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[Das Gericht vertagt sich bis um 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Dem Gerichtshof dürfte eine Aufstellung unserer Einsprüche gegen gewisse Dokumente vorliegen, und zwar nach sechs Gruppen geordnet. Dabei befindet sich auch eine englische Zusammenfassung aller Dokumente, die kurz den Inhalt jedes Dokuments wiedergibt.

Mylord! Von der ersten Gruppe möchte ich zwei unserer Einsprüche zurückziehen, und zwar zu Nummer 19, das im Falle Schacht zugelassen wurde; wenn ich Dr. Siemers richtig verstehe, besteht er nicht auf Nummer 76.

Nun, Mylord, zu den anderen in dieser Gruppe: Nummer 9 ist eine Reihe von Zitaten aus Lersners Buch über »Versailles«.

Nummer 10, das Zitat aus einem Buch des linksgerichteten deutschen Schriftstellers Thomas Mann.

Nummer 17 ist »Das Mißlingen einer Mission« von Nevile Henderson.

Nummer 45 ist ein Zitat aus einem Buch Herrn Churchills.

Nummer 47 ist ein Bericht über eine Beschwerde an Lord Halifax über einen Artikel im »News Chronicle«, in dem Hitler kritisiert wird.

Mylord! Etwas anders liegt es bei Nummer 66. Ich bitte den Gerichtshof, einen Blick darauf zu werfen. Es ist der Bericht eines deutschen Juristen – Dr. Mosler, glaube ich, soll der Name sein – eine Autorität auf dem Gebiete des Völkerrechts, der sich mit der Aktion in Norwegen beschäftigt.

Dr. Siemers hat natürlich vollkommen offen mit mir gesprochen und mir erklärt, es wäre ihm sehr daran gelegen, diese wirklich rechtswissenschaftliche Erörterung in sein Dokumentenbuch ein gefügt zu sehen. Das ist natürlich nicht der Zweck der Dokumentenbücher, aber es ist Sache des Gerichtshofs, darüber zu entscheiden wir glaubten, den Gerichtshof darauf aufmerksam machen zu sollen.

Dann, Mylord, Nummer 76 entfällt.

Nummer 93 bis 96 sind Zitate aus sowjetischen Zeitungen.

Nummer 101 ist ein Zitat aus der französischen Nachrichtenagentur »Havas«.

102 bis 107 sind unbedeutende Befehle bezüglich der Niederlande, die nach Ansicht der Anklagevertretung keinen Beweiswert haben.

In der zweiten Gruppe ist dann eine Anzahl von Dokumenten, die nach Ansicht der Anklagevertretung für keine der Streitfragen in diesem Falle erheblich sind.

VORSITZENDER: Sie haben 109 nicht behandelt, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihen Sie, Herr Vorsitzender, das steht auf der zweiten Zeile. Das ist eine weitere juristische Auseinandersetzung, und zwar über die Auswirkung des Krieges auf die rechtliche Stellung von Island. Es ist ein Zitat aus dem »Britischen Nachrichtenblatt für öffentliches Recht und Völkerrecht«.

VORSITZENDER: Gut.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Die zweite Gruppe ist nach der Ansicht der Anklagevertretung unerheblich.

Nummer 22 ist eine belgische Verordnung vom Jahre 1937, die sich mit der Möglichkeit einer Evakuierung der Zivilbevölkerung im Kriegsfalle beschäftigt.

Nummer 39 ist ein französisches Dokument über den Mittleren Osten.

Nummer 63 und 64 sind zwei Reden, eine von Herrn Emery und die andere von Herrn Churchill, die sich mit der Lage in Griechenland Ende 1940 beschäftigen, ungefähr 2 Monate nach Beginn des italienischen Feldzuges gegen Griechenland.

Nummer 71 ist eine Weisung ohne Datum über das Studium der Wege in Belgien, das unseres Erachtens keinen Beweiswert hat.

Nummer 76 »Die Altmark« entfällt.

