[Zum Zeugen gewandt:]
Nun wurde ja nach dem bekannten kurzen, inzwischen erfolgten Abgang Schacht 1933 wieder Präsident der Reichsbank. Haben Sie damals mit ihm Gespräche über sein Verhältnis zu Hitler und zur Partei überhaupt geführt?
VOCKE: Ja.
DR. DIX: Wollen Sie uns beziehungsweise dem Gericht schildern, in welchem Sinne sich damals Schacht Ihnen gegenüber geäußert hat?
VOCKE: Ich möchte vor allem zwei Gespräche hier anführen, die mir fast noch dem Wortlaut nach im Gedächtnis sind. Während Schacht außer Amtes war, in den etwa drei Jahren, habe ich ihn kaum gesehen, vielleicht drei- bis viermal bei Anlässen im Wilhelmstift. Er hat mich nie besucht, und ich habe ihn auch nie besucht, außer einmal kam Schacht in die Bank, er hatte wohl geschäftlich dort zu tun, und besuchte mich auf meinem Amtszimmer. Wir kamen sofort...
DR. DIX: Wann war das ungefähr?
VOCKE: Das muß 1932 gewesen sein, verhältnismäßig kurze Zeit vor der Machtergreifung. Wir kamen sofort auf die politischen Fragen, auf Hitler, sein Verhältnis zu Hitler, und ich habe den Anlaß genommen, Schacht ernstlich vor Hitler und den Nazis zu warnen. Schacht sagte zu mir: »Herr Vocke, man muß dem Mann oder den Leuten eine Chance geben. Tun sie nicht gut, so werden sie verschwinden und abserviert werden, wie alle ihre Vorgänger auch.« Ich habe zu Schacht gesagt: »Ja, aber es kann sein, daß der Schaden, der inzwischen für das deutsche Volk entsteht, so groß ist, daß er nicht wieder gutgemacht werden kann.«
Schacht nahm das nicht sehr ernst und hat mit einer leichten Bemerkung: »Sie sind ein alter Pessimist« oder etwas Ähnliches die Sache abgetan und sich von mir verabschiedet.
Das zweite Gespräch, über das ich berichten will, fand kurz nach Schachts Wiedereintritt in die Bank statt, also wahrscheinlich im März 1933 oder Anfang April. Schacht trug damals eine gewisse ostentative, ich will mal sagen, Begeisterung zur Schau, und ich habe mit ihm über sein Verhältnis zur Partei gesprochen, wobei ich davon ausging, daß Schacht Parteimitglied war. Ich habe ihm gesagt, ich hätte nicht die Absicht, Parteimitglied zu werden. Darauf sagte Schacht zu mir: »Das sollen Sie ja auch gar nicht. Was denken Sie, mir fällt es selbst gar nicht im Traum ein, der Partei beizutreten. Was glauben Sie denn... ich mich unter das Parteijoch beugen, unter die Parteidisziplin, ich das Parteiprogramm annehmen, und dann bedenken Sie mal, ich soll, wenn ich mit Hitler spreche, die Hacken zusammenschlagen und ›Mein Führer‹ sagen, oder wenn ich an ihn schreibe ›Mein Führer‹ schreiben, das kommt für mich gar nicht in Frage. Ich bin und bleibe ein freier Mann.«
Dieses Gespräch und dieses Wort Schachts fand zu einem Zeitpunkt statt, wo er auf dem Kulminationspunkt seiner Annäherung an Hitler stand und ich habe mir noch manches Mal überlegt, war das wahr und blieb das wahr, daß Schacht ein freier Mann war.
Es war so, daß nach einer Reihe von Jahren Schacht die bittere Erfahrung machen mußte, daß er ein gut Teil seiner Freiheit eingebüßt hatte, daß die Rüstungsfinanzierung, die er begonnen hatte, er nicht zu dem Moment ändern konnte, wo es ihm beliebte, sondern daß sie zu einer Kette geworden war in den Händen Hitlers, an der er jahrelang feilen und rütteln mußte, bis sie zerbrochen ist. Aber trotzdem war das Wort insofern wahr, als es die innere Stellung Schachts zu Hitler betraf. Schacht war nie ein blinder Gefolgsmann, es war mit seiner Natur unvereinbar, sich irgend jemandem zu verschreiben oder zu verkaufen und ihm in blinder Treue ergeben zu sein.
