[Das Gericht vertagt sich bis
11. Mai 1946, 10.00 Uhr]
Einhundertsiebenundzwanzigster Tag.
Samstag, 11. Mai 1946.
Vormittagssitzung.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich fahre fort, meine Dokumente zum Seekrieg vorzulegen. Mein nächstes Dokument ist abgedruckt auf Seite 149 des Urkundenbuches 3. Es ist eine Erklärung des Britischen Ersten Lords der Admiralität vom 26. September 1939 über die Bewaffnung der britischen Handelsflotte. Er kündigt in dieser Erklärung an, daß binnen kurzer Zeit die gesamte britische Handelsflotte bewaffnet sein wird. Er spricht dann noch über die Ausbildung der Besatzungen und dankt am Schluß seinen Vorgängern für die Sorgfalt, mit der sie diese Arbeiten vor Beginn des Krieges vorbereitet haben.
Ich überreiche das Dokument Dönitz 60. Dönitz 60 ist eine große Sammlung von Urkunden zum Seekriegsrecht. Sie enthält insgesamt 550 Urkunden. Ich habe entsprechend dem Wunsche des Herrn Präsidenten die späteren Urkunden mit besonderen Exhibit- Nummern versehen.
Ich komme jetzt zu einigen Dokumenten, die sich befassen mit der Behandlung von Schiffen, die sich verdächtig verhalten und aus diesem Grunde angegriffen wurden von U-Booten.
Das erste Dokument dieser Reihe ist Dönitz 61, abgedruckt auf Seite 150. Es ist eine Warnung an die neutrale Schiffahrt vor verdächtigem Verhalten. Diese Warnung erging in einer Note an alle neutralen Missionen. Zum Schluß wird darauf hingewiesen, daß die Schiffe Verwechslungen mit feindlichen Kriegs- und Hilfskriegsschiffen besonders bei Nacht vermeiden sollen. Es wird vor jedem verdächtigen Verhalten gewarnt, zum Beispiel vor Kursänderungen, Funkgebrauch beim Sichten deutscher Seestreitkräfte, Zickzackfahren, Abblenden, Nichtbefolgen von Stoppaufforderung und Annahme feindlichen Geleites.
Diese Warnung wird wiederholt in der Urkunde Dönitz 62, die abgedruckt ist auf Seite 153, eine erneute Note vom 19. Oktober 1939 an die neutralen Regierungen. Das Dokument Dönitz 63 zeigt ein Beispiel dafür, wie eine neutrale Regierung, nämlich die Dänische, entsprechend den deutschen Noten ihre Handelsschiffahrt vor verdächtigem Verhalten warnte. Es ist auf Seite 154 abgedruckt.
Ich möchte nochmal erinnern, daß die erste Warnung vom 28. September war.
Mein nächstes Dokument Dönitz 64 zeigt, daß am 2. Oktober der Befehl an die U-Boote erging, abgeblendete Fahrzeuge in bestimmten Seegebieten unter der englischen Küste anzugreifen. Dieser Befehl ist besonders bedeutsam im Hinblick auf das Kreuzverhör von gestern, in dem die Frage angeschnitten wurde, ob überhaupt ein solcher Befehl ergangen sei oder ob dieser Punkt nicht mündlich den Kommandanten übermittelt worden sei mit der Weisung, ihre Logbücher zu fälschen. Ich lese den Befehl vom 2 Oktober 1939 vor, Seite 155:
»Befehl der Skl an die Front: Da an englischer und französischer Küste bei Zusammentreffen mit abgeblendeten Fahrzeugen angenommen werden muß, daß es sich um Kriegs- und Hilfskriegsschiffe handelt, wird voller Waffeneinsatz gegen abgeblendete Fahrzeuge in folgendem Gebiet freigegeben:«
Es folgt ein Seegebiet um die englischen Küsten herum. Der darunter befindliche Auszug aus dem Kriegstagebuch des FdU vom gleichen Tage zeigt die Weitergabe dieses Befehls an die U-Boote.
Die Bereitschaft der britischen Handelsschiffahrt, ihrerseits aggressiv vorzugehen gegen deutsche U- Boote, wird begründet oder gefördert durch das nächste Dokument, das ich zeige. Es bekommt die Nummer Dönitz 101 und ist abgedruckt auf Seite 156. Es lief bisher unter Dönitz 60, Herr Präsident. Es ist eine Bekanntgabe der Britischen Admiralität, die ich vorlesen will:
»Die Britische Admiralität hat am 1. 10. folgende Warnung an die britische Handelsschiffahrt verbreitet:
›Einige deutsche U-Boote sind in den letzten Tagen von britischen Handelsschiffen angegriffen worden. Hierzu verkündet der deutsche Rundfunk, daß die deutschen U-Boote das Völkerrecht bisher eingehalten haben, indem sie die Handelsschiffe warnten, bevor sie angriffen.
Jetzt jedoch will Deutschland Vergeltung üben, indem es jedes britische Handelsschiff als ein Kriegsschiff betrachtet. Während das Obige vollkommen unwahr ist, dürfte es eine sofortige Änderung der deutschen Politik der U-Bootkriegführung anzeigen.
Seien Sie darauf vorbereitet, dem zu begegnen. Admiralität.‹«
Auf Seite 157 ist eine zweite Meldung vom gleichen Tage:
»Die Britische Admiralität gibt bekannt, daß die deutschen U-Boote eine neue Taktik verfolgen. Die englischen Schiffe werden aufgefordert, jedes deutsche U- Boot zu rammen.«
Das nächste Dokument, Dönitz 65, bringt die Befehle, die als Folge der Bewaffnung und des bewaffneten Widerstandes der Handelsschiffe ergangen sind. Ich lese den Befehl vom 4. Oktober 1939 von der Seekriegsleitung an die Front vor:
»Gegen feindliche Handelsschiffe, bei denen eine Bewaffnung einwandfrei erkannt worden ist, beziehungsweise deren Bewaffnung auf Grund einwandfreier Unterlagen der Skl bekanntgegeben ist, ist für U-Boote sofortiger voller Waffeneinsatz freigegeben. Soweit es die Umstände zulassen, sind nach Ausschaltung der Möglichkeiten für eine Gefährdung des U-Bootes Maßnahmen zur Rettung der Besatzung zu treffen. Passagierdampfer, die keine Truppentransporter sind, sind nach wie vor nicht anzugreifen, auch wenn sie bewaffnet sind.«
Der darunter befindliche Auszug zeigt die Weitergabe des Befehls an die U-Boote. Die bisherigen Kriegserfahrungen sind zusammengefaßt in dem auf Seite 159 abgedruckten Dokument. Es ist ein Auszug aus einer Urkunde der Anklage GB-196 – »Ständiger Kriegsbefehl Nummer 171«, des Befehlshabers der U-Boote.
