[Zum Zeugen gewandt:]
Angeklagter Schacht! Am 21. Mai 1935 hat die Reichsregierung hinsichtlich des Reichsverteidigungsrates einen Beschluß gefaßt, welcher folgendes festlegt. Ich zitiere Punkt 1 dieses Beschlusses:
»Der Generalbevollmächtigte für die Kriegswirtschaft soll nach dem Willen des Führers und Reichskanzlers diese verantwortliche Leitung übernehmen und steht damit neben dem Reichskriegsminister, dem Inhaber der vollziehenden Gewalt, selbständig und für sein Aufgabengebiet verantwortlich unter dem Führer und Reichskanzler.«
Geben Sie zu, daß Sie bei der Durchführung dieses Beschlusses der Reichsregierung an den wirtschaftlichen Vorbereitungen Deutschlands zu den Angriffskriegen aktiv teilnahmen?
SCHACHT: Nein, damit bin ich gar nicht einverstanden, Herr Ankläger.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Am 4. März 1935 haben Sie in Ihrer Rede auf der Frühjahrsmesse in Leipzig folgende Äußerung getan. Ich zitiere Beweisstück US-627, EC-415:
»Meine sogenannten ausländischen Freunde leisten weder mir noch der Sache, aber auch sich selbst gar keinen Dienst, wenn sie mich zu den angeblich unmöglichen nationalsozialistischen Wirtschaftstheorien in einen Gegensatz zu bringen suchen und mich gewissermaßen als den Hüter wirtschaftlicher Vernunft hinstellen. Ich kann Ihnen versichern, daß alles, was ich sage und tue, die absolute Billigung des Führers hat, und daß ich nichts tun und sagen würde, was seine Billigung nicht hat. Also, Hüter der wirtschaftlichen Vernunft bin nicht ich, sondern ist der Führer.«
Geben Sie zu, daß Sie das auf der Frühjahrsmesse in Leipzig gesagt haben?
SCHACHT: Ich gebe das zu und möchte eine Bemerkung anfügen. Ich habe wiederholt gesagt: Erstens, daß mir meine ausländischen Freunde, soweit ich welche hatte, keinen Gefallen getan haben, wenn sie mich öffentlich als Gegner Hitlers anprangerten, denn dadurch wurde meine Stellung außerordentlich gefährdet; zweitens habe ich in dieser Aussprache zum Ausdruck gebracht, daß ich nichts tun würde, was nicht meiner Überzeugung entsprach und daß Hitler alles tat, was ich ihm vorschlug, das heißt, daß das auch seine Meinung war. Wenn ich etwas Gegenteiliges gesagt hätte, dann würde es zum Ausdruck gekommen sein. Ich war völlig einig mit ihm, solange er meine Politik machte; nachher nicht mehr und da bin ich gegangen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.
VORSITZENDER: Wollen Sie den Angeklagten rückverhören, Dr. Dix?
DR. DIX: Ich werde nur einige Fragen stellen, die durch die cross-examination ausgelöst worden sind. In der cross-examination ist wiederum der Neue Plan behandelt worden, ohne daß Schacht Gelegenheit hatte, sich dazu zu erklären, ob und welche Rolle dieser sogenannte Plan in der Aufrüstungswirtschaft spielte, und wer der Schöpfer, der verantwortliche Schöpfer des Neuen Planes ist. Ich darf daher jetzt diese Frage an Herrn Dr. Schacht stellen.
SCHACHT: Der Neue Plan ist eine ganz logische Konsequenz der wirtschaftlichen Entwicklungsvorgänge gewesen, die nach dem Versailler Vertrag eingetreten sind.
Ich erwähne nur ganz kurz noch einmal, daß durch die Wegnahme des deutschen Privateigentums im Auslande auch die ganze Organisation für den deutschen Außenhandel im Auslande weggenommen wurde und infolgedessen große Schwierigkeiten für den deutschen Export erwuchsen. Ohne diesen Export aber war natürlich auch an keine Bezahlung von Reparationen oder dergleichen zu denken. Nichtsdestoweniger haben alle großen Länder, insbesondere solche, die auch mit Deutschland in der übrigen Welt konkurrierten, zu Zollerhöhungen gegriffen, um die deutschen Waren auszuschließen von ihren Märkten, oder ihnen noch mehr den Absatz zu erschweren, so daß die Möglichkeit, Deutschlands Export zu fördern, dadurch immer geringer wurde. Als trotzdem Deutschland versuchte, durch niedrige Preise, verbunden mit billigen Löhnen und so weiter, seinen Warenexport aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu steigern, griffen die anderen Mächte zu anderen Mitteln, um Deutschland zu begegnen.
