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[Zum Gerichtshof gewandt:]

Dieses Schreiben ist unter 3700-PS von der Prosecution bereits eingereicht; es befindet sich aber auch in unserem Dokumentenbuch unter der Exhibit-Nummer 23; Seite 66 des englischen Textes und Seite 59 des deutschen Textes. Wenn uns die Zeit nicht so drängte, wäre es mir ein besonderer Genuß, dieses Schreiben in extenso hier vorzutragen. Es ist ein sehr schönes Schreiben, aber ich möchte auf die Zeit Rücksicht nehmen und bitte Sie nur, Dr. Schacht, ganz kurz zu seinem Inhalt Stellung zu nehmen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird den Brief lesen. Also ist es wohl nicht notwendig, ihn hier zu verlesen?

DR. DIX: Gut, ja also, dann darf er sich vor der Pause zu diesem Brief noch kurz äußern, oder wollten Sie nichts mehr sagen?

SCHACHT: Ja. Ich möchte dabei noch sagen, wenn es erlaubt ist, daß dieser Brief nach meiner Kenntnis von dem amerikanischen Hauptanklagevertreter hier bereits verlesen worden ist.

DR. DIX: Verlesen?

SCHACHT: Oder erwähnt; wenigstens wurde er in den wichtigsten Punkten verlesen. Ich glaube, es genügt, wenn Sie den Brief dem Gericht als Beweisstück einreichen.

DR. DIX: Ja, das ist geschehen.

Und das war nun Ihre ganze Tätigkeit als Reichsminister ohne Portefeuille?

SCHACHT: Ja, damit endet es...

DR. DIX: Also kann man, wenn man Sie unter einer »headline« bezeichnen will, wirklich sagen: ein reiner Charakter-Major.

SCHACHT: Ich weiß nicht, was ein Charakter-Major ist. Jedenfalls war ich nie Major, aber habe immer Charakter besessen.

DR. DIX: Aber, Dr. Schacht, das ist eine historische Bemerkung über die Autorität, die Wilhelm der Erste als deutscher Kaiser machte, Bismarck gegenüber.

VORSITZENDER: Ich denke, jetzt ist es Zeit, eine Pause einzuschalten.

[Pause von 10 Minuten.]

DR. DIX: Nun, Dr. Schacht, wir sprachen von dem Brief vom 30. November 1942, an Göring. Hatte dieser Brief irgendwelche Folgen?

SCHACHT: Ja, dieser Brief hatte sehr erhebliche Folgen, und zwar die Folge, daß mir am 22. Januar endlich die ersehnte Entlassung aus meinem Amte eines nominellen Ministers ohne Portefeuille bewilligt wurde, allerdings mit einer Begründung, die nun weniger angenehm war. Ich glaube, das Schreiben ist bei den Akten des Gerichts bereits eingereicht. Es ist ein Begleitschreiben zu der offiziellen Entlassungsurkunde von Lammers.

DR. DIX: Ja, gut. Wir haben es ja zum Gegenstand der Vernehmung von Lammers gemacht.

SCHACHT: Ja. Ich möchte nur auf die Äußerung kommen, die sagt: »... mit Rücksicht auf Ihre Gesamthaltung im gegenwärtigen Schicksalskampf der deutschen Nation...« – das war also meine gesamte Einstellung.

DR. DIX: Meine Herren, das ist Nummer 26 des Dokumentenbuches. Es ist Seite 76 des englischen Textes und Seite 69 des deutschen Textes.

[Zum Zeugen gewandt:]

Fahren Sie fort, bitte.

SCHACHT: Es war also meine Gesamthaltung in diesem Kriege, die zu meiner Entlassung führte; und die Entlassung enthielt ferner die Mitteilung, daß ich zunächst verabschiedet werden würde. Dieses »zunächst« hat nach Aussage des Zeugen Lammers, wie wir gehört haben, der Führer jedenfalls aus seiner Initiative heraus in das Schreiben eingefügt, und ich bin mir auch dieses Wortes sehr klar bewußt gewesen, als ich den Brief bekam. Ich bin zwei Tage darauf aus dem Preußischen Staatsrat, dem ich angehörte, ausgewiesen worden – übrigens eine Körperschaft, die seit mindestens acht Jahren nicht mehr zusammengetreten war –, jedenfalls, ich war nicht dabei. Oder seit sechs Jahren, das weiß ich nicht. Und zwar ist mir der Wortlaut dieses Bescheides von dem Vorsitzenden des Staatsrats, Hermann Göring, mitgeteilt worden und ist mir wegen seines beinahe amüsanten Inhalts sehr deutlich in Erinnerung geblieben. Er lautete: »Meine Antwort auf Ihren defaitistischen, die Widerstandskraft des deutschen Volkes untergrabenden Brief ist, daß ich Sie aus dem Preußischen Staatsrat ausweise.«