Ich möchte nur aus der Ziffer 4 den ersten Satz vorlesen:
»Verhalten der feindlichen Handelsschiffe:
Die englische Schiffahrt hat folgende Anweisungen erhalten: –«
VORSITZENDER: Welches Datum trägt dieses Dokument?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Dieses Dokument ist vor dem Monat Mai 1940 ergangen. Ich werde durch einen Zeugen zeigen müssen, wann das genaue Datum gewesen ist. Herr Präsident, ich nehme an im Oktober 1939.
»Die englische Schiffahrt hat folgende Anweisungen erhalten:
a) jedes deutsche U-Boot mit allen Mitteln zu bekämpfen, es zu rammen, bzw. soweit sie damit ausgerüstet sind, mit Wasserbomben anzugreifen.«
Es folgen dann weitere Einzelheiten. Die Erfahrungen aus dem gesamten Einsatz der britischen Handelsschiffahrt werden in dem nächsten Dokument in einen Befehl gezogen. Es erhält die Nummer Dönitz 66 und steht auf Seite 161. Ich lese den Befehl vor, er ist vom 17. Oktober 1939.
»Um 15 Uhr ist dem BdU nachfolgender Befehl erteilt worden: Gegen sämtliche einwandfrei als feindlich erkannten Handelsschiffe wird U-Booten sofortiger voller Waffeneinsatz freigegeben, da mit Rammversuchen oder sonstigem aktiven Widerstand in jedem Fall zu rechnen ist. Ausnahme wie bisher feindliche Passagierdampfer.«
Auf Seite 162 habe ich noch einen Teil des schon eingereichten Dokuments Dönitz 62 abgedruckt. Es ist eine Note an die neutralen Länder vom 22. Oktober 1939. In ihr ist zusammengestellt das Verhalten von Schiffen, das nach deutscher Ansicht den friedlichen Charakter eines Handelsschiffes beseitigt. Ich lese aus dem großen Absatz den zweiten Satz vor:
»Bei englischen und französischen Schiffen ist nach den bisherigen Erfahrungen mit Sicherheit mit einem derartigen Verhalten, insbesondere mit Fahren im Geleit, unzulässigem Funkgebrauch, abgeblendetem Fahren und darüber hinaus mit bewaffnetem Widerstand und Angriffshandlungen zu rechnen.«
In dem Folgenden warnt die Deutsche Regierung aus diesem Grunde vor Benutzung feindlicher Schiffe.
Die deutschen Befehle waren ergangen auf Grund der Erfahrungen unserer U-Boote.
Das nächste Dokument hatte ich bereits eingereicht, es ist Dönitz 67, es ist abgedruckt auf Seite 163 und folgenden. Ich möchte nur auf Grund der Mitteilung der Britischen Admiralität, die auf Seite 163 steht, klarstellen, daß die Befehle für die Handelsschiffahrt abgedruckt sind in dem Handbuch für die Verteidigung von Handelsschiffen vom Januar 1938, also vor dem Kriege ergangen sind.
Ich komme jetzt zu einigen Urkunden über die Behandlung der Passagierdampfer, die wesentlich sind im Anschluß an den »Athenia«-Fall, da ja die »Athenia« ein Passagierdampfer war.
Das Dokument Dönitz 68 zeigt einige Unterlagen über die Behandlung von Passagierdampfern. Zunächst ein Befehl vom 4. September 1939, den ich vorlesen möchte:
»Auf Anordnung des Führers zunächst keinerlei Feindhandlungen gegen Passagierdampfer, auch wenn im Geleit.«
Der nächste Auszug auf dieser Seite bringt Meldungen über die Benützung von Passagierdampfern als Truppentransporter.
Ich lese dann einen Auszug aus den Weisungen über die Führung des Handelskrieges vom Oktober bis Mitte November 1939, Seite 3. Da die feindlichen Passagierdampfer weitgehendst für den Truppentransport jetzt eingesetzt wurden, und dadurch eine weitere Schonung solcher Schiffe, soweit sie geleitet wurden, nicht mehr zu rechtfertigen war, wurde am 29. Oktober folgendes befohlen: Ich lese dann den Befehl, der ganz unten steht;
»Passagierdampfer im feindlichen Geleit werden für sofortigen vollen Waffeneinsatz durch U-Boote freigegeben«
Das nächste Dokument, Dönitz 69 auf Seite 170, soll zeigen, daß in der deutschen Presse im November und Dezember gewarnt worden ist vor der Benutzung bewaffneter Passagierdampfer durch die Veröffentlichung von Listen dieser Dampfer.
Das nächste Dokument ist Dönitz 70 auf Seite 171. Es ist ein Befehl vom 7. November 1939 von der Seekriegsleitung an den Befehlshaber der U-Boote. Ich lese den Befehl:
»Sofortiger voller Waffeneinsatz gegen alle einwandfrei feindlichen Passagierdampfer, deren Bewaffnung erkannt wird oder deren Bewaffnung bereits bekannt ist, wird für U-Boote freigegeben.«
Das ist also sechs Wochen später als die Freigabe des Angriffs auf die sonstigen bewaffneten Schiffe.
Dönitz 71 zeigt, daß erst am 23. Februar 1940 den U-Booten der Angriff freigegeben worden ist auf abgeblendete Passagierdampfer, also fünf Monate... nein, vier Monate später als gegenüber anderen Schiffen.