VORSITZENDER: Sagten Sie, 76 entfiele?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Mylord, das ist »Die Altmark«, es ist dasselbe wie Nummer 71; es tut mir leid, Mylord, es hätte schon gestrichen sein sollen.

Nummer 99 ist das Protokoll der neunten Zusammenkunft des vereinigten Kabinettsrats vom 27. April 1940 und beschäftigt sich mit dem Vorschlag von Herrn Reynaud bezüglich der schwedischen Erzbergwerke. Da es lange nach dem Feldzug in Norwegen war und natürlich in Norwegen niemals befolgt wurde, scheint es uns von keiner Erheblichkeit für dieses Verfahren zu sein.

Mit 102 und 107 habe ich mich schon unter 1 beschäftigt. Es sind sehr kleine und unbedeutende Memoranden, die sich auf die Niederlande beziehen.

112 ist ein französisches Dokument, in dem Herr Paul Reynaud eine Erklärung des Herrn Churchill zitiert, daß er bis zum Ende kämpfen wird; das scheint im Jahre 1946 nicht mehr sehr bedeutungsvoll zu sein.

Die nächste Gruppe, Mylord, sind Dokumente, die schon vom Gerichtshof abgelehnt wurden, als sie für den Angeklagten Ribbentrop beantragt worden waren. Die ersten zwei handeln von der britischen Wiederaufrüstung und die anderen vom Balkan und von Griechenland. Der Gerichtshof wird sich wahrscheinlich der Gruppe erinnern, die er auf den Antrag Ribbentrops abgelehnt hat.

Die vierte Gruppe sind andere Dokumente derselben Art, wie sie schon vom Gerichtshof im Falle des Angeklagten Ribbentrop zurückgewiesen worden waren.

Gegen die fünfte Gruppe erheben wir insbesondere Einwand auf der Grundlage des »tu quoque«. Ich glaube, es handelt sich ausschließlich um französische Dokumente, die sich mit dem Anfangsstadium von Vorschlägen beschäftigen, die zwar vorbereitet, aber nicht ausgeführt wurden; sie beziehen sich auf die Zerstörung von Ölfeldern oder die Blockierung der Donau im Mittleren Osten. Es sind Dokumente vom Frühjahr 1940 und, wie ich schon sagte, behandeln sie ein sehr frühes Anfangsstadium; die Pläne wurden niemals ausgeführt.

Die sechste Gruppe umfaßt Dokumente über Norwegen, die nach der Besetzung Frankreichs erbeutet wurden. Soweit ich Dr. Siemers' Argumentation verstehe, wird nicht behauptet, daß diese Dokumente den Angeklagten zur Zeit der Ausführung des Angriffs gegen Norwegen bekannt waren, aber es wird erklärt, daß sie andere Informationen hatten. Wir haben natürlich weder bezüglich ihrer eigenen Informationen noch dagegen, daß diese Dokumente zur Bekräftigung der Berichte ihrer Agenten erörtert werden, Einspruch erhoben. Wie Dokument 83, gegen welches wir keinen Einwand erheben, tatsächlich zeigt, handeln auch diese von vorbereitenden Vorschlägen, die nicht durchgeführt und weiterverfolgt wurden. Nach Ansicht der Anklagebehörde kommt es jedoch darauf an, was den Angeklagten vor dem 9. April 1940 bekannt war, und es ist unerheblich, sich mit einer großen Anzahl anderer Dokumente zu befassen, mit denen man sich nur auseinandersetzen kann, soweit sie mit Informationen, die die Angeklagten gemäß ihrer eigenen Angabe schon gehabt haben, übereinstimmen.

Herr Vorsitzender! Ich habe versucht, mich so kurz wie möglich zu fassen, weil ich dem Gerichtshof ein zeitliches Versprechen gegeben habe, doch hoffe ich, daß ich unsere Einwände sehr klar ausgeführt habe.

DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Hoher Gerichtshof! Es ist außerordentlich schwierig, zu derartig vielen Dokumenten Stellung zu nehmen, wo ich weiß, daß diese Dokumente bisher nicht übersetzt sind und daher der Inhalt den Beteiligten im wesentlichen nicht bekannt ist. Ich darf daher darauf hinweisen, daß eine gewisse Gefahr in dieser Behandlung besteht. Es handelt sich zum Teil um grundsätzliche Teile meiner Verteidigung. Infolgedessen werde ich bei Behandlung dieser Dokumente, was ich von vornherein erklären möchte, gezwungen sein zur Begründung der Beweiserheblichkeit auf Stellen hinzuweisen die ich sonst in der Beweisführung gar nicht einmal alle im einzelnen erst über das Protokoll zu lesen brauche, weil sie, wenn das Dokumentenbuch fertig ist, dem Gericht bekannt sind und dort gelesen werden können.

Ich halte mich bei meiner Stellungnahme an die Reihenfolge von Sir David. Es ist zunächst die erste Gruppe, die Dokumente Nummer 9 und 10. In der Notiz von Sir David, die dem Gericht vorliegt, ist darauf hingewiesen, daß die Vorlage der Dokumente in Konflikt steht mit der Gerichtsanordnung vom 29. März. Ich darf darauf hinweisen, daß diese Meinung der Anklage ein Irrtum ist. In der Gerichtsanordnung war gesagt worden, daß keine Dokumente gebracht werden dürfen, welche die Ungerechtigkeit und den Zwang des Versailler Vertrages betreffen. Diese Urkunden betreffen nicht die Ungerechtigkeit und den Zwang, sondern sollen nur einige Beispiele geben von der subjektiven Einstellung, zum Beispiel eines Mannes wie Noske, der Sozialdemokrat war und sicherlich keine Angriffskriege führen wollte. Einige weitere Erklärungen in Nummer 9 und 10 betreffen den Gedanken der damaligen Regierung und herrschenden Volksschicht, der auf die Verteidigungsabsicht gerichtet war, und die Gefahr, daß die Deutsche Wehrmacht bei Überfällen, zum Beispiel von Polen, zu schwach sein könnte. Es sind also reine Tatsachen. Ich versichere ausdrücklich, daß ich keine Sätze zitieren werde, die irgendwie polemisch wirken könnten; im übrigen brauche ich dies im wesentlichen nur als Grundlage für das Plädoyer.

Nummer 17 ist ein ganz kurzes Zitat aus dem Buch von Henderson »Das Mißlingen einer Mission« aus dem Jahre 1940. Ich glaube, daß es unbedenklich ist, etwa 15 Zeilen zu übersetzen, wenn ich diese gerne im Plädoyer verwenden möchte, um zu zeigen, daß Henderson, der Deutschland gut kannte, noch 1940 glaubte, positive Seiten des damaligen Regimes anerkennen zu müssen, und ich glaube, daß daraus der Schluß gerechtfertigt ist, daß man von einem deutschen militärischen Befehlshaber nicht verlangen kann, daß er skeptischer ist als der damalige Englische Botschafter.

Es ist dann die Urkunde 45. Die Urkunde 45 ist sicherlich nur aus einem Buch von Churchill. Sie betrifft aber die Tatsache, die ich beweisen möchte, daß schon viele Jahre vor dem ersten Weltkrieg ein britischer Reichsverteidigungsausschuß bestanden hat. In dem Inhaltsverzeichnis, welches Sir David überreicht hat, ist in dem Zitat das Wort »Reichsverteidigungsausschuß« benutzt. Ich schließe daraus, daß man sich in einem Irrtum bei der Anklage befand, als ob es sich demnach um den deutschen Reichsverteidigungsausschuß handelte. Es ist nicht richtig. Dieses Dokument zeigt, wie es kam, daß die Anklage den Wert des deutschen Reichsverteidigungsausschusses irrtümlich überschätzte, da die Anklage ihn naturgemäß mit dem britischen Reichsverteidigungsausschuß, der sehr viel weiter ging, verglichen hat.