Wollte man Schachts Verhältnis so charakterisieren, daß er sagte: »Ich habe meinen Führer. Führer befiehl, ich folge dir«; der Führer befiehlt ihm, eine Rüstung zu machen, er sagt: »Ich finanziere die Rüstung; der Führer mag entscheiden, welcher Gebrauch davon gemacht wird, ob für Krieg oder Frieden« – das war unvereinbar mit Schachts Haltung und Charakter. Er war kein Mensch, der subaltern gedacht hat, oder der seine Freiheit aus der Hand gab, und darin unterschied sich Schacht fundamental von sehr vielen, in sehr hohen politischen und militärischen Stellungen befindlichen Männern in Deutschland. Schachts Verhältnis, wie ich es kennen lernte aus seinem Charakter und aus seinen Äußerungen, möchte ich so darstellen: Schacht bewunderte die ungeheure Dynamik dieses Mannes, die die nationale Richtung fand, und er stellte diesen Mann in seine Rechnung und hoffte in ihm ein Werkzeug zu sehen für seine Pläne, für Schachts Pläne eines friedlichen, politischen und wirtschaftlichen Wiederaufstiegs und einer Wiedererstarkung Deutschlands. Das hat Schacht sich gedacht und er glaubte, und ich entnehme das aus vielen Äußerungen Schachts...
DR. DIX: Ich glaube, die Frage ist erschöpft. Nun wirft die Anklage Schacht vor, daß Hitler gerade ihn gerufen hätte, um die Rüstung für einen Angriffskrieg zu finanzieren. Sie, Herr Vocke, waren Mitglied des Reichsbankdirektoriums, haben die ganzen Jahre hindurch mit ihm gearbeitet. Ich bitte Sie deshalb dem Tribunal zu sagen, ob Sie durch Unterhaltungen und Beobachtungen der Tätigkeit und der Arbeit Dr. Schachts irgend etwas feststellen konnten, was die Berechtigung eines solchen Vorwurfs rechtfertigt?
VOCKE: Nein, Schacht hat oft betont, daß nur eine friedliche Entwicklung Deutschland wieder hochführen könnte. Ich habe nie eine Andeutung von ihm gehört, daß er von Kriegsberichten Hitlers etwas gewußt hatte. Ich habe mein Gedächtnis durchforscht und ich habe drei oder vier Vorkommnisse darin gefunden, die für mich diese Frage eindeutig beantworten. Ich möchte sie im Zusammenhang vortragen:
Das erste war der 420-Millionen-Goldmark-Kredit, der im Jahre 1933 zurückbezahlt wurde. Luther hatte, als die Reichsbankdeckung in der Krise zusammenbrach...
DR. DIX: Ich darf einen Moment unterbrechen, bloß für das Tribunal: Luther war der Vorgänger im Amte von Schacht.
VOCKE:... im Jahre 1931, als die Notendeckung unterschritten werden mußte, mich in seiner Not nach England geschickt, um bei der Bank von England einen großen Kredit in Gold zu erwirken, der mit einem Schlage das Vertrauen in die Reichsbank wieder herstellen sollte. Gouverneur Norman war durchaus bereit, mir zu helfen, aber er sagte, es wäre zu dem Zwecke notwendig, auch die Federal Reserve Bank of New York, die Banque de France und die Internationale Bank in Basel mit heranzuziehen. Das geschah. Der Kredit betrug 420 Millionen Goldmark. Aber es hatten sich bei Einbeziehung der Banque de France politische Schwierigkeiten mit Frankreich ergeben, die diesen Kredit um etwa 10 bis 12 Tage verzögerten. Als ich nach Berlin zurückkam, war ich entsetzt zu hören, daß der Kredit zum größten Teil bereits verbraucht war. Das Gold wurde uns aus den Händen gerissen. Und ich habe zu Luther gesagt, wir müssen den Kredit, der seine Wirkung völlig verfehlt hat, sofort zurückzahlen. Unsere Ehrbarkeit ist unser letztes Aktivum, und die Banken, die uns geholfen haben, dürfen keinen Pfennig verlieren. Luther hatte hierfür nicht das nötige Verständnis, sondern sagte ungefähr: »Was man hat, das hat man; wir wissen nicht, wozu wir das Gold noch dringend brauchen können.« Und so wurde der Kredit verlängert und fortgeschleppt durch Jahre.