Ich erinnere daran, daß die verschiedenen Abwertungen der ausländischen Valuten erfolgten, die die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Produkte wiederum herabminderten, und als auch das nicht ausreichte, ersann man das System der Kontingentierungen, das heißt die deutschen Waren, die in ein Land eingeführt wurden, konnten über ein gewisses Maß hinaus, eine gewisse Summe hinaus, nicht eingeführt werden; das war verboten. Solche Kontingentierungen der deutschen Waren hat Holland vorgenommen, hat Frankreich vorgenommen und haben andere vorgenommen; also auch hier eine weitere Erschwerung des deutschen Exportes.
Diese ganze Erschwerung des deutschen Exportes führte schließlich dazu, daß Deutschland auch seine privaten Schulden im Auslande nicht mehr bezahlen konnte. Ich hatte, wie Sie gehört haben hier, seit vielen Jahren vor diesen Schulden gewarnt: Ich war nicht gehört worden. Es wird interessant sein, vielleicht ganz kurz hier zu erwähnen, daß Deutschland gegen meinen Rat innerhalb von fünf Jahren genau so viele Schulden kontrahiert hat im Ausland, wie die Vereinigten Staaten von Amerika in 40 Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Dabei war Deutschland ein hoch entwickeltes Industrieland und brauchte gar kein ausländisches Geld, und Amerika war damals noch ein mehr in der kolonialen Entwicklung befindliches Land und konnte von diesem Auslandsgeld nützlichen Gebrauch machen.
Nun aber kam das Letzte. Als wir nicht mehr in der Lage waren, unsere Zinsen im Ausland zu bezahlen, gingen einige Länder dazu über, die Erlöse, die Deutschland für seinen Export in diesen Ländern erzielte, nicht mehr an die deutschen Exporteure auszahlen zu lassen, sondern sie zu beschlagnahmen und aus diesen beschlagnahmten Erlösen die Zinsen unserer Schulden im Ausland ihrerseits zu bezahlen, das heißt gewissermaßen damit zu verrechnen. Dies war das sogenannte Clearing-System. Die privaten Ansprüche wurden beschlagnahmt, um die Ansprüche der Auslandsgläubiger zu befriedigen.
Dieser ganzen Entwicklung gegenüber habe ich nach einem Ausweg gesucht, der den deutschen Export auch weiterhin ermöglichte, und habe ein ganz einfaches Prinzip aufgestellt, welches etwa lautet: »Ich kaufe da, wo der Verkäufer auch bei mir kauft.« Ich habe mich infolgedessen nach Ländern umgesehen, die bereit waren, ihren Bedarf in Deutschland zu decken, wogegen ich bereit war, meine Waren dort einzukaufen. Das ist der Neue Plan.
VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was wir damit zu tun haben, Dr. Dix.
DR. DIX: Also, der langen Rede, der notwendig langen Rede kurzer Sinn: Mit der Rüstung hat dieser Neue Plan oder... mit Rüstungsabsichten, geschweige denn irgendwelchen Aggressivabsichten, hat der Neue Plan nichts zu tun?
SCHACHT: Absolut nichts zu tun.
DR. DIX: In diesem Zusammenhang: Haben Sie eine Schätzung, welcher Prozentsatz der deutschen Wirtschaftsproduktion auf die Rüstung entfiel?