Ich komme jetzt zu dem Dokument der Anklage GB-224, das ich abgedruckt habe auf Seiten 199 bis 203 im Band 4 meines Urkundenbuches. Ich möchte noch einmal betonen, daß dieses Dokument den Großadmiral Raeder besonders belasten soll und von der Anklage bezeichnet wird als eine zynische Absage an das Völkerrecht. Ich weise zunächst darauf hin, daß es nach der Überschrift sich handelt um Überlegungen der Seekriegsleitung über die Möglichkeiten zu einer Verschärfung des Handelskrieges gegen England. Ich lese einige Absätze vor – oder berichte über sie –, die zeigen sollen, daß dort sehr gründliche völkerrechtliche Prüfungen angestellt worden sind. Der erste Absatz: »Zielsetzung des Krieges«. Ich lese:
»Der Vorschlag des Führers zur Wiederherstellung eines gerechten, ehrenvollen Friedens und zur Neuregelung der politischen Ordnung in Mitteleuropa ist abgelehnt. Die Feindmächte wollen den Krieg mit dem Ziel der Vernichtung Deutschlands. In dem Kampf, in dem nunmehr Deutschland seine Existenz und sein Recht zu verteidigen gezwungen ist, muß es, unter voller Achtung der Gebote soldatischer Kampfsittlichkeit, seine Waffen mit rücksichtsloser Schärfe zum Einsatz bringen.«
Es folgt dann ein Absatz, in dem dargelegt wird, daß auch der Gegner seine Angelegenheiten rücksichtslos durchführt. Auf der nächsten Seite, Seite 200, stehen einige grundlegende Sätze, die ich vorlesen möchte; und zwar in dem Abschnitt »Militärische Forderungen« lese ich vom 4. Satz ab:
»Eine Stützung der getroffenen militärischen Maßnahmen auf das bestehende Völkerrecht bleibt erwünscht; militärisch als notwendig erkannte Maßnahmen müssen aber, sofern sie kriegsentscheidende Erfolge erwarten lassen, auch dann durchgeführt werden, wenn das geltende Völkerrecht nicht auf sie Anwendung finden kann. Grundsätzlich muß daher das militärische, zur Brechung der feindlichen Widerstandskraft wirksame Kriegsmittel rechtspolitisch gestützt werden, auch wenn damit neues Seekriegsrecht geschaffen wird.
Die oberste Kriegsleitung muß nach Abwägen der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Folgerungen im Rahmen der Gesamtkriegführung darüber entscheiden, welches militärische und kriegsrechtspolitische Verfahren zur Anwendung kommen soll.«
Es folgen dann noch eine Reihe von Auszügen, die zeigen selten, wie die Seekriegsleitung die Rechtslage prüft, und zwar die gegenwärtige Rechtslage, die Rechtslage im Falle einer Belagerung Englands und die Rechtslage im Falle einer Blockade Englands.
Der Schluß, auf Seite 203 abgedruckt, betont den politischen Charakter der letzten Entscheidung. Ich lese ihn vor:
»Die Entscheidung für die Form der Verschärfung der Handelskriegsführung und den Zeitpunkt des Überganges zur schärfsten und damit in diesem Kriege endgülti gen Form des Seekrieges ist von weittragendster politischer Bedeutung. Sie kann nur von der obersten Kriegsleitung getroffen werden, die die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Erfordernisse gegeneinander abwägt.«
Ich möchte nachtragen, daß dieses Dokument vom 15. Oktober 1939 ist.
Ende November 1939 zog die Seekriegsleitung die Folgerung daraus...
VORSITZENDER: In unserem Dokument heißt es 3. November. Sie sagten aber jetzt, es wäre vom Oktober.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: 15. Oktober, Herr Präsident. Es ist eine Denkschrift vom 15. Oktober, die vorgelegt worden ist.
VORSITZENDER: Ich dachte, daß Sie Dokument GB-224 behandeln. Aus dem lasen Sie doch eben vor.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja.
VORSITZENDER: Das trägt aber oben auf unserer Seite 199 das Datum 3. November 1939.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Jawohl, Herr Präsident. Der 3. November ist das Datum, mit dem die untenfolgende Denkschrift verteilt worden ist an das Oberkommando der Wehrmacht und an das Auswärtige Amt.
Mir wird gerade gesagt, daß in dem englischen Text über dem Wort »Denkschrift« das Datum anscheinend nicht mit abgedruckt ist. Im Original steht über dem Wort »Denkschrift«: »Berlin, 15. Oktober 1939.«
VORSITZENDER: Sehr gut.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich hatte bereits eingereicht das Dokument Dönitz 73 auf Seite 206, in dem die Neutralen gewarnt werden vor dem Befahren des Gebietes, das der amerikanischen Kampfzone entspricht, die vom Präsidenten Roosevelt am 4. November erklärt worden war.
Die deutsche Auffassung, daß das Befahren dieses Gebietes eine Selbstgefährdung aller Neutralen bedeutete, kam auch in der Presse zum Ausdruck. Dafür lege ich vor das Dokument Dönitz 103, abgedruckt auf Seite 210. Es ist ein Interview, das der Großadmiral Raeder am 4. März 1940 einem Vertreter der National Broadcasting Company in Neuyork gegeben hat. Ich möchte daraus einige Sätze vorlesen. Im zweiten Absatz weist Großadmiral Raeder darauf hin, welche Gefahren neutralen Handelsschiffen drohen, wenn sie sich kriegsmäßig verhalten und damit Anlaß zur Verwechslung mit feindlichen Schiffen geben. Der letzte Satz dieses Absatzes lautet:
»Der deutsche Standpunkt lasse sich ganz knapp auf die Formel bringen: Wer Waffenhilfe in Anspruch nimmt, muß Waffeneinsatz gewärtigen.«
Ich lese noch die beiden letzten Absätze:
»Bei der Erörterung der Möglichkeit häufiger Meinungsverschiedenheiten ging der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine auf das Verbot des amerikanischen Präsidenten Roosevelt für die amerikanische Schiffahrt ein, die gefährlichen Zonen um England zu befahren. Er führte hierbei folgendes aus: ›Das Verbot ist der beste Beweis gegen das von England geübte Verfahren, das die Neutralen zum Befahren dieser Gebiete zwingt, ohne in der Lage zu sein, ihre Sicherheit zu gewährleisten Deutschland kann allen Neutralen nur raten, die Politik Ihres Präsidenten nachzuahmen.‹
Frage: Also gibt es nach Lage der Dinge überhaupt keinen Schutz für die neutrale Schiffahrt in den kriegsgefährdeten Zonen?
