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VORSITZENDER: Bevor Dr. Kranzbühler mit seinem Rückverhör beginnt, werde ich die Entscheidungen des Gerichtshofs über die verschiedenen Gesuche bekanntgeben, die in den letzten Tagen dem Gerichtshof eingereicht worden sind.

Das erste Gesuch, im Namen des Angeklagten von Schirach, war auf Vorladung des Zeugen Hans Marsalek zum Kreuzverhör; dieses Gesuch wird bewilligt.

Das zweite Gesuch war um einen Fragebogen an einen Zeugen Kauffmann, und es wird bewilligt.

Das nächste war ein Gesuch für den Angeklagten Heß um fünf Dokumente. Der Gerichtshof entscheidet hierüber: Zwei dieser Dokumente, die in Dr. Seidls Gesuch unter B und D angeführt sind, sind bereits im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden. Eines dieser Dokumente liegt bereits als Beweisstück vor. Sie werden daher zugelassen.

Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die in Dr. Seidls Gesuch unter C und E angeführten Dokumente nicht genügend sind und keinen Beweiswert haben. Da es aus Dr. Seidls Antrag und den darin enthaltenen Ausführungen nicht hervorgeht, daß die angeblichen Abschriften wirklich Abschriften von Originaldokumenten sind, wird dieser Teil des Gesuches abgewiesen. Dr. Seidl erhält jedoch Erlaubnis, ein weiteres Affidavit von Gaus zu unterbreiten, worin dieser das wiedergibt, was seiner Erinnerung nach in den angeblichen Abkommen stand.

Das Gesuch für den Angeklagten Funk um ein Affidavit eines Zeugen namens Kallus wird bewilligt.

Das Gesuch für den Angeklagten Streicher wird abgelehnt.

Das Gesuch für den Angeklagten Sauckel, erstens um einen Zeugen namens Biedermann und zweitens um vier Dokumente wird auch bewilligt.

Dem Gesuch für den Angeklagten Seyß-Inquart betreff eines Fragebogens an Dr. Stuckart wird stattgegeben.

Dem Gesuch für den Angeklagten Frick um einen Fragebogen an einen Zeugen Dr. Conrad wird stattgegeben.

Dem Gesuch für den Angeklagten Göring um zwei Zeugen wird in dem Sinne stattgegeben, daß die Zeugen in Bereitschaft gehalten werden.

Das Gesuch für die Angeklagten Heß und Frank um amtliche Auskunft vom Kriegsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika wird abgelehnt.

Das ist alles.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich möchte Ihnen noch eine Frage zu dem Kommandobefehl stellen.

War die Seekriegsleitung an der Entstehung dieses Befehls in irgendeiner Form beteiligt?

WAGNER: Nein, in keiner Weise.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hatten Sie also die Möglichkeit, in der Seekriegsleitung vor oder bei der Entstehung des Befehls zu prüfen, ob die Unterlagen auch stimmten, die in der Ziffer 1 dieses Befehls verwertet waren?

WAGNER: Nein, eine solche Möglichkeit lag nicht vor.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hier ist eben gesprochen worden von der Behandlung eines Mannes, der in einem Zwei-Mann-Torpedo einen Angriff auf den »Tirpitz« gemacht hatte, und zwar im Oktober 1942. Ist es Ihnen bekannt, daß ein Jahr später, im Herbst 1943, ein erneuter Angriff mit Zwei- Mann-Torpedos auf den »Tirpitz« gemacht wurde, und daß die dabei gefangengenommenen britischen Seeleute von der Marine, die sie gefangengenommen hat, nach der Genfer Konvention behandelt wurden?

WAGNER: Mir ist der zweite Angriff auf den »Tirpitz« bekannt, an die Behandlung der Gefangenen erinnere ich mich nicht.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sprachen davon, daß die Seekriegsleitung möglicherweise Berichte erhalten hat über die Aussagen von Mannschaften, die an Kommandotrupps beteiligt waren. Worauf kam es der Seekriegsleitung bei diesen Berichten an? Auf die operativen Fragen oder auf die Frage, was personell mit diesen Menschen geschah?

WAGNER: Es kam uns selbstverständlich auf die taktischen und operativen Fragen an, damit wir unsere Erfahrungen sammeln und unsere Folgerungen daraus ziehen konnten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Können Sie sich an irgendeinen konkreten Fall, wo Sie einen solchen Bericht gesehen haben mögen, noch erinnern?

WAGNER: Nein.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ihnen ist hier eben ein Dokument über die Behandlungen eines Kommandotrupps gezeigt worden, der in einem norwegischen Fjord gefangengenommen war. Das hat die Nummer 526-PS. Haben Sie die Urkunde noch da?

WAGNER: Hier liegen noch einige Urkunden; ich halte es für möglich.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Bitte sehen Sie sich diese Urkunde einmal an.

WAGNER: Darf ich noch einmal um die Nummer der Urkunde bitten?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die Nummer 526-PS und auf der vierten Seite des Bündels, das ich hier von der Anklagebehörde bekommen habe. Finden Sie die fragliche Stelle? Haben Sie diese Urkunde?

WAGNER: Nein, noch nicht. Sagten Sie 526?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: 526-PS, ja. Ich lasse Ihnen die Urkunde geben.

Sie sehen darin im dritten Absatz den Hinweis darauf, daß dieser Trupp tausend Kilogramm Sprengstoff bei sich hatte. Ist das richtig?

WAGNER: Ja.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie die Frage verstanden?

WAGNER: Ich habe geantwortet »Ja«.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Verzeihung, ich habe es nicht gehört.

Sie sehen im 5. Absatz als Ziel dieses Trupps Sabotageaufgaben an Stützpunkten, Batteriestellungen, Truppenunterkünften und Brücken und die Aufstellung entsprechender Organisationen zur Begehung von Sabotage. Ist es richtig?

WAGNER: Ja.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben diese Aufgaben irgend etwas mit der Marine zu tun?

WAGNER: Nein.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sehen Sie aus dem ganzen Dokument irgendeinen Anhaltspunkt dafür, daß die Marine mit dem Aufbringen dieses Trupps oder mit seiner weiteren Behandlung in irgendeiner Form beschäftigt gewesen ist?

WAGNER: Nein, in dem Schreiben befindet sich kein derartiger Hinweis.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sind heute morgen gefragt worden nach dem Fall der »Monte Gorbea«. Im Zusammenhang mit der Anordnung eines Kriegsgerichts gegen den Kommandanten hat der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Raeder, damals einen Funkspruch an die Kommandanten gerichtet. Der Funkspruch ist abgedruckt unter Dönitz 78 im Urkundenbuch, Band 4, Seite 230. Ich lese Ihnen den Funkspruch vor:

»Der ObdM hat persönlich und ausdrücklich erneut befohlen, daß alle U-Bootkommandanten die Befehle über die Behandlung neutraler Schiffe genauestens einzuhalten haben. Übertretung dieser Befehle hat unübersehbare politische Auswirkungen zur Folge. Dieser Befehl ist sämtlichen Kommandanten sofort bekanntzugeben.«

Sehen Sie in diesem Befehl irgendeine Beschränkung auf spanische Schiffe?

WAGNER: Nein, hier ist darüber nichts enthalten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich lasse Ihnen jetzt übergeben das gestern benützte Dokument D-807; das betrifft Noten an die Norwegische Regierung wegen der Versenkung einiger Dampfer. Bitte sagen Sie mir, ob sich aus diesem Dokument irgendwelche Anhaltspunkte dafür ergeben, ob diese dort entworfenen Schreiben des OKM wirklich abgegangen sind oder ob es sich um Entwürfe handelt, von denen man nicht feststellen kann, ob sie überhaupt abgegangen sind.

WAGNER: Da sich auf beiden Schreiben keinerlei Abzeichnung oder Unterschrift befindet, kann es sich hier um Entwürfe handeln. Ein Beweis, daß sie abgegangen sind, ist jedenfalls aus diesem Schreiben nicht ersichtlich.

VORSITZENDER: Haben Sie uns die Seite davon genannt?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das ist gestern überreicht worden, Herr Präsident. Es ist nicht in einem Urkundenbuch.

VORSITZENDER: Ja, richtig.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich lese Ihnen jetzt vor den ersten Satz aus einem anderen Dokument, das Ihnen gestern vorgehalten worden ist. Es hat die Nummer D-846 und betrifft eine Rücksprache zwischen dem Deutschen Gesandten in Dänemark, Renthe-Fink, vom 26. September 1939. Ich lese den ersten Satz vor:

»Versenkung schwedischer und finnischer Schiffe durch unsere U-Boote haben hier lebhafte Besorgnisse wegen der dänischen Lebensmitteltransporte nach England hervorgerufen.«

Sehen Sie in diesem Bericht irgendeinen Anhaltspunkt dafür, daß es sich hier um warnungslose Versenkungen handelt, oder handelt es sich um Versenkungen nach Prisenordnung, das heißt nach Aufbringung und Durchsuchung des Schiffes auf Bannware?

WAGNER: In dem eben verlesenen Satz steht nichts darüber darin, auf welche Weise die Schiffe versenkt worden sind. Soweit ich mich von gestern an das Dokument entsinne, enthält das ganze Dokument keinerlei Hinweis auf die Art der Versenkung, so daß als selbstverständlich angenommen werden muß, daß diese Schiffe nach der Prisenordnung versenkt worden sind.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sind gestern darnach gefragt worden, ob Sie die deutsche Note vom 24. November 1939 an die Neutralen für eine faire Warnung angesehen haben vor dem Befahren bestimmter Seegebiete. Diese Frage haben Sie bejaht. Ist das richtig?

WAGNER: Ja.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie wurden dann weiter gefragt, ob wir die Neutralen getäuscht hätten. Auf diese Frage haben Sie mit Nein geantwortet. Bezog sich diese Antwort mit Nein auf die vorangegangene Frage nach der Warnung vor bestimmten Seegebieten oder bezog sie sich auf alle denkbaren politischen Maßnahmen, die von der Deutschen Regierung getroffen werden konnten gegenüber neutralen Staaten zur Verschleierung unserer eigenen politischen Absichten?

WAGNER: Sie bezog sich aus dem ganzen Zusammenhang der Fragestellung heraus auf die vorhergehenden Fragen nach der rechtzeitigen Warnung der Neutralen vor allen unseren Seekriegsmaßnahmen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich möchte diesen Punkt ganz klarstellen. Besteht bei Ihnen irgendein Zweifel darüber, daß das Vorschützen von Minentreffern in den Operationsgebieten um die englische Küste nicht nur dem militärischen Zweck diente, die feindliche Abwehr zu täuschen, sondern auch dem politischen Zweck, die Art der eingesetzten Kampfmittel vor den Neutralen geheimzuhalten?

WAGNER: Jawohl. Dieser Doppelzweck wird von mir ausdrücklich bestätigt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Der doppelte Zweck der Geheimhaltung?

WAGNER: Ja.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Besteht bei Ihnen irgendein Zweifel, daß die Deutsche Regierung gegenüber neutralen Staaten dementiert hat, daß bestimmte Schiffe durch U-Boote versenkt seien, obwohl sie tatsächlich durch U-Boote versenkt waren?

WAGNER: Jawohl, beziehungsweise nein. Es besteht kein Zweifel bei mir, daß solche Maßnahmen erfolgten in der Form des Dementis, einer allgemeinen üblichen politischen Maßnahme, die nach ihrer Zweckmäßigkeit angewendet wird.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie haben gestern die Möglichkeit eingeräumt, daß Admiral Dönitz als Befehlshaber der U-Boote durch die Skl Kenntnis erhalten habe von der Erledigung politischer Zwischenfälle, die durch U-Boote entstanden waren. Können Sie nach sorgfältiger Prüfung Ihrer Erinnerung einen einzigen Fall nennen, in dem er wirklich von der Skl eine entsprechende Nachricht erhalten hat über die politische Erledigung?

WAGNER: Nein, ein solcher Fall ist mir nicht erinnerlich.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Sie haben die Grundlage des Kommandobefehls, soweit die Seekriegsleitung in Betracht kommt, geklärt durch Hinweis auf die klaren Behauptungen Hitlers, der gesagt hatte, er habe Befehle vorliegen, wonach Gefangene getötet werden sollen, feindliche Befehle. Im Zusammenhang mit diesem Kommandobefehl hat Colonel Phillimore ausführlich den Fall des britischen Matrosen Evans behandelt. Meines Erachtens ist dieser Fall nicht geklärt bisher. Colonel Phillimore sprach von einem Mord eines Soldaten. Ich glaube, daß sich die Anklage rein tatsächlich, trotz guten Wertes der Urkunden, irrt – überdies auch in rechtlicher Beziehung Ich bitte Sie, noch einmal die beiden Urkunden, Dokument D-864 – Herr Präsident, das ist GB-457, heute früh von Colonel Phillimore besprochen – zur Hand zu nehmen.

Haben Sie die Urkunde nicht mehr hier?

WAGNER: Ich habe keine Urkunde mehr hier.

DR. SIEMERS: Es handelt sich hier um ein Affidavit von Gerhard Flesch. Die Anklage hat Ihnen den Satz vorgelesen, daß der Kommandierende Admiral der norwegischen Nordküste den Evans selbst vernommen hat. Ergibt sich aus diesem Satz, Herr Admiral Wagner, daß Evans ein Gefangener der Marine war?

WAGNER: Nein.

DR. SIEMERS: Wie war es nach dem Affidavit von Flesch? Ich bitte Sie, das aufzuklären.

WAGNER: Nach dem zweiten Absatz dieses Affidavits muß Evans in Händen des SD gewesen sein.

DR. SIEMERS: Das ist richtig.

Ich darf hierzu ergänzen, Herr Präsident, daß zu Beginn des Affidavits Flesch auch erklärt, daß er Befehlshaber der Sicherheitspolizei ist. Die Sipo hatte Evans gefangengenommen, er war also Gefangener des SD.