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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie hatten jetzt Gelegenheit, das Logbuch von U-37 anzusehen. War es nicht Ihre Gewohnheit, im Mai 1940 die Logbücher aller U-Boote persönlich anzusehen, wenn sie ankamen?

DÖNITZ: Ich habe nur jedesmal von den U-Bootkommandanten mündlich Bericht erstatten lassen und habe die Logbücher, die ja einige Wochen oder einige Zeit später hinterher kamen oder fertig wurden, weil sie erst im Hafen geschrieben werden mußten, nur dann von meinem Chef des Stabes vorgelegt bekommen, wenn sie zusätzlich zu dem mündlichen Vortrag noch etwas enthielten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich daran erinnern, ob Sie das Logbuch der U-37 einsahen, das in diesen Fall verwickelt war?

DÖNITZ: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie jetzt, daß die »Sheaf Mead« sich nicht in einem Geleitzug befand?

DÖNITZ: Ja, ich weiß das, und ich weiß, daß das ein bewaffnetes Schiff war und daß nach den Befehlen, die der Kommandant hatte, er berechtigt war, es als bewaffnetes Schiff zu versenken. Man sieht auch aus seinem Logbuch, daß er sich nicht eher zu dem Torpedoschuß entschließen konnte, bis er die Bewaffnung von dem Schiff festgestellt hat. Das ist hier sehr klar ausgedrückt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich Seiner Lordschaft sagen, daß ich mich hier nicht mit der Versenkung, sondern mit den Überlebenden beschäftige. Haben Sie gegen den U-Bootkommandanten, Kapitänleutnant Ernst, irgend etwas unternommen, weil er bei der Rettung der Überlebenden keine Hilfe geleistet hat?

DÖNITZ: Nein. Ich habe ihm aber gesagt, wenn er an der Unfallstelle war, hätte er auch helfen müssen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat er nicht einfach Ihren Befehl Nr. 154 vom November oder Dezember 1939 ausgeführt?

DÖNITZ: Nein, das hat er nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also...

DÖNITZ: Ich habe ja schon erklärt, für welchen Seeraum, und daß nur für gesicherte Schiffe dieser Befehl gegeben war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schauen Sie sich bitte Seite 34 des englischen oder Seite 69 des deutschen Dokumentenbuches an. Dies ist ein Bericht über die Unterredung zwischen Hitler und Oshima, und Sie sagen, daß man Ihnen darüber keine Mitteilung gemacht hat. Wollen Sie bitte ungefähr in der Mitte dieses Auszuges Ihren Blick auf eine Stelle werfen, die lautet:

»Nachdem er an Hand der Karte weitere Ausführungen gemacht hat, weist der Führer darauf hin, daß, wieviele Schiffe die USA auch bauten, eines ihrer Hauptprobleme der Personalmangel sei. Aus diesem Grunde würden auch die Handelsschiffe ohne Warnung versenkt mit der Absicht, daß ein möglichst großer Teil der Besatzung hierbei umkäme. Würde es sich einmal herumsprechen, daß bei den Torpedierungen die meisten Seeleute verlorengingen, so würden die Amerikaner schon bald Schwierigkeiten haben, neue Leute anzuwerben. Die Ausbildung von seefahrendem Personal dauere sehr lange.«

Waren Sie mit diesem Hitlerschen Argument einverstanden, daß, wenn es sich herumspräche, daß die meisten Seeleute bei den Versenkungen verlorengingen, die Amerikaner schon bald Schwierigkeiten haben würden, Ersatz zu bekommen? Waren Sie der Ansicht, daß dies ein fundiertes Argument in der Frage der Seekriegführung gegen Amerika war?

DÖNITZ: Ich habe bereits schriftlich in meiner Antwort, die ich in dieser Frage an das Auswärtige Amt gegeben habe, meine Ansicht dahin klargestellt, daß ich nicht glaube, daß es lange Zeit braucht, Seeleute auszubilden, daß Amerika keinen Mangel hat. Infolgedessen würde ich auch nicht der Ansicht sein, daß das eine abschreckende Sache ist, wenn sie Menschen genug haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sind also mit den Überlegungen des Führers nicht einverstanden gewesen?