Antwort: Solange England seine Methoden beibehält, wohl nicht...«
Durch den Zusammenbruch Frankreichs wurde das gesamte USA-Kampfgebiet als deutsches Blockadegebiet erklärt. Das zeigt das nächste Dokument, Dönitz 104 auf Seite 212. Ich lese von der Mitte des dort abgedruckten Absatzes:
»Das gesamte Seegebiet um England ist somit zum Operationsgebiet geworden. Jedes Schiff, das dieses Gebiet befährt, setzt sich der Vernichtung nicht nur durch Minen, sondern auch durch andere Kampfmittel aus...«
VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Haben Sie das Dokument Dönitz 60 genannt oder...
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das war ursprünglich auch eines von den Dokumenten Dönitz 60, Herr Präsident, die ich jetzt mit einer neuen Nummer versehen habe. Die neue Nummer ist jetzt Dönitz 104.
VORSITZENDER: Gut. Danke schön.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER:
»Jedes Schiff, das dieses Gebiet befährt, setzt sich der Vernichtung nicht nur durch Minen, sondern auch durch andere Kampfmittel aus. Die Deutsche Regierung warnt daher erneut und dringlichst vor dem Befahren des gefährdeten Gebietes.«
Am Schluß der Note lehnt die Deutsche Regierung die Verantwortung für Schäden und Verluste in diesem Gebiet ab.
Ich habe noch abgedruckt als nächstes Dokument auf Seite 214 mit der neuen Exhibit-Nummer Dönitz 105 eine amtliche deutsche Erklärung bei der Bekanntgabe der totalen Blockade vom 17. August 1940. Ich möchte nur auf sie hinweisen.
Ich komme jetzt zu einigen Urkunden, die die Behandlung der Neutralen außerhalb der erklärten Operationsgebiete betreffen. Als erste Urkunde lege ich vor auf Seite 226 einen Auszug aus dem Dokument der Anklage GB-196. Es ist ein Ständiger Kriegsbefehl des BdU, der ebenfalls vor dem Mal 1940 ergangen ist. Ich lese die ersten Sätze:
»Es dürfen nicht versenkt werden: a) alle einwandfrei als Neutrale erkannten Schiffe, sofern sie nicht erstens in feindlichem Geleit fahren, zweitens in einer erklärten Gefahrenzone stehen.«
Das nächste Dokument, Dönitz 76 auf Seite 227, zeigt die Sorge der Seekriegsleitung, daß die Neutralen auch wirklich erkennbar sind. Ich lese den ersten Satz der Eintragung vom 10. Januar 1942.
»Die Seekriegsleitung bat das Auswärtige Amt, aus Anlaß der erneuten Kriegsausweitung die neutralen, seefahrenden Nationen mit Ausnahme Schwedens nochmals auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Kennzeichnung ihrer Schiffe hinzuweisen, um Verwechslungen mit Feindschiffen zu vermeiden.«
Das nächste Dokument Dönitz 77 auf Seite 228 lautet, eine Eintragung vom 24. Juni 1942 aus dem Kriegstagebuch des Befehlshabers der U-Boote:
»Alle Kommandanten werden nochmals eingehend über Verhalten gegenüber Neutralen belehrt.«
Dönitz 78 habe ich bereits eingereicht, Verzeihung, es ist nicht eingereicht. Dönitz 78 auf Seite 229 gibt Beispiele für die Rücksichtnahme, die der Befehlshaber der U-Boote auf die Neutralen nahm. Die Eintragung vom 23. November 1942 zeigt, daß ein U-Boot Befehl erhielt, ganz aus einem Seegebiet abzulaufen, weil dort starker neutraler Verkehr herrschte. Die zweite Eintragung vom Dezember 1942 lautet, daß ein portugiesischer Marinetanker bestimmungsgemäß zu behandeln ist, also laufen gelassen werden muß.
Auf das auf Seite 230 abgedruckte Dokument hatte ich bereits hingewiesen. Es enthält ein kriegsgerichtliches Verfahren gegen einen Kommandanten, der zu Unrecht einen Neutralen torpediert hatte.
Das nächste Dokument, Dönitz 79 auf Seite 231, ist der Befehl, der bis Kriegsende für die Behandlung der Neutralen galt. Ich brauche ihn wohl nicht zu verlesen. Er betont nur noch einmal die notwendige Erkennbarkeit neutraler Schiffe und weist auf die Schiffahrtsabkommen hin, die mit einer Reihe von Ländern geschlossen worden sind, wie mit Spanien, Portugal, Schweden und Schweiz.
VORSITZENDER: Was ist das genaue Datum? Sie sagten...
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: 1. August 1944, Herr Präsident.
VORSITZENDER: Das ist das Datum auf dem Original.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das ursprüngliche Datum ist vom 1. April 1943. Der Befehl ist dann neu gefaßt worden am 1. August 1944 auf Grund der Berichtigungen, die durch die Schiffahrtsabkommen notwendig geworden waren.
Ich habe bisher die allgemeinen Grundsätze behandelt, die in den Dokumenten der Anklage GB-191 und GB-224 angegriffen worden waren. Ich möchte nun einige Dokumente vorlegen zu Einzelheiten des Dokuments der Anklage GB-191. Dort ist erwähnt eine Rede Adolf Hitlers, die mit den Worten schließt:
»Jedes Schiff, ob mit, ob ohne Begleitung, das vor unsere Torpedorohre kommt, wird torpediert.«
Ich bringe als Dönitz 80, auf Seite 232 abgedruckt, einen Auszug aus dieser Rede. Der Zusammenhang zeigt, daß sich die Äußerung des Führers nur bezieht auf Schiffe, die Kriegsmaterial nach England bringen.
