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[Zum Zeugen gewandt:]

Dann sagen Sie mir bitte noch, von welchem Datum ab nach den deutschen Erfahrungen diese Seekriegspraxis bestand im Skagerrak.

WAGNER: Mit Sicherheit vom 8. April 1940 ab. Ich glaube aber, mich zu entsinnen, daß auch am 7. April bereits danach verfahren wurde.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War dieses Gebiet zu diesem Zeitpunkt, also 7. oder 8. April, bereits zum Warngebiet erklärt worden?

WAGNER: Nein, die erste Warngebietserklärung erfolgte am 12. April 1940 für dieses Gebiet.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich lasse Ihnen eine Seekarte überreichen der britischen Warngebiete. Sie erhält die Nummer Dönitz 92. Bitte, erläutern Sie die Karte kurz dem Tribunal in ihrer Bedeutung.

WAGNER: Diese Karte enthält die von England erklärten Warngebiete in den europäischen Gewässern auf Grund der deutschen Unterlagen. Von Bedeutung sind vor allem folgende Gebiete:

Zunächst das in der Deutschen Bucht abgeteilte Gebiet, das am 4. September 1939, also am zweiten Kriegstage, erklärt wurde. Es kommt dann das schon vorher erwähnte Warngebiet Skagerrak und südlich Norwegen, das am 12. April 1940 erklärt wurde. Dann noch Warngebiete in der Ostsee vom 14. April 1940; daran anschließend die übrigen Warngebiete im Laufe des Jahres 1940. Ich möchte noch bemerken, daß nach meiner Erinnerung diese Warngebiete alle als Minenwarngebiete erklärt wurden, mit der einen Ausnahme des Gebietes vom Kanal und der Biskaya vom 17. August 1940, das allgemein als gefährdete Zone bezeichnet wurde.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurden diese Gebiete nun tatsächlich von britischen See- und Luftstreitkräften beherrscht, oder fand dort auch deutscher Verkehr nach wie vor statt?

WAGNER: In diesen Gebieten fand sogar ein sehr lebhafter deutscher Verkehr statt. So wurde die Ostsee, die in ihrer gesamten Ostwestausdehnung von etwa 400 Seemeilen Länge zum Warngebiet erklärt worden war, praktisch während des ganzen Krieges von uns kontrolliert. Auf ihr lief ein umfangreicher Handelsverkehr, der gesamte Erzverkehr von Schweden und die entsprechende Ausfuhr nach Schweden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Lief der Verkehr nur auf deutschen oder auch auf neutralen Schiffen?

WAGNER: Der Verkehr lief auf deutschen und schwedischen Schiffen, aber auch andere Neutrale waren beteiligt, wie zum Beispiel Finnland. Ähnlich war die Lage im Skagerrak, wo neben dem deutschen Nachschubverkehr auch ein großer Teil der Lebensmittel für die norwegische Bevölkerung transportiert wurde. Natürlich sind während dieser Zeit auch deutsche und neutrale Schiffe verloren gegangen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich nehme an, daß dabei auch deutsche und neutrale Seeleute ums Leben gekommen sind? Ist das richtig?

WAGNER: Selbstverständlich gab es auch Personalverluste auf den Schiffen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Waren die deutschen Handelsschiffe zu der Zeit, in der die Operationsgebiete erklärt wurden, bewaffnet, also Ende 1939 – Anfang 1940?

WAGNER: Bis Mitte 1940 waren die deutschen Handelsschiffe überhaupt nicht bewaffnet. Von da ab wurde eine verhältnismäßig schwache Bewaffnung vor allem durch leichte Flugabwehrwaffen eingeführt; zunächst für die besonders gefährdeten Fahrgebiete. Von vorneherein bewaffnet waren die Troßschiffe der Kriegsmarine, also Staatsschiffe, die für die Versorgung der deutschen Kreuzer und Hilfskreuzer im Atlantik eingesetzt waren.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich lege Ihnen jetzt vor das Dokument der Anklage GB-193, abgedruckt in dem Dokumentenbuch der Anklage auf Seite 29. Es beschäftigt sich mit einem Antrag des Befehlshabers der U-Boote: »... im Kanal abgeblendete Schiffe dürfen warnungslos versenkt werden«. Können Sie mir sagen, um wessen Erwägungen es sich bei den Ausführungen handelt, die hier niedergeschrieben sind?