Nummer 47 ist Beweis, daß gelegentlich eines Hinweises der Deutschen Botschaft, daß ein übermäßig scharfer Artikel gegen Hitler erschienen sei, und zwar in der Zeitung »News Chronicle« Lord Halifax seinerseits darauf hinwies, daß er nicht die Möglichkeit hätte, auf die Zeitung einzuwirken. Ich möchte das nur – und muß es jetzt schon sagen – zum Vergleich dazu bringen, daß die Anklagebehörde Raeder so hingestellt hat, als hätte er etwas mit dem bedauerlichen Artikel im »Völkischen Beobachter«: »Churchill versenkte die Athenia«, zu tun. Raeder hatte mit dem Artikel ebensowenig zu tun wie Lord Haufax mit dem Artikel im »News Chronicle« und war leider noch machtloser gegen den Artikel als die Englische Regierung.

Nummer 66: Hier handelt es sich um ein Gutachten des Völkerrechtlers Dr. Mosler, und zwar um ein Gutachten über die Norwegen-Aktion, in – wie mir das Gericht sicherlich zugeben wird – sehr komprimierter Form. Das Gericht wird mir weiter zugeben, daß ich im Rahmen meiner Verteidigung der Norwegen-Aktion in weitem Umfange über die völkerrechtlichen Grundlagen sprechen muß. Die völkerrechtliche Grundlage ist nicht ganz einfach. Ich habe nichts dagegen, daß ich dies in aller notwendigen Ausführlichkeit selbst vortrage. Ich habe mich von dem Gedanken leiten lassen, daß das Gericht immer wieder gebeten hat, man möchte Zeit sparen. Ich glaube, daß wir eine ganz erhebliche Zeit sparen, wenn mir dieses Gutachten zugelassen wird und ich dann nicht mehr verpflichtet bin, die zahlreichen Zitate und Autoren sämtlich im einzelnen aufzuführen und die ganz genaue rechtliche Begründung zu geben. Ich kann dann vielleicht in einer halben Stunde über die rechtlichen Fragen sprechen, während es mir ohne das Gutachten völlig unmöglich ist, ein derartiges Problem in einer halben Stunde zu behandeln Wenn die Anklagebehörde nichts dagegen hat, daß es länger dauert habe ich nichts dagegen, daß das Dokument abgelehnt wird, und ich muß dann die Folgen daraus ziehen.

Nummer 76 ist inzwischen gestrichen, also mir von der Anklage zugelassen.

Nummer 93 bis 96: Dies sind Auszüge über Äußerungen der maßgebenden Moskauer Zeitungen »Isvestia« und »Prawda«. Diese Äußerungen beweisen, daß zumindest die damalige sowjetische Auffassung bezüglich der Rechtmäßigkeit der deutschen Aktion in Norwegen sich mit der damaligen deutschen Auffassung deckte.

Wenn das Hohe Gericht übrigens glaubt, daß die ganz kurzen Zitate nicht als Dokumente zugelassen werden können, so will ich hier keine zu großen Schwierigkeiten machen, da ich ja überdies in diesem Augenblick des Verfahrens sowieso gezwungen wurde, anzugeben, um was es sich handelt. Das Hohe Gericht wird sich erinnern, daß damals Deutschland und Rußland befreundet waren und die sowjetische Auffassung über ein rein rechtliches Problem immerhin von einer gewissen Bedeutung sein dürfte.

Dann die Nummer 101: Ich bitte vielmals zu entschuldigen, Sir David, aber wenn ich nicht irre, hat Dr. Braun vor eineinhalb Stunden gesagt, 101 wird fallen.

