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[Pause von 10 Minuten.]

DR. DIX: Es ist nun hier von verschiedenen Sitzungen die Rede gewesen, in denen Hitler sich über seine Kriegsabsichten direkt oder indirekt geäußert haben soll. Haben Sie an solchen Sitzungen teilgenommen?

SCHACHT: An keiner einzigen.

DR. DIX: Sie waren, wie Sie bekundet haben, in vielen Dingen anderer Ansicht als Hitler und die Partei. Haben Sie dies zum Ausdruck gebracht oder haben Sie sich den Anordnungen Hitlers immer gefügt? Können Sie insbesondere Belege geben für Ihre kritische Haltung zum Beispiel in der Judenfrage, in der Kirchenfrage, in der Gestapofrage, Freimaurerfrage und so weiter?

SCHACHT: Ich darf vorausschicken, daß mir Hitler niemals irgendeinen Befehl oder eine Anweisung gegeben hat, die gegen meine Auffassung sprechen würde oder gesprochen hätte, und daß ich auch niemals irgend etwas getan habe, was gegen meine innere Überzeugung sprach. Ich habe von Anfang an auch Hitler persönlich gegenüber, nicht nur meinen Freunden und weiteren Parteikreisen, sondern auch der ganzen Öffentlichkeit gegenüber aus meiner Überzeugung in all den Fragen, die Sie hier eben genannt haben, kein Hehl gemacht.

Ich habe bereits hier einmal ausgesprochen, daß ich schon nach der Parteibereinigung vom 30. Juni 1934 Hitler auf das Ungesetzliche seines Handelns aufmerksam gemacht habe.

Ich berufe mich des weiteren auf ein Dokument, welches leider von der Anklagebehörde hier nur zur Hälfte vorgebracht worden ist. Es handelt sich um einen schriftlichen Bericht, den ich am 3 Mai 1935 Hitler persönlich übergeben habe. Ich erinnere mich dieses Datums deshalb sehr genau, weil es auf einer Probefahrt des Lloyd-Dampfers »Scharnhorst« war, die Hitler sowohl wie ich mitmachte.

Ich habe ihm an diesem Tage zwei zusammenhängende Memoranden überreicht, die gewissermaßen zusammen eine Einheit bildeten. In der einen Hälfte handelte es sich darum, daß ich die wilden und fortgesetzten Geldsammlungen der verschiedensten Parteiorganisationen abstoppen wollte, weil es mir schien, daß das Geld nicht für Parteizwecke, insbesondere für Parteieinrichtungen, Parteibauten und dergleichen, verwendet werden sollte, sondern daß wir dieses Geld notwendig brauchten für die Staatsausgaben, die zu bezahlen waren, unter denen selbstverständlich auch die Rüstungsfrage war.

Die zweite Hälfte dieses Berichtes handelte von den kulturellen Fragen. Die Verteidigung und ich haben uns seit Monaten bemüht, diese zweite Hälfte des Dokuments von der Prosecution zu erhalten, nachdem sie die erste Hälfte dieses Dokuments hier als Beweisstück eingeliefert hat. Es ist nicht möglich gewesen, diese zweite Hälfte zu erhalten. Ich muß mich deshalb darauf beschränken, ihren Inhalt hier mitzuteilen.

Ich schicke voraus, daß ich selbstverständlich alle solche Vorhaltungen über die falsche Rechts- und Kulturpolitik der Partei und Hitler immer nur vorbringen konnte mit einer Begründung, die aus meinem Ressort herauskam, denn nur das gab mir die Legitimation, diese Dinge vor Hitler zu bringen. Ich habe deshalb ausgeführt, daß meine Außenhandelspolitik auf das schwerste geschädigt würde durch die willkürliche und inhumane Kultur- und Rechtspolitik, die Hitler betrieb. Ich habe insbesondere auf die Anfeindung der Kirchen verwiesen, ich habe insbesondere verwiesen auf die ungesetzliche Behandlung der Juden und habe weiter insbesondere verwiesen auf die absolute Ungesetzlichkeit und Willkür des ganzen Gestapo-Regimes. Ich erinnere mich dabei, daß ich auf die englische Habeas Corpus-Akte verwiesen habe, die Jahrhunderte zurück die Rechte der Persönlichkeit schützte und daß ich wörtlich zum Ausdruck gebracht habe, daß ich diese Gestapowillkür für etwas hielte, was uns in der ganzen Welt verächtlich mache.

Hitler hat die beiden Teile dieser Denkschrift sofort an Bord der »Schamhorst« gelesen, bat mich sofort, nachdem er sie gelesen hatte, zu sich und hat versucht, mich zu beruhigen mit ähnlichen Ausführungen, wie er sie im Juli 1934 schon zu mir gemacht hatte, daß das noch Übergangserscheinungen einer revolutionären Entwicklung seien und daß sich das im Laufe der Zeit schon einrenken und verlieren würde.