Ich komme dann zu zwei Beispielen, die in dem Dokument GB-191 angegeben worden sind als Musterbeispiele für die rechtswidrige deutsche Seekriegsführung. Das erste ist der Fall des dänischen Dampfers »Vendia«. Das Dokument der Anklage sagt darüber:
»Am 30. September 1939 fand die erste Versenkung eines neutralen Schiffes durch ein U-Boot statt, ohne daß ein Warnungssignal gegeben wurde. Hierbei kamen Menschen ums Leben. Es handelt sich um das dänische Schiff ›Vendia‹.«
Ich lege dazu vor Dönitz 83, abgedruckt auf Seite 235, das Kriegstagebuch des U-Bootes U-3, das die »Vendia« versenkt hat, Wegen der Wichtigkeit möchte ich einiges vorlesen. Ich beginne mit dem zweiten Satz:
»Der Dampfer dreht allmählich immer weiter ab und steigert die Fahrt. Das Boot kommt nur sehr langsam auf. Offensichtlicher Fluchtversuch!
Dampfer ist deutlich als dänischer Dampfer ›Vendia‹ auszumachen.
Boot geht auf langsame Fahrt und macht das M.G. klar.
Einige Warnungsschüsse über den Bug des Dampfers hinweg abgegeben. Darauf stoppt der Dampfer sehr langsam; es geschieht in der Folgezeit nichts weiter. Es werden daraufhin noch einige Schüsse gefeuert. Die ›Vendia‹ liegt im Wind.
Nachdem zehn Minuten lang nichts an Deck zu erkennen ist, was den Verdacht eines vorliegenden, beabsichtigten Widerstandes aufheben könnte, sehe ich 11.24 Uhr plötzlich Bugsee vor dem Dampfer und Schraubenbewegungen. Der Dampfer dreht hart auf das Boot zu. Meine Auffassung eines damit vorliegenden Rammversuches wird vom Wachoffizier und Obersteuermann geteilt. Ich drehe darauf ebenfalls mit dem Dampfer mit. 30 Sekunden später fällt der Torpedoschuß, Abkommpunkt Bug, Treffpunkt ganz hinten am Heck. Das Heck reißt ab und versinkt. Das Vorderteil schwimmt noch.
Unter eigener Lebensgefahr für Besatzung und Boot (starker Seegang und zahlreiche treibende Wrackstücke) werden sechs Mann der dänischen Besatzung gerettet, darunter Kapitän und Steuermann. Andere Überlebende sind nicht zu erkennen. Währenddessen kommt der dänische Dampfer ›Swawa‹ in die Nähe und wird angehalten; er wird aufgefordert, die Papiere im Boot zu schicken. Er befördert Stückgut von Amsterdam nach Kopenhagen. Dem Dampfer werden die sechs Geretteten mitgegeben zur Heimbeförderung.«
Ich lese noch von der nächsten Seite den vorletzten Satz:
»Nachdem die Dampferbesatzung abgegeben war, stellte sich heraus, daß der Maschinist des Dampfers dem Masch.-Gfr. Blank gegenüber geäußert hatte, der Kapitän habe die Absicht gehabt, das U-Boot zu rammen.«
Das Dokument auf Seite 237, ein Auszug aus dem Dokument der Anklage GB-82, zeigt, daß der Fall »Vendia« Gegenstand eines Protestes der Deutschen bei der Dänischen Regierung war.
Ich beschäftige mich nun mit der Versenkung der »City of Benares« am 18. September 1940. Ich möchte dazu zunächst noch einige Sätze aus dem Dokument der Anklage lesen, weil sie meiner Ansicht nach den Beweiswert des ganzen Dokuments GB-191 kennzeichnen. Ich lese aus dem britischen Dokumentenbuch Seite 23 von der Stelle ab, wo die Anklagebehörde aufgehört hat zu lesen. Das Tribunal wird sich erinnern, daß die »City of Benares« Kinder an Bord hatte. Im Bericht des Auswärtigen Amtes heißt es hier:
»Der Kapitän des U-Bootes wußte vermutlich nicht, daß an Bord der ›City of Benares‹ Kinder waren, als er das Torpedo abfeuerte. Er mag vielleicht nicht einmal den Namen des Schiffes gekannt haben, obwohl vieles dafür spricht, daß er das Schiff stundenlang verfolgt hat, bevor er es torpedierte. Was er aber gewußt haben mußte, ist, daß es ein großes Handelsschiff war, welches wahrscheinlich Zivilpersonen als Passagiere an Bord und bestimmt eine Besatzung der Handelsmarine hatte. Er kannte die Wetterverhältnisse und wußte, daß sie 600 Meilen vom Land entfernt waren. Dennoch verfolgte er das Schiff außerhalb der Blockadezone und feuerte das Torpedo absichtlich nicht ab, bevor es dunkel war, das heißt zu einer Zeit, als die Aussicht auf Rettung außerordentlich verringert war.«
Ich lege als nächstes Dokument Dönitz 84 vor, abgedruckt auf Seite 238, ein Kriegstagebuch des U- Bootes U-48, das die »City of Benares« versenkt hat. Ich lese die Eintragung vom 17. September 1940:
»Uhrzeit 10.02 Uhr. Geleitzug in Sicht. Kurs etwa 240 Grad. Fahrt sieben Seemeilen. Fühlung gehalten, zumal Unterwasserangriff bei der steilen Dünung nicht mehr möglich ist. Bei dem Geleitzug ist keine Sicherung zu erkennen.«
Ich berichte dann über die Eintragung vom 18. September 1940: Sie schildert einen Torpedoschuß auf ein Schiff dieses Geleitzuges, die »City of Benares«. Wenige Minuten später, um 0.07 Uhr, greift das U-Boot ein zweites Schiff dieses Geleitzuges an, den englischen Dampfer »Marina«. Beide Schiffe tunken. Zwanzig Minuten später wieder hat das U-Boot ein Artilleriegefecht mit einem Tanker dieses Geleitzuges. Das also ist die wirkliche Geschichte der »City of Benares«.
