[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Ist noch ein weiteres Kreuzverhör vorgesehen?
OBERST POKROWSKY: Mylord! Die Anklagevertretung der Sowjetunion hat einige Fragen an den Angeklagten Dönitz zu stellen.
[Zum Zeugen gewandt:]
Sagen Sie, Angeklagter Dönitz, der Aufruf an das deutsche Volk und der Befehl an die Wehrmacht im Zusammenhang mit Hitlers Tod am 30. April 1945 waren von Ihnen verfaßt, nicht wahr?
DÖNITZ: Jawohl.
OBERST POKROWSKY: In diesen Dokumenten haben Sie bekanntgemacht, daß Sie der Nachfolger Hitlers waren, von ihm selbst ernannt. Ist das richtig?
DÖNITZ: Jawohl.
OBERST POKROWSKY: Haben Sie sich selbst die Frage gestellt, warum gerade auf Sie diese Wahl Hitlers fiel?
DÖNITZ: Jawohl, die Frage habe ich mir gestellt, als ich dieses Telegramm bekam und bin zu dem Schluß gekommen, daß, nachdem der Reichsmarschall ausgeschieden war, ich der älteste Soldat eines selbständigen Wehrmachtsteiles war und daß das der Grund gewesen ist.
OBERST POKROWSKY: In dem Aufruf an das Heer und an das Volk haben Sie die Fortsetzung der Kriegshandlungen verlangt und nannten alle, die den Widerstand aufgeben wollten, Feiglinge und Verräter, nicht wahr?
DÖNITZ: Jawohl.
OBERST POKROWSKY: Ein paar Tage danach haben Sie Keitel die Anweisung gegeben, bedingungslos zu kapitulieren. Ist das richtig?
DÖNITZ: Jawohl. Ich habe ganz klar in dem ersten Befehl gesagt, daß ich solange im Osten kämpfen möchte, bis ich Truppe und Flüchtlinge aus dem Osten nach dem Westen gerettet habe und daß ich keinen Augenblick länger kämpfen würde. Das war meine Absicht, und das ist auch in dem Befehl klar ausgedrückt.
OBERST POKROWSKY: Nebenbei bemerkt, war in diesem Befehl kein Wort darüber. Aber das ist nicht so wichtig. Stimmen Sie mir zu, daß...
DÖNITZ: Ich...
OBERST POKROWSKY: Hören Sie sich zuerst die Frage an, und antworten Sie dann. Am 30. April, das heißt am selben Tage, als Sie die beiden Dokumente herausgegeben haben, von denen jetzt die Rede ist, bestand überhaupt keine Aussicht mehr, und ein weiterer Widerstand Hitler-Deutschlands war völlig zwecklos. Haben Sie diese Frage verstanden? Stimmen Sie damit überein?
DÖNITZ: Ja, ich habe die Frage verstanden. Ich darf folgendes dazu sagen, daß ich im Osten ja weiterkämpfen mußte, um die Flüchtlinge, die sich nach dem Westen bewegten, zu retten. Das ist ja sehr klar gesagt. Ich habe gesagt, daß wir im Osten nur noch weiterkämpfen bis Hunderte und Tausende von Familien aus dem deutschen Ostraum nach dem Westen gerettet sind.
OBERST POKROWSKY: Sie haben auf meine Frage nicht geantwortet, Dönitz, obwohl sie sehr klar gestellt war. Ich kann meine Frage wiederholen, damit Sie sie doch verstehen können.
Geben Sie zu, daß es schon am 30. April ganz klar war, daß ein weiterer Widerstand Hitler-Deutschlands absolut aussichtslos und zwecklos war. Ja oder nein? Antworten Sie mir auf die Frage.
DÖNITZ: Nein, das war nicht klar. Militärisch war der Krieg absolut verloren, und es kam nur darauf an, möglichst viele Menschen zu retten, und aus dem Grunde mußte im Osten auch Widerstand geleistet werden. Deshalb hatte der Widerstand im Osten einen Zweck.
OBERST POKROWSKY: Sehr gut, ich habe Sie verstanden. Bestreiten Sie, daß Ihr Befehl, den Krieg weiterzuführen, ein zusätzliches Blutvergießen herbeigeführt hat?
DÖNITZ: Das ist äußerst gering im Vergleich mit den ein oder zwei Millionen, die sonst verlorengingen.
OBERST POKROWSKY: Warten Sie, bevor Sie Vergleiche ziehen. Antworten Sie zuerst und geben Sie dann Ihre Erklärungen. Diese Regel gilt hier immer. Antworten Sie ja oder nein, und hinterher können Sie Ihre Erklärungen abgeben.
DÖNITZ: Selbstverständlich konnten beim Kämpfen im Osten in den wenigen Tagen noch Verluste eintreten. Die waren aber notwendig, um die Hunderttausende von Flüchtlingen dafür zu retten.
OBERST POKROWSKY: Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich kann sie zum drittenmal wiederholen.
VORSITZENDER: Er hat geantwortet; er sagte: »Ja, es würde Blutvergießen verursacht werden«. Das ist eine Antwort auf Ihre Frage.
OBERST POKROWSKY: Danke Ihnen.