[Zum Zeugen gewandt:]
Als Antwort auf eine Frage Ihres Anwalts, warum Sie nicht emigrierten, haben Sie erklärt, daß Sie nicht ein einfacher Märtyrer sein wollten. Sagen Sie, kennen Sie das Schicksal der führenden Persönlichkeiten Deutschlands, die demokratisch und liberal gesinnt waren, wissen Sie, welches Schicksal sie nach Hitlers Machtergreifung getroffen hat? Wissen Sie, daß sie alle verbannt oder in Konzentrationslager geschickt wurden?
SCHACHT: Sie verwechseln das. Ich habe nicht geantwortet, daß ich kein Märtyrer werden wollte, auf die Frage, ob ich emigrieren wollte, sondern ich habe gesagt: »Emigranten, das heißt, freiwillige Emigranten haben ihrem Lande noch niemals gedient«, und ich wollte nicht mein eigenes Schicksal in Sicherheit bringen, sondern ich wollte für das Schicksal meines Landes weiterarbeiten. Die Märtyrergeschichte ist dann anschließend daran gefragt worden, ob ich mir etwas im Interesse meines Landes davon erwartet hätte, wenn ich als Märtyrer gestorben wäre. Ich habe daraufhin gesagt: »Märtyrer nützen ihrem Lande nur, wenn es bekannt wird.«
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie hatten es etwas anders gesagt. Trotzdem werde ich meine Frage wiederholen.
VORSITZENDER: Ich wäre dankbar, wenn Sie die Frage noch einmal wiederholen würden.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ist Ihnen das Schicksal, das die besten demokratisch und liberal gesinnten Menschen in Deutschland seit Hitlers Machtergreifung erlitten hatten, bekannt? Ist Ihnen bekannt, daß alle diese Menschen entweder aus dem Lande gejagt oder in Konzentrationslager gebracht wurden?
SCHACHT: Ich habe hier ausdrücklich, wenn ich von den Emigranten sprach – es sind also die, die im Exil waren –, gesagt, nicht diejenigen, die zwangsweise emigriert sind, sondern die, die freiwillig emigriert sind, von denen habe ich gesprochen. Das Schicksal der anderen ist mir nicht im einzelnen bekannt. Wenn Sie mich nach einzelnen Personen fragen wollen, werde ich Ihnen bei jeder einzelnen Person antworten, ob mir das Schicksal bekannt war oder nicht.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das Schicksal dieser großen Leute ist ja im allgemeinen bekannt. Sie waren einer der wenigen angesehenen deutschen Staatsmänner, die mit Hitler zusammenarbeiteten, geben Sie das zu?
SCHACHT: Nein.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben ausgesagt – ich bin gezwungen, auf diese Frage zurückzukommen –, daß die Eintragung im Tagebuch von Goebbels vom 21. November 1932 falsch sei. Ich werde Sie nochmals an diese Eintragung erinnern; Goebbels schrieb, ich zitiere:
»In einer Unterredung mit Dr. Schacht stellte ich fest, daß er absolut unseren Standpunkt vertritt. Er ist einer der wenigen, die ganz konsequent zum Führer stehen.«
Behaupten Sie weiter, daß diese Eintragung der Wahrheit nicht entspricht? Dieses ist die Frage, die ich Ihnen stelle.
SCHACHT: Ich habe niemals behauptet, daß diese Eintragung nicht richtig wäre. Ich habe gesagt, Goebbels hat unter diesem Eindruck gestanden, und er hat sich dabei geirrt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie behaupten, daß diese Eintragung, mit Bezug auf Ihre Einstellung zu Hitler, falsch sei. Ist das richtig oder nicht?
SCHACHT: In der Generalität, in der Goebbels sie dort wiedergibt, ist sie unrichtig, ist sie nicht richtig.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Warum haben Sie denn nicht dagegen protestiert? Das Tagebuch Goebbels wurde doch mit dieser Eintragung veröffentlicht?
SCHACHT: Wenn ich gegen alle unrichtigen Meldungen in der gedruckten Literatur protestieren würde, die über mich umlaufen, dann käme ich überhaupt nicht mehr zur Besinnung.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nun, es ist doch keine gewöhnliche Mitteilung. Es handelt sich um das Tagebuch Goebbels, der eine sehr bekannte Persönlichkeit des faschistischen Deutschlands war, und der in seinem Tagebuch über Ihre politischen Ansichten Mitteilung macht. Wenn Sie also mit ihm nicht einig waren, so wäre es doch für Sie angebracht gewesen, auf irgendwelche Weise dagegen Stellung zu nehmen.
SCHACHT: Also, erlauben Sie meine Bemerkung hierzu. Entweder fragen Sie mich... Jedenfalls wünsche ich hier nicht eine gegenseitige Argumentation, wenn sie nur einseitig ist. Ich erkläre Ihnen, daß das Tagebuch von Goebbels eine ungewöhnlich gewöhnliche Sache ist.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Der Zeuge Dr. Franz Reuter, ein Biograph und Ihr enger Freund, hat in seinen schriftlichen Erklärungen vom 6. Februar 1946, welche dem Gerichtshof durch Ihren Anwalt als Nummer 35 vorgelegt wurden, wie folgt ausgesagt:
»Schacht hat sich zu Beginn der dreißiger Jahre Hitler angeschlossen und ihm geholfen, zur Herrschaft zu kommen...«
Halten Sie diese Aussagen des Zeugen Franz Reuter für unwahr, oder bestätigen Sie diese?