Auf Seite 240 habe ich das Dokument der Anklage GB-192 noch einmal abgedruckt; es behandelt die Versenkung der »Sheaf Mead«. Ich möchte dabei nur darauf hinweisen, daß dieses Schiff erheblich bewaffnet war und daß es wahrscheinlich kein Handelsschiff sondern eine U-Bootfalle war.
In dem Dokument der Anklage GB-195, das bereits im Verhör gestern behandelt wurde, ist ein Befehl des Führers vom 18. Juli 1941 vorgelegt worden, der den Angriff freigibt auf USA-Handelsschiffe in der um England erklärten Blockadezone. Die Anklage erhebt bekanntlich auf Grund dieses Dokuments den Vorwurf, Admiral Dönitz habe einen opportunistischen und zynischen Krieg gegen die Neutralen geführt.
Mein nächstes Dokument ist Dönitz 86 auf Seite 243. Es zeigt das Bemühen...
VORSITZENDER: War es nicht 243?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Seite 243, Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung. Es zeigt das Bemühen, nicht zu einem Konflikt mit den Vereinigten Staaten zu kommen. Ich lese die Eintragung vom 5. März 1940 aus dem Kriegstagebuch der Seekriegsleitung:
»Den Seestreitkräften wird für die Führung des Handelskrieges der Befehl gegeben, daß Schiffe der Vereinigten Staaten weder anzuhalten noch aufzubringen noch zu versenken sind. Anlaß war die Zusicherung des Oberbefehlshabers an den Amerikanischen Militärattaché, den er am 20. Februar empfangen hatte, daß den deutschen U-Booten der Befehl erteilt sei, überhaupt keine amerikanischen Schiffe anzuhalten. Damit sollen alle Schwierigkeiten, die sich aus dem Handelskrieg zwischen USA und Deutschland ergeben könnten, von vornherein ausgeschaltet werden.«
Dieser Befehl bedeutete also auch den Verzicht auf prisenrechtliche Maßnahmen.
Das nächste Dokument, Dönitz 87 auf Seite 244, zeigt die praktische Anerkennung der amerikanischen Neutralitätszone. Es lautet:
»4. April 1941...
An alle außerheimischen Schiffe ist gefunkt Amerikanische Neutralitätszone ab sofort südlich 20 Nord nur noch im Abstand von 300 Seemeilen von Küste achten. Nördlich genannter Linie verbleibt es aus außenpolitischen Gründen zunächst bei bisheriger Umgrenzung.«
Das bedeutet also: bei der vollen Anerkennung der Neutralitätszone.
Mein nächstes Dokument, Dönitz 88, zeigt die Stellungnahme des Präsidenten Roosevelt zur Frage der Neutralität gegenüber Deutschland in diesem Kriege. Es ist ein Auszug aus der Rede vom 11. September 1941, der sehr bekannt ist:
»Hitler weiß, daß er die Herrschaft über die Meere gewinnen muß, wenn er die Herrschaft über die Welt gewinnen will. Er weiß, daß er erst die Schiffsbrücke nie derreißen muß, die wir über den Atlantik bauen und über die wir ohne Unterlaß das Kriegsmaterial befördern, das dazu beitragen wird, ihn und alle seine Werke schließlich zu zerstören. Er muß unsere Patrouillen zur See und in der Luft vernichten.«
Ich möchte nun noch kurz auf die ebenfalls in dem Dokument GB-191 vertretene Auffassung eingehen, daß die Besatzungen der feindlichen Handelsschiffe Zivilisten und Nichtkombattanten gewesen seien. Ich habe auf Seite 254 des Dokumentenbuches abgedruckt einen Teil des bereits eingereichten Dokuments Dönitz 67. Es ist ein Auszug aus den vertraulichen Admiralitätsflottenbefehlen, und er behandelt die Ausbildung der zivilen Handelsschiffbesatzung an den Geschützen. Ich möchte auf die erste Seite dieser Befehle nur hinweisen. Sie sagen, daß im allgemeinen bei einem Geschütz nur ein Soldat der Marine sein soll und alle anderen Mannschaften aus der Besatzung des Schiffes gestellt werden. Ich lese aus dem Abschnitt »Ausbildung«, das ist die Ziffer d):
»Außer dem Richtkanonier und den für Geschützbedienung besonders vorgebildeten Mannschaften werden weitere Leute zur Vervollständigung der Bedienungsmannschaft (je nach der Größe des Geschützes zwischen fünf und sieben) und für die Herausschaffung der Munition aus dem Magazin benötigt«
Es folgen dann noch Vorschriften über die Ausbildung in den Häfen und über das Geschützexerzieren der Mannschaften.
Das nächste Dokument mit der neuen Nummer Dönitz 106 ist ein Runderlaß des französischen Ministers für die Handelsmarine vom 11. November 1939 über die Schaffung eines besonderen Abzeichens für die kriegsdienstpflichtigen Besatzungsmitglieder auf Handelsschiffen. Es steht auf Seite 256. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieser Erlaß unterschrieben ist vom Direktor des militärischen Rats, einem Konteradmiral. Der Charakter dieses Abzeichens ergibt sich aus dem vorletzten Absatz:
»Die Armbinde ist nur in Frankreich und den französischen Kolonien zu tragen. In keinem Fall dürfen die mit der Armbinde ausgestatteten Mannschaften sie tragen, während sie sich in fremden Gewässern befinden.«
Ich komme jetzt zu einigen Dokumenten über die Frage der Rettung Schiffbrüchiger. Diese Dokumente befinden sich in den Dokumentenbüchern 1 und 2.
VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Glauben Sie nicht, daß es genügen würde, auf diese Dokumente zu verweisen, indem Sie deren Nummern angeben, ohne sie zu verlesen? Wie Sie sagen, behandeln sie nur die Rettungsmaßnahmen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich glaube, ich kann dies in den meisten Fällen tun. Auf Seite 9 ist abgedruckt das Haager Abkommen über die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg.