WAGNER: Aus der Unterzeichnung dieses Papiers geht hervor, daß es sich um eine Niederschrift des Iu, das ist der U-Bootreferent der Seekriegsleitung, handelt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wer war das?

WAGNER: Dies war der Kapitänleutnant Fresdorf, der mir unterstand.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Entsprachen diese Erwägungen dem wirklichen Sachverhalt, und wurden sie von der Seekriegsleitung gebilligt, oder was hatte es mit ihnen für eine Bewandtnis?

WAGNER: Es handelt sich hier um die etwas romantischen Ideen eines jungen Referenten, die keineswegs der Lage entsprachen. Die Lage war vielmehr folgende: Zu dieser Zeit, also im September 1939, wurde die zweite Welle des englischen Expeditionskorps von England nach Frankreich überführt. Die Transporte liefen überwiegend bei Nacht und abgeblendet. Zu dieser Zeit bestand gleichzeitig noch aus politischen Gründen der Befehl, französische Schiffe weder anzuhalten noch anzugreifen.

Es liegt auf der Hand, daß man bei Nacht ein abgeblendetes französisches Schiff nicht von einem abgeblendeten englischen Schiff unterscheiden kann, genau wie man ein Handelsschiff auch von einem Kriegsschiff bei Nacht nicht oder schwer unterscheiden kann.

Diese Befehle bedeuten also, daß praktisch zur Vermeidung von Verwechslungen man bei Nacht überhaupt nicht schießen konnte und deswegen der englische Truppenverkehr vollkommen ungefährdet liegt. Dies führte zu ganz grotesken Situationen. So wurde festgestellt, daß ein deutsches U-Boot mit guter Angriffsposition einen vollgeladenen englischen Truppentransporter mit 20000 Tonnen hatte passieren lassen, weil eine Verwechslung möglich schien. Die Seekriegsleitung gab dem Führer der Unterseeboote vollkommen darin recht, daß man auf diese Weise keinen Seekrieg führen kann. Wenn sich ein abgeblendetes Schiff im Kriegsgebiet befindet, noch dazu in einem Gebiet, in dem ein starker Truppen- und Nachschubverkehr läuft, so macht es sich verdächtig und kann nicht erwarten, daß seinetwegen der Krieg bei Nacht eingestellt wird.

Es handelte sich also keineswegs um die Frage, daß wir die warnungslose Versenkung eines solchen Schiffes damit erklären oder entschuldigen müßten, daß wir es verwechselt hätten, sondern es handelt sich um die klare Situation, daß das abgeblendete Schiff selbst schuld daran ist, wenn es verwechselt und warnungslos versenkt wird.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: In dem Vermerk ist ausgeführt, daß die U-Bootskommandanten bei warnungsloser Versenkung eines Handelsschiffes im Logbuch angeben sollten, sie hätten es für ein Kriegsschiff gehalten und daß ein entsprechender Befehl an die U-Bootskommandanten mündlich gegeben werden solle.

Ist dieser Gedanke richtig und ist er verwirklicht worden?

WAGNER: Nein, so etwas gab es bei uns überhaupt nicht.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist dem Führer der Unterseeboote klipp und klar befohlen worden, daß er im Kanal bei Nacht abgeblendete Schiffe warnungslos angreifen lassen darf?

WAGNER: Jawohl, dieser klare Befehl wurde erteilt und weiter nichts.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wenn diese Erwägungen des jungen Offiziers nun nicht richtig sind und auch nicht entsprechende Befehle ergingen, woher kommt es, daß sie im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung erscheinen?

WAGNER: Dieses Papier bildet keinen unmittelbaren Teil des Kriegstagebuches der Seekriegsleitung. Das Kriegstagebuch selbst, in dem die täglichen Ereignisse niedergelegt wurden, wurde von dem Bearbeiter, von mir, vom Chef des Stabes der Seekriegsleitung und vom Oberbefehlshaber der Kriegsmarine unterzeichnet. Hier handelt es sich um die Niederschrift des Referenten, die zu einer Aktensammlung gegeben worden ist und die als Anlage des Kriegstagebuches bezeichnet wurde.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das heißt also, daß Überlegungen von Sachbearbeitern als Anlagen gesammelt wurden, ohne Rücksicht darauf, ob sie gebilligt wurden und ob sie verwirklicht wurden?

WAGNER: Jawohl. Alle diese Unterlagen wurden für spätere Auswertung gesammelt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Kannte die Seekriegsleitung die Vorfälle, die sich nach der Versenkung der »Laconia« abspielten, und billigte sie die vom Befehlshaber der Unterseeboote getroffenen Maßnahmen?

WAGNER: Die Seekriegsleitung hat, wie immer, den ganzen Funkverkehr des Befehlshabers der Unterseeboote im »Laconia«-Fall mitgehört. Sie billigte seine Maßnahmen, sie hätte sich allerdings nicht gewundert, wenn der Befehlshaber der Unterseeboote die ganze Rettungsaktion bereits bei dem ersten Luftangriff auf das U-Boot abgebrochen hätte.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War der Seekriegsleitung der Befehl des Befehlshabers der Unterseeboote vom 17. September bekannt, in dem er das Retten durch Unterseeboote grundsätzlich verbot?

WAGNER: Auch dieser Befehl ist als Funkspruch des Befehlshabers der U-Boote abgehört worden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde der Befehl in der Seekriegsleitung dahin verstanden, daß er eine Anordnung zum Abschießen Schiffbrüchiger bedeutet?

WAGNER: Nein, auf diese Idee ist kein Mensch gekommen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich möchte an dieser Stelle dem Zeugen gern einige Fragen stellen, die mit der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Zeugen Heisig zusammenhängen. Ich möchte aber vorher fragen, ob gegen solche Fragen an den Zeugen Bedenken bestehen, weil mir ja meine Urkunden über den Zeugen Heisig gestrichen worden sind als nicht zulässig.

VORSITZENDER: Wäre der Zweck der Fragen, die Sie an diesen Zeugen stellen wollten, zu zeigen, daß der Zeuge Heisig jemand sei, dessen Eid man nicht glauben könne? War das Ihr Ziel?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das allgemeine Ziel ist zu zeigen, wie die Aussagen des Zeugen Heisig zustandegekommen sind. Es ist dies die Aussage, die hier dem Gericht vorgelegt worden ist.

VORSITZENDER: Was meinen Sie mit »zustandegekommen«?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das soll heißen, auf Grund welcher Einflußnahme auf den Zeugen Heisig diese Aussage zustandegekommen ist.

VORSITZENDER: Wie lautet nun genau die Frage, die Sie stellen wollten? Sie können die Frage stellen, und wir werden den Zeugen warten lassen, bis wir sehen, wie die Frage lautet.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich möchte den Zeugen fragen: Hat Ihnen der Zeuge Heisig berichtet über die Art und Weise, wie seine eidesstattliche Erklärung zustandegekommen ist, die dem Gericht hier als Beweismittel von der Anklage vorgelegt wurde?

VORSITZENDER: Die Frage, die Sie stellen, lautet also, so wie ich sie hier notiert habe: Was hat der Zeuge Heisig Ihnen gesagt über die Art und Weise, auf welche sein Affidavit zustandegekommen ist? Ist das die Frage?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Jawohl, jawohl.

VORSITZENDER: Was wollen Sie damit beweisen, mit der Meldung, die Heisig diesem Zeugen erstattet haben könnte?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich möchte damit beweisen, Herr Präsident, daß Heisig unter einem gewissen Einfluß stand, und zwar in der Richtung, daß er zu Unrecht annahm, er könne mit seiner Aussage einem Kameraden helfen.

VORSITZENDER: Wer hat das Affidavit von Heisig beantragt?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe nicht verstanden, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Heisig hat doch ein Affidavit abgegeben?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja.

VORSITZENDER: Das war doch für die Anklage, nicht wahr?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja, das stimmt.

VORSITZENDER: Und Sie baten, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe ihn über dieses Affidavit befragt, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Sie haben das gemacht?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe ihn befragt, jawohl. Ich habe ihm auch vorgehalten die Widersprüche zwischen seinem Affidavit und zwischen seinen Aussagen hier vor Gericht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Ich habe das Protokoll in dieser Angelegenheit seit ungefähr zehn Tagen nicht gelesen. Ich habe es aber seinerzeit gelesen, und wenn ich mich richtig erinnere, so ist dem Zeugen Heisig niemals vorgehalten worden, daß er sein Affidavit unter Druck abgegeben habe, was wohl jetzt behauptet werden soll. Euer Lordschaft werden sich entsinnen, daß, obwohl wir das Affidavit besaßen, wir doch den Zeugen Heisig geladen haben. Er sagte aus, daß der Inhalt seines Affidavits wahr sei, und dann hat er in allen Einzelheiten über alle erheblichen Fragen Zeugnis abgelegt. Und dann haben wir es Dr. Kranzbühler ermöglicht, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen, um alle Widersprüche zwischen Affidavit und mündlichem Zeugnis klarzulegen, ganz wie Dr. Kranzbühler eben sagte, daß er jetzt beabsichtige.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler hat, glaube ich, eben gesagt, daß er ihn auch tatsächlich ins Kreuzverhör genommen hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er hat ihn über diesen Punkt kreuzverhört, über die Unterschiede zwischen dem Affidavit und der mündlichen Aussage. Aber er war hier, um einem Kreuzverhör unterzogen zu werden, und wenn nun behauptet wird, daß das Affidavit durch unzulässige Maßnahmen erhalten worden ist, hätte diese Behauptung damals schon aufgestellt werden müssen, und dann hätte das auch behandelt werden können.

Mylord! Ich erhebe Einspruch dagegen, die Sache zu diesem Zeitpunkt zu erörtern, nachdem der Zeuge Heisig nicht mehr hier ist und daher keine Möglichkeit besteht, weder die Sache zu untersuchen noch die Beweismittel zu beschaffen. Das hätte getan werden können, als Heisig aussagte; und dann wären wir jetzt vorbereitet auf eventuelle Gegenbeweise.

Mylord! Genau gesprochen, wenn ich so sagen darf, handelt es sich hier deutlich um zwei verschiedene Dinge. Wenn es sich um die Frage handelte, ob die Aussagen Heisigs zulässig sind oder ob sie unter Druck gemacht wurden, dann wäre es durchaus möglich, diesen Prozeß im Prozesse über die Zulässigkeit abzuhalten.

Falls es sich aber nur um die Glaubwürdigkeit der Aussagen Heisigs handelt, so gilt hier derselbe Einspruch, den ich am Samstag gegen die allgemeine Beweisaufnahme über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen erhoben habe.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß behauptet wird, daß ein Druck von der Anklagebehörde auf Heisig ausgeübt wurde. Ich verstehe nicht; das behaupten Sie, Dr. Kranzbühler, nicht wahr?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Nein, keinen Druck, sondern eine unzutreffende Vorstellung bei dem Zeugen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Dr. Kranzbühler so verstanden – falls ich ihn mißverstanden habe, um so besser – ich habe verstanden, daß er sagte, daß er diesen Beweis wegen einer bestimmten Beeinflussung liefern wollte. Das war, glaube ich, das Wort, welches er gebrauchte.

VORSITZENDER: Ich glaube, er meinte nicht eine Beeinflussung seitens der Anklagebehörde, sondern eine Beeinflussung durch eine falsche Vorstellung des Zeugen, damit einem Kameraden helfen zu können.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ach so; dann, Mylord, betrifft es nur die Glaubwürdigkeit und fällt daher unter meinen allgemeinen Einspruch, das heißt, wenn wir Beweise aufnehmen wollen über Glaubwürdigkeit, dann geht es ad infinitum.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Der Gerichtshof wird diese Frage in diesem besonderen Fall zulassen, aber das ist keine allgemeine Regel über die Zulässigkeit solcher Fragen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Danke sehr, Herr Präsident.