Ich war aber durch die Vorgänge vom Juli 1934 gewitzigt und habe mich infolgedessen bei dieser Aufklärung nicht beruhigt, sondern ich habe wenige Wochen darnach, am 18. August 1935, einen Besuch auf der Ostmesse in Königsberg dazu benutzt, um in der Ansprache, die ich dort zu halten hatte, auf diese Dinge zurückzukommen, und ich habe hier in aller Deutlichkeit die gleichen Einwände erhoben, die ich anfangs Mai Hitler auf der »Schamhorst« persönlich gemacht hatte.

Ich bemerke, daß ich hier nicht nur von der Kirchenfrage, von der Judenfrage, von der Willkürfrage, sondern auch von der Freimaurer-Behandlung gesprochen habe, und ich zitiere mit Erlaubnis des Gerichts nur wenige Sätze aus dieser Rede. Sie sind ganz kurz. Ich spreche dann von Leuten, und jetzt zitiere ich...

DR. DIX: Einen Moment. Ich will nur dem Gericht sagen, das ist diese Königsberger Rede, die ich heute früh als Dokument überreicht habe.

SCHACHT: Ich spreche hier von Leuten, und nun zitiere ich:

»...Leute, die nächtlicherweise heldenhaft Fensterscheiben beschmieren, die jeden Deutschen, der in einem jüdischen Geschäft kauft, als Volksverräter plakatieren, die alle ehemaligen Freimaurer für Lumpen erklären und die, im berechtigten Kampfe gegen politisierende Pfarrer und Kapläne nun ihrerseits die Unterscheidung zwischen Religion und Kanzelmißbrauch nicht machen können...«

Und einen anderen Satz. Ich zitiere:

»Nach wie vor ist nach dem Stande der Gesetzgebung, wie nach den verschiedensten Erklärungen des Stellvertreters des Führers, des Reichsministers des Innern und des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda (vom Wirtschaftsministerium ganz zu schweigen), den jüdischen Geschäften die Ausübung ihrer geschäftlichen Tätigkeit gestattet.«

Und dann ein letzter Satz. Ich zitiere:

»Niemand in Deutschland ist rechtlos. Nach Punkt 4 des nationalsozialistischen Programms kann der Jude weder Staatsbürger noch Volksgenosse sein. Aber Punkt 5 des Parteiprogramms sieht auch für ihn eine Gesetzgebung vor das heißt er darf nicht der Willkür unterstehen, sondern dem Gesetz.«

Ich habe diese gleiche Haltung bei jeder sich bietenden weiteren Gelegenheit eingenommen.

DR. DIX: Einen Moment. Dr. Schacht, hat sich denn das Regime diese Rede ohne weiteres gefallen lassen?

SCHACHT: Es ist gut, daß Sie mich daran erinnern, weil im Verlauf der Zeugenaussage Gisevius bezüglich der Marburger Rede des Herrn von Papen über dieselbe Frage gesprochen wurde Da meine Reden vorher nicht der Zensur unterlegen waren – das hätte ich mir selbstverständlich nicht gefallen lassen –, so ging diese Rede, aus Versehen sozusagen, über den Deutschlandsender. Dadurch wurde der Propagandaminister Goebbels auf diese Rede aufmerksam und er erließ unmittelbar danach das Verbot, diese Rede in den Zeitungen wiederzugeben. Infolgedessen ist diese Rede zwar über den Deutschlandsender gelaufen, ist aber in keiner Zeitung nachgedruckt worden. Da nun die Reichsbank glücklicherweise über eine eigene Druckerei verfügte, die selbstverständlich der Zensur nicht unterlag, so habe ich diese Rede in der Reichsbankdruckerei drucken lassen, und sie ist dann in 250000 Exemplaren über die 400 Reichsbankfilialen im Lande über das ganze Land verbreitet worden und wurde auf diese Weise in der ganzen Bevölkerung bekannt.

DR. DIX: Bitte schön, Sie wollten fortfahren?

SCHACHT: Ich wollte fortfahren, daß ich bei allen sich bietenden kommenden Gelegenheiten, die ich geradezu gesucht habe, immer wieder auf diese Punkte zurückgekommen bin. Ich möchte nur zwei Dinge hier noch berühren.

