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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. DIX: Wir sprachen vorhin vom 20. Juli. Ist Ihnen eine Äußerung Hitlers über Sie im Zusammenhang mit dem 20. Juli bekannt?

SCHACHT: Der mitangeklagte Minister Speer ist zugegen gewesen und hat mir darüber berichtet, als Hitler den Haftbefehl für mich an seine Umgebung ausgegeben hat am 22. Juli 1944. Bei dieser Gelegenheit hat er zu seiner Umgebung sehr abfällige Äußerungen über mich gemacht, hat geäußert, daß er in seiner Aufrüstungstätigkeit durch mich, durch meine negative Tätigkeit schwer behindert worden sei und daß er besser getan hätte, mich schon vor dem Kriege erschießen zu lassen.

DR. DIX: Ich komme nun, dem Ende zustrebend, zu einigen zusammenfassenden generellen Fragen: Man hat im Inland und auch im Ausland Stimmen gehört und auch die Anklage, die wiederholt Ihre geistigen Fähigkeiten und auch Ihre Leistungen anerkennt, läßt dies durchblicken, daß man es nicht verstehen kann, daß ein so kluger Mann wie Sie das wahre Wesen und die Absichten Hitlers nicht rechtzeitig und damit nicht früher erkannt hat. Ich bitte Sie, sich zu diesem Vorwurf zu äußern!

SCHACHT: Es wäre mir außerordentlich lieb gewesen, wenn ich die Herren, die so über mich urteilen, schon zu einer Zeit kennengelernt hätte, als es noch Zweck gehabt hätte; es sind die Leute, die nachher immer schon vorher gewußt haben, was eigentlich hätte geschehen müssen. Ich kann nur konstatieren, daß erstens ich von 1920 an bis zur Machtübernahme durch Hitler das Inland und Ausland ständig in einem Sinne zu beeinflussen versucht habe, der das Auftreten und Zurmachtgelangen eines Hitler verhindert hätte. Ich habe das Inland zu sparsamster Finanzwirtschaft ermahnt, man hat mich nicht gehört; ich habe das Ausland immer und immer wieder ermahnt, eine Wirtschaftspolitik zu treiben, die dem deutschen Volke die Lebensmöglichkeit gäbe; man hat auf mich nicht gehört, trotzdem man mich, wie es jetzt den Anschein hat, als einen klugen und weitsichtigen Mann anerkennt. Hitler ist zur Macht gekommen, weil meine Ratschläge nicht befolgt worden sind; das deutsche Volk ist in eine unendliche Wirtschaftsnot geraten, und weder das Inland...

GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Wir hören nun schon zwei Tage lang weitschweifende Erklärungen des Angeklagten Schacht, und ich glaube, daß die Erklärung, die der Angeklagte Schacht jetzt abgibt, keine Antwort auf konkrete Fragen in Bezug auf die ihm vorgelegte Anklage ist, sondern bloße Redensarten. Es scheint mir, daß es nur den Prozeß in die Länge zieht.

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Der Gerichtshof ist meiner Ansicht nach absolut auf dem lautenden über den Fall des Angeklagten Schacht. Wir wollen ihn nicht an der vollen Ausführung seiner Verteidigung hindern, aber es wäre uns lieb, wenn Sie, sowohl wie er, sich so kurz wie möglich fassen würden.

DR. DIX: Euer Lordschaft! Ich bin überzeugt, daß ich bis zur Pause, vielleicht schon eher, fertig sein werde. Aber ich bitte doch zu bedenken, ihm wird der Vorwurf gemacht, der Machtergreifung geholten zu haben; nun ist doch die Frage: wie kommt es, daß...

VORSITZENDER: Ich habe nicht entschieden, daß diese Beweisführung nicht zulässig ist. Ich bat Sie nur, so schnell wie möglich zu verfahren.

DR. DIX: Also Herr Dr. Schacht, fahren Sie fort und tragen Sie dem Wunsch des Herrn Vertreters der Sowjetischen Anklagedelegation im Rahmen des Möglichen Rechnung.

SCHACHT: So kurz wie möglich. Ich werde gar nicht auf die Einzelheiten eingehen, ich konstatiere nur, daß infolge des Zusammenbruchs von 1918 und der ungeeigneten Bestimmungen des Versailler Vertrags Deutschland in eine schwere Notlage gekommen ist, daß die demokratischen Parteien, die damals das Regime fest in der Hand hatten, nicht imstande gewesen sind, eine Änderung der Zustände herbeizuführen, daß das Ausland nicht erkannt hat, welche Politik es gegenüber Deutschland einschlagen müsse. Ich mache gar keine Vorwürfe, ich konstatiere nur –, und daß infolgedessen in dieser Not Hitler eine solche Reichstagsmajorität erlangte, wie sie seit Bestehen des Reiches nicht dagewesen ist.

Jetzt frage ich diejenigen, die sagen, was ich damals hätte tun müssen, nachdem sie es mir damals nicht gesagt haben, sondern hinterher heute, was sie denn eigentlich getan hätten. Ich habe erklärt, daß ich gegen ein Militärregime war, daß ich einen Bürgerkrieg vermeiden wollte und daß ich auf demokratischer Linie nur den einen Weg sah, den Mann, der die Macht nun einmal erlangt hatte, die Regierung führen zu lassen. Ich habe ferner gesagt, daß ich von dem Augenblick dieser Erkenntnis an versucht habe, mich einzuschalten, nicht in der Absicht, um diesen Mann in seinen extremen Ideen zu fördern, sondern in seinen extremen Ideen zu bremsen und möglichst in eine geordnete Bahn zurückzuführen.

DR. DIX: Dann kam der spätere Zeitpunkt, wo Sie die Gefahr erkannten und wo Sie selbst unter den unerträglichen Zuständen des Terrors und der Meinungsknebelung litten? Da ist doch vielleicht die Frage am Platz und erlaubt: Warum sind Sie nicht emigriert?

SCHACHT: Wenn es sich um mein persönliches Schicksal gehandelt hätte, so wäre nichts leichter gewesen als das, zumal wir ja früher gehört haben, daß es mir angetragen und erleichtert werden sollte. Es handelte sich aber nicht um mich; nachdem ich mich seit dem Jahre 1923 dem deutschen öffentlichen Wohl gewidmet hatte, handelte es sich für mich um die Existenz meines Volkes, meines Landes. Ich habe noch nie in der Geschichte erlebt, daß Emigranten – ich spreche natürlich von den freiwilligen Emigranten und nicht von den ausgewiesenen –, ich habe noch nie erlebt, daß Emigranten ihrem Land irgend etwas genützt haben. Das ist nicht der Fall gewesen im Jahre 1792 in der französischen Revolution, es ist nicht der Fall gewesen 1917 in der russischen Revolution, und es ist auch nicht der Fall gewesen bei der nationalsozialistischen Revolution, die wir durchgemacht haben. Drüben in irgendeinem sicheren Hafen zu sitzen und Artikel zu schreiben, die zu Hause kein Mensch liest...

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Wir wollen hier keine geschichtliche Vorlesung, nicht wahr?

DR. DIX: Ich glaube, wir können hier abstoppen; aber er wollte ja nur motivieren, warum er nicht emigrierte.