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[Pause von 70 Minuten.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Wußten Sie, daß schon am ersten Kriegstag die Kriegsmarine beim Auswärtigen Amt vorbrachte, daß mit den vorhandenen Kräften England nur dann das größte Maß an Schädigung zugefügt werden könnte, wenn den U-Booten uneingeschränkter Waffeneinsatz gegen alliierte und neutrale Schiffe ohne vorhergehende Warnung innerhalb eines weiten Gebietes gestattet würde? War Ihnen bekannt, daß die Kriegsmarine bereits am ersten Kriegstage dies beim Deutschen Auswärtigen Amt vorgebracht hat?

DÖNITZ: Ich glaube nicht, daß die Seekriegsleitung mir seinerzeit einen solchen Wortlaut, wenn er gefallen ist, was ich nicht weiß, zugeleitet hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun bitte ich Sie, versuchen Sie, sich daran genau zu erinnern, weil das ziemlich wichtig ist: Sie sagen, daß die Seekriegsleitung den Befehlshaber der U-Boote niemals unterrichtet hätte, daß dies ihre Ansicht über den Krieg sei?

DÖNITZ: Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern, daß die Seekriegsleitung mir ein solches Schreiben an das Auswärtige Amt mitgeteilt hat, ich glaube es nicht, ich weiß es nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, dann wird ein Blick auf den Brief Ihr Gedächtnis vielleicht auffrischen.

Euer Lordschaft! Ich lege das Dokument D-851, Beweisstück GB-451 vor.

DÖNITZ: Nein, dieses Papier kenne ich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich werde das Dokument Schritt für Schritt durchnehmen, weil Sie natürlich den ersten Teil nicht kennen werden; aber ich will es Ihnen vorlesen, und dann werden wir uns das Memorandum zusammen ansehen.

»Mit anliegender Aufzeichnung Herrn Staatssekretär« – das wäre also Baron von Weizsäcker – »ergebenst vorgelegt.«

»Der Chef der Operationsabteilung der Marineleitung, Kapitän Fricke, teilte mir telephonisch mit, daß der Führer mit der Angelegenheit bereits befaßt worden sei. Dabei habe sich jedoch der Eindruck ergeben, daß die politischen Zusammenhänge nochmals vertieft und er neut dem Führer vorgetragen werden müßten. Kapitän Fricke habe daher den Korvettenkapitän Neubauer in das Auswärtige Amt entsandt, um die Angelegenheit weiter zu besprechen.«

»Berlin, den 3. September 1939«

gez. »Albrecht.«

Und dann folgt die Aufzeichnung:

»In den anliegenden vom Oberkommando der Kriegsmarine übersandten Unterlagen wird die Frage des uneingeschränkten U-Bootkrieges gegen England erörtert.

Die Kriegsmarine kommt zum Ergebnis, daß das mit den vorhandenen Kräften erreichbare größte Maß an Schädigung Englands nur zu erzielen ist, wenn den U- Booten der uneingeschränkte warnungslose Waffeneinsatz in einem auf der beiliegenden Karte bezeichneten Sperrgebiet gegen feindliche und neutrale Schiffe freigegeben wird.

Die Kriegsmarine verkennt nicht, daß

a) Deutschland hierdurch das Abkommen von 1936 über die Führung des Handelskrieges offenkundig mißachten würde;

b) eine solche Kriegsführung sich aus den bisher allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts nicht rechtfertigen läßt.«

Und dann spricht es weiter darüber. Wollen Sie nun dem Gerichtshof erzählen, daß der Angeklagte Raeder niemals Ihren Rat in Anspruch nahm oder Sie unterrichtete, bevor diese Unterlagen dem Auswärtigen Amt vorgelegt worden sind?

DÖNITZ: Nein, das hat er nicht getan, das geht daraus hervor, daß es ein Memorandum des Chefs der Operationsabteilung an den Staatssekretär ist, also eine Verhandlung zwischen Berlin und dem Auswärtigen Amt, an der der Frontbefehlshaber, der an der Küste saß und die U-Boote praktisch führte, nicht beteiligt war.

Ich kenne dieses Schreiben nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stellen Sie jetzt die Behauptung auf, daß Sie Ihre Tätigkeit zu Beginn des Krieges fortsetzten, ohne diese Absichten des Oberkommandos der Marine zu kennen?