Ich sage amüsant deshalb, weil ein verschlossener Brief von mir an Göring ja unmöglich die Widerstandskraft des deutschen Volkes erschüttern konnte. Eine weitere Folge war, daß von dem Parteileiter Bormann die Rückgabe des Goldenen Partei-Ehrenzeichens verlangt wurde, was ich sofort getan habe. Im übrigen wurde ich in den nächsten Tagen von der Gestapo ganz besonders streng überwacht. Ich habe sofort meinen Berliner Wohnsitz aufgegeben, und zwar innerhalb von 24 Stunden, wobei mich die Gestapo- Spitzel den ganzen Tag zu Fuß und per Auto durch ganz Berlin verfolgt haben, und habe mich dann ganz still auf mein Landgut zurückgezogen.

DR. DIX: Da nun einmal in dem Trialbrief materielle und pekuniäre Beweggründe für Ihre Entschlüsse unterstellt werden, erscheint mir auch die Frage berechtigt und notwendig, wie es denn überhaupt mit Ihren Vermögens- und Einkommensverhältnissen seit 1933 gestanden hat. Ich bitte Sie, dabei in Ihrer Antwort mit zu berücksichtigen, daß es auffällt, daß Sie im Jahre 1942 ein erhöhtes Einkommen hatten.

SCHACHT: Es ist in der Presse vor einigen Monaten unter Billigung offenbar der Militärregierung eine Aufstellung erschienen über die Dotationen, die die deutschen Minister und Parteiführer erhalten haben, und im Zusammenhang damit über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Darunter bin auch ich aufgeführt, zwar nicht unter den Dotationen, aber es ist ausgeführt, daß ich im Jahre 1942 ein ungewöhnlich hohes Einkommen gehabt habe. Diese Aufstellung ist unrichtig, weil nämlich die Ziffer eine Bruttoziffer ist und nicht berücksichtigt, daß von dieser Ziffer nachher die Kriegsgewinnsteuer abgegangen ist, die damals bei der Aufstellung noch nicht feststand, so daß von der Summe, die dort angegeben ist, 80 Prozent ungefähr abgezogen werden müssen. Dann ist das Einkommen in keiner Weise irgendwie mehr auffällig.

Bezüglich meines Vermögensstandes ergibt sich auch aus dieser Aufstellung, daß der Vermögensstand in dem Vergleichsraum von zehn Jahren sich kaum verändert hat, und ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß in den letzten zwanzig Jahren mein Vermögen ungefähr immer gleich geblieben ist und sich nicht vermehrt hat.

DR. DIX: Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie aus eigener Initiative Ihr Gehalt als Reichsbankpräsident zu einer gewissen Zeit herabgesetzt?

SCHACHT: Als ich auf Vorschlag Hitlers vom Präsidenten Hindenburg März 1933 wieder zum Reichsbankpräsidenten ernannt wurde, stellte mir Hitler frei, mein Einkommen selber zu bemessen, Ich habe mein Einkommen damals auf weniger als 35 Prozent meines früheren Reichsbankeinkommens freiwillig herabgesetzt.

DR. DIX: Haben Sie jemals Geschenke oder Dotationen von Hitler erhalten, sei es in Geld, sei es in Sachwerten?