DÖNITZ: Nein, ich bin mit dem Schluß nicht einverstanden, daß an Seeleuten Mangel entstehen würde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, ich möchte Ihre Meinung über den ersten Punkt wissen, und zwar über die Stelle: »Würde es sich einmal herumsprechen, daß bei den Torpedierungen die meisten Seeleute verlorengingen, so würden die Amerikaner schon bald Schwierigkeiten haben, neue Leute anzuwerben.« Ich meine, daß die neuen Mannschaften abgeschreckt würden, wenn sie hörten, daß die ersten versenkt und getötet worden seien. Hielten Sie das für ein vernünftiges Argument? Darüber möchte ich Ihre Ansicht wissen.

DÖNITZ: Das ist eine persönliche Ansicht von ihm; ob eine Abschreckung eintritt oder nicht, ist eine amerikanische Sache, die ich nicht beurteilen kann.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich bitte Ihr eigenes Dokumentenbuch ansehen, Band I, Seite 29, in der englischen Fassung, wo Ihr Bericht an den Führer vom 14. Mai 1942 steht.

Können Sie den letzten Satz finden, in dem Sie über die Vorzüge einer Abstandspistole sprachen?

»Eine Abstandspistole wird auch den großen Vorteil mit sich bringen, daß sich infolge sehr schnellen Sinkens des torpedierten Schiffes die Besatzung nicht mehr wird retten können. Dieser größere Verlust an Schiffsbesatzungen wird zweifelsohne die Besetzung des großen amerikanischen Bauprogramms mit Mannschaften erschweren.«

DÖNITZ: Das ist ganz klar, das ist richtig. Wenn ich die alten Mannschaften nicht mehr habe, muß ich neue haben. Das ist eine Erschwerung. Da steht aber nichts von Abschreckung darinnen, sondern die positive Tatsache, daß neue Mannschaften genommen werden müssen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit anderen Worten, wollen Sie sagen, daß Sie persönlich nicht glaubten, es würde eine abschreckende Wirkung beim Anheuern neuer Mannschaften haben, wenn die alten unter solchen Bedingungen versenkt wurden, daß sie wahrscheinlich nicht einmal mit dem Leben davonkamen?

DÖNITZ: Das ist eine Ansichtssache. Das hängt von der Bravour, der Tapferkeit der Leute ab. Der amerikanische Minister Knox hat gesagt, wenn im Frieden, im Jahre 1941, das Versenken deutscher U-Boote nicht bekanntgegeben wird, er sich eine abschreckende Wirkung davon verspricht auf meine U-Boote. Das war seine Ansicht, wobei ich nur sagen kann, daß dieses lautlose Verschwinden durch amerikanische Versenkung im Frieden keine abschreckende Wirkung auf meine U-Boote gehabt hätte. Das ist eine Geschmackssache.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist doch Tatsache, daß der Führer am 14. Mai bei Ihnen darauf drängte, gegen die Mannschaften vorzugehen, nachdem das Schiff versenkt war. Ist das nicht richtig?

DÖNITZ: Ja, er hat gefragt, ob man gegen die Mannschaften nicht vorgehen könne, und ich habe bereits erklärt, daß, nachdem ich hier von der Oshima-Unterredung erfahren habe, ich glaubte, daß diese Frage an den Großadmiral Raeder und mich die Folge dieser Oshima-Unterredung gewesen ist. Meine Antwort ist ja bekannt darauf, sie war nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Ihre Antwort darauf war: Nein, es wäre viel besser, eine Abstandspistole zu benutzen und sie totzuschießen, solange sie noch auf dem Schiff sind. Das war Ihre Antwort, nicht wahr?