Ich habe heute früh schon in dem Brief, den ich am 24. Dezember 1935 dem Reichskriegsminister schrieb, auf diese Dinge hingewiesen (Dokument EC- 293) und möchte hier nur noch die Worte hinzufügen und auf sie aufmerksam machen, die ich jetzt zitiere:

»Die wirtschafts- und rechtspolitische Behandlung der Juden, die antikirchliche Bewegung gewisser Parteiorganisationen und die Rechtswillkür, die sich um die Gestapo herumgruppiert, bilden eine Beeinträchtigung unserer Rüstungsaufgabe...«

Am 12. Mai 1936 erweist sich aus einem Sitzungsprotokoll des sogenannten Kleinen Ministerrates, welches hier von der Anklage als Beweisstück eingereicht worden ist, wiederum dieselbe Haltung. Es heißt in diesem Protokoll, ich zitiere:

»Dr. Schacht hat immer wieder offen betont, man müsse eine Kultur- und Rechtspolitik treiben, welche die Wirtschaft in Ruhe läßt.«

Ich bemerke hierzu, daß ich natürlich immer wieder als Wirtschaftsminister meine Legitimation an diesen Stellen des Wirtschaftsministers angeknüpft habe. Und als letztes Beispiel neben vielen anderen, die ich heute hier nicht beibringen kann, eine Ansprache bei einer Lehrlingsfeier der Handwerkerlehrlinge im Rahmen der Berliner Handwerkerkammer am 11. Mai 1937, Beweisstück Nummer 30. Dort habe ich folgendes ausgeführt. Ich zitiere:

»Kein Gemeinwesen und vor allem kein Staat gedeiht, der nicht auf Gesetzlichkeit, Ordnung und Disziplin aufgebaut ist.«

Und ein zweiter Satz, ich zitiere:

»Darum sollt Ihr nicht nur selbst Recht und Gesetz achten, sondern Ihr sollt auftreten wider Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit überall, wo Ihr ihnen begegnet.«

Auf diese Weise und weil diese Haltung immer wieder nicht nur im engeren Kreise bekannt wurde, sondern ich ungeniert bei jeder möglichen öffentlichen Gelegenheit diese Haltung zum Ausdruck gebracht habe, resultiert es, daß mich vor einigen Wochen hier der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Abteilung III, Sicherheitsdienst, der Zeuge Ohlendorf, auf Befragen hier als Parteifeind bezeichnet hat, mindestens seit dem Jahre 1937/1938; und ich glaube, der Chef des Sicherheitsdienstes, Abteilung Inland, mußte es wissen, denn ihm oblag die Bekämpfung der innerpolitischen Gegner.

DR. DIX: Ich darf darauf hinweisen, daß diese Ausführungen in der Sitzung des Kleinen Ministerrats vom 12. Mai 1936 auch in meinem Dokumentenbuch enthalten sind, Schacht Exhibit Nummer 20, Seite 57 des englischen Textes und Seite 51 des deutschen Textes.

Und was die Ansprache Schachts an die Industrie- und Handelskammer anlangt vom 12. Mai 1937...

SCHACHT: Handwerkerkammer.

DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Ich komme nachher nochmal darauf zurück, wenn ich die richtige Urkunde habe. Ich fahre jetzt fort.

Über Ihre Teilnahme an den Reichsparteitagen haben wir gesprochen, und ich möchte noch ergänzend fragen: Haben Sie sich an sonstigen Parteiveranstaltungen beteiligt?

SCHACHT: Ich erinnere mich nicht, jemals an irgendeiner anderen Parteiveranstaltung teilgenommen zu haben.

DR. DIX: Nun enthält die Anklageschrift wörtlich, sozusagen als Tenor, folgenden Satz: Es wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, Ihren persönlichen Einfluß und Ihre enge Verbindung mit dem Führer ausgenutzt zu haben zu dem bekannten Zweck. Hatten Sie nach Ihrer Erfahrung und besten Überzeugung irgendwelchen Einfluß auf den Führer?

SCHACHT: Ich für meine Person habe einen Einfluß auf die Betätigung und auf die Entschließungen des Führers leider niemals gehabt. Ich habe einen Einfluß gehabt lediglich insofern, als er mich in meiner speziellen Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht zu stören wagte. Im übrigen ist über die Einflußlosigkeit sämtlicher Mitglieder der Umgebung Hitlers von den verschiedensten Zeugen hier so viel gesagt worden, daß ich glaube, die Zeit des Gerichts nicht auch damit noch weiter belasten zu sollen.

DR. DIX: Das letzte, was Sie sagten, gilt im wesentlichen auch für die Frage, wer Einfluß hatte, für die Frage des Einflusses des Reichskabinetts, für die letzten Tagungen des Reichskabinetts und so weiter. Es sind ja von den verschiedensten Zeugen hierzu schon Bekundungen gemacht worden. Haben Sie da irgend etwas Neues hinzuzufügen?

SCHACHT: Ich kann nur im allgemeinen hinzufügen, daß das Reichskabinett nicht den leisesten Einfluß auf Hitler hatte und daß es ja vom November 1937 an – wie hier wiederholt bekundet worden ist – überhaupt nicht mehr zu Beratungen zusammengetreten ist. Das Reichskabinett war eine untereinander unzusammenhängende Gruppe politisch impotenter und fachlich durchaus ungeeigneter Fachminister.

DR. DIX: Ich hole nach, die Nummer der Rede vor der Handwerkerkammer ist Exhibit Nummer 30, Seite 89 des englischen Textes und Seite 82 des deutschen Textes.