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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Herr Großadmiral Dönitz! Sie haben bereits dargelegt, daß Großadmiral Raeder und die Marine im Sommer 1939 trotz verschiedentlich bedenklicher Zeichen nicht glaubten, daß es zu einem Krieg kommen könnte. Da Sie im Sommer 1939 Großadmiral Raeder gesehen haben, möchte ich Sie bitten, kurz in Ergänzung dieses Punktes zu sprechen, und zwar zunächst: Bei welcher Gelegenheit haben Sie eingehender mit Großadmiral Raeder gesprochen?

DÖNITZ: Großadmiral Raeder schiffte sich Mitte Juli 1939 zu einer U-Bootübung bei mir in der Ostsee ein. Er hat dann im Anschluß an die Übung...

DR. SIEMERS: Darf ich vorher eines fragen? Um was für eine Übung handelte es sich? Um U-Bootübung in was für einem Ausmaße, und wo fand die Übung statt?

DÖNITZ: Ich habe alle U-Boote, die ihre Erprobung beendet hatten, in der Ostsee zusammengezogen. Es mögen, ich weiß die Zahl nicht mehr, um die 30 gewesen sein. Ich habe dann Großadmiral Raeder in einer Übung das Können dieser U-Boote vorgeführt.

DR. SIEMERS: Waren das damals alle atlantikfähige U-Boote?

DÖNITZ: Ja, es waren alle atlantikfähige U-Boote und die kleineren U-Boote von kleinerer Tonnage, deren Operationsgebiet nur bis zur Nordsee ging.

DR. SIEMERS: Sie hatten also damals nicht mehr als zwei Dutzend atlantikfähige U-Boote. Ist das richtig?

DÖNITZ: Diese Zahl ist zu hoch. Atlantikfähige U- Boote hatten wir damals nicht mal 15. Wir sind nach meiner Erinnerung bei Kriegsausbruch mit 15 atlantikfähigen U-Booten in See gegangen.

DR. SIEMERS: Haben Sie nun Raeder während dieses mehrtägigen Zusammenseins bei der Übung persönlich und allein gesprochen?

DÖNITZ: Jawohl. Der Großadmiral Raeder sagte mir und hat dasselbe bei dem gesamten Offizierkorps bei einer Schlußansprache dieser Übung in Swinemünde wiederholt, daß der Führer ihm mitgeteilt hätte, daß es keinesfalls zu einem Kriege im Westen kommen dürfe; denn das wäre »Finis Germaniae«. Ich habe damals um Urlaub gebeten und bin also unmittelbar nach der Übung am 24. Juli zu einer sechswöchigen Kur nach Bad Gastein in Urlaub gefahren. Ich sage das nur, da es ein Beispiel ist von der Weise, wie wir die Situation zu dieser Zeit ansahen.

DR. SIEMERS: Aber dann kam der Krieg ziemlich schnell, nicht wahr, und Sie mußten den Urlaub, den Sie geplant hatten, nachher abbrechen?

DÖNITZ: Ich wurde Mitte August telephonisch zurückgerufen.

DR. SIEMERS: Diese Worte, daß kein Krieg mit England komme und das Wort »Finis Germaniae«, hat Raeder Ihnen das privat in einer persönlichen Unterredung zum Ausdruck gebracht oder nur in der Hauptrede in Swinemünde?

DÖNITZ: Dem Sinne nach sicher. Den einzelnen Wortlaut kann ich nicht mehr unterscheiden, war es vorher oder bei der Hauptrede. Jedenfalls bei der Hauptrede hat er es unbedingt gesagt.

DR. SIEMERS: Danke schön.

DR. LATERNSER: Herr Großadmiral! Am 30. Januar 1943 wurden Sie Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und damit auch Mitglied der hier angeklagten Gruppe Generalstab und OKW?

DÖNITZ: Ja.

DR. LATERNSER: Ich wollte Sie fragen, ob Sie nach Ihrer Ernennung mit irgendeinem der Gruppenmitglieder über Pläne oder Ziele im Sinne der Anklage gesprochen haben?

DÖNITZ: Nein, mit keinem.

DR. LATERNSER: Sie haben nun nach Ihrem Amtsantritt alle rangälteren Oberbefehlshaber abgelöst. Welches waren die Gründe für diese Ablösung?