DÖNITZ: Nein, meine Antwort war: Ein Vorgehen gegen Schiffbrüchige kommt nicht in Frage, aber eine Selbstverständlichkeit ist, daß man beim Kampf sein bestmöglichstes Kampfmittel einsetzt; das tut jede Nation.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, aber der Zweck Ihrer Waffe, wie ja ganz deutlich erklärt wird, war, daß die Besatzung sich wegen des schnellen Sinkens des Schiffes nicht retten konnte, und das ist der Grund, warum Sie die Abstandspistole verwenden wollten.

DÖNITZ: Ja, auch deshalb selbst verständlich, weil wir eben die Dampferbesatzungen, da sie mit den Waffen kämpften, als Kombattanten ansahen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auf diesen Punkt möchte ich nicht mehr zurückkommen, aber das war, was Sie im Sinn hatten. Der Führer hat diesen Punkt noch einmal berührt, und zwar am 5. September 1942, wie aus Ihrem Dokumentenbuch, Band II, Seite 81 ersichtlich ist.

DÖNITZ: Ich habe das nicht, wo ist das?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es beginnt mit einer Besprechung im OKW vom 5. September 1942, Beweisstück Dönitz 39, Seite 81 im englischen Dokumentenbuch, Band II.

DÖNITZ: Ja, ich habe es jetzt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bei der Besprechung über die Versenkung des Minenschiffes »Ulm« kommt die Frage auf, ob britische Zerstörer mit Maschinengewehr auf Soldaten in Rettungsbooten geschossen hatten; »der Führer beauftragte die Seekriegsleitung mit der Herausgabe eines Befehls, nach dem unsere Kriegsschiffe... Repressalien ergreifen würden«; und wenn Sie weiter nach unten sehen, so finden Sie, daß die genauen Einzelheiten durch die Skl festgestellt wurden, und dann heißt es:

»Es kann nicht einwandfrei erwiesen werden, daß die Beschießung den in die Rettungsboote steigenden Besatzungsangehörigen galt. Die feindliche Beschießung hat offenbar dem Schiff selbst gegolten.«

Und dann wird die Frage über die Anwendung von Repressalien unten auf der Seite besprochen, wo Sie sagen:

»Nach Ansicht der Seekriegsleitung ist vor der Anordnung etwaiger Repressalien zu erwägen, inwieweit diese sich bei Anwendung gleicher Maßnahmen durch den Gegner mehr gegen uns als gegen den Feind auswirken würden. Unsere Boote haben schon jetzt in nur wenigen Fällen die Möglichkeit, im Feinddienst schiffbrüchig gewordene Besatzungen durch Schleppen der Rettungsboote und so weiter zu retten, während die Besatzungen vernichteter deutscher U-Boote und Handelsschiffe bisher in der Regel vom Gegner aufgenommen worden sind. Das Verhältnis könnte sich daher nur zu unseren Gunsten ändern, wenn nicht nur die Nichtrettung, sondern auch die Niederkämpfung schiffbrüchig gewordener gegnerischer Besatzungen als Vergeltungsmaßnahmen anbefohlen würde. In dieser Hinsicht ist bedeutsam, daß bisher nicht erwiesen ist, daß die bekanntgewordenen Fälle gegnerischer Waffenanwendung auf deutsche Schiffbrüchige durch den Befehl einer englischen Dienststelle ausgelöst oder gedeckt sind. Es wäre daher damit zu rechnen, daß das Bekanntwerden eines deutschen Befehls von der Propaganda des Gegners in einer Weise ausgenutzt wird, deren Folgen schwer absehbar sind.«

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich habe Bedenken gegen diese Art des Verfahrens. Das Dokument, über das hier das Kreuzverhör angestellt wird, ist ein Beweisstück von mir, und ich habe es noch nicht eingereicht. Ich weiß nicht, ob es in diesem Verfahren üblich ist, daß die Beweisdokumente des Verteidigers von der Anklage vorgelegt werden. Aus diesem Grunde hatte ich seinerzeit vorgeschlagen, mit dem Dokumentenbeweis zu beginnen, um auch der Anklage Gelegenheit zu geben, über meine Beweismittel das Kreuzverhör anzustellen.