SCHACHT: Wie ich eben bereits erwähnt habe, habe ich nie irgendwelche Dotationen von Hitler erhalten. Er hätte wohl auch nie riskiert, mir eine solche anzubieten. Ein Geschenk habe ich in der Tat von Hitler erhalten, und zwar zu meinem 60. Geburtstage hat er mir ein Bild geschenkt, welches immerhin einen Wert von etwa 20.000 Mark haben dürfte; es war ein Ölgemälde von einem deutschen Maler, Spitzweg, hätte aber ungefähr einen Wert gehabt von 200.000 Mark, wenn es echt gewesen wäre. Ich habe das Bild, schon als es mir in das Zimmer gebracht wurde, als eine Fälschung erkannt, und es ist mir gelungen, nach drei Monaten etwa das Original des Bildes ausfindig zu machen. Ich habe einen Prozeß veranlaßt über die Echtheit des Bildes. Die Fälschung würde vor Gericht festgestellt.

VORSITZENDER: So etwas gehört nicht vor diesen Gerichtshof.

DR. DIX: Hat Ihnen Hitler jemals eine Uniform verliehen oder irgendeinen Orden oder militärischen Dienstgrad?

SCHACHT: Wenn der Gerichtshof es mir nicht übel nimmt, möchte ich noch feststellen, ich habe die Fälschung zurückgegeben und keinen Ersatz dafür bekommen, so daß ich keine Geschenke von Hitler erhalten habe.

Eine Uniform hat mir Hitler angeboten. Ich könnte jede Uniform bekommen, die ich mir wünschte, aber ich habe nur abwehrend die Hände erhoben und keine Uniform akzeptiert, auch keine Beamtenuniform, weil ich keine Uniform wünschte.

DR. DIX: Nun zu etwas anderem. Wußten Sie etwas von den Konzentrationslagern?

SCHACHT: Gleich im Jahre 1933, als die Konzentrationslager von Göring eingerichtet wurden, habe ich gehört, und zwar mehrfach, daß politische Gegner und sonstige unbeliebte und unbequeme Leute in das Konzentrationslager abgeführt wurden. Ich habe mich über diese Freiheitsberaubung selbstverständlich damals sehr erregt und habe ständig verlangt, soweit ich dazu in Gesprächen in der Lage war, daß der Verhaftung und Abführung in das Konzentrationslager eine gerichtliche Klarstellung mit Verteidigung und dergleichen und entsprechendem Gerichtsverfahren folgen müsse. In diesem Sinne hat sich ja auch der Reichsinnenminister Dr. Frick damals in der ersten Zeit sehr energisch verwahrt. In der Folgezeit ist dann diese Art von Einsperrung und so weiter weniger öffentlich bekanntgeworden, und ich entnahm daraus, daß die Dinge langsam abebbten. Erst sehr viel später, also sagen wir in der zweiten Hälfte 1934 und 1935...

DR. DIX: Als Sie Gisevius kennenlernten, meinen Sie?

SCHACHT: Ja, als ich Gisevius kennenlernte, ist mir immer wieder gelegentlich gesagt worden, daß nicht nur die Freiheitsberaubung fortgesetzt wurde, sondern daß auch bei gewissen Gelegenheiten Mißhandlungen, also Prügeleien und dergleichen, stattfanden. Ich habe bereits hier vor Gericht ausgesagt, daß ich infolgedessen schon im Mai 1935 Gelegenheit genommen habe, persönlich Hitler auf diese Dinge aufmerksam zu machen, und daß ich ihm damals gesagt habe, ein solches System mache uns in der ganzen Welt verächtlich und müsse aufhören. Ich habe erwähnt, daß ich öffentlich auch gegen alle diese Dinge immer wieder aufgetreten bin, so oft sich eine Möglichkeit dazu ergab.

Aber von den schweren Mißhandlungen und den Untaten – Mord und dergleichen –, die später eingesetzt haben, habe ich nie etwas gehört. Wahrscheinlich weil erstens diese Dinge ja wohl erst eingesetzt haben nach dem Kriege, nach Kriegsbeginn, und weil ich ja schon von 1939 an sehr zurückgezogen gelebt habe. Ich habe von diesen Dingen, in dieser entsetzlichen Form noch dazu, hier erst im Gefängnis gehört. Ich habe allerdings schon in den Jahren 1938 und so weiter von Judendeportationen gehört; aber ich habe dabei, weil einzelne Fälle an mich herangebracht wurden, immer nur feststellen können, daß es sich um Deportationen nach Theresienstadt handelte, wo angeblich ein Sammellager für Juden sein sollte, wo die Juden untergebracht wurden, bis zu einem späteren Termin, wo dann das Judenproblem weiter behandelt werden sollte. Von irgendwelchen körperlichen Mißhandlungen oder gar Tötungen oder dergleichen habe ich nie etwas gehört.