Gut, also Nummer 101 bis 107: Es handelt sich bei der Aktion gegen Norwegen, wie ich schon sagte, um ein völkerrechtliches Problem. Es handelt sich um das Problem, ob ein Land die Neutralität eines anderen Landes verletzen darf, wenn begründete Gefahr besteht, daß ein anderes kriegführendes Land ebenfalls die Neutralität des betreffenden neutralen Staates zu verletzen beabsichtigt. Ich werde in meiner Beweisführung darlegen, daß Großadmiral Raeder im Herbst 1939 vielseitige Nachrichten erhielt, daß die Alliierten sich mit den Plänen befaßten, die Hoheitsgewässer von Norwegen in eigenen Schutz zu übernehmen, beziehungsweise in Norwegen zu landen, um norwegische Stützpunkte in Händen zu haben. Ich komme auf diesen Punkt hinterher noch bei den Norwegen-Dokumenten. Ich möchte hier nun sagen, es ist notwendig, klarzulegen und zu beweisen, daß die rechtliche Einstellung der Alliierten zu der Frage der eventuellen Neutralitätsverletzung eines neutralen Staates in den Jahren 1939 und 1940 genau die gleiche gewesen ist, wie die Einstellung des Angeklagten Raeder im Falle Norwegen zu der gleichen Zeit.

Es ist daher notwendig, hierzu nicht nur das Gebiet Norwegen zu bringen, sondern zu zeigen, daß dies eine grundsätzliche Auffassung war, die sich auch durch Parallelfälle ohne weiteres an Hand dieser Dokumente nachweisen läßt. Die Parallelfälle erstrecken sich einmal auf die Planung der Alliierten auf dem Balkan und zweitens auf die Planung der Alliierten im kaukasischen Ölgebiet.

Meine sehr verehrten Herren! Ich bin weit davon entfernt, wie Sir David angedeutet hat, mit diesen Dingen unter dem Gesichtspunkt »tu quoque« zu arbeiten, also unter dem Gesichtspunkt, daß der Angeklagte etwas getan hat, was die Alliierten auch getan haben oder tun wollten. Es dreht sich nur um die rechtliche Beurteilung der Taten des Angeklagten Raeder. Derartige Taten kann man aber nur verstehen, wenn der gesamte Komplex gebracht wird. Es ist ja gerade meine Ansicht – und dazu beziehe ich mich auf das Gutachten von Dr. Mosler, Exhibit Raeder- 66 –, daß kein Vorwurf daraus gemacht werden kann. Es handelt sich, meine Herren, um das grundsätzlich im Völkerrecht anerkannte Recht der Selbsterhaltung. Ich darf in dieser Beziehung...

VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers! Sie wissen ja, wir wollen uns in diesem Stadium nicht zu sehr mit Einzelheiten befassen. Wenn Sie kurz Ihre unterstützenden Gründe anführen, werden wir in der Lage sein, über die Angelegenheit zu beraten.

DR. SIEMERS: Es tut mir außerordentlich leid, daß ich in diese Einzelheiten gehen muß, aber wenn durch den Einspruch der Anklage die Grundlage...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof will Ihre Einzelheiten nicht anhören; ich habe doch erklärt, daß der Gerichtshof Ihre Einzelheiten nicht anzuhören wünscht.

DR. SIEMERS: Also, ich bitte hier nur zu berücksichtigen, daß es sich um den völkerrechtlichen Grundsatz handelt, den Kellogg 1928 selbst auch festgelegt hat, nämlich das Recht der Selbsterhaltung – »The right of self-defense« –, und dafür möchte ich diese Dokumente anführen, daß entsprechend diesem Grundsatz völlig ordnungsmäßig die Alliierten gehandelt haben, dann aber auch ordnungsmäßig der Angeklagte Raeder.

Es kommt dann das Dokument Nummer 22. Ich habe eben verschiedene grundsätzliche Ausführungen gegeben, die auf einen großen Teil der weiteren Urkunden zutreffen, so daß ich mich auf meine bisherigen Ausführungen beziehen kann. Unter diese Ausführungen fallen die Dokumente 22 und 39.