DÖNITZ: Da ich etwa sieben bis zehn Jahre jünger als die anderen Oberbefehlshaber in der Kriegsmarine war, zum Beispiel Admiral Carls, Admiral Boehm und so weiter, so war es selbstverständlich für beide Teile schwierig, und die Ablösung erfolgte aus diesen Gründen trotz, ich glaube, gegenseitiger Hochachtung und Verehrung.

DR. LATERNSER: Um wie viele Oberbefehlshaber hat es sich in diesem Falle gehandelt?

DÖNITZ: Ich denke drei oder vier.

DR. LATERNSER: Hat nun eine enge persönliche und dienstliche Verbindung zwischen der Kriegsmarine einerseits und Heer und Luftwaffe andererseits bestanden?

DÖNITZ: Nein, gar keine.

DR. LATERNSER: Kannten Sie die Mehrzahl der Mitglieder der angeklagten Gruppe?

DÖNITZ: Nein. Vor meiner Zeit als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nur die, mit denen ich zufällig örtlich im selben Raume war. Zum Beispiel, als ich in Frankreich saß, kannte ich den Feldmarschall von Rundstedt. Nach meiner Ernennung als Oberbefehlshaber nur die, die ich zufällig bei meinem Aufenthalt im Hauptquartier dort auch antraf, weil sie irgendeine Heeressache vorzutragen hatten von der großen militärischen Lage.

DR. LATERNSER: Sie werden also die Mehrzahl der Gruppenmitglieder nicht kennen?

DÖNITZ: Nein.

DR. LATERNSER: Hatten nun die Ihnen bekannten Oberbefehlshaber eine gemeinsame politische Linie?

DÖNITZ: Das kann ich für Heer und Luftwaffe nicht sagen. Für die Kriegsmarine muß ich das verneinen. Denn wir waren Soldaten. Mir kam es darauf an, was leistete der Soldat, wie war seine Persönlichkeit, und ich kümmerte mich nicht im wesentlichen um eine politische Linie, soweit es seine soldatische Tätigkeit nicht beeinflußte.

Ich will als Beispiel erwähnen, daß mein engster Mitarbeiter, der mich vom Jahre 1934 bis zum Jahre 1945 bis Schluß immer begleitet hat als mein Adjutant und später Chef des Stabes, dem Nationalsozialismus außerordentlich kritisch – gelinde gesagt – gegenübergestanden ist, ohne daß dadurch meine dienstliche Zusammenarbeit, wie diese lange Zeit der Zusammenarbeit zeigt, oder meine persönliche Stellungnahme zu ihm gelitten hat.

DR. LATERNSER: Darf ich nach dem Namen des Chefs des Stabes fragen, den Sie eben erwähnt haben?

DÖNITZ: Es ist der Admiral Godt.

DR. LATERNSER: Admiral Godt?

Sind Ihnen Bemerkungen Hitlers bekannt, die er über die Einstellung der Heeresgenerale gemacht hat? Die Frage bezieht sich nur auf solche, die in die angeklagte Gruppe fallen.

DÖNITZ: Ich habe natürlich bei der militärischen Lage gelegentlich mal ein rasches Wort über einen Heeresbefehlshaber gehört, ohne heute noch näher sagen zu können, warum und wer es gewesen ist.

DR. LATERNSER: Sie waren häufig bei Lagebesprechungen im Führerhauptquartier? Haben Sie es bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß Oberbefehlshaber mit Nachdruck abweichende Meinungen Hitler gegenüber vertreten haben?

DÖNITZ: Ja, das ist durchaus vorgekommen.

DR. LATERNSER: Können Sie sich eines bestimmten Beispiels erinnern?

DÖNITZ: Ich entsinne mich, als die Frage der Zurücknahme des Nordabschnittes im Osten ventiliert wurde, daß der zuständige Heeresbefehlshaber dieses Frontabschnittes anderer Ansicht war als der Führer und daß es darüber zu Auseinandersetzungen kam.

DR. LATERNSER: Hatte dieser Oberbefehlshaber Erfolg mit seinen Einwendungen?

DÖNITZ: Ich glaube, zum Teil ja. Ich möchte aber bitten, das lieber einen Heeresoffizier zu fragen, weil mir im einzelnen diese Zusammenhänge natürlich nicht so authentisch klar sind.

DR. LATERNSER: Hatten die hohen militärischen Führer der Kriegsmarine irgend etwas mit den Einsatzgruppen des SD zu tun?

