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[Der Zeuge bekommt die Urkunde.]

In dem Ständigen Kriegsbefehl Nummer 101 ist über die Versenkung neutraler Handelsschiffe folgendes befohlen: Einmal im Blockadegebiet dürfen grundsätzlich alle neutralen Schiffe versenkt werden mit zwei wesentlichen Ausnahmen oder mit zwei generellen Ausnahmen:

Einmal: Es durften im Blockadegebiet nicht versenkt werden: Schiffe bestimmter neutraler Länder, mit denen wir bestimmte Schiffahrtswegabkommen geschlossen haben, soweit die Schiffe auf diesen Wegen fuhren. Und zweitens durften nicht versenkt werden: Schiffe einiger neutraler Staaten, von denen angenommen wurde, daß sie nicht ausschließlich im Feinddienst fuhren. Für die Versenkung außerhalb des Blockadegebiets galt, daß die neutralen Schiffe versenkt werden konnten, einmal, soweit sie nicht als neutrale erkennbar waren, also für das betreffende U- Boot als feindliche gelten mußten, und zweitens, wenn sie sich nicht neutral verhielten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Also zum Beispiel die im feindlichen Geleit fuhren?

GODT: Ja, zum Beispiel die im Geleit fuhren, wenn sie die Anwesenheit von U-Booten meldeten und so weiter, durch Funkspruch.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat diese Ziffer 2 nun die Bedeutung, daß die Kapitäne der neutralen Schiffe schlechter gestellt werden sollten als die Kapitäne der feindlichen Schiffe, oder sollten sie besser gestellt werden?

GODT: Es handelt sich hier nicht um besser oder schlechter stellen, sondern um die Gefangennahme; sie sollten nicht gefangengenommen werden, weil diese Gefangennahme nicht aufrechtzuerhalten war. Ob sie dabei besser oder schlechter gestellt waren, ist mindestens offen. Die Kapitäne feindlicher Schiffe versuchten meistens der Mitnahme auf einem U-Boot zu entgehen, weil sie sich in Rettungsbooten wahrscheinlich sicherer fühlten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Was ist Ihnen bekannt über die Befehle betreffend die Achtung der Lazarettschiffe bei Beginn der Invasion?

GODT: Bei Beginn der Invasion galt für diesen Raum wie für jeden anderen, daß Lazarettschiffe nicht angegriffen werden durften. Es meldeten dann die im Invasionsgebiet operierenden Kommandanten, daß ein außerordentlich starker Lazarettschiffverkehr von ihnen festgestellt war.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Von wo nach wo?

GODT: Zwischen dem Invasionsraum in der Normandie und England. Der Befehlshaber der U-Boote hat dann durch die zuständige Stelle prüfen lassen, ob der Lazarettschiffverkehr in der gemeldeten Stärke den Verhältnissen entsprach. Das wurde bestätigt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Was soll das heißen?

GODT: Das heißt, daß die Zahl der gemeldeten Lazarettschiffe der Zahl der vermuteten Verwundeten entsprach. Es ist dann ausdrücklich befohlen worden, daß die Lazarettschiffe weiterhin nicht angegriffen werden durften.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Entsprach die strikte Achtung der Lazarettschiffe zu diesem Zeitpunkt des Krieges unserem eigenen Interesse?

GODT: Wir hatten zu dieser Zeit Lazarettschiffverkehr wohl nur in der Ostsee, wo die Genfer Konvention von der Gegenseite nicht anerkannt war. Wir hatten also kein besonderes Interesse an der Schonung von Lazarettschiffen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Kennen Sie einen Fall, in dem während dieses Krieges ein feindliches Lazarettschiff durch ein deutsches U-Boot versenkt worden ist?

GODT: Nein.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist das umgekehrt vorgekommen?

GODT: Es ist im Mittelmeer das deutsche Lazarettschiff »Tübingen« von englischen Flugzeugen, glaube ich, versenkt worden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auf Grund einer Verwechslung mutmaßlich?

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Ob deutsche Lazarettschiffe versenkt wurden, ist doch unerheblich. Nicht wahr?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich wollte hiermit zeigen, Herr Präsident, daß die Möglichkeit von Verwechslungen besteht und daß auch tatsächlich auf Grund einer Verwechslung ein Lazarettschiff versenkt worden ist. Mein Beweisthema geht also dahin, daß man nicht aus der Versenkung eines Schiffes schließen kann, daß es versenkt werden durfte.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist sich ganz darüber im klaren, daß im Seekrieg Irrtümer begangen werden können. Das ist allgemein bekannt. Sollen wir jetzt unterbrechen?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja, Herr Präsident.