[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Herr Dodd! Sie haben 3947-PS als Beweisstück unterbreitet, nicht wahr?
MR. DODD: Jawohl, Herr Vorsitzender, als Beweisstück US-850, glaube ich.
VORSITZENDER: Richtig, 850 war das. Und die Abschrift des Puhl-Affidavits war US-851?
MR. DODD: Das ist richtig; ich habe das andere Affidavit nicht eingereicht, weil wir festgestellt haben, daß es noch nicht beschworen war. Ich werde es veranlassen und mit Ihrer Erlaubnis das Datum hinausschieben. Ich habe den Zeugen hier. Die Frage kann nicht endlos weiter erörtert werden; ich möchte die Angelegenheit nicht weiter in die Länge ziehen. Ich möchte es jedoch als Affidavit vorlegen, wenn er es beschworen hat. Und sollte ihn jemand beantragen wollen, so schlage ich ergebenst vor, daß Dr. Sauter dies jetzt sagt. Er ist kein Gefangener, Herr Vorsitzender, er ist ein freier Mann hier, der Zeuge Thoms.
VORSITZENDER: Sind Sie der Ansicht, daß er jetzt vorgeladen werden soll?
MR. DODD: Wenn er vorgeladen werden soll, dann würde ich vorschlagen, das bald zu tun.
VORSITZENDER: Wenn er ihn im Kreuzverhör zu vernehmen wünscht, dann sollte er jetzt vorgeladen werden.
MR. DODD: Ich würde ihn gerne jetzt hier haben.
DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich spreche in Vertretung des Rechtsanwalts Dr. Kauffmann für den Angeklagten Göring.
Der Angeklagte Göring hat mich gebeten, im Wiederverhör an den Zeugen Puhl zwei Fragen zu richten. Die Fragen wären wahrscheinlich im Zusammenhang gestanden mit dem Dokument, das die Anklagevertretung im Kreuzverhör dem Zeugen Puhl vorgehalten hat, und zwar das Dokument 3947-PS.
Die Anklagevertretung hat von Seite 2 dieses Dokuments den Abschnitt 3 verlesen, der wie folgt beginnt: »Der Herr Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches, Beauftragter für den Vierjahresplan...«
VORSITZENDER: Einen Augenblick. Dr. Seidl! Wenn Sie an den Zeugen Puhl im Namen des Angeklagten Göring Fragen stellen wollen, können Sie das tun. Puhl wird zu diesem Zweck wieder vorgeladen werden.
DR. SEIDL: Herr Präsident! Die Schwierigkeit besteht in etwas anderem. Der Angeklagte Göring erklärte, und zwar meines Erachtens mit Recht, er könne die Fragen, die er an den Zeugen stellen wollte, nur dann mit gutem Grund stellen, wenn er vorher die Möglichkeit hätte, das Dokument zu sehen, auf das sich die Anklagevertretung berufen hatte. Ich habe daher während des Kreuzverhörs dem Angeklagten Göring das Dokument 3947-PS durch den wachhabenden Soldaten überreichen wollen. Dies wurde abgelehnt, und zwar mit der Begründung, daß auf Grund eines Befehls des Kommandanten des Gefängnisses dem Angeklagten Dokumente nicht mehr in der Hauptverhandlung überreicht werden dürfen, deren Fall bereits abgeschlossen ist.
VORSITZENDER: Obwohl das Dokument über das Mikrophon verlesen wurde, sollen sowohl Sie wie auch der Angeklagte Göring das Dokument selbstverständlich erhalten; der Zeuge muß jedoch in dieser Sitzung vorgeladen werden. Sie und der Angeklagte Göring können das Dokument sehen, aber der Zeuge muß zur Vernehmung sofort hereingerufen werden.
DR. SEIDL: Herr Präsident! Es wurden ja nur Auszüge aus dem Dokument verlesen, und meines Erachtens sagt der Angeklagte Göring mit Recht: Wenn ich eine vernünftige Frage stellen soll, dann muß ich vorher das ganze Dokument kennen. Und ich bin nun der Auffassung, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder verzichtet die Anklagevertretung darauf gegenüber den Angeklagten, deren Fall angeblich bereits abgeschlossen ist, auch im Kreuzverhör weiteres Beweismaterial vorzubringen oder aber es wird dem Angeklagten die Möglichkeit gegeben, von diesem neuen in dem Prozeß eingeführten Beweismaterial Kenntnis zu nehmen, und das kann bei Urkunden, die nur auszugsweise verlesen werden können, eben nur dadurch geschehen, daß dem Angeklagten das ganze Dokument zugänglich gemacht wird.
VORSITZENDER: Das Dokument ist nur etwas mehr als eine Seite lang, und nur ein Absatz darin bezieht sich auf Göring. Dieser Absatz ist schon verlesen worden. Wenn ich sage eine Seite, so meine ich damit eine Seite in dem englischen Exemplar. Sie haben wahrscheinlich die deutsche Übersetzung vor sich.
DR. SEIDL: Bei mir sind es dreieinhalb Seiten.
VORSITZENDER: Nur ein Absatz bezieht sich auf Göring.
DR. SEIDL: Herr Präsident! Es handelt sich nur um die Frage, ob ich in der Hauptverhandlung diese Photokopie dem Angeklagten Göring zur Kenntnisnahme übergeben darf oder nicht. Wenn diese Möglichkeit besteht – und ich sehe keinen Grund, warum das nicht möglich sein sollte –, dann