Seite 10 ist das Dokument Dönitz 8, der Befehl vom 4. Oktober 1939 über die Versenkung bewaffneter Handelsschiffe. Er enthält den bereits verlesenen Befehl, nach Möglichkeit zu retten, soweit es ohne Gefährdung möglich ist.
Dönitz 9 auf Seite 12 gibt Beispiele für übertriebene Rettungsmaßnahmen deutscher U-Boote, die dabei feindliche Schiffe laufen lassen.
Dönitz 10 behandelt das gleiche Thema mit einem weiteren Beispiel.
Die Sammlung von Erklärungen von Kommandanten in Dönitz 13 ist abgedruckt auf den Seiten 19 bis 26. Ich möchte sie in Zusammenhang stellen mit dem Kriegsbefehl 154. Das ist das Dokument der Anklage GB-196. Die Erklärungen enthalten zahlreiche Beispiele aus allen Jahren des Krieges über Rettungsmaßnahmen von deutschen U-Booten. Einer dieser Erklärungen sind auch Photographien beigefügt auf Seite 21. Sie sind im Original enthalten. Der Inhalt dieser Erklärungen wird bestätigt durch das Dokument Dönitz 14 auf Seite 27, in dem ein U-Boot über Rettungsmaßnahmen in seinem Kriegstagebuch berichtet; am Schluß befindet sich der Satz:
»Die Anbordnahme der englischen Flieger wird gebilligt.«
Unterschrieben von dem Befehlshaber der U-Boote.
Das nächste Dokument Dönitz 15 bringt auch einen Kriegstagebuchauszug als Beispiel für eine Rettungsmaßnahme nach einer Geleitzugschlacht am 21. Oktober 1941. Es ist auf Seite 28 abgedruckt.
Es folgen jetzt zwei Dokumente zu dem »Laconia«- Befehl. Das Tribunal hatte mir gestattet, in dem Kreuzverhör des Zeugen Möhle die Ständigen Kriegsbefehle 511 und 513 zu verwerten. Sie betreffen die Gefangennahme von Kapitänen und Chefingenieuren und von Fliegerbesatzungen. Ich übergebe sie als Dönitz 24 und 25. Sie sind abgedruckt auf Seite 46 und 47. Ich möchte darauf hinweisen, daß in beiden Befehlen ausdrücklich gesagt ist, daß diese Gefangennahme nur durchzuführen ist, soweit es ohne Gefährdung des Bootes möglich ist.
In dem Dokument Dönitz 24 wird klargelegt, daß die Britische Admiralität ihrerseits Befehle herausgegeben hat, um die Gefangennahme der englischen Kapitäne durch die deutschen U-Boote zu verhindern. Der nächste Auszug auf Seite 48 gibt ein Beispiel dafür, daß dieser englische Befehl auch befolgt worden ist und ein U-Boot vergeblich zwischen den Rettungsbooten nach einem Kapitän sucht.
VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Können Sie dem Gerichtshof mitteilen, worauf sich der Paragraph 2 auf Seite 46 bezieht und was damit gemeint ist?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Der Paragraph verweist auf den Ständigen Kriegsbefehl Nummer 101, das ist der Befehl, in dem bekanntgegeben wird, welche neutralen Schiffe versenkt werden dürfen, das heißt natürlich im Sperrgebiet.
VORSITZENDER: Bedeutet das, daß diese Offiziere mit dem Schiff zu versenken sind oder was?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Nein, Herr Präsident, das bedeutet, daß Kapitäne und Schiffsoffiziere neutraler Schiffe in den Rettungsbooten belassen werden dürfen und nicht aus den Rettungsbooten herausgenommen werden auf das U-Boot. Daß es tatsächlich auf dem Rettungsboot wesentlich sicherer war als auf dem U-Boot, zeigt ja der englische Befehl, der den Kapitänen sagt, sie sollen auf den Rettungsbooten bleiben und sich vor dem U-Boot verstecken.
VORSITZENDER: Und wenn sie keine Rettungsboote hatten?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich glaube, Herr Präsident, dieser Fall ist hier nicht geregelt. Ich kenne keinen Fall, in dem ein Schiff keine Rettungsboote hatte, insbesondere im Jahre 1943, in dem dieser Befehl zustande kam. Es waren auf jedem Schiff nicht nur Rettungsboote, sondern automatisch aufschwimmende Flöße.
Die Ziffer 2 betrifft nur die Frage der Gefangennahme neutraler Kapitäne.
Darf ich fortfahren, bitte?
VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Eine Reihe von Beispielen dafür, daß Kapitäne nach diesen Befehlen gerettet worden sind, befindet sich in den Kommandantenerklärungen, die auf den Seiten 22, 25 und 26 abgedruckt sind unter der Exhibit-Nummer Dönitz 13.
Ich komme jetzt zu dem Fall des Unterseebootes U-386, der eine große Rolle gespielt hat in der Aussage des Korvettenkapitäns Möhle.
Das Tribunal wird sich daran erinnern, daß dieser Fall der entscheidende Grund war für die Auslegung, die Möhle dem »Laconia«-Befehl gegeben hat, Über diesen Vorgang lege ich Dokument Dönitz 26 vor, die eidesstattliche Versicherung des Korvettenkapitäns Witt. Ich möchte daraus einige Absätze verlesen.
VORSITZENDER: Auf welcher Seite ist das?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auf Seite 50, Herr Präsident.
»Im November 1943 hatte ich als Referent im Stabe des BdU den Oberleutnant zur See Albrecht, Kommandant des U-Bootes U-386, über seine Erfahrungen auf seiner eben beendeten Unternehmung zu vernehmen. Dabei meldete mir Albrecht, daß er in der Höhe von Cap Fi nisterre in der Biskaya bei Tage ein Schlauchboot mit schiffbrüchigen britischen Fliegern gesichtet habe. Er habe Rettungsmaßnahmen unterlassen, weil er sich auf dem Wege zu einer Geleitzugaufstellung befunden hätte. Seine Position hätte er nur erreichen können, wenn er ohne Aufenthalt weitergelaufen wäre. Außerdem habe er befürchtet...«
VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Ist es nötig, bei jedem einzelnen Fall in Einzelheiten zu gehen? Ich glaube, sie alle hängen von den jeweiligen Umständen ab. Es ist nicht notwendig, daß Sie die Dokumente so ausführlich lesen; in diesem Stadium des Falles ist es nicht nötig.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sehr wohl, Herr Präsident! Ich werde nur darüber berichten.