Bezüglich der Dokumente Nummer 63 bis 64 darf ich darauf hinweisen, daß diese Dokumente Griechenland betreffen, und zwar nicht nur diese beiden, sondern nachher noch eine ganze Gruppe von ungefähr zehn bis zwölf Dokumenten, bei denen ich dann sehr schnell darüber hinweggehen kann und hierauf Bezug nehmen darf.

Bezüglich Griechenland liegt es folgendermaßen: Ich muß gestehen, daß ich außerordentlich überrascht bin, daß die Anklage bei diesen Dokumenten, also insgesamt ungefähr 14, Einspruch erhoben hat. Die Anklage hat in dem Dokument C-12, GB-226, Raeder den Vorwurf gemacht, daß er am 30. Dezember 1939 angeordnet hatte, ich zitiere:

»Griechische Handelsschiffe sind in der durch USA um England erklärten Sperrzone wie feindliche zu behandeln.«

Der Vorwurf ist berechtigt, wenn sich nicht Griechenland so verhalten hat, daß Raeder zu diesem Befehl kommen mußte.

Wenn die Dokumente bezüglich Griechenland, aus denen sich ergibt, daß Griechenland seine Neutralität nicht strikte innegehalten hat, gestrichen werden, so kann ich keinen Gegenbeweis führen. Ich glaube nicht, daß es die Absicht der Anklage ist, meine Beweisführung derartig zu beschränken.

Es handelt sich um Urkunden, die alle aus dieser Zeit stammen und die zeigen, daß Griechenland seine Handelsschiffe England, das mit Deutschland im Kriege stand, zur Verfügung stellte. Infolgedessen konnten sie als feindliche behandelt werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte bemerken, ich hätte dem Gerichtshof sagen sollen, daß ich keinen Einspruch gegen die Dokumente 53 und 54 erhebe, denn sie handeln von dem Chartern griechischer Schiffe durch die Britische Regierung.

VORSITZENDER: Aber Sie haben keinen Einspruch erhoben? Sie haben keinen Einwand gegen 53 oder 54 erhoben?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte klarstellen, daß ich keinen Einspruch gegen sie erhebe.

VORSITZENDER: Auf der Liste findet sich kein Einspruch. Wovon Sie sprechen, Dr. Siemers, ist 63 und 64 und nicht 53 und 54. Verzeihung, ich sehe es weiter unten. Ja, ich verstehe; streichen Sie das bitte aus.

DR. SIEMERS: Es besteht also kein Einspruch gegen 53 und 54?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, kein Einwand; mein Freund beschäftigte sich mit der griechischen Handelsflotte, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Ja, entschuldigen Sie, ich habe falsch gehört.

DR. SIEMERS: Für Dokument 71 gilt das gleiche wie für das bereits zu 101 bis 107 Gesagte. Nummer 99 gehört praktisch zu der sechsten Gruppe, zu den gesamten Norwegen-Dokumenten, so daß ich dazu nur einmal sprechen möchte und mich nachher wieder auf 99 beziehe.

Es handelt sich bei all diesen Dokumenten um Norwegen-Dokumente, also um die Dokumente, die die Planung bezüglich Norwegen seitens der Alliierten betrafen. In diesen Dokumenten ist in der Planung positiv von Landung in Narvik, von Landung in Stavanger, von Landung in Bergen, von der unbedingten Notwendigkeit, norwegische Stützpunkte in Händen zu haben, die Rede. Es ist in diesen Urkunden die Rede davon, daß die Möglichkeit der Erzversorgung aus Schweden Deutschland nicht überlassen werden dürfte. Es ist teilweise im Zusammenhang mit Finnland; es sind dabei ebenso Dokumente da, die denselben Plan aufrechterhalten, als der finnisch-russische Krieg schon beendet war.

