[Das Gericht vertagt sich bis
4. Mai 1946, 10.00 Uhr.]
Einhunderteinundzwanzigster Tag.
Sonnabend, 4. Mai 1946.
Vormittagssitzung.
[Der Zeuge Funk im Zeugenstand.]
DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich darf dann mit der Vernehmung des Angeklagten Funk wohl fortfahren.
[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Dr. Funk! Sie haben uns gestern kurz Ihren Lebenslauf berichtet, daß Sie 56 Jahre alt sind, seit 25 Jahren verheiratet, daß Sie dann zehn Jahre Chefredakteur der »Berliner Börsenzeitung« waren, und haben uns zum Schluß gestern dargelegt, welche Überzeugung Sie hatten hinsichtlich der Entwicklung Deutschlands für die Zukunft.
Vielleicht können Sie uns den Gesichtspunkt nochmals etwas darlegen, weil Sie gestern durch die Pause darin unterbrochen wurden, und weil gestern abend Ihr gesundheitlicher Zustand außerdem so schlecht war, daß Sie sich kaum mehr an das erinnern konnten, was Sie dem Gericht erzählt haben.
Also, welche Überzeugung hatten Sie damals in Bezug auf die wirtschaftspolitischen Aussichten Deutschlands für die Zukunft zu der Zeit, als Sie in die Partei eingetreten sind? Vielleicht können Sie das noch einmal kurz wiederholen.
FUNK: Deutschland befand sich damals in einer schweren wirtschaftlichen Krise, die in der Hauptsache hervorgerufen war durch die Tributlasten, die Art ihrer Bezahlung, dann aber durch die Unfähigkeit der damaligen Regierungen, die wirtschaftlichen Probleme zu meistern. Das Verhängnisvollste bei der Tributpolitik war, daß man Deutsche-Mark-Valuta in großen Beträgen in das Ausland transferierte, ohne hierfür Gegenwerte zu erhalten. Infolgedessen entstand im Ausland ein ungeheurer Überfluß und Überdruck an Reichsmark. Es kam zur Inflation in Deutschland und die Länder mit den starken Valuten kauften Deutschland aus. Es kam zu einer schweren Verschuldung der deutschen Industrie und diese führte wiederum auch kurzfristig zu einer Überfremdung der Industrie, zu einer Verschuldung der deutschen Landwirtschaft. Es kam zu einer völligen Verarmung des Bürgertums, das der Hauptträger der deutschen Kultur war. Jede dritte deutsche Familie war arbeitslos und die Regierung selbst hatte weder die Kraft noch den Mut, die wirtschaftlichen Probleme zu meistern. Diese Probleme konnten auch nicht durch wirtschaftliche Maßnahmen allein gemeistert werden. Es war notwendig, daß zunächst einmal eine Regierung mit voller Autorität und Verantwortung vorhanden war, und daß eine einheitliche politische Willensbildung im Volke Platz griff.
Die Nationalsozialisten eroberten damals vierzig Prozent der Reichstagsmandate, das Volk strömte dieser Partei in immer neuen Millionen zu, insbesondere die von Idealismus erfüllte, begeisterte Jugend, und die faszinierende Persönlichkeit des Führers wirkte wie ein riesiger Magnet. Das Wirtschaftsprogramm der Partei selbst war unklar, war nach meiner Ansicht im wesentlichen auf Propaganda abgestellt, und es wurde auch in Parteikreisen, mit denen ich im Jahre 1931 in Berührung kam, lebhaft diskutiert.
Ich entschloß mich also damals, meine Position als Chefredakteur einer großen bürgerlichen Tageszeitung aufzugeben und mich selbständig zu machen, indem ich einen wirtschaftspolitischen Pressedienst herausgab, der an die verschiedensten Kreise der Wirtschaft ging, auch an die führenden Parteikreise, aber auch an Wirtschaftskreise, die den Deutschnationalen, der Volkspartei und sogar den Demokraten nahestanden.
DR. SAUTER: Herr Dr. Funk! Sie haben vorhin gesagt, so ungefähr, daß nach Ihrer damaligen Auffassung, wie Sie diese im Jahre etwa 1931 vertreten haben, nur eine Regierung mit voller Autorität und mit voller Verantwortung, also nur ein starker Staat und eine einheitliche politische Willensbildung Deutschland aus der damaligen Krisis herausführen konnte, die ja lediglich ein Ausschnitt aus der Weltkrisis war. Haben Sie sich nun damals bereits vielleicht mit dem Gedanken befaßt, ob das Führerprinzip, das ja dann später immer stärker und stärker ausgebildet wurde, ob dieses Führerprinzip mit Ihrer wirtschaftspolitischen Auffassung in Einklang gebracht werden konnte oder, negativ ausgedrückt, haben Sie sich von diesem Führerprinzip in der damaligen Zeit schwere Schädigungen versprochen? Was können Sie zu dem Punkt sagen?