DÖNITZ: Von diesem Schreiben habe ich keine Kenntnis bekommen. Ich habe bereits gesagt, daß meine Kenntnis die Ansicht...

VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf die Frage Die Frage war, ob Sie damals wußten, daß dies die Ansicht des Oberkommandos der Kriegsmarine war. Beantworten Sie die Frage!

DÖNITZ: Nein, das wußte ich nicht; ich wußte die Ansicht der Seekriegsleitung, daß sie Schritt für Schritt nach Vorgehen des Gegners handeln würde; das wußte ich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber da liegt ja der Unterschied, Angeklagter. Das haben Sie sehr deutlich vor zwei Tagen und gleichzeitig gestern in Ihrem Verhör ausgesagt, daß Sie Schritt für Schritt das Vorgehen des Gegners beantworteten. Diese Aussage haben Sie gemacht. Wollen Sie sagen, daß Sie nicht wußten, daß das damals die Ansicht des Angeklagten Raeder war, und zwar vom ersten Tag des Krieges an? Wollen Sie sagen, daß Sie damals überhaupt keine Ahnung hatten, daß das die Ansicht Raeders war?

DÖNITZ: Nein, das wußte ich nicht, weil ich dieses Schreiben nicht kannte. Ich weiß auch nicht, ob das die Ansicht des Herrn Raeder ist, das weiß ich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wieder will ich nicht mit Ihnen streiten. Aber wenn der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine – und ich glaube, damals nannte er sich auch Chef der Seekriegsleitung-, wenn der dem Chef seiner Operationsabteilung gestattet, diesen Standpunkt dem Auswärtigen Amt vorzutragen... ist es in der deutschen Marine üblich, einem Kapitän so einen Standpunkt vorbringen zu lassen, auch wenn der Oberbefehlshaber diesen Standpunkt nicht teilt?

Das ist lächerlich, nicht wahr? Kein Oberbefehlshaber würde einem unterstellten Offizier gestatten, solche Gesichtspunkte dem Auswärtigen Amt vorzulegen, wenn er nicht selbst damit einverstanden ist, nicht wahr?

DÖNITZ: Ich bitte, doch darüber den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Raeder zu fragen zu der Zeit. Ich kann keine Auskunft darüber geben, wie dieses Schreiben entstanden ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das werde ich mit dem größten Vergnügen tun, Angeklagter. Aber im Augenblick muß ich Sie über die Dinge befragen, die Sie selbst vorgebracht haben.

Meine nächste Frage ist: Geschah es nicht auf Grund der Ansichten und Wünsche, die in dieser Aktennotiz stehen, daß die U-Bootführung von Anfang an das Londoner Abkommen über die Warnung von Schiffen außer acht ließ?

DÖNITZ: Nein, im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Es sollte im Westen jede Verschärfung verhindert werden. Wir bemühten uns, solange wie irgend möglich nach dem Londoner Abkommen zu kämpfen. Das geht aus den ganzen Bindungen hervor, die die U- Boote hatten.

VORSITZENDER: Sir David! Sollten Sie ihn nicht vielleicht auf den vorletzten Absatz in dieser Aufzeichnung verweisen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wahrscheinlich, Euer Lordschaft! Ich werde die drei Absätze verlesen. Es heißt weiter:

»Daß England durch den uneingeschränkten U-Bootkrieg niedergezwungen werden kann, sagt das Oberkommando nicht. Für die Neutralen bedeutet die Unterbindung des Verkehrs mit dem Welthandelszentrum England schwere Störungen ihrer Volkswirtschaft, für die wir ihnen keinen Ausgleich bieten können.

Außenpolitische Gesichtspunkte würden dafür sprechen, Kriegsmittel des uneingeschränkten U-Bootkrieges erst dann anzuwenden, wenn England uns durch die Form seiner Kriegführung Handhaben gibt, diese Kriegführung als Vergeltungsmaßnahme anzuordnen.

Bei der hohen außenpolitischen Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen erscheint es notwendig, daß sie nicht nur nach militärischen Rücksichten, sondern unter voller Würdigung der außenpolitischen Belange erfolgt.«

Ich bin Euer Lordschaft sehr verbunden.