Ich möchte an sich zum Nachweis der Erheblichkeit aus diesen Dokumenten zitieren. Da das Gericht mir erklärt hat, daß ich das nicht soll, bitte ich, sich mit diesen kurzen Hinweisen zu begnügen. Die Tatsachen, die in diesen Dokumenten stehen, decken sich absolut genau mit denjenigen Nachrichten, die Großadmiral Raeder vom September 1939 bis März 1940 durch den Nachrichtendienst der Deutschen Wehrmacht, der von Admiral Canaris geleitet wurde, erhalten hat. Diese Planungen decken sich mit den Nachrichten, die Raeder durch den Marineattaché in Oslo, Korvettenkapitän Schreiber, auch im gleichen halben Jahr erhalten hat, und mit den Nachrichten, die er durch einen Brief von Generaladmiral Carls Ende September 1939 bekam.

Die Nachrichten aus diesen drei Quellen haben den Angeklagten Raeder veranlaßt, auf die große Gefahr hinzuweisen, die darin liegt, daß Norwegen in die Hände der Alliierten käme und daß dann der Krieg für Deutschland verloren sei; also eine rein strategische Überlegung.

Die Besetzung Norwegens hat nichts, wie die Britische Anklage sagte, mit Ruhm- oder Eroberungssucht zu tun, sondern nur mit diesen positiven Nachrichten. Ich muß also beweisen, erstens, daß der Angeklagte Raeder diese Nachrichten erhielt und zweitens, daß diese Nachrichten objektiv begründet waren.

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Beschäftigen Sie sich mit Dokument 99?

DR. SIEMERS: Dies bezieht sich auf 99 und auf die gesamte sechste Gruppe.

VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie mit Gruppe 6 meinen. 99 ist in Gruppe B.

DR. SIEMERS: Die Gruppe unter »F«, die Sir David sechste Gruppe genannt hat, die letzte auf der Seite.

VORSITZENDER: Der Einspruch der Anklagevertretung gegen diese Dokumente bestand darin, daß es ein Dokument vom 27. April 1940 war, einer Zeit, als Deutschland schon in Norwegen eingefallen war. Sie haben davon nichts gesagt.

DR. SIEMERS: Ich wollte an sich vermeiden, über jedes einzelne Dokument zu sprechen, weil ich glaube, daß diese generell zu behandeln sind, aber ich will gern zu diesem speziellen Fall...

VORSITZENDER: Ich möchte nicht, daß Sie sich mit jedem Dokument besonders befassen, Dr. Siemers; ich dachte, Sie beschäftigten sich mit Dokument 99. Wenn Sie sie in Gruppen behandeln können, so tun Sie das auf jeden Fall. Sie nehmen aber sehr viel Zeit des Gerichtshofs in Anspruch.

DR. SIEMERS: Es handelt sich bei 99 um die Niederschrift über die neunte Sitzung des Obersten Rates, also der leitenden Militärführung zwischen England und Frankreich vom 27. April. Zweifellos zeigt die Überschrift, daß es nach der Besetzung Norwegens war. Das ist aber nur ein formaler Einwand. Der Inhalt des Dokuments zeigt, daß die bei dieser Sitzung Beteiligten über die Vorgänge Sprachen aus der Zeit vor der Besetzung; und an dieser Sitzung nahmen die wesentlichsten Führer der Alliierten teil. Es waren zugegen Chamberlain, Halifax, Churchill, Sir Samuel Hoare, Sir Alexander Cadogan und so weiter; es waren auf französischer Seite Reynaud, Daladier, Gamelin, Darlan, und die sprachen über die früheren Pläne, die, wie ich zugebe, mißglückt waren durch die deutsche Besetzung von Norwegen, aber sie sprachen darüber, wie die Eisenerzgruben in Schweden in die Hände der Alliierten hätten kommen müssen, was man nun tun könne, um nun zu verhindern, daß Deutschland das Erz endgültig bekomme, und wie man erreichen könne, daß diese Eisenerzvorkommen zerstört werden.

Ich glaube daher, daß, wenn es auch formell aus einer späteren Zeit stammt, der Gedankengang, den ich vorgebracht habe, von Bedeutung ist.

