durch unsere Aufrüstung. Bevorzugt hätte ich und wünschte ich damals die Abrüstung der anderen, die uns ja auch versprochen worden war. Und ich habe infolgedessen mich zunächst auf das eifrigste und noch in den späteren Jahren immer wieder bemüht, die Aufrüstung zu vermeiden, wenn es gelänge, die Abrüstung herbeizuführen.

Diese Abrüstung der anderen erfolgte nicht, obwohl die Abrüstungskommission des Völkerbundes wiederholt festgestellt hatte, daß Deutschland seiner Verpflichtung zur Abrüstung nachgekommen war.

Es ist für uns alle, die wir damals in der sogenannten Nationalregierung saßen und für alle Deutschen, die an dem politischen Leben teilnahmen, eine große Beruhigung gewesen, daß Hitler in den ersten Jahren immer wieder auf Abrüstung gedrängt hat und die Abrüstung angeboten hat. Nun kann man nachträglich natürlich sagen, auch das sei von Hitler nur ein Vorwand und eine Lüge gewesen. Aber dieser Vorwand und diese Lüge wären ja sehr schnell geplatzt, wenn das Ausland auch nur im leisesten Miene gemacht hätte, auf diese Angebote einzugehen.

Ich erinnere mich sehr wohl, weil ich bei den gesellschaftlichen Veranstaltungen des Besuches dabei war, als der Außenminister Eden von Großbritannien anfangs 1934 in Deutschland war, wo man in den Unterhaltungen mit ihm ganz konkrete Vorschläge für die Verpflichtung Deutschlands in allen Abrüstungsfragen machte für den Fall, daß die Abrüstung der anderen eingeleitet werden und durchgeführt werden sollte. Es wurde Eden zugesagt, daß alle sogenannten halb-militärischen Verbände, SA, SS, Hitler-Jugend und so weiter alle ihres militärischen Charakters entkleidet werden sollten, wenn es nur gelänge, die allgemeine Abrüstung damit zu fördern.

Ich könnte jetzt hier eine Reihe von Zitaten über diese Abrüstungsangebote vorlegen, aber bei dem Wunsche des Herrn Präsidenten, die Verhandlung nicht aufzuhalten, kann ich auch darauf verzichten. Es sind alles bekannte Äußerungen von Staatsmännern und Ministern und Botschaftern und dergleichen, die alle in derselben Weise gesprochen haben, daß es unbedingt nötig sei, das Versprechen, welches die Alliierten gegeben hätten, einzulösen, nämlich die Abrüstung durchzuführen.

DR. DIX: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Wir machen das schneller und einfacher, wenn ich das Gericht bitte – ohne daß ich es verlese –, amtlich Kenntnis zu nehmen von meinem genehmigten Exhibit Nummer 12, Seite 31 der englischen Ausgabe meines Dokumentenbuches. Das sind diesbezügliche Bemerkungen, Ansprachen von Lord Cecil und anderen, vom belgischen Außenminister und so fort. Wir brauchen sie nicht zu verlesen, es könnte überreicht werden. Ich höre, es ist schon überreicht. Wir können darauf Bezug nehmen.