Als Schacht im März 1933 zur Bank kam, sagte ich mir, Schacht wird mich verstehen und er hat mich sofort verstanden, er hat mir völlig recht gegeben und den Kredit sofort, ohne zu überlegen, zurückgezahlt. Er hatte keine Hintergedanken, wozu man diese Riesensumme von Gold eventuell brauchen könnte, und ich sagte hier, hätte Schacht etwas gewußt oder geplant von einem Krieg, er wäre ein Narr gewesen, 420 Millionen Goldmark zurückzuzahlen.
Das zweite Vorkommnis war, hier weiß ich das Datum nicht genau, ich denke im Jahre 1936. Da bekam die Reichsbankleitung ein Schreiben von der Heeresleitung oder dem Generalstab »Streng geheim«, mit dem Ersuchen, die Goldbestände der Reichsbank, die Effektenbestände und die Notenreserven aus den Randgebieten Deutschlands in eine mittlere Zone zu verlagern. Dieses Ersuchen war begründet, wie folgt: Im Falle eines drohenden Zweifrontenangriffes auf Deutschland ist die Heeresleitung entschlossen, die Randgebiete zu räumen und sich auf eine mittlere Zone zu beschränken, die unter allen Umständen verteidigt werden kann. Ich weiß noch aus der beigegebenen Karte, daß die Ostverteidigungsgrenze von Hof, also hier im...
VORSITZENDER: Es erscheint dem Gerichtshof, daß all dies wenig mit den Fragen, die wir zu entscheiden haben, zu tun hat.
DR. DIX: Euer Lordschaft! Aus dieser Karte, die der Zeuge jetzt schildern will, geht ausgesprochen und unzweideutig die rein defensive Einstellung, und zwar unter Übernahme der größten strategischen Nachteile des deutschen Oberkommandos im Jahre 1936 hervor, mitgeteilt der Reichsbank unter Leitung von Schacht. Es ergibt sich dann also zwingend aus dieser Mitteilung, daß kein Mensch damals an irgendwelche aggressiven Absichten der Heeresleitung glaubte.
VORSITZENDER: Um welche Zeit handelt es sich?
DR. DIX: 1936. Ich habe ihn dahin verstanden, vielleicht äußert er sich am besten selbst dazu hinsichtlich des Zeitpunkts.
VOCKE: Ich kann den Zeitpunkt in meinem Gedächtnis nicht genau feststellen, aber es muß ungefähr um 1936 nach meiner Schätzung gewesen sein.
DR. DIX: Ich glaube, es ist recht erheblich. Darf der Zeuge fortfahren?
VORSITZENDER: Jawohl.
VOCKE: Die Verteidigungslinie im Osten ging von Hof geradewegs herauf bis Stettin. An die westliche kann ich mich nicht so genau mehr erinnern, doch war Baden und das Rheinland aufgegeben. Die Reichsbank hat eigentlich mit Schrecken von dieser Sache Kenntnis genommen, unter Drohung eines Zweifrontenangriffs auf Deutschland unter ungeheurer Preisgabe deutschen Gebiets, und auch von der ungeheuerlichen Idee, daß die Reichsbank, im Falle einer feindlichen Besetzung, diese besetzten Bevölkerungsgebiete ohne Versorgung mit Geld lassen sollte.