DÖNITZ: Die Kriegsmarine nicht, nein. Vom Heer, bitte – glaube ich nicht, ich nehme an, nein, ich bitte, mich nur zur Kriegsmarine zu fragen.

DR. LATERNSER: Ja, darauf bezog sich allein diese Frage.

Nun einige Fragen über Marineoberbefehlshaber. Hatten die Oberbefehlshaber der Marinegruppenkommandos territoriale Befugnisse?

DÖNITZ: Nein. Gemäß der berühmten KG-40, das heißt Kriegsgliederung 1940, hatte die Marine an Land keine territorialen Befugnisse, sondern ihre Aufgabe war eben, wenn sie an Land saß, die Verteidigung der Küste unter Heeresbefehl, und zwar bereits abschnittsweise unter dem Befehl der dort liegenden Division. Und außer diesem beteiligten sie sich an dem Krieg auf dem Wasser, das vor der Küste lag.

DR. LATERNSER: Die Marineoberbefehlshaber waren also reine Truppenbefehlshaber?

DÖNITZ: Ja.

DR. LATERNSER: Hatten nun diese Oberbefehlshaber dieser Marinegruppenkommandos irgendeinen Einfluß auf die Gestaltung der Befehle über den U- Bootkrieg?

DÖNITZ: Nein, gar keinen.

DR. LATERNSER: Hatten sie einen Einfluß auf die Festlegung, welche Schiffe versenkt werden durften?

DÖNITZ: Nein.

DR. LATERNSER: Und auf die Befehle, in denen die Behandlung Schiffbrüchiger festgelegt wurde?

DÖNITZ: Nein.

DR. LATERNSER: Nun fallen in die Gruppe auch die Inhaber der Dienststellung Chef der Seekriegsleitung. Welches waren die Aufgaben eines Chefs der Seekriegsleitung?

DÖNITZ: Er war im Oberkommando die Stelle, die die rein militärischen, taktischen und operativen Angelegenheiten der Kriegsmarine zu bearbeiten hatte.

DR. LATERNSER: Hatte der Chef der Seekriegsleitung Kommandogewalt?

DÖNITZ: Nein.

DR. LATERNSER: Er hatte also eine ähnliche Stellung wie der Generalstabschef der Luftwaffe oder des Heeres?

DÖNITZ: Verzeihung, ich muß erst nochmal den Begriff richtigstellen.

Ich nehme an, daß Sie unter Chef der Seekriegsleitung den Chef des Stabes der Seekriegsleitung meinen?

Denn zur Zeit des Großadmirals Raeder war der Name »Chef der Seekriegsleitung« dasselbe wie »Oberbefehlshaber der Kriegsmarine«, und das Organ, nach dem Sie tragen, hieß »Chef des Stabes der Seekriegsleitung«, wohingegen als ich »Oberbefehlshaber der Kriegsmarine« war, der Name »Chef des Stabes der Seekriegsleitung« in »Chef der Seekriegsleitung« umgeändert war, aber dieselbe Person also unter der Verantwortung des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine war.

DR. LATERNSER: Hat es in der Kriegsmarine einen Admiralstab entsprechend dem Heeresgeneralstab gegeben?

DÖNITZ: Nein, den hat es nicht gegeben. Eine solche Korporation gab es nicht. Die notwendigen Führungsgehilfen, wie wir sie nannten, kamen aus der Front, taten Dienst im Stab und kamen dann wieder zur Front zurück.

DR. LATERNSER: Nun habe ich noch eine letzte Frage:

Der Zeuge Gisevius hat hier ausgesagt, daß die höchsten militärischen Führer dadurch in eine Korruption geraten seien, daß sie Dotationen angenommen hätten. Haben Sie selbst eine Dotation in irgendeiner Form erhalten?

DÖNITZ: Ich habe außer meinen mir zustehenden Gebührnissen keinen Pfennig erhalten, kein Geschenk und keine Schenkung. Dasselbe gilt für alle Offiziere der Kriegsmarine.

DR. LATERNSER: Danke schön. Ich habe keine weiteren Fragen.

DR. NELTE: Herr Zeuge! Sie waren anwesend als der Zeuge Gisevius hier vernommen wurde. Dieser Zeuge hat ohne konkrete Angaben urteilsmäßig folgendes ausgesagt: »Keitel hatte eine der einflußreichsten Stellungen im Dritten Reich inne.« Und an anderer Stelle sagte er: »Ich habe sehr genau erfahren, welchen ungeheuren Einfluß Keitel auf die gesamten Dinge der Armee hatte und dadurch auch auf die Vertreter der Armee vor dem deutschen Volk.«

Sie, der Sie diese Dinge ja beurteilen können, Sie bitte ich, mir zu sagen, ob diese Beurteilung der Stellung, der Funktion des Angeklagten Keitel richtig ist?

