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[Keine Antwort.]

Die Anklagevertretung kann mit dem Kreuzverhör beginnen.

OBERST H. J. PHILLIMORE, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Bezüglich der Fragen, die von Dr. Siemers gestellt wurden, werde ich bis zum Kreuzverhör des Angeklagten Raeder warten, um eine Wiederholung zu vermeiden.

[Zum Zeugen gewandt:]

Wie ich der Aussage des Angeklagten Dönitz und Ihrer Aussage entnehme, wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß sich die deutsche Marine bezüglich der Behandlung von neutralen Handelsschiffen nichts vorzuwerfen hat. Stimmt das?

WAGNER: Ja.

OBERST PHILLIMORE: Und der Angeklagte hat auch gesagt, daß die deutsche Marine gewissenhaft die Befehle über die Haltung gegenüber der neutralen Schiffahrt befolgt hat und daß die Neutralen vorher gewarnt worden sind, was sie zu tun und zu lassen hatten. Ist das richtig?

WAGNER: Ja.

OBERST PHILLIMORE: Weiterhin sagte Admiral Dönitz, eine Täuschung neutraler Regierungen wäre gar nicht in Frage gekommen. Diese wären regelrecht verwarnt worden, und es wurde ihnen gesagt, was ihre Schiffe nicht tun dürften. Das stimmt doch?

WAGNER: Ja.

OBERST PHILLIMORE: Ich will Sie nur an die Schritte erinnern, die bezüglich der Neutralen unternommen wurden, wie man sie aus den Dokumenten der Verteidigung ersehen kann.

Zuerst wurden einmal am 3. September Befehle erlassen, alle allgemein anerkannten Neutralitätsvorschriften und alle völkerrechtlichen Abkommen wären strengstens einzuhalten.

Euer Lordschaft! Das ist D-55 auf Seite 139.

VORSITZENDER: Im britischen Dokumentenbuch?

OBERST PHILLIMORE: Nein, in dem Verteidigungs-Dokumentenbuch Dönitz 55.

[Zum Zeugen gewandt:]

Und dann erhielten die neutralen Staaten am 28. September eine Warnung, jede verdächtige Bewegung wie Kursänderung, Zickzack und so weiter zu vermeiden. Das ist Dönitz 61, Seite 150.

Am 19. Oktober wurde diese Warnung wiederholt, und es wurde den neutralen Staaten nahegelegt, Geleitschutz abzulehnen. Das ist Dönitz 62, auf Seite 153. Am 22. Oktober ist diese Warnung wiederholt worden. Das ist Dönitz 62 auf Seite 162. Und am 24. November wurde den neutralen Staaten mitgeteilt, daß die Sicherheit ihrer Schiffe in den Gewässern um die britischen Inseln und in der Nähe der französischen Küste nicht mehr gewährleistet werden kann. Das ist in Dönitz 73 auf Seite 206. Und dann vom 6. Januar an hat man gewisse Zonen zu Gefahrenzonen erklärt. Das stimmt doch, nicht wahr?

WAGNER: Nein. Man hat am 24, November eine allgemeine Warnung erlassen, daß die gesamte USA.- Kampfzone als gefährdet anzusehen sei. Die Einzelgebiete, die vom Januar ab als Operationsgebiete ausgenutzt wurden, sind nicht der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden, da sie im Rahmen dieser ersten Warnung sich hielten. Und sie dienten nur dem internen Gebrauch innerhalb der Kriegsmarine.

OBERST PHILLIMORE: Das ist eben das, was ich klarstellen wollte. Die Zonen, die vom 6. Januar an als gefährdet erklärt wurden, waren nicht veröffentlicht. Das stimmt, nicht wahr?

WAGNER: Jawohl. Die Neutralen sind am 24. November gewarnt worden, daß alle diese Gebiete, die ab Januar einzeln als Operationsgebiete erklärt wurden, für die Schiffahrt gefährlich seien.

OBERST PHILLIMORE: Aber, als Sie vom 6. Januar an bestimmte Zonen festlegten, wurden keine weiteren Warnungen mehr gegeben. Nicht wahr?

WAGNER: Das ist richtig, wir haben nach der allgemeinen Warnung keine Einzelwarnungen von Teilen dieses Gebietes mehr erlassen.

OBERST PHILLIMORE: Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß diese Warnungen und die Tatsache, daß Sie eine riesige Gefahrenzone erklärt hatten, Sie zum Versenken von neutralen Schiffen ohne Warnung berechtigten?

WAGNER: Jawohl! Ich bin der Auffassung, daß in diesem Gebiet, das sowohl von uns, als vorher von den Vereinigten Staaten von Nordamerika, als für die Schiffahrt gefährlich angesehen wurde, eine Rücksicht auf Neutrale nicht mehr erforderlich war.

OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie damit sagen, daß alle neutralen Regierungen vom 24. November an verwarnt wurden, daß ihre Schiffe ohne Warnung versenkt würden, wenn sie irgendwie in diese Zone hineinkämen?

WAGNER: Ich will sagen, daß am 24. November sämtlichen neutralen Regierungen offiziell mitgeteilt worden ist, daß die gesamte USA-Zone als gefährdet anzusehen sei und daß das Deutsche Reich keinerlei Verantwortung für Verluste bei Kampfhandlungen in diesem Gebiet übernehmen könne.

OBERST PHILLIMORE: Das ist eine ganz andere Sache. Wir wollen hier keine Irrtümer unterlaufen lassen. Behaupten Sie, daß Sie nach dieser Warnung überall in jener Zone neutrale Schiffe versenken konnten, versenken ohne Warnung?

WAGNER: Ich habe die letzten Worte nicht ganz verstanden.

OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie damit sagen, daß Sie neutrale Schiffe überall in dieser Zone vom 24. November ab ohne Warnung versenken konnten?

WAGNER: Ich bin der Auffassung, daß wir berechtigt waren, von diesem Zeitpunkt ab auf die neutrale Schiffahrt keine Rücksicht nehmen zu brauchen. Jede Ausnahme, die wir unseren U-Booten befohlen hätten, würde bedeutet haben, daß sie auch feindliche Schiffe nicht ohne weiteres versenken konnten.

OBERST PHILLIMORE: Es handelt sich hier nicht um irgendwelche besondere Rücksichtnahme. Sagen Sie, daß Sie berechtigt waren, irgendein neutrales Schiff zu versenken, es absichtlich zu versenken, ganz gleich, ob Sie es als neutral erkannten oder nicht?

VORSITZENDER: Das können Sie doch mit Ja oder Nein beantworten.

WAGNER: Ja, ich bin der Auffassung.

OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie mir sagen, wie sich das mit den Regeln der U-Bootkriegführung deckt?

WAGNER: Zu einer rechtlichen Auseinandersetzung für die Frage fühle ich mich nicht zuständig, weil das Sache der Völkerrechtler ist.

OBERST PHILLIMORE: Das haben Sie aber doch tatsächlich getan, nicht? Sie haben neutrale Schiffe auf Sicht ohne jedwede Warnung irgendwo in dieser Zone versenkt?

WAGNER: Jawohl, nicht irgendwo in dieser Zone, sondern in den von uns festgesetzten Operationsgebieten haben wir neutrale Schiffe...

OBERST PHILLIMORE: Aber wo Sie nur konnten, wo Sie nur konnten, nicht wahr?

WAGNER: In den von uns festgesetzten Operationsgebieten haben wir neutrale Schiffe warnungslos versenkt, weil wir der Auffassung sind, daß es sich hier um gesicherte Seeräume unter der feindlichen Küste handelt, die als freie See nicht mehr angesprochen werden können.

OBERST PHILLIMORE: Und Sie beschlossen gleich am Anfang des Krieges, so vorzugehen? Stimmt das nicht? Das beschlossen Sie doch?

WAGNER: Von Anfang des Krieges an waren wir entschlossen, uns strikt an das Londoner Protokoll zu halten.

OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie sich die Urkunde ansehen, die gestern vorgelegt wurde?

Euer Lordschaft! Das ist D-851, es wurde eingereicht als GB-451. Es ist ein Memorandum vom 3. September.

VORSITZENDER: Wo ist es?

OBERST PHILLIMORE: Euer Lordschaft! Es ist das einzige neue Dokument, das von Sir David Maxwell- Fyfe beim Kreuzverhör vorgelegt wurde.