FUNK: Von einem Regierungsprinzip, das ist ja ein Führerprinzip, kann man a priori niemals sagen, ob es gut oder schlecht ist. Es kommt auf die gegebenen Verhältnisse an und vor allen Dingen auf diejenigen, die regieren. Das demokratisch-parlamentarische Prinzip hatte in Deutschland nicht zum Erfolg geführt, Deutschland hatte auch keine parlamentarisch- demokratische Tradition wie andere Länder. Es war schließlich so, daß bei Regierungsentschlüssen die wenigen Stimmen der Wirtschaftspartei entschieden, die meistens gekauft waren. Es mußte also ein anderes Prinzip zur Herrschaft kommen, und wenn in einer autoritären Regierung diejenigen, die die Autorität und die Verantwortung haben, gut sind, dann ist auch die Regierung gut. Das Führerprinzip bedeutete nach meiner Meinung, daß die Besten und der Beste regieren sollten, und daß dann die Autorität von oben nach unten und die Verantwortung von unten nach oben ging. Und ich habe aus den Gesprächen, die ich im Jahre 1931 mit Adolf Hitler und anderen führenden Persönlichkeiten der Partei hatte, und, wie gesagt, aus dem Vertrauen, der Begeisterung, die das deutsche Volk dieser Bewegung entgegenbrachte, die Meinung gewonnen, daß diese Partei zur Regierung kommen müsse und daß von ihr allein die Rettung kommen könne. Ich selbst wollte in dieser Partei meine eigenen wirtschaftspolitischen Ideen zur Geltung bringen.
DR. SAUTER: Herr Dr. Funk! Sie haben gerade von der Persönlichkeit Hitlers gesprochen. Durch wen haben Sie denn Hitler kennengelernt, beziehungsweise wer waren die ersten Persönlichkeiten aus den Kreisen der Partei, durch welche Sie dann für die Partei gewonnen wurden?
FUNK: In der Hauptsache war dies Gregor Straßer, wie ich gestern schon sagte, der die erste Aussprache mit Adolf Hitler vermittelte. Erst viel später lernte ich dann in Berlin Hermann Göring kennen. Im übrigen hatte ich sehr wenig Bekanntschaften in der Partei damals und spielte auch in der Partei selbst keine Rolle.
DR. SAUTER: Und wie Sie nun Hitler kennengelernt haben, was hat Ihnen damals Hitler für einen Eindruck gemacht? Ich darf das eine vorausschicken, Sie waren ja damals, ich glaube es war 1931, immerhin schon ein gereifter Mann von über vierzig Jahren. Was haben Sie damals für einen Eindruck über die Persönlichkeit, über die Ziele et cetera Hitlers gewonnen?
FUNK: Die erste Unterredung mit Adolf Hitler verlief sehr reserviert; das war auch nicht verwunderlich, da ich ja aus einer ihm völlig fremden Welt kam. Er machte auf mich sofort den Eindruck einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Er faßte blitzschnell alle Probleme auf und verstand es, sie außerordentlich eindrucksvoll mit großer Beredsamkeit und auch mit ausdrucksvollen Gesten vorzutragen. Er hatte die Gewohnheit, sich in die Probleme dann selbst, in langen Selbstgesprächen sozusagen, zu vertiefen und hob die Probleme dabei in eine höhere Betrachtungsweise. Ich habe ihm damals meine wirtschaftspolitischen Ansichten klargelegt, insbesondere, daß ich auf der Idee des privaten Eigentums fuße, die für mich das Fundament meiner Wirtschaftspolitik sei und die unzertrennlich mit dem Gedanken der verschiedenwertigen Leistungsfähigkeit des Menschen zusammenhänge. Er selbst gab mir dann lebhaft zu, daß auch seine Idee der Wirtschaftspolitik beherrscht werde vom Prinzip der Auslese, also des Leistungsprinzips, der schöpferischen Persönlichkeit, und er begrüßte sehr, daß ich nach dieser Richtung hin in der Partei wirken wolle, ihm auch Verbindungen und Unterstützung bei der Wirtschaft vermitteln wolle, was ich auch tat. Und es kam dann aber kaum zu engeren Beziehungen zum Führer zunächst, weil er mir selbst sagte: »Ich kann mich m diesem Augenblick wirtschaftspolitisch nicht festlegen und das, was meine Wirtschaftstheoretiker, wie Herr Gottfried Feder, sagen, das denke ich nicht ohne weiteres.« Die wirtschaftspolitische Abteilung die es damals gab, wurde von einem Dr. Wagner geführt.
DR. SAUTER: Wirtschaftspolitische Abteilung, von wem? Von der Reichsleitung der Partei?
FUNK: Die wirtschaftspolitische Abteilung der Reichsleitung der Partei wurde von einem gewissen Dr. Wagner geführt. Zu politischen Gesprächen wurde ich nicht zugezogen. Eine enge Beziehung zum Führer, oder eine engere Beziehung zum Führer, habe ich eigentlich nur in den Jahren 1933 und im ersten Halbjahr 1934 gehabt, als ich als Pressechef der Reichsregierung ihm regelmäßig Vorträge hielt. Damals kam es schon einmal vor, daß er den Pressevortrag plötzlich unterbrach und mit mir in den Musiksalon ging und sich von mir etwas am Klavier vorspielen ließ.
