[Zum Zeugen gewandt:]
Gab es in der Marine irgendeinen Befehl oder irgendeinen Wunsch, Kommunisten planmäßig und unauffällig umzubringen?
WAGNER: Nein, einen solchen Befehl oder Plan gab es nicht. Es war selbstverständlich eine größere Zahl von Kommunisten auch innerhalb der Kriegsmarine. Das war jedem Vorgesetzten bekannt, und diese Kommunisten haben in ihrer erdrückenden Mehrheit genau so ihre Pflicht als Deutsche getan wie jeder andere Deutsche im Krieg.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die Anklage wirft Admiral Dönitz vor, daß er noch im Frühjahr 1945 ein zähes Durchhalten gepredigt habe, und zwar wertet sie das als Beweis dafür, daß er ein fanatischer Nazi war. Wurde das von Ihnen, und wurde das überhaupt in der Masse der Kriegsmarine so gesehen?
WAGNER: Nein. Die Einstellung des Großadmirals wurde nicht als politischer Fanatismus angesehen, sondern als selbstverständliche soldatische Pflichterfüllung bis zum letzten, und ich bin der Überzeugung, daß dies der Auffassung der überwiegenden Mehrheit der gesamten Kriegsmarine, sowohl der Offiziere wie der Unteroffiziere wie der Mannschaften entsprochen hat.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen, Herr Präsident.
VORSITZENDER: Wünscht einer der anderen Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. SIEMERS: Admiral Wagner! Sie haben bereits Ihre Stellungen kurz skizziert. Ich möchte in Ergänzung nur gerne noch ganz klar festhalten, wer in der Seekriegsleitung an führender Stelle unter Großadmiral Raeder arbeitete, und zwar in den entscheidenden Jahren vor dem Krieg und während des Krieges. Wer war Chef des Stabes in den letzten Jahren, in den zwei letzten Jahren vor dem Krieg und zu Beginn des Krieges?
WAGNER: Chef des Stabes der Seekriegsleitung war von 1938 bis 1941 der Admiral Schniewind, von 1941 bis zum Rücktritt – über den Rücktritt des Großadmirals Raeder hinaus, Admiral Fricke.
DR. SIEMERS: Das waren also die beiden Offiziere, die unter Großadmiral Raeder in der Seekriegsleitung die höchsten Posten hatten?
WAGNER: Das waren die unmittelbaren Berater des Großadmirals.
DR. SIEMERS: Und die Seekriegsleitung hatte mehrere Abteilungen?
WAGNER: Ja, sie bestand aus mehreren Abteilungen, die mit laufenden Nummern bezeichnet waren.
DR. SIEMERS: Welche war davon die wichtigste Abteilung?
WAGNER: Die wichtigste Abteilung der Seekriegsleitung war die Operationsabteilung, die die laufende Nummer 1 hatte.
DR. SIEMERS: Und die übrigen Abteilungen, 2, 3, womit beschäftigen sich diese?
WAGNER: Das war die Abteilung für Nachrichtenverbindungen und die Abteilung für Nachrichtenbeschaffung.
DR. SIEMERS: Wer leitete als Chef die Operationsabteilung?
WAGNER: Von 1937 bis 1941 Admiral Fricke. Von 1941 bis über den Rücktritt des Großadmirals Raeder hinaus war ich der Abteilungschef.
DR. SIEMERS: Sie haben also viele Jahre lang unter Großadmiral Raeder gearbeitet. Und ich bitte Sie, zunächst kurz etwas über die grundsätzliche Einstellung Raeders aus der Zeit Ihrer Tätigkeit in der Seekriegsleitung zu sagen?
WAGNER: Unter Führung des Großadmirals Raeder war die Kriegsmarine eingestellt auf eine friedliche Entwicklung im Einvernehmen mit England. Fragen der Schiffstypen, der Ausbildung und der taktischen Schulung standen im Vordergrund. Von Angriffskriegen hat Großadmiral Raeder bei keiner Besprechung, der ich beigewohnt habe, etwas geäußert. Auch hat er niemals in dieser Richtung irgendwelche Vorarbeiten von uns verlangt.
DR. SIEMERS: Erinnern Sie sich, daß Raeder im Jahre 1940 und im Jahre 1941 sich ausdrücklich gegen einen Krieg mit Rußland ausgesprochen hat?
WAGNER: Ja. Er war ganz scharf gegen einen Krieg mit Rußland eingestellt, und zwar aus doppelten Gründen. Einmal hielt er den Bruch des Freundschaftsvertrages mit Rußland für unzulässig und falsch. Zum zweiten war er aus strategischen Gründen der Überzeugung, daß wir unsere gesamten Kräfte gegen England zusammenfassen müßten.
Als sich im Herbst 1940 herausstellte, daß die Invasion nach England nicht durchführbar war, hat sich der Großadmiral für eine Mittelmeer-Strategie eingesetzt, um hier gegen die englische Einkreisungspolitik eine Bresche offenzuhalten.
DR. SIEMERS: Die Marine hatte verhältnismäßig viel mit Rußland während der Zeit der Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland zu tun durch Lieferungen. Ist in der Beziehung immer alles gut und glatt abgewickelt, soweit Sie orientiert sind?
WAGNER: Ja. Mir ist bekannt, daß eine große Zahl von Lieferungen aus dem Bereich der Kriegsmarine an Rußland gegeben wurden; zum Beispiel nicht fertiggestellte Schiffe, schwere Geschütze und anderes Kriegsmaterial.
DR. SIEMERS: Und die Marine hat sich auch immer bemüht, auf diesem vertragsfreundlichen Standpunkt stehenzubleiben?
WAGNER: Jawohl. Das war die Auffassung des Großadmirals.
DR. SIEMERS: Herr Admiral! Die Anklagebehörde hat Raeder vorgeworfen, daß er sich niemals um völkerrechtliche Bestimmungen gekümmert hätte und grundsätzlich völkerrechtliche Verträge gebrochen hätte, wenn es irgendwie praktisch gewesen sei. Können Sie dazu generell etwas sagen über die Einstellung von Raeder?
WAGNER: Ja. Das ist völlig falsch. Großadmiral Raeder legte großen Wert darauf, daß jede einzelne Seekriegsmaßnahme auch nach der völkerrechtlichen Seite hin geprüft wurde. Zu diesem Zweck hatten wir ja extra einen Völkerrechts-Referenten in der Seekriegsleitung, mit dem wir Operations-Referenten täglich zusammengearbeitet haben.
DR. SIEMERS: Die Anklagebehörde hat des weiteren Raeder vorgeworfen, daß er zu einem Krieg gegen USA geraten habe und versucht habe, Japan zu einem Kriege gegen USA zu veranlassen. Darf ich Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen?
WAGNER: Ich halte diesen Vorwurf für völlig unberechtigt. Mir ist bekannt, daß der Großadmiral besonderen Wert darauf legte, daß alle Seekriegsmaßnahmen gerade im kritischen Jahr 1941 genauestens daraufhin geprüft wurden, welche Auswirkungen sie auf die USA haben konnten. Er hat sogar auf eine ganze Reihe von militärisch berechtigten Maßnahmen verzichtet, um Zwischenfälle mit den USA zu vermeiden. So hat er im Sommer 1941 aus einem weiten Seeraum vor den Küsten der USA die U-Boote zurückgezogen, obgleich dieser Seeraum ohne weiteres als freies Meer anzusprechen war. Er hat eine bereits angelaufene Minen-Unternehmung gegen den britischen Hafen Halifax in Kanada verboten, um auf alle Fälle zu vermeiden, daß möglicherweise ein USA-Schiff auf diese Minen laufen könnte. Er hat schließlich den Angriff auch auf englische Zerstörer im Nordatlantik verboten, weil auf Grund der Abgabe von 50 amerikanischen Zerstörern an England eine Verwechslungsgefahr zwischen englischen und amerikanischen Zerstörern gegeben war. Und dies alles zu einem Zeitpunkt, als die Vereinigten Staaten mitten im Frieden Island besetzt hatten; als sie britische Kriegsschiffe in Werften der Vereinigten Staaten reparierten; als die amerikanischen Seestreitkräfte Befehl hatten, alle deutschen Einheiten der britischen Flotte zu melden; und als schließlich der Präsident Roosevelt im Juli 1941 seinen Streitkräften Befehl gegeben hatte, deutsche U- Boote, die sie sichteten, anzugreifen.
DR. SIEMERS: Hat Großadmiral Raeder jemals in der Seekriegsleitung die Äußerung getan, daß ein Krieg mit Amerika unbedenklich sei, und daß etwa die Flotte oder die amerikanischen U-Boote nichts taugen?
WAGNER: Nein. Derartige Äußerungen hätte Großadmiral Raeder als Fachmann nie getan.
DR. SIEMERS: Hat Raeder nicht eher im Gegenteil ausdrücklich davon gesprochen, wie stark die amerikanische Flotte sei, und daß man nicht gleichzeitig gegen England und Amerika, gegen zwei so große Seemächte kämpfen soll?
WAGNER: Ja. Es war ihm und uns vollkommen klar, daß der Eintritt Amerikas in den Krieg eine außerordentlich große Verstärkung der feindlichen Kraft bedeutete.
DR. SIEMERS: Herr Admiral! Nun hat Großadmiral Raeder aber einmal in seinem Kriegstagebuch vorgeschlagen, daß Japan Singapur angreifen müßte. Ist im Zusammenhang damit irgendwie in der Seekriegsleitung auch von Pearl Harbor gesprochen worden?
WAGNER: Nein, keineswegs. Der Überfall der Japaner auf Pearl Harbor war sowohl für den Großadmiral wie für die Seekriegsleitung und meines Erachtens auch für alle anderen deutschen Stellen eine völlige Überraschung.
DR. SIEMERS: Bestanden denn keine ständigen marine-militärischen Besprechungen und Unterhaltungen zwischen Japan und Deutschland?
WAGNER: Nein. Vor dem Kriegseintritt Japans haben Besprechungen militärischer Art nach meiner Überzeugung nicht stattgefunden.
DR. SIEMERS: Ich möchte Ihnen jetzt die Urkunde C-41 vorlegen.
Herr Präsident! Es handelt sich um die Nummer GB-96. Sie wird später von der Britischen Delegation in dem Dokumentenbuch 10a für Raeder vorgelegt. Ich weiß nicht, ob sie jetzt schon dem Gericht vorliegt. In dem Anklagebuch gegen Raeder ist sie noch nicht enthalten. In dem neu zusammengestellten Dokumentenbuch 10a ist sie auf der Seite 18.
VORSITZENDER: Wenn Sie wünschen, können Sie sie jetzt vorlegen. Sie können sie jetzt als Beweismittel vorlegen, wenn Sie wollen. Sie können sie also dem Zeugen vorlegen.
DR. SIEMERS: Die Anklagebehörde hat es vorgelegt, ja.
VORSITZENDER: Gut.
DR. SIEMERS: Es handelt sich um eine Schrift, von Admiral Fricke unterzeichnet. Sie stammt vom 3. Juni 1940 und hat die Überschrift »Raumerweiterungs- und Stützpunktfragen«. In dieser Schrift sind sehr weitgehende Ausführungen über Zukunftspläne gemacht.