SCHACHT: Diese Frage ist mir im Vorverhör bereits einmal gestellt worden und ich habe sie damals nicht beantworten können, weil mir nicht gegenwärtig war, welche Summen Deutschland für seine Rüstung ausgegeben hat. Nunmehr haben wir hier durch das Zeugnis des Herrn Feldmarschall Keitel erfahren, daß die Rüstungsausgaben in den Jahren 1934/1935, 1935/1936, 1936/1937 und so weiter, in diesen Jahren, solange die Reichsbank noch mitarbeitete, betragen haben nacheinander 5 Milliarden Mark, im nächsten Jahr 7 Milliarden Mark und im nächsten Jahr 9 Milliarden Mark. Nun kann man, und das ist eine Schätzung, die die Wissenschaftler aufgestellt haben, das Produkt der gesamten deutschen Wirtschaft in diesen Jahren mit rund 50 bis 60 Milliarden Mark etwa annehmen. Wenn ich das also in Beziehung setze zu den Rüstungsausgaben, die hier unter Zeugenvernehmung gemacht worden sind, dann ergibt sich, daß auf die Rüstungsausgaben etwa 10 bis 15 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaft entfielen in den Jahren, wo ich mich daran beteiligt habe.
DR. DIX: Dann ist im Kreuzverhör die Frage Ihrer Bereitschaft oder Nichtbereitschaft, das Amt als Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft abzugeben, aufgeworfen, und Sie haben zum Beleg Ihrer Bekundung, daß der General von Blomberg nicht gewünscht habe, daß Sie dieses Amt abgeben, auf eine Urkunde Bezug genommen, die von der Anklage eingereicht worden ist. Ich darf deshalb sagen, es handelt sich um das Dokument der Anklage EC-244, und zwar ist es ein Schreiben des Reichswehrministers von Blomberg an Hitler vom 22. Februar 1937. Es ist schon vorgetragen. Ich brauche es nicht mehr zu tun.
Ich darf nur darauf hinweisen, daß im letzten Absatz Blomberg den Wunsch ausspricht, daß der Führer entsprechend anordnen möge, beziehungsweise den Reichsbankpräsidenten veranlassen möge, dieses Amt zu behalten. Es deckt also die Aussage von Schacht.
Des weiteren ist im Kreuzverhör von Justice Jackson erörtert worden Ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Darstellung Ihrer kolonialen Aspirationen, unter dem Gesichtspunkt Kolonialpolitik ohne Seeherrschaft; Seeherrschaft Deutschlands bestand nicht, kann man da ernstlich überhaupt koloniale Probleme haben? Das war das Thema von Frage und Antwort.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen: Hatte Deutschland vor 1914 Kolonien?
SCHACHT: Jawohl.
DR. DIX: Hatte Deutschland vor 1914, oder sagen wir besser, von 1884 bis 1914 – das ist die Zeit, wo es Kolonialbesitz hatte – die Seeherrschaft, insbesondere gegenüber Großbritannien?
SCHACHT: Unter keinen Umständen.
DR. DIX: Ist damit erledigt.
Dann ist als weiteres Problem unter dem Gesichtspunkt der inneren Glaubwürdigkeit Ihrer Darstellung erörtert worden die ethische Konfliktfrage Ihrer Eidesleistung auf Hitler, wie Sie sagen, als Staatsoberhaupt, und den von Ihnen bekundeten Absichten, Hitler zu stürzen, ja sogar zu töten.
Sind Ihnen aus der Geschichte nicht manche Fälle bekannt, wo Großwürdenträger eines Staates das Staatsoberhaupt, dem sie Treue geschworen haben, zu stürzen versucht haben?
SCHACHT: Ich glaube, die Geschichte aller Länder zeigt solche Beispiele.
VORSITZENDER: Dr. Dix! Wir befassen uns nicht mit der Geschichte der Vergangenheit, nicht wahr? Glauben Sie, daß die Frage, ob es historische Beispiele dafür gibt, hier eine passende Frage an den Zeugen ist?
DR. DIX: Dann will ich von der weiteren Verfolgung des Punktes absehen. Die Sache der Argumentation kann ich später im Plädoyer verwerten.
Nun, nochmal zurückkommend zur Kolonialfrage: Ist es nicht richtig, daß – abgesehen von Ihren persönlichen kolonialen Aspirationen – in Deutschland, in der deutschen Reichsregierung, amtlich die Erwerbung seiner Kolonien und ihre spätere Verwaltung sehr eingehend vorbereitet wurde? Gab es nicht ein kolonialpolitisches Amt bis 1942/43 ungefähr?