SCHACHT: Ich halte sie für nicht richtig.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: In welcher Weise haben Sie persönlich dazu beigetragen, daß Hitler zur Macht kam? Ich frage weiter: Unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck haben Sie im Februar 1933 ein Zusammentreffen Hitlers mit den Industriellen herbeigeführt? Dieses Zusammentreffen ist hier bereits erwähnt worden.
SCHACHT: Ich habe Hitler überhaupt nicht zur Macht verholfen, worüber hier des langen und breiten gesprochen worden ist. Im Februar 1933 befand sich Hitler längst in der Macht. Über die Geldsammlung und Industriellenversammlung vom Februar 1933 ist hier des langen und breiten gesprochen worden.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Welche besondere Rolle haben Sie bei dieser Konferenz gespielt?
SCHACHT: Das ist hier des langen und breiten besprochen worden. Lesen Sie das bitte im Protokoll nach.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe mich mit diesen Berichten vertraut gemacht, aber Sie stellen die Ereignisse ungenau dar. Um diese Frage zu klären, verweise ich auf die Aussage des Angeklagten Funk vom 4. Juni 1945. Es ist das Dokument 2828-PS, ich zitiere die Aussage Funks:
»Ich war bei dieser Konferenz zugegen, und Geld wurde gefordert, nicht durch Göring, sondern durch Schacht. Hitler hat den Saal verlassen und Schacht hielt eine Rede, mit welcher er Geld für den Wahlkampf forderte. Ich war anwesend. Ich war als unparteiischer Zeuge anwesend, da ich mit den Industriellen gut befreundet war.«
Entspricht diese Aussage des Angeklagten Funk den Tatsachen oder nicht?
SCHACHT: Herr Funk irrt sich. Es ist hier das Dokument D-203 dem Gericht von der Anklagevertretung...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aber...
SCHACHT: Erlauben Sie, unterbrechen Sie mich nicht!... von der Anklagevertretung vorgelegt worden, und aus diesem Dokument geht hervor, daß Göring die Bitte um Finanzhilfe ausgesprochen hat und nicht ich.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Der Angeklagte Funk weist darauf hin, daß diese Rede nicht von Göring, sondern von Ihnen gehalten wurde. Ich frage Sie nun, was die Wahrheit ist.
SCHACHT: Ich habe Ihnen eben bereits gesagt, daß Herr Funk sich irrt und daß das Beweisstück der Anklage richtig ist.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Welche besondere Rolle haben Sie denn bei dieser Konferenz gespielt?
SCHACHT: Auch das habe ich hier ganz ausführlich mitgeteilt. Ich bin...
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits ein langes Kreuzverhör gehört und wünscht nicht, daß die gleichen Tatsachen oder Punkte wieder behandelt werden. Wollen Sie bitte dem Gerichtshof sagen, ob Sie irgendwelche Fragen vorzubringen haben, die die Sowjetunion besonders interessieren und die im Kreuzverhör noch nicht behandelt worden sind?
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Der Angeklagte Schacht hat während seines Verhörs die Fragen nicht ausführlich und nicht ganz deutlich beantwortet. Ich bin deshalb gezwungen, auf einige dieser Fragen zurückzukommen. Insbesondere ist es unklar geblieben, welche Rolle der Angeklagte Schacht in der Industriellenversammlung gespielt hat. Diese Frage wurde meines Erachtens von ihm nicht klar und deutlich genug beleuchtet.
Was die anderen Fragen betrifft, so habe ich nur wenige zu stellen, und ich glaube, daß ich nach der Pause in 30 bis 40 Minuten mein Kreuzverhör zu Ende führen kann. Alle diese Fragen interessieren uns, um die Schuld des Angeklagten Schacht festzustellen.
VORSITZENDER: Gut. Der Gerichtshof hat nicht die Absicht, Fragen anzuhören, die bereits vorgelegt worden sind.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Vielleicht wünschen Sie jetzt die Mittagspause eintreten zu lassen, damit das Kreuzverhör nach der Pause fortgesetzt werden kann.
VORSITZENDER: Nein, General Alexandrow, das Kreuzverhör wird bis zur Pause fortgesetzt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: [zum Zeugen gewandt] Geben Sie zu, daß Sie als Präsident der Reichsbank, als Reichswirtschaftsminister und als Bevollmächtigter für die Kriegswirtschaft eine bedeutende Rolle in der Aufrüstung Deutschlands spielten und damit Deutschland für die Angriffskriege vorbereiteten?
SCHACHT: Nein, ich bestreite das auf das entschiedenste.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie waren doch Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft?
SCHACHT: Das ist hier ja schon zehnmal vorgekommen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe es kein einziges Mal aus Ihrem Munde gehört.
VORSITZENDER: Er hat das immer zugegeben, und es ist natürlich ganz augenscheinlich, daß er Bevollmächtigter für die Kriegswirtschaft war. Die Frage, die Sie ihm stellten, war, ob er als Bevollmächtigter für die Kriegswirtschaft an der Wiederaufrüstung für den Angriffskrieg teilgenommen hat, und er hat immer wieder erklärt, daß dies nicht sein Ziel gewesen ist, sondern daß sein Ziel war, Gleichberechtigung für Deutschland zu erreichen. Das hat er gesagt, und wir müssen erwägen, ob es wahr ist. Aber daß er es gesagt hat, ist völlig klar.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aus meinen folgenden Fragen wird ganz klar hervorgehen, warum ich gerade diese Frage gestellt habe.