DÖNITZ: Ich finde sie weit übertrieben. Ich glaube, daß die Stellung des Feldmarschalls Keitel hier so eindeutig klargestellt ist, daß eigentlich klar sein müßte, daß von diesem sehr großen Inhalt dieser Worte eigentlich nichts richtig ist.

DR. NELTE: Darf ich daraus entnehmen, daß Sie die Darstellung der Stellung und Funktionen, wie sie Reichsmarschall Göring und Feldmarschall Keitel selbst gegeben hat, bestätigen, als richtig bestätigen?

DÖNITZ: Jawohl, sie ist vollkommen richtig.

DR. NELTE: Der Zeuge Gisevius hat sich bei seiner Beurteilung auch nicht auf eigene Kenntnis, sondern auf Informationen des Admirals Canaris gestützt.

Kennen Sie den Admiral Canaris?

DÖNITZ: Ich kenne den Admiral Canaris aus der Zeit als er noch zur Kriegsmarine gehörte.

DR. NELTE: Hatten Sie später, als er die Stellung als Chef des Amtes Ausland/Abwehr im OKW innehatte, nicht auch Berührung mit ihm in Aussprachen? Ist er nicht zu Ihnen gekommen in seiner Eigenschaft als Abwehr?

DÖNITZ: Nachdem ich neu Oberbefehlshaber der Kriegsmarine geworden war, kam er zu mir und hielt mir einen Vortrag über die Nachrichten, Dinge, die er glaubte, der Marine – was mich ja interessierte – liefern zu können. Das war aber sein letzter Vortrag. Ich habe dann selbstverständlich von ihm oder seinem Amt, seiner Abteilung, schriftlich die Nachrichten bekommen, die die Marine angingen.

DR. NELTE: Ist es richtig, wenn ich sage, daß die Stellung des Admirals Canaris als Chef des Amtes Abwehr, also die Spionage, Gegenspionage, Sabotage, Nachrichtendienst, für die gesamte Kriegsführung sehr bedeutsam und wichtig war?

DÖNITZ: Also sein Amt oder seine Abteilung...

DR. NELTE: Er war ja der Chef des gesamten Amtes, nicht wahr?

DÖNITZ: Das galt natürlich und...arbeitet natürlich für die gesamte Wehrmacht, für alle drei Wehrmachtsteile, wobei ich sagen muß, wenn Sie mich nach der Wichtigkeit fragen, daß ich der Ansicht war, daß die Nachrichten, die die Kriegsmarine interessierten, außerordentlich mager waren, die wir von ihm bekamen.

DR. NELTE: Nun, hat Canaris jemals Ihnen gegenüber Klage geführt, daß er von Feldmarschall Keitel zum OKW in Ausführung seiner Tätigkeit irgendwie gehemmt, gehindert würde und daß er seine Nachrichten und seine Berichte nicht anbringen könne?

DÖNITZ: Das hat er nie getan, das hätte er ja nur beim ersten Vortrag machen können. Nein, das hat er nicht getan.

DR. NELTE: Nun möchte ich bezüglich Canaris noch wissen, ob Sie mir über seinen Charakter und damit auch über seine Glaubwürdigkeit als Informationsquelle etwas sagen können, ob Sie ihn für zuverlässig halten.

DÖNITZ: Der Admiral Canaris war in der Zeit, als er in der Kriegsmarine war, ein Offizier, dem wenig Vertrauen entgegengebracht wurde. Er war ein ganz anderer Mensch wie wir; wir sagten, er hätte sieben Seelen in seiner Brust.

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Wir wollen nichts über Admiral Canaris wissen als er noch zur Marine gehörte. Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, uns zu erzählen, daß Admiral Canaris bei der Marine war. Das einzig Erhebliche wäre sein Charakter, als er später Chef des Nachrichtendienstes war.

DR. NELTE: Glauben Sie nicht, Herr Präsident, daß, wenn jemand als Kapitän zur See in der Marine unzuverlässig und unglaubwürdig ist, daß er es dann auch als Admiral im OKW sein wird? Glauben Sie, daß sich das in diesen Jahren noch ändern kann?