SCHACHT: Aber es steht ja ausdrücklich im Parteiprogramm, daß die Kolonialforderung auch ein Teil des Parteiprogramms war, und selbstverständlich ist auch im Auswärtigen Amt daran gearbeitet worden und ich glaube, auch in der Partei gab es ein kolonialpolitisches Amt.
DR. DIX: Unter dem Ritter von Epp?
SCHACHT: Ja, unter dem Ritter von Epp.
DR. DIX: Dann zur Frage der MEFO-Wechsel. Nur noch einmal zusammenfassend: Wollten Sie zum Ausdruck bringen, daß die MEFO-Wechsel gerade einer Bremsung der Aufrüstung dienen sollten, weil die Unterschrift des Reiches unter diesen Wechseln, mithin der Reichsregierung, für diese Rückzahlung bindend war?
SCHACHT: Sie sehen, ich habe ganz deutlich ausgeführt, daß die Begrenzung der MEFO-Wechsel auf fünf Jahre und das Fälligmachen der MEFO-Wechsel nach fünf Jahren notgedrungen die Rüstung selbst dann bremsen muß, automatisch bremsen muß.
DR. DIX: Ferner hat Justice Jackson das Thema behandelt, daß der Name Schachts, wenn er das Amt als Minister ohne Portefeuille beibehielt, entsprechende propagandistische Wirkung für das Nazi-Regime im Ausland hatte und so der Förderung der Aggressivabsichten und ihrer Durchführung diente. In diesem Zusammenhang darf ich in Vorwegnahme und zur Abkürzung meines Urkundenbeweises aus meinem Dokumentenbuch Exhibit-37a verlesen. Das ist englischer Text Seite 157, deutscher Text 149, und zwar erklärt Hülse auf der 5. Seite dieser umfangreichen eidesstattlichen Versicherung:
»Die ausländische Presse zog aus der Entlassung« – nämlich aus der Entlassung als Reichsbankpräsident 1939 – »die richtigen Schlüsse und faßte sie als Warnungssignal auf. In diesem Sinne hatte ich auch verschiedentlich und noch Ende 1938 im Einverständnis mit Dr. Schacht ausländische Notenbankvertreter, die ich in Basel bei den Boardsitzungen der B.I.Z. traf, in wiederholten Unterhaltungen unterrichtet, daß ein Rücktritt Schachts und einzelner Mitglieder des Reichsbankdirektoriums bedeute, daß die Dinge in Deutschland einen gefährlichen Weg gingen.«
Des weiteren, der Herr Anklagevertreter der Union der Sowjet-Republiken hat darauf Dr. Schacht vorgehalten, daß in der Biographie Reuters ausdrücklich zum Ausdruck gebracht sei, daß Schacht dem Regime im Stadium des Kampfes um die Macht Dienste geleistet hätte, dem Sinne nach wenigstens war der Vorhalt. Das ist richtig, das steht in dem Reuter. Es steht aber auch etwas anderes in ihm. Ich bitte, ich glaube, wir müssen das noch überreichen – Beweisstück 35, das ist Seite 133 des englischen Textes und 125 des deutschen Textes. Es befindet sich auf der zweiten Seite dieser langen eidesstattlichen Versicherung folgender Satz, der den Erkenntniswert dieser eben genannten Biographie als einer Tendenzschrift einschränkt. Es steht nämlich... da sagt Reuter in der eidesstattlichen Versicherung dieses gleichen Biographen:
»Zweimal, Ende 1933 im R. Kittler-Verlag in Berlin, und Ende 1936 bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart, habe ich eine Biographie Dr. Schachts veröffentlicht. Außer einer sachlichen Darstellung seines Lebens und Wirkens diente sie dem Zwecke, ihm gegen seine Angreifer abschirmend zu helfen. Sie ist daher von vornherein nicht mit den Maßstäben einer rein objektiven Geschichtsforschung zu messen, sondern es waren Verteidigungsgesichtspunkte aus der jeweiligen Zeitlage heraus zu berücksichtigen.«
Dies muß man wissen und lesen, wenn man den Beweiswert dieser Biographie würdigen will.
Damit wären meine Fragen als Schlußfragen des Verhörs Schacht beendet.
VORSITZENDER: Dann kann der Angeklagte sich zurückziehen.