Wir haben daher auch dieses letztere Ersuchen abgelehnt, aber bezüglich des Goldes dem Ersuchen entsprochen und es nach Berlin, Nürnberg, München und so weiter verlagert. Über eines konnte man nicht mehr im Zweifel sein nach diesem Geheimdokument: über den rein defensiven Charakter unserer Rüstung.
Ich komme zu einem dritten Erlebnis, das war im Jahre 1937. Da hatte Schacht, als die Wirtschaft schon auf vollen Touren lief und immer noch neues Geld hereingesteckt wurde, die Hilfe der deutschen Professoren, der Nationalökonomen, aufgeboten und sie zu einer Konferenz geladen, um sie zu veranlassen, in seinem Sinne zu wirken, stoppend zu wirken. Bei dieser Gelegenheit hat ein Teilnehmer die ganz unvermittelte Frage an Schacht gerichtet: »Und wie nun, wenn einmal ein Krieg ausbricht?« Darauf hat Schacht sich erhoben und gesagt: »Meine Herren, dann sind wir erledigt, dann ist es aus. Ich bitte dieses Thema hier zu verlassen, darüber können wir uns hier den Kopf nicht zerbrechen.«
Und ich komme jetzt zu dem vierten Erlebnis, das auch unzweideutig Schachts Haltung und Kenntnis erkennen läßt, nämlich ein Gespräch unmittelbar nach Kriegsausbruch. In den ersten Tagen hatten Schacht, Dreyse, Hülse, ich und Schniewind uns zu vertraulicher Aussprache getroffen. Das erste, was Schacht sagte, war: »Meine Herren, das ist ein Betrug, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Die Polen haben das deutsche Angebot nie bekommen. Die Zeitungen lügen, um das deutsche Volk einzuschläfern. Die Polen sind überfallen worden, Henderson hat nicht einmal das Angebot bekommen, sondern nur einen kurzen Auszug aus der Note mündlich erfahren. Wenn jemals bei einem Kriegsausbruch die Kriegsschuldfrage klar war, dann in diesem Falle. Das ist doch ein Verbrechen, wie man es sich nicht größer denken kann.«
Und zweitens fuhr Schacht fort: »Was für ein Wahnsinn... wir, mit einer Militärmacht wie Polen, einen Krieg anfangen, die geführt ist von den besten französischen Generalstabsoffizieren. Unsere Rüstung taugt ja nichts, die von Scharlatanen gemacht ist. Ohne Sinn und Plan ist das Geld verschwendet worden.«
Es wurde dann Schacht eingewendet: »Aber wir haben doch eine Luftstreitkraft, die sich sehen lassen kann.« Schacht sagte: »Die Luftstreitkraft entscheidet keinen Krieg, sondern nur die Landarmee. Wir haben keine schweren Kanonen, keine Tanks. In drei Wochen brechen die deutschen Armeen in Polen zusammen. Und dann bedenken Sie noch die Koalition, die uns noch gegenübersteht.«
Das waren Schachts Worte, die auf mich einen tiefen Eindruck gemacht haben und die für mich eine eindeutige und klare Antwort auf die Frage enthalten, die Herr Dr. Dix an mich gerichtet hat.
DR. DIX: Nun, hat sich Schacht im Laufe dieser Jahre von 1933 bis 1939 einmal mit Ihnen über angebliche oder vermutete Kriegspläne Hitlers unterhalten?
VOCKE: Nein, niemals.
DR. DIX: Wie stand Schacht überhaupt grundsätzlich zu dem Gedanken eines Krieges; hat er sich mit Ihnen darüber mal ausgesprochen?
VOCKE: Ja, natürlich, verhältnismäßig oft. Schacht hat immer darauf hingewiesen, daß der Krieg Sieger und Besiegte zerstört und ruiniert, und er hat auf seinem und unserem Gebiet auf das Beispiel der Siegermächte hingewiesen, deren Wirtschaft und deren Währung entwertet und zum Teil sogar zerrüttet wurde. England hatte abwerten müssen, in Frankreich war völlige Zerrüttung der Finanzen, ganz abgesehen von den übrigen Mächten, wie Belgien, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei.
DR. DIX: Das waren Ausführungen von Schacht?
VOCKE: Ja, von Schacht, die er oft genug gemacht hat. Erst recht hat aber Schacht eingehend und nachdrücklich gesprochen im Hinweis auf die neutralen Länder. Schacht hat immer wieder betont, es werden ja auch wieder Konflikte und Kriege kommen, aber für Deutschland gibt es nur eine Politik: absolute Neutralität. Und er wies auf das Beispiel der Schweiz, Schweden und so weiter hin, die durch ihre neutrale Haltung reich und mächtiger geworden und Gläubigerländer geworden sind. Schacht hat das immer wieder mit allem Nachdruck betont.
DR. DIX: Sie werden in diesem Zusammenhang nun meine Frage verstehen: Wie erklären Sie sich dann, oder wie hat Schacht Ihnen es erklärt, daß er dann überhaupt eine Rüstung finanziert hat?
VOCKE: Schacht glaubte seinerzeit, daß eine gewisse Rüstung, wie sie jedes Land der Erde hatte, für Deutschland auch notwendig sei aus politischen...
DR. DIX: Darf ich Sie einmal unterbrechen; ich bitte, nur Dinge zu bekunden, die Schacht Ihnen gesagt hat, also nicht eigene Ansichten, was damals Schacht etwa gesagt hat, sondern nur, was Schacht Ihnen gegenüber geäußert hat.
VOCKE: Schacht sagte: »Eine Außenpolitik ohne jede Rüstung ist auf die Dauer unmöglich«, Schacht sagte auch, die Neutralität, die er für Deutschland forderte, müßte, wenn es sich um einen Konflikt zwischen Großmächten handelte, eine bewaffnete Neutralität sein. Schacht hielt die Rüstung für notwendig, wenn nicht Deutschland dauernd wehrlos unter gerüsteten Nationen bleiben sollte. Er hat nicht einen bestimmten Angriff vermutet, aber er hat gesagt, in jedem Land gibt es eine Kriegspartei, die heute oder morgen ans Ruder kommen kann, und ein völlig wehrloses Deutschland seinen Nachbarn gegenüber ist auf die Dauer unmöglich, ja, bildet sogar eine Gefahr für den Frieden und einen Anreiz, es eines Tages zu überfallen. Endlich aber und vor allem hat Schacht in der Rüstung das einzige Mittel gesehen, die deutsche Wirtschaft in ihrer Gesamtheit wieder zu beleben und anzukurbeln. Es sollten Kasernen gebaut werden; die Bauwirtschaft, die der Schlüssel der gesamten Wirtschaft ist, sollte befruchtet werden und nur so hoffte er mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden.
DR. DIX: Nun kam es im Laufe der Ereignisse zur Militarisierung des Rheinlandes, zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Haben da Unterhaltungen zwischen Ihnen und Schacht des Inhalts stattgefunden, daß diese Art von Politik Hitlers, die dann fortgesetzt, zu einem Krieg führen könnte, zum mindesten zu einem kriegerischen Einschreiten anderer Staaten, die mit einer solchen Politik nicht einverstanden sein würden?
Haben solche Gespräche stattgefunden zwischen Ihnen und Schacht?
VOCKE: Nicht in dem Sinne, wie Ihre Frage vor. Schacht hat allerdings mit mir über die Vorgänge bei der Wiederbesetzung des Rheinlandes gesprochen, und zwar hat er mir auseinandergesetzt, daß damals Hitler, als Frankreich eine nur etwas drohende Haltung einnahm, entschlossen war, die Besetzung sofort zurückzunehmen, daß Hitler also umgefallen ist und daß er nur von Herrn von Neurath daran gehindert wurde, der ihm sagte: »Ich war zwar gegen diesen Schritt, aber nachdem du ihn getan hast, mußt du stehen bleiben.« Was Schacht mir damals über Hitlers Haltung sagte, war alles eher, als daß Hitler in einem kriegslüsternen Licht erschienen wäre. Auch empfand Schacht, wie er mir sagte, die Freundschaft mit Polen, den Verzicht auf Elsaß-Lothringen, überhaupt Hitlers Politik in den ersten Jahren als eine Friedenspolitik; später sind die ernsten Bedenken außenpolitischer Art erst aufgetaucht.
DR. DIX: Wie waren denn überhaupt Schachts außenpolitische Grundsätze und Ideen im Zusammenhang mit seiner Einstellung auch zu der Hitlerschen Außenpolitik?
VOCKE: Ganz überwiegend ablehnend, vor allem natürlich seit Ribbentrop einen Einfluß auf die Außenpolitik gewonnen hat, in dem Schacht den unfähigsten und verantwortungslosesten Ratgeber Hitlers gesehen hat. Aber auch vorher schon waren tiefgehende Differenzen Schachts gegenüber Hitlers Außenpolitik da. Zum Beispiel gegenüber Rußland hatte Schacht schon in den Jahren 1928/29 das große Russengeschäft aufgebaut, langjährige Kredite, die beiderseits die Wirtschaft befruchtet haben. Er ist deswegen oft angegriffen worden, aber er hat gesagt, ich weiß was ich tue, ich weiß auch, daß die Russen pünktlich und korrekt bezahlen werden. Sie haben das immer getan und Schacht war sehr ärgerlich und unglücklich darüber, als durch die Schimpfkanonaden Hitlers das ganze Verhältnis mit Rußland ruiniert und so auch dieses große Geschäft zum Stillstand gebracht wurde. Oder gegenüber China: Schacht war von der Wichtigkeit des China-Geschäftes überzeugt und war im Begriff, es zu weit größerem Maße zu entwickeln, als Hitler durch seine Option für Japan und die Zurückziehung der deutschen Berater von Tschiang-Kai-Schek auch hier alle Pläne zunichte machte. Schacht sah einen verhängnisvollen Fehler darin und sagte, daß Japan nie imstande oder willens wäre, für das chinesische Geschäft uns einen Ersatz zu geben. Schacht war auf der ganzen Linie für enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, mit England und Frankreich. Schacht bewunderte Roosevelt selbst und war stolz darauf, daß Roosevelt mit ihm durch den Diplomaten Cockerill eine dauernde Verbindung unterhielt. Schacht war von der Notwendigkeit bester Beziehungen zu England und Frankreich überzeugt. Gerade deswegen hat er die Entsendung Ribbentrops nach London erschwert und mißbilligt. Schacht war gegen die Politik Hitlers gegenüber Italien. Er wußte, daß Mussolini von uns nichts wissen wollte und hielt ihn für den unzuverlässigsten und schwächsten Partner. Was Österreich anlangt, so weiß ich nur, daß Schacht Dollfuß geschätzt hat, die Ermordung von Dollfuß mit Entsetzen und Abscheu erfahren hat, und daß er nach der Besetzung Österreichs vieles, was dort geschehen ist, mißbilligt hat.
Ich kann vielleicht in diesem Zusammenhang noch kurz auf Schachts Kolonialpolitik eingehen, die eine Art Steckenpferd von Schacht war, über die er einmal einen Vortrag gehalten hat. Ich kann Schachts Ansichten darüber aus Aufträgen, die er mir gegeben hat, illustrieren. Die Ideen Schachts gingen dahin, mit den Mächten England, Frankreich und so weiter ein Arrangement zu treffen, damit die Mächte einen Teil der portugiesischen Kolonie Angola aufkaufen und Deutschland nicht zur hoheitsmäßigen Verwaltung, sondern zur wirtschaftlichen Nutzung übergeben sollten und er hat Sachverständigengutachten...
VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß dies viel zu ausführlich ist.
DR. DIX: Wir können dann die einzelnen Beispiele unterlassen.