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[Zum Zeugen gewandt:]

Sie haben eben gesagt, daß Sie dem Führer gegenüber die angeregte Vernichtung von Besatzungsmitgliedern in den Rettungsbooten abgelehnt haben. Die Anklage hat aber nun zwei Dokumente vorgelegt, einen Befehl vom Winter 1939 und 1940 und einen zweiten Befehl vom Herbst 1942, in dem Sie Rettungsmaßnahmen einschränken beziehungsweise verbieten. Liegt nicht ein Widerspruch in diesem Befehl und in Ihrer Haltung gegenüber der Anregung des Führers?

DÖNITZ: Nein. Diese beiden Dinge haben gar nichts miteinander zu tun. Man muß hier sehr klar unterscheiden zwischen der Frage des Rettens oder Nichtrettens. Das ist eine Frage der militärischen Möglichkeit. Es kann im Krieg sehr wohl die Notwendigkeit kommen, nicht zu retten, zum Beispiel, wenn das eigene Schiff dadurch gefährdet wird. Das wäre militärisch falsch, würde ja auch, am Rande bemerkt, dem zu Rettenden nichts nutzen, und in keiner Nation wird keinem Kommandanten zugemutet, wenn sein eigenes Schiff gefährdet wird, zu retten. Die englische Kriegsmarine vertritt in der Beziehung richtigerweise einen sehr klaren eindeutigen Standpunkt, daß das Retten dann zu verneinen ist, wie ihre Haltung und auch Befehle zeigen. Also, das ist das eine Fragengebiet.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Sie sprachen nur von der Sicherheit des Bootes als ein Grund dafür, Rettungsmaßnahmen auszuschließen?

DÖNITZ: Es können selbstverständlich auch andere Gründe sein, zum Beispiel ist es klar, daß im Krieg die Kampfaufgabe vorgeht. Niemand wird retten, wenn zum Beispiel nach der Niederkämpfung eines Gegners noch ein anderer Gegner da ist; dann wird selbstverständlich die Bekämpfung dieses zweiten Gegners dem Retten der Schiffbrüchigen des ersten Gegners vorgehen.

Der andere Fragenkomplex ist das Bekämpfen von Schiffbrüchigen, und das ist...

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Wen bezeichnen Sie nun als Schiffbrüchigen?

DÖNITZ: Schiffbrüchige sind die Besatzungsangehörigen, die nach der Versenkung ihres Schiffes, zum Kampf nicht mehr fähig, entweder in Rettungsbooten oder sonstigen Rettungsmitteln sich befinden oder sich im Wasser befinden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Jawohl.

DÖNITZ: Die Bekämpfung dieser Menschen ist eine Frage der soldatischen Kampfsittlichkeit und ist unter allen Umständen abzulehnen. Und diese Ablehnung ist in der deutschen Kriegsmarine und der U-Bootwaffe, bis auf den einen Fall Eck, meiner festen Überzeugung nach nie überschritten worden. Es ist nie in dieser Beziehung ein Befehl gegeben, sei er auch irgendwelcher Art.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich werde Ihnen nun einen der Befehle vorhalten, den die Anklage vorgelegt hat, und zwar Ihren Ständigen Kriegsbefehl Nummer 154. Er hat die Nummer GB-196 und ist in meinem Urkundenbuch abgedruckt auf Seite 13 bis 15. Ich werde Ihnen den Befehl übergeben lassen und weise Sie hin auf den letzten Absatz, den die Anklage vorgelesen hat. Es heißt dort – ich lese es nochmals vor –:

»Keine Leute retten und mitnehmen. Keine Sorge um Boote des Dampfers. Wetterverhältnisse und Landnähe sind gleichgültig. Nur Sorge um das eigene Boot und das Streben, sobald wie möglich den nächsten Erfolg zu erringen! Wir müssen hart in diesem Kriege sein. Der Gegner hat den Krieg angefangen, um uns zu vernichten, es geht also um nichts anderes.«

Die Anklage hat gesagt, daß dieser Befehl nach ihren Unterlagen ergangen ist vor dem Mai 1940. Können Sie das Datum genauer angeben nach Ihren Kenntnissen?