Das Affidavit sagt kurz, daß der Kommandant darüber belehrt worden ist, er hätte die Flieger mit nach Hause bringen müssen, also das Gegenteil dessen, was Möhle hier ausgesagt hat. Die Richtigkeit der Darstellung von Kapitän Witt wird bestätigt durch das nächste Dokument Dönitz 27, Kriegstagebuch des U-Bootes, mit der Stellungnahme des Befehlshabers der U-Boote, in dem der Entschluß mißbilligt wird, die im Schlauchboot treibenden Engländer nicht aufzunehmen.
Daß die Stellungnahme des Admirals Dönitz gegenüber Rettungsmaßnahmen nicht auf Grausamkeit beruht, sondern auf Überlegung über militärische Notwendigkeit, zeigt das nächste Dokument 28 auf Seite 53. Er stellt hier Erwägungen an über die Rettung eigener Flugzeugbesatzungen und kommt zu dem Ergebnis, daß diese Rettung unter Umständen aus militärischen Gründen unterbleiben muß.
Das nächste Dokument Dönitz 29 betrifft die Aussage des Zeugen Heisig. Es ist abgedruckt auf Seite 54 ff. Es enthält zunächst eine eidesstattliche Versicherung des Adjutanten, Kapitänleutnant Fuhrmann, der die allgemeinen Gedankengänge schildert, die damals den Vorträgen des Großadmirals Dönitz zugrunde lagen. Er betont am Schluß, daß niemals junge Offiziere an ihn herangetreten sind im Anschluß an die Ansprache des Großadmirals Dönitz und Zweifel über die Behandlung Schiffbrüchiger geäußert haben.
Auf Seite 56 ist abgedruckt eine Erklärung des Oberleutnants zur See Kreß, der an dem gleichen Vortrag wie Heisig teilgenommen hat und sagt, weder wörtlich noch andeutungsweise befahl Admiral Dönitz die Vernichtung von Überlebenden.
Das wird bestätigt durch die Erklärung des Oberleutnants zur See Steinhoff auf Seite 59. Die Gedankengänge, in denen sich damals die Seekriegsleitung bewegte in der Frage der Bekämpfung der Besatzungen, ergeben sich aus dem nächsten Dokument Dönitz 30, abgedruckt auf Seite 60/61. Auch dort ist mit keinem Wort die Rede von der Vernichtung von Schiffbrüchigen. Es ist eine Niederschrift über eine Besprechung beim Führer vom 28. September 1942 in Anwesenheit von Großadmiral Raeder und Admiral Dönitz.
Das Tribunal wird sich an das Dokument GB-200 erinnern, in dem die »rescue ships« als wünschenswerte Ziele bezeichnet sind. Dort ist zugleich gesagt, daß sie die Bedeutung von U-Bootfallen haben. Ich habe deshalb abgedruckt auf Seite 63 den Ständigen Kriegsbefehl Nummer 173 vom 2. Mai 1940. In ihm ist niedergelegt, daß nach den Weisungen der Britischen Admiralität U-Bootfallen in den Geleitzügen verwendet werden. Daß die Behandlung der »rescue ships« nichts zu tun hat mit der Achtung vor Lazarettschiffen, zeigt das Dokument Dönitz 34 im Dokumentenbuch Nummer 2, auf Seite 67 abgedruckt. Es ist der letzte der Ständigen Kriegsbefehle über die Frage der Lazarettschiffe vom 1. August 1944. Er beginnt mit den Worten: »Lazarettschiffe dürfen nicht versenkt werden.«
Mein nächstes Dokument Dönitz 35 soll zeigen, daß die Seekriegsleitung bei der Achtung der Lazarettschiffe sogar über die völkerrechtlichen Verpflichtungen hinausgegangen ist, denn, wie die Eintragung vom 17. Juli 1941 beweist, hat die Sowjetregierung ihrerseits die Einhaltung des Lazarettschiffsabkommens abgelehnt unter Hinweis auf deutsche völkerrechtliche Verstöße an Land; nach dem Artikel 18 des Lazarettschiffsabkommens wäre damit die Geltung dieses Abkommens für alle Beteiligten aufgehoben.
Mit Dönitz 36 auf den Seiten 69 und folgende lege ich das einzige Beispiel vor, das uns bekannt ist dafür, daß ein U-Bootkommandant wirkliche Rettungsmittel beschossen hat. Es ist die Vernehmung des Kapitänleutnants Eck, die auf Anordnung des Gerichts am 21. November 1945 stattgefunden hat. Das ist zehn Tage bevor er erschossen worden ist.
Entsprechend dem Wunsche des Tribunals möchte ich nur zusammenfassen: Eck hat nach Versenkung des griechischen Dampfers »Peleus« versucht, die Rettungsboote und Wracks durch Beschießung unter Wasser zu bringen. Als Grund gibt er an, daß er damit die Trümmer beseitigen und vermeiden wollte, daß er von den Ortungsgeräten der feindlichen Luftwaffe erfaßt würde. Er gibt an, er habe den »Laconia«-Befehl an Bord gehabt. Dieser Befehl hat aber auf seinen Entschluß nicht den mindesten Einfluß ausgeübt. Er habe tatsächlich überhaupt nicht an ihn gedacht. Er ist von Möhle belehrt worden, hat dabei aber nichts über die angeblich erwünschte Vernichtung Schiffbrüchiger gehört und weiß nichts von dem Beispiel von U-386.
Am Schluß der Vernehmung Ecks gibt er an, daß er mit einer Billigung seines Verhaltens durch Admiral Dönitz gerechnet habe. Ferner ist gestern im Kreuzverhör erneut die Frage angeschnitten worden, ob Admiral Dönitz...
VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Wir werden jetzt für ein paar Minuten unterbrechen, nur für kurze Zeit.