Es ist dann das Dokument Nummer 100. 100 ist die Sitzung des französischen Kriegsausschusses vom 9. April 1940, die sich mit dem gleichen Problem beschäftigt; was von alliierter Seite geplant war und was nun geplant werden könnte, wo gerade die Nachricht eingelaufen war über die Aktion Deutschlands.

102 bis 107 waren schon behandelt.

Für 110 gilt dasselbe wie für meine Ausführungen zu den Dokumenten 101 bis 107.

112 ist ein Dokument, in dem darauf hingewiesen wird, daß Churchill bereits im Mai 1940 in der Erwartung eines aktiven Eingreifens von Amerika war. Ich wollte es im Zusammenhang mit dem gegen den Angeklagten Raeder erhobenen Vorwurf bringen, daß er im Frühjahr 1941 darauf hingewirkt habe, einen Krieg gegen die USA durch Japan anzuzetteln. Es ist eine Urkunde, die nicht im entschiedensten für mich die Bedeutung hat wie die grundsätzlichen, die ich mit längeren Ausführungen belegt habe. Ich überlasse es daher vollständig der Anklage beziehungsweise dem Gericht.

Die nächste Gruppe sind Dokumente, die im Ribbentrop-Fall abgelehnt worden sind. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß ich nicht die Möglichkeit gehabt habe, im Ribbentrop-Fall zu der Berechtigung und Erheblichkeit dieser Dokumente Stellung zu nehmen. Ich halte es daher für reichlich summarisch, einfach zu erklären, diese Dokumente sind bei Ribbentrop abgelehnt, die Vorwürfe gegen Ribbentrop...

VORSITZENDER: Wir haben die Argumente schon sorgfältig geprüft und entschieden, daß diese Dokumente unzulässig sind.

DR. SIEMERS: Ich hatte geglaubt, daß die Entscheidung den Ribbentrop-Fall betrifft, da ja unter einem anderen Gesichtspunkt gar nicht bei der Verhandlung gesprochen ist, nämlich nicht über die gegen Raeder erhobenen Vorwürfe, wo in Dokument C-152 präzise gesagt wird, Raeder hätte veranlaßt, daß ganz Griechenland besetzt wird. Das ist ein Vorwurf, der gegen Ribbentrop nicht erhoben ist, sondern nur gegen Raeder. Wie soll ich den Vorwurf entkräften, wenn mir die Dokumente genommen werden?

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof kennt die Dokumente und kennt die Anschuldigungen gegen Raeder und wünscht nicht, weitere Argumente darüber zu hören. Er wird die Sache beraten.

DR. SIEMERS: Ich bitte um Entschuldigung. Ich muß unter diesen Umständen eben vergleichen, ob alle Dokumente überhaupt bei Ribbentrop sind. Meine Aufzeichnungen, wie ich bereits heute morgen der Anklagebehörde sagte, decken sich nicht mit der Angabe der Anklage. Ich darf sonst eventuell, wenn ich das schon im Augenblick nicht kann, nach der Sitzung noch darauf hinweisen, falls nur die Dokumentenübereinstimmung nicht stimmt.

Es ist nämlich tatsächlich so, daß diese Dokumente im Falle Ribbentrop nicht vollständig gebracht sind, also das Gericht die Dokumente nicht vollständig kennt; ob Herr Dr. Horn genau dieselben Teile abgeschrieben hat oder nicht, kann ich zum einzelnen Dokument jetzt nicht sagen; ich weiß nur, daß bei der überwiegenden Anzahl die Wiedergabe aus den Dokumenten bei Dr. Horn nicht vollständig ist, eben aus seinem anderen Fall heraus, weil er es nur unter dem Gesichtspunkt Ribbentrops gebracht hat.

VORSITZENDER: Vermutlich haben Sie Ihre Auszüge der Anklagevertretung zugeleitet. Die Anklagevertretung sagt aus, daß diese Auszüge dieselben sind, die im Falle Ribbentrop zurückgewiesen wurden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Wir haben nur eine Liste dieser Dokumente. Wir haben die Auszüge nicht gesehen.