Dann wurde das Verhältnis wieder reservierter, und als ich Wirtschaftsminister wurde, hielt sich der Führer von mir immer mehr fern, ob er besondere Gründe dafür hatte, wie Lammers hier ausgesagt hat, weiß ich nicht; ich bin während meiner ganzen Ministertätigkeit vielleicht vier-, höchstens fünfmal zu Besprechungen zum Führer zugezogen worden. Er brauchte mich aber auch nicht, denn er gab seine wirtschaftspolitischen Anordnungen an den Reichsmarschall als den verantwortlichen Leiter der Wirtschaftspolitik und später, vom Jahre 1942 ab, an Speer, als die Rüstung die gesamte Wirtschaft beherrschte, und ich war, wie gesagt, in engeren Beziehungen nur in den Jahren 1933 und im ersten Halbjahr 1934, bis zum Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg.
DR. SAUTER: Ja, Herr Dr. Funk! Sie sind jetzt schon sehr weit vorausgeeilt. Wir wollen jetzt wieder zurückkehren, nämlich zum Jahr 1931 oder 1932, also zu der Zeit, als Sie der Partei beigetreten sind. Wann war denn das?
FUNK: Im Sommer 1931.
DR. SAUTER: Im Sommer 1931. Sie haben dem Gericht schon erklärt, daß Sie sich an dem Führerprinzip aus den Gründen, die Sie dargelegt haben, nicht gestoßen haben.
FUNK: Nein, im Gegenteil, das Führerprinzip war absolut notwendig.
DR. SAUTER: Im Gegenteil, Sie hielten das Führerprinzip für die damalige Notzeit für notwendig. Nun würde mich aber interessieren, es sind ja auch andere Gesichtspunkte in dem Parteiprogramm enthalten gewesen, die sich dann später ungünstig ausgewirkt haben und die auch im Laufe des Prozesses den Angeklagten vielfach zum Vorwurf gemacht worden sind. Ich greife ein Beispiel heraus, zum Beispiel dieses Schlagwort vom »Lebensraum«. Sie haben während des Prozesses auch wieder das gehört. Der Angeklagte Dr. Schacht hat sich ja mit diesem Problem auch befaßt. Vielleicht können Sie uns in Kürze Ihre eigene Stellungnahme zu diesem Problem, zu dieser Frage, darlegen?
FUNK: Das Lebensproblem ist gar kein Schlagwort, und ein Lebensproblem ist wirklich das »Lebensproblem« des deutschen Volkes damals gewesen. Ich habe bei Lebensproblem...
DR. SAUTER: Lebensraum?
FUNK:... oder Lebensraum damals durchaus nicht an Eroberung fremder Länder gedacht, wie der Gedanke an den Krieg damals mir, ebenso wie wahrscheinlich den allermeisten Deutschen, völlig fernlag. Unter Lebensraum verstand ich die Öffnung der Welt für die deutschen Lebensinteressen, das heißt die Beteiligung des deutschen Volkes an der Nutzbarmachung der im Überfluß vorhandenen Güter der Welt.
Ob das nun durch Kolonien geschah oder durch Konzessionen oder durch handelspolitische Vereinbarungen, darüber habe ich im, einzelnen damals mir den Kopf nicht zerbrochen.
Die Entfaltung Deutschlands in der Weltwirtschaft vor dem ersten Weltkrieg war für mich entscheidend, überhaupt Wirtschaftsjournalist zu werden. Die Beteiligung Deutschlands an der rumänischen Petroleumindustrie, die Konzession der Bagdad-Bahn, der wachsende deutsche Einfluß in Südamerika, in China, überhaupt in Ostasien, das alles begeisterte mich sehr. Ich wurde damals schon bekannt mit Männern, wie Franz Günther, von der Diskontogesellschaft, mit Arthur von Gwinner von der Deutschen Bank, mit Karl Helfferich, mit dem großen Hamburger Überseekaufmann Witthöft und vielen anderen deutschen Wirtschaftspionieren, und ich ging mit der ganzen Begeisterungsfähigkeit des jungen Journalisten an meinen Beruf.
»Lebensraum« war also für mich damals die Erfüllung dieser wirtschaftspolitischen Forderungen und der wirtschaftlichen Beteiligung Deutschlands an den Gütern der Welt, Beseitigung der Hemmungen, die uns von allen Seiten entgegentraten, und es war ja ein absoluter Nonsens, daß Deutschland auf der einen Seite Buße zahlen sollte und Schulden bezahlen sollte und auf der anderen Seite die Gläubigerländer sich weigerten, diese Schuldenabzahlung in der einzig möglichen Form, nämlich in der Abtragung durch Leistungen, durch Waren, entgegenzunehmen. Damals setzte eine große protektionistische Welle in der Welt ein. Ich erinnere an die damalige amerikanische Wirtschaftspolitik, ich erinnere an die Ottawa-Verträge, und diese falsche Weltwirtschaftspolitik führte dann 1929/30 zu der Weltwirtschaftskrise, von der auch Deutschland schwer getroffen wurde.
DR. SAUTER: Sind Sie zu Ende, Herr Doktor?