DÖNITZ: Meiner Erinnerung nach habe ich diesen Befehl erfassen Ende November oder Anfang Dezember 1939, und zwar aus folgenden Gründen: Ich hatte nur eine Handvoll U-Boote im Monat zur Verfügung. Um überhaupt mit dieser geringen Zahl irgendeine Wirkung erzielen zu können, mußte ich mit diesen Booten hart unter die englische Küste vor die Häfen gehen. Es kam hinzu, daß die Magnetmine sich als sehr wertvolles Kriegsmittel herausgestellt hat. Ich habe daher diese Boote gemischt mit Minen und Torpedos ausgerüstet und habe sie nach dem Minenlegen unmittelbar vor dem Hafen in dem Küsten Vorfeld operieren lassen. Sie haben dort gekämpft in ständiger, unmittelbarer Berührung und Überwachung der Luft- und Seesicherung. Jedes U-Boot, das dort irgendwie gesichtet oder gemeldet wurde, wurde durch heranbeorderte U-Bootjagdgruppen, Luftüberwachung, bekämpft. Die U-Boote selbst hatten fast durchweg oder vollkommen als Angriffsobjekte nur gesicherte Schiffe oder Schiffe in Gegenwart von Sicherung. Es wäre daher Selbstmord gewesen, Selbstmord für das U-Boot, in einer solchen Lage aufzutauchen und zu retten. Das mußte ich diesen Kommandanten, die ja sehr jung waren – ich war der einzige, der überhaupt aus dem ersten Weltkrieg Kriegserfahrung hatte –, sehr eindringlich und drastisch sagen, weil es natürlich schwer ist für einen solchen jungen Kommandanten, die Lage so zu übersehen wie ich.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Spielten dabei schon Erfahrungen mit Rettungsmaßnahmen eine Rolle?

DÖNITZ: Ja. Ich hatte in den ersten Kriegsmonaten außerordentlich schlechte Erfahrungen gemacht. Ich hatte sehr große Verluste, und zwar im freien Seeraum; und zwar, da ich sehr bald über das Genfer Rote Kreuz Nachricht bekam, daß sehr viel Besatzungsmitglieder gerettet waren, war es klar, daß diese U-Boote über Wasser verlorengegangen sein mußten, da bei einem Unterwasserverlust das Herauskommen von so viel Leuten unmöglich ist. Ich habe auch Meldungen gehabt von menschlich berechtigterweise sehr hingebungsvollem Retten, aber militärisch für das U- Boot eben sehr gefährlich, daß ich nun selbstverständlich, wo ich nicht im freien Seeraum kämpfen wollte, sondern vor den Häfen oder im Küstenvorfeld der Häfen, die U-Boote warnen mußte vor den großen Gefahren, vor dem Selbstmord. Außerdem als Parallele selbstverständlich und richtigerweise haben sich zum Beispiel englische U-Boote im Skagerrak und Kattegatt, also in den von uns beherrschten Seeräumen, um die Schiffbrüchigen überhaupt nicht gekümmert, obwohl zweifelsohne unsere Abwehr nur ein Bruchteil der englischen war.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sagen, daß dieser Befehl gilt für U-Boote, die in unmittelbarer Gegenwart der feindlichen Sicherung kämpften. Können Sie das aus dem Befehl selbst dem Tribunal darlegen, daß das wirklich so ist?

DÖNITZ: Jawohl. Der ganze Befehl behandelt überhaupt nur, oder schließt ein, die Gegenwart feindlicher Abwehr beziehungsweise er handelt vom Kampf am Geleitzug.

Es lautet zum Beispiel:

»Nahe Schußentfernung ist auch die beste Sicherheit für das Boot...«

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Welche Ziffer lesen Sie?

DÖNITZ: Also der Befehl ist so aufgebaut, daß in Ziffer 1 erst von dem Marsch gesprochen wird, also nicht vom Kämpfen. Aber auch dort ist bereits die Warnung vor der Abwehr, vor Fliegern drin. Und diese Warnung vor der Abwehr ist der Sinn, daß überhaupt von dem Marsch gesprochen wird, sonst hätte ich ja keinen Befehl über das Marschieren erlassen.