VORSITZENDER: Erheben Sie Einspruch dagegen, daß das Dokument, das in Ihrem Dokumentenbuch ist, als Beweismittel angeboten wird?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich möchte nur vermeiden, daß jetzt im Laufe des Kreuzverhörs meine Dokumente von der Anklage vorgetragen werden, denn dadurch wird ja mein ganzer Dokumentenbeweis umgeworfen. Dieser Einzelfall spielt für mich keine entscheidende Rolle, wenn aber die Anklage vorhat, weitere Dokumente von mir, die noch nicht eingereicht sind, vorzutragen, dann möchte ich bitten, das Kreuzverhör abzubrechen und mir erst Gelegenheit zu geben, meinen Dokumentenbeweis vorzubringen.

VORSITZENDER: Das würde doch nur einen Zeitverlust darstellen, nicht wahr? Es würde nichts helfen, sondern nur Zeit verschwenden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich glaube nicht, daß es Zeitverschwendung ist, wenn ich als Verteidiger darum bitte, daß ich meine Dokumente von mir aus dem Gericht vorlegen darf und daß sie nicht aus meinem Urkundenbuch von der Anklage dem Gericht vorgetragen werden; denn die Art des Vortrags und die daran geknüpften Fragen durch die Anklage geben der Sache natürlich einen ganz bestimmten Sinn.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das eingeschlagene Vorgehen nicht zu beanstanden ist. Sie hatten vorher Gelegenheit, dieses Dokument dem Zeugen vorzulegen, und Sie werden bei Ihrem Wiederverhör abermals Gelegenheit haben, dies zu tun.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit anderen Worten, Sie waren erneut unter Druck gesetzt, so vorzugehen, das heißt, auf die Mannschaften versenkter Schiffe zu schießen, und zwar im September, nicht wahr?

DÖNITZ: Nein, das ist nicht richtig. Ich habe von diesem Papier der Seekriegsleitung erst hier erfahren, also bin ich nicht unter Druck gewesen, aber es ist zutreffend, daß nach diesem Papier die Skl vom OKW anscheinend Auftrag hatte, eine Zusammenstellung solcher Fälle zu machen und die Skl sich sehr korrekt auf den Standpunkt stellte, daß man in der Beurteilung dieser Fälle sehr vorsichtig sein müsse und von Vergeltungsmaßnahmen abgeraten hat. Die Zusammenstellung dieses Papiers scheint mir den Zweck gehabt zu haben, zu überzeugen, daß man grundsätzlich von solchen Vergeltungsmaßnahmen die Finger lassen sollte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie, daß auf Befehl Hitlers das OKW im September eine Untersuchung bezüglich dieser Angelegenheit bei der Skl durchgeführt hatte?

DÖNITZ: Nein, das wußte ich eben nicht. Ich sage gerade, ich kenne nicht diese Eintragung in dem Kriegstagebuch der Skl mit der Anlage, die dahinter ist. Die habe ich hier kennengelernt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben sie erst hier kennengelernt?

DÖNITZ: Mir war ja die Eintragung im Kriegstagebuch der Skl nicht bekannt, das war in Berlin, und ich war seinerzeit BdU in Frankreich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie vor diesem Gerichtshof aussagen, daß Sie im September nichts darüber wußten, dann wollen wir zu einem anderen Dokument übergehen. Sie sagten doch, daß Sie im September 1942 nichts davon wußten?

DÖNITZ: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Sie nicht über den »Laconia«-Fall in allen Einzelheiten befragen, aber ich möchte gerne von Ihnen etwas über eine oder zwei Eintragungen hören. Ich glaube, es ist Seite 40 Ihres eigenen Dokumentenbuches.

VORSITZENDER: Ist das nicht Seite 41?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin Euer Lordschaft sehr dankbar.