DR. DIX: Haben Sie sich einmal ein Konzentrationslager angesehen?

SCHACHT: Ich habe Gelegenheit gehabt, mehrere Konzentrationslager kennenzulernen, als ich am 23. Juli 1944 selber in ein Konzentrationslager geschleppt wurde. Vorher habe ich mir nie ein Konzentrationslager angesehen; aber danach habe ich nicht nur die normalen Konzentrationslager, sondern auch das Vernichtungslager Flossenbürg kennengelernt.

DR. DIX: Haben Sie nicht einmal in Flossenbürg den Besuch eines, wenn ich so sagen darf, Gesinnungsgenossen gehabt?

SCHACHT: Ich weiß von dieser Angelegenheit lediglich aus dem Brief, den dieser Herr an Sie oder hier an das Gericht, glaube ich, gerichtet hat, worin er diesen Besuch schildert, und ich kann nur aus eigener Wahrnehmung...

JUSTICE JACKSON: Ich halte es für unangebracht, den Inhalt eines Briefes einer nicht identifizierten Person bekanntzugeben. Ich habe dem Gerichtshof bereits gesagt, daß wir alle derartigen Briefe von nicht identifizierten Personen bekommen – und auch wenn er identifiziert wird, so ist es nicht im Beweisverfahren geschehen. Sicherlich bekommen die Mitglieder des Gerichtshofs viele solcher Briefe. Falls das als Beweismaterial angesehen wird, müßte die Anklagebehörde den Prozeß von neuem beginnen; denn ich habe Körbe voll solcher Briefe. Ich halte es im höchsten Maße für unpassend, sich solcher Mitteilungen zu bedienen und sie direkt als Beweismaterial vorzubringen, und halte es für noch unpassender, sie hier mündlich zu zitieren, ohne das Dokument selbst vorzulegen. Ich finde nicht, daß diese Art von Dokumenten einen Beweiswert hat und erhebe Einspruch dagegen.

DR. DIX: Ich bitte, sagen zu dürfen, daß ich nie etwas Improperes tun würde und auch nicht getan habe. Ich beabsichtige in keiner Weise, diesen Brief – es ist ein ganz harmloser scherzhafter Brief – dem Gerichtshof als Beweisdokument vorzulegen. Aber dieser Brief, der durchaus regulär an mich gekommen ist, hat Dr. Schacht und mir die Kenntnis davon gegeben, daß ein Mordplan gegen ihn in Flossenbürg bestand. Deshalb habe ich ja, auch den Zeugen Kaltenbrunner in dieser Angelegenheit befragt, und der einzige Grund, daß ich Dr. Schacht frage, ist, daß ich von ihm erwarte, daß er dem Gerichtshof nun mitteilt, daß tatsächlich nach dieser Mitteilung ein Mordbefehl gegen ihn damals bestanden hat. Diese Tatsache, nicht der Brief, ist nicht ganz ohne Bedeutung; denn wenn ein Regime einen Menschen umbringen will, so ist das mindestens ein Beweis dafür, daß es ihm gegenüber nicht ausgesprochen wohlgesinnt ist. Das ist der einzige Grund, warum ich bat, diesen Brief vorzulegen, und er steht natürlich Herrn Justice Jackson zur Verfügung. Es ist wirklich ein ganz amüsanter, von einem einfachen Mann geschriebener Brief. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, diesen Brief als Beweisdokument vorzulegen. Wenn das Gericht Bedenken hat, die Sache zu hören, eine Sache, die ebenfalls behandelt wurde, als Kaltenbrunner verhört wurde, will ich gern davon absehen. Ich bin ganz erstaunt, daß dieser Angelegenheit eine solche Bedeutung beigemessen wird.

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der Brief nicht als Beweisdokument vorgelegt werden kann, und deshalb sollten Sie sich auch nicht darauf beziehen. Also, sprechen Sie nicht weiter darüber.

DR. DIX: Also, lassen wir das.