Es kommt dann die Ziffer 2, »Vor dem Angriff«. Da wird etwas über die Überwindung von etwa moralischen Hemmungen gesagt, die jeder Soldat vor dem Angriff hat.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Sie brauchen nur auf die Ziffern hinzuweisen, welche beweisen, daß es sich um Bekämpfen feindlicher Defensive handelt.

DÖNITZ: Jawohl. Dann werde ich zitieren aus Ziffer 2 (d). Da steht:

»Nahe Schußentfernung ist auch die beste Sicherheit für das Boot.

In der Nähe der Schiffe« – also Handelsschiffe – »wirft die Sicherung« – das sind die Zerstörer – »zunächst einmal keine Wasserbomben; schießt man in einem Geleitzug aus Nahschußweite« – also Geleitzug –, »und muß man etwa nach dem Schuß auf Tiefe gehen, so kann man sich auch dann am schnellsten unter weitere Schiffe des Geleitzugs verholen« – das heißt, sich unter diese Schiffe begeben – »und ist hier vor Wasserbomben sicher.«

Dann kommt der nächste Absatz, der von Umständen bei Nacht handelt. Da heißt es:

»Über Wasser bleiben, über Wasser ausweichen, vielleicht einen Kringel schlagen und hinten herumgehen.«

Für jeden Seemann ist das klar, daß man den Kringel oder das Hintenherumgehen um die Sicherung macht.

Weiter, im Absatz 3 wende ich mich gegen das Zü- Früh-Auf-Tiefe-Gehen, weil es das U-Boot blind macht, und sage:

»Nur dann bietet sich die Chance für einen neuen Angriff beziehungsweise das Loch zu sehen und festzustellen, durch das man sich einer feindlichen Verfolgung entziehen kann.«

Dann kommt die Ziffer c, also 3 c. Da ist gesagt:

»Muß man beim Angriff auf einen Geleitzug vor der Bewachung oder vor Fliegern einmal schnell auf 20 Meter gehen, weil Ramm- oder Sichtgefahr besteht...«

Also hier ist von dem Kampf am Geleitzug die Rede. Jetzt kommt Ziffer d. Da heißt es:

»Muß man aber nach der Tiefe ausweichen, weil zum Beispiel der Zerstörer direkt auf das Sehrohr zuläuft...«

Und dann kommen Verhaltungsvorschriften, wie ich mich bei einem Wasserbombenangriff verhalte. Also, der ganze Befehl handelt...

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, all diese militärischen Maßnahmen zu besprechen. Er hat den Absatz e besprochen. Er hat seine Erklärung über den Absatz abgegeben, und ich glaube, es ist nicht notwendig, alle diese taktischen Fragen zu erörtern.

DÖNITZ: Ich meine nur, man darf diesen letzten Absatz über das Nichtretten nicht an sich betrachten, sondern man muß ihn beurteilen: Erstens, die U- Boote hatten in Gegenwart der feindlichen Abwehr zu kämpfen, vor den Häfen, vor den englischen Flußmündungen, und zweitens, die Ziele waren geleitete Schiffe oder Schiffe in Gegenwart von Sicherung, wie aus dem ganzen Befehl klar hervorgeht.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sagten, daß dieser Befehl etwa im Dezember 1939 ergangen ist. Wurde nun nach Erlaß dieses Befehls von den deutschen U-Booten tatsächlich noch weiter gerettet? Welche Erfahrung haben Sie?

DÖNITZ: Ich sagte, daß dieser Befehl für diesen bestimmten Zweck während der Wintermonate erlassen war. Die U-Boote, die meiner Erinnerung nach erst nach dem Norwegen-Unternehmen wieder in den Atlantik gingen, für diese Boote galt der allgemeine Befehl des Rettens, der nur dadurch eingeschränkt war, daß gesagt wurde, nicht retten, wenn es die Sicherheit eines U-Bootes nicht erlaubt. In diesem Stil ist dann, wie die Tatsachen beweisen, von den U-Booten gehandelt worden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wollen Sie sagen, daß Sie Berichte bekamen von den U-Bootkommandanten über Rettungsmaßnahmen?

DÖNITZ: Ich habe die Berichte bekommen bei der jedesmaligen Berichterstattung nach der Rückkehr, außerdem hinterher durch die Kriegstagebücher.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann wurde denn dieser Befehl, den wir eben besprochen haben, formell aufgehoben?

DÖNITZ: Meiner Kenntnis nach ist dieser Befehl von England erbeutet worden oder herausgetaucht worden auf U-13, der auf ganz flachem Wasser in den Downs vor der Themsemündung durch Wasserbomben vernichtet worden ist. Für dieses Boot kann selbstverständlich im Mai 1940 dieser Befehl noch gegolten haben.

Ich habe dann den Schwerpunkt der Operationen wieder in den freien Atlantik gelegt im Jahr 1940, nach dem Norwegen-Unternehmen. Für diese U- Boote galt dieser Befehl nicht, wie die Tatsache des Rettens beweist, was ich eben schon erklärt habe. Ich habe dann diesen Befehl ja ganz aufgehoben, weil er ja das erste Handwerkszeug enthielt, wie sich die U- Boote im Geleitzug zu benehmen hatten. Da es nachher in Fleisch und Blut den U-Bootkommandanten bereits übergegangen war, war es nicht mehr nötig.

Meiner Erinnerung nach ist spätestens November 1940 der Befehl vollkommen gestrichen worden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Ich habe hier das Inhaltsverzeichnis der »Ständigen Kriegsbefehle von 1942«. Das ist abgedruckt auf Seite 16 des Urkundenbuches 1. Ich werde es überreichen als Dönitz 11. In diesem Inhaltsverzeichnis ist die Nummer 154 frei, also die Nummer des Befehls 154, die wir eben besprochen haben. Bedeutet das, daß der Befehl damals nicht mehr bestand, also zum Zeitpunkt, wo die »Ständigen Kriegsbefehle 1942« herausgegeben wurden?

DÖNITZ: Da war er längstens nicht mehr vorhanden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann wurden die »Ständigen Kriegsbefehle 1942« zusammengestellt?

DÖNITZ: Im Laufe des Jahres 1941.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie nun bei den Berichten der Kommandanten über Rettungsmaßnahmen diese Maßnahmen beanstandet oder Kritik daran geübt oder sie verboten?

DÖNITZ: Nein, in der Regel nicht, nur dann, wenn nachträglich meine Angst zu groß war; wenn ich zum Beispiel von einem Kommandanten die Meldung bekam, daß er etwa durch zu langen Aufenthalt bei den Rettungsbooten, dann nachher von der Sicherung, die vielleicht oder wahrscheinlich durch den Funkspruch des Dampfers noch herangeholt war, eine schwere Wasserbombenverfolgung mit Schäden hatte, was ihm nicht passiert wäre, wenn er sich rechtzeitiger abgesetzt hätte, also abgelaufen wäre, dann habe ich ihn selbstverständlich auf das militärisch Falsche dieser Handlungsweise hingewiesen. Ich bin auch überzeugt, daß ich durch das Retten Boote verloren habe, was ich natürlich nicht beweisen kann; denn die Boote sind weg. Aber bei der ganzen Mentalität der Kommandanten, die ganz natürlich war, denn jeder Seemann ist vom Frieden her eingestellt, daß das Retten für ihn das Vornehmste und Ehrenvollste ist, und ich glaube, es gab keinen Offizier in der Kriegsmarine – bei anderen Nationen wird es genau so sein –, der im Frieden nicht zum Beispiel die Rettungsmedaille als höchste Auszeichnung ansieht, wegen persönlichen Einsatzes. Und bei dieser Grundeinstellung ist es dann immer gefährlich, nicht rechtzeitig auf Krieg umzuschalten, und daß die Erhaltung des eigenen Bootes vorgeht, daß der Krieg eben eine ernste Sache ist.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: In welchen Jahren blieb es bei der von Ihnen eben geschilderten Praxis, daß nämlich die U-Boote dann nicht retteten, wenn sie sich gefährdeten?

DÖNITZ: 1940, also 1939 war ja Handelskrieg nach Prisenordnung, Ende 1939, soweit U-Boote noch abgesetzt operierten. Dann kamen die Operationen hart unter Land im Winter 1939/40, die ich geschildert habe. Dafür galt der Befehl 154.

Dann kam das Norwegen-Unternehmen und dann, als der U-Bootkrieg wieder einsetzte, im Frühjahr 1940, galt dieser Befehl des Rettens oder des Nichtrettens, wenn das Boot gefährdet war, für 1940, 1941, 1942 bis zum Herbst.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War der Befehl schriftlich gegeben?

DÖNITZ: Nein, das war nicht notwendig, denn der Generalbefehl des Rettens war ja eine Selbstverständlichkeit und war übrigens bei Kriegsbeginn auch in gewissen Befehlen der Seekriegsleitung enthalten. Und die Einschränkung: Nicht retten, wenn die Sicherheit des U-Bootes gefährdet ist, ist in jeder Marine ja auch eine Selbstverständlichkeit, und diese wurde nun von mir sorgend gepredigt bei den Berichterstattungen, in diesen Fällen, die ich eben genannt habe.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Im Juni 1942 ist nun ein Befehl über die Rettung von Kapitänen ergangen. Der Befehl hat die Nummer Dönitz 22 – Verzeihung, Dönitz 23 – und ist abgedruckt auf Seite 45 des Urkundenbuches 1. Ich lasse den Befehl übergeben.

Es ist ein Kriegstagebuchauszug der Seekriegsleitung vom 5. Juni 1942. Ich lese vor:

»Entsprechend Weisung der Skl erhalten U-Boote vom BdU Befehl, Kapitäne von versenkten Schiffen mit Papieren, falls ohne Gefährdung des Bootes und ohne Beeinträchtigung der Kampfkraft möglich, als Gefangene an Bord zu nehmen.«

Wie ist es zu diesem Befehl gekommen?

DÖNITZ: Es handelt sich hier um einen Befehl der Seekriegsleitung, Kapitäne gefangenzunehmen, das heißt also, sie mit nach Hause zu bringen, was auch wieder etwas anderes ist, wie das Thema Retten. Die Seekriegsleitung stand mit Recht auf dem Standpunkt, wenn wir schon nicht veranlassen können, daß ein ganz hoher Prozentsatz, etwa 80 bis 90 Prozent der Besatzungen der versenkten Handelsschiffe nach Hause kommt, wozu wir durch Unterstützung bei dem Thema Retten sogar unsere Beihilfe gaben, was selbstverständlich war, so ist es wenigstens wichtig, daß wir die bedeutendsten, die wichtigsten Teile dieser Besatzung, nämlich die Kapitäne, dem Gegner zu einer Wiederverwendung entziehen; daher der Befehl, aus den Rettungsbooten die Kapitäne herauszunehmen und als Gefangene auf dem U-Boot mitzunehmen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat der Befehl in dieser oder einer anderen Form bis zum Kriegsende bestanden?

DÖNITZ: Jawohl. Er ist sogar in die ständigen Befehle dann aufgenommen worden, weil er ein Befehl der Seekriegsleitung war.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist er auch bis zum Kriegsende durchgeführt worden und mit welchem Ergebnis?

DÖNITZ: Jawohl. Er ist meiner Erinnerung nach sogar dann und wann in den letzten Kriegsjahren noch befolgt worden. Im allgemeinen war aber das Ergebnis dieses Befehls sehr gering. Ich selbst kann mich nur an ganz wenige Fälle erinnern, habe aber durch Zuschriften, die ich jetzt von meinen Kommandanten bekommen und gelesen habe, gesehen, daß es doch ein paar mehr Fälle waren als ich glaubte; im ganzen sind es höchstens zehn oder zwölf Fälle gewesen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Worauf führen Sie es zurück, daß trotz des ausdrücklichen Befehls so wenige Kapitäne gefangengenommen wurden?

DÖNITZ: Der Hauptgrund lag zweifelsohne daran, daß immer mehr die Masse der U-Boote an feindlichen Geleitzügen kämpfte, je mehr das Geleitzugsystem des Gegners vervollkommnet war. Da war überhaupt die Masse der U-Boote eingesetzt. In den anderen wenigen Fällen war aus Gründen der Sicherheit des Bootes nicht immer ein Herangehen an die Rettungsboote eben möglich, um einen solchen Kapitän herauszupicken, und drittens, glaube ich, daß die U- Bootkommandanten auch Hemmungen hatten, und mit Recht von ihrem Standpunkt, den Kapitän solange bei sich an Bord zu halten bei der Unternehmung. Jedenfalls weiß ich, daß die Kommandanten über diesen Befehl in keiner Weise glücklich waren.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Ich wende mich jetzt dem Dokument zu, das man als den Kernpunkt der Anklage gegen Sie bezeichnen muß. Es ist das Dokument GB-199, Seite 36 des britischen Anklageurkundenbuches.

Es ist Ihr Funkspruch vom 17. September, von dem die Anklage behauptet, es sei ein Befehl zur Vernichtung der Schiffbrüchigen. Er ist so wichtig, daß ich Ihnen diesen Befehl noch einmal vorlesen will:

»Alle Kommandanten.

1. Jeglicher Rettungsversuch von Angehörigen versenkter Schiffe, also auch Auffischen von Schwimmenden und Anbordgabe auf Rettungsboote, Aufrichten gekenterter Rettungsboote, Abgabe von Nahrungsmitteln und Wasser, haben zu unterbleiben. Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen.

2. Befehle über Mitbringung Kapitäne und Chefingenieure bleiben bestehen.

3. Schiffbrüchige nur retten, falls Aussagen für Boot von Wichtigkeit.

4. Hart sein. Daran denken, daß der Feind bei seinen Bombenangriffen auf deutsche Städte, auf Frauen und Kinder keine Rücksicht nimmt.«

Bitte, schildern Sie dem Tribunal einmal die Entstehung dieses Befehls, die ja entscheidend ist für die Absichten, die mit ihm verbunden waren.

Schildern Sie zunächst die militärische Lage allgemein, aus der er entstanden ist.

DÖNITZ: Im September 1942 kämpfte die Masse der deutschen U-Boote an Geleitzügen. Im Nordatlantik war der Schwerpunkt des U-Booteinsatzes, wo die gesicherten Geleitzüge zwischen Amerika und England liefen.

In gleicher Weise kämpften die Boote, die oben im Nordmeer eingesetzt waren, auch nur an den Murmansk-Geleitzügen; anderer Verkehr lief da nicht. Dieselbe Lage war im Mittelmeer; auch dort war das Kampfobjekt der Geleitzug. Darüber hinaus war ein Teil von U-Booten angesetzt unmittelbar vor den amerikanischen Häfen, also den Verkehrsbündelungen Trinidad-Neuyork-Boston und so weiter. Eine geringe Zahl von U-Booten kämpfte noch in freieren Räumen im Mittel- oder Südatlantik. Das Kriterium dieser Zeit war aber, daß überall und sehr stark zunehmend eine Überwachung durch die gewaltige anglo-amerikanische Luftwaffe vorhanden war. Das war ein Punkt, der mir außerordentliche Sorge machte, weil selbstverständlich das Flugzeug der gefährlichste Gegner, an Hand seiner Geschwindigkeit, des U-Bootes ist. Das war keine Einbildung von mir, denn ab Sommer – also schon ein paar Monate vor September 1942 als dieser Befehl erlassen wurde – gingen die U-Bootverluste schlagartig durch Luftangriffe um mehr als 300 Prozent, glaube ich, hoch.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Ich übergebe Ihnen zur Erläuterung dieses Punktes ein Diagramm, das ich dem Tribunal als Dönitz 99 als Beweismittel anbieten möchte. Wollen Sie an Hand dieses Diagramms die Verlustkurve erläutern?

DÖNITZ: Es ist ganz augenscheinlich, daß dieses Diagramm der U-Bootverluste das bestätigt, was ich Ihnen sagte. Man sieht, daß bis zum Juni 1942 die U-Bootverluste sich in erträglichen Grenzen hielten und daß dann schlagartig das einsetzte, nämlich im Juli 1942, was ich eben sagte. Wenn die Verluste bisher im Monat, wie das Diagramm zeigt, wechselnd vier, zwei, fünf, drei, vier oder zwei U-Boote gewesen waren, so schnellten die Verluste im Juli auf monatlich zehn, elf, acht, dreizehn, vierzehn empor. Es kommen dann die beiden Wintermonate, die zur Grundüberholung der Boote ausgenützt wurden, Dezember und Januar; daher das Absinken, was mit der Tendenz der Verluste aber nichts zu tun hat. Diese Entwicklung machte mir die größte Sorge und zeitigte eine Fülle von Befehlen an die U-Bootkommandanten, wie sie den Überwasseraufenthalt – denn dabei entstanden die Verluste, weil das Flugzeug sie sah oder ortete – möglichst einschränken sollten; und sie veranlaßten mich weiter zu Denkschriften an die Seekriegsleitung.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann?

DÖNITZ: Die Denkschriften sind im Sommer aufgesetzt worden, im Juni.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Im Juni 1942?

DÖNITZ: 1942, oder Juli.

.... wo ich, auf der Höhe der großen Erfolge stehend, mir ein Zukunftsbild machte, daß die Luftwaffe uns eines Tages erdrücken könnte und ins Wasser hineinzwingen würde. Also, trotz der großen Erfolge, die ich damals noch hatte, waren meine Zukunftssorgen groß. Daß das keine Einbildung von mir war, zeigt die weitere Entwicklung der Verluste. Nach Beendigung der Liegezeit, der Werftzeit, Februar 1943: 18 Boote verloren, dann 15 im März, im April 14, und dann hochschnellend auf 38.

Das Flugzeug, die Überraschung durch Flugzeuge und die Ausrüstung der Flugzeuge mit dem Ortungsgerät »Radar«, das meiner Ansicht nach neben der Atombombe die kriegsentscheidende Erfindung der Anglo-Amerikaner ist, hat den U-Bootkrieg zum Zusammenbrechen gebracht.

Es hat mich ins Wasser hineingezwungen, weil ich mich an der Oberfläche überhaupt nicht mehr halten konnte, weil ich ja nicht nur festgestellt wurde, wenn das Flugzeug mich sah, sondern bereits viele, bis zu 60 Seemeilen vorher, außerhalb der Sicht, durch eben dieses Radar-Ortungsgerät, und zwar sowohl bei Tag wie bei Nacht. Diese Entwicklung oder diese Notwendigkeit, im Wasser zu bleiben, ging natürlich nicht mit den alten U-Booten, weil sie zumindest zum Aufladen der Akkumulatorenbatterien an der Oberfläche sein mußten.

Diese Entwicklung zwang mich daher, die alten U- Boote mit dem sogenannten »Schnorchel« auszurüsten und eine ganz neue U-Bootwaffe, die überhaupt im Wasser bleiben konnte, die zum Beispiel in der Lage war, im Wasser etwa von Deutschland nach Japan zu fahren, ohne aufzutauchen, zu bauen. Man sieht also, daß ich mich in einer ganz gefährlichen Situation, die sich steigerte, befand.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Ich möchte zur Kennzeichnung dieser Situation Ihnen Ihr Kriegstagebuch aus dieser Zeit vorhalten. Es erhält die Nummer Dönitz 18 und ist abgedruckt auf Seite 32, Band 1.

Ich halte Ihnen vor die Eintragungen vom 2. bis zum 14. September, und zwar nur mit einer Inhaltsangabe, Seite 32.

»Am 2. September U-256 von Fliegern überrascht und gebombt. Fahr- und tauchunklar.

Am 3. September Flieger sichtet U-Boot.

Am 4. September U-756 hat seit 1. 9. am Geleit nicht mehr gemeldet trotz Aufforderung. Mit Verlust ist zu rechnen.

Am 5. September Flugzeug sichtet U-Boot. Am 6. September U-705 durch Flugzeugangriff wahrscheinlich verloren.

Am 7. September U-130 von Boeing-Bombern gebombt. Am 8. September U-202 im Biskaya von Flugzeugen angegriffen.

Am 9. September...«

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Der Angeklagte hat uns schon von den Verlusten erzählt und von den Gründen für diese Verluste. Zu welchem Zweck sollen wir nun Einzelheiten über den Kampf der U-Boote mit den Flugzeugen hören?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich wollte damit zeigen, Herr Präsident, daß die Aussagen des Admirals Dönitz bestätigt werden durch sein damaliges Kriegstagebuch; aber wenn das Tribunal...

VORSITZENDER: Das ist allgemein bekannt. Wir können es lesen. Jedenfalls, wenn Sie unsere Aufmerksamkeit auf das Dokument lenken, so werden wir es lesen. Es ist nicht nötig, daß Sie die Einzelheiten verlesen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Jawohl, ich werde es so machen, Herr Präsident.

DÖNITZ: Das ist eine typische und charakteristische Eintragung in meinem Kriegstagebuch, die gerade in den Wochen und Tagen vor dem Erlaß meines Befehls liegt. Ich wollte aber noch folgendes sagen:

Das Flugzeug war ja deshalb so gefährlich, weil, auch psychologisch, vielleicht in einem Augenblick der U-Bootkommandant die Lage noch für vollkommen klar ansieht, wenn das Flugzeug nicht da ist, und im nächsten Augenblick, wenn das Flugzeug in Sicht kommt, sie bereite völlig hoffnungslos für ihn war. Und das ging nicht nur jungen Kommandanten so, sondern gerade alten, erfahrenen Kommandanten, die die guten alten Zeiten noch im Gehirn hatten. Ich darf vielleicht ganz kurz mal das plastisch darstellen. Ein U-Boot braucht eine Minute praktisch, mit Einsteigen der Leute durchs Turmluk ins Boot, um überhaupt unter Wasser zu kommen. Ein Flugzeug fliegt durchschnittlich in einer Minute 6000 Meter Das U-Boot muß also, um überhaupt noch tauchen zu können, daß es nicht die Bomben bereits an der Oberfläche bekommt, das Flugzeug mindestens 6000 Meter vorher sehen. Das genügt aber deshalb nicht, weil zwar das U-Boot getaucht ist, aber noch nicht auf Sicherheit, auf Tiefe ist. Das U-Boot muß also das Flugzeug schon vorher sehen, und zwar an der Grenze der Sehweite praktisch. Es gehört also dazu, und das ist die Voraussetzung, daß das überhaupt gelingt, daß das U-Boot ständig in höchster Alarmbereitschaft ist, und das heißt vor allen Dingen, daß es möglichst viel Fahrt im Boot hat; denn je mehr es läuft, je größer die Geschwindigkeit ist, um so schneller taucht es; und heißt zweitens, daß so wenig Leute wie möglich sich auf dem U-Boot-Turm befinden, damit das Einsteigen möglichst schnell geschieht, also von Leuten an Oberdeck und so weiter gar keine Rede. Nun, das Retten, wo es notwendig ist an Oberdeck zu gehen, um Hilfe zu bringen, mehr Leute runterzuschicken, beziehungsweise sich sogar einen Schleppschwanz von Rettungsbooten ans Boot zu hängen, das unterbricht natürlich diese Alarmbereitschaft des U-Boots vollkommen. Das U-Boot ist dann also rettungslos irgendeinem Fliegerangriff ausgesetzt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich wollte jetzt zu dem Laconia-Fall selbst kommen, den ich ungern unterbrechen würde; wenn es dem Tribunal recht wäre, würde ich vorschlagen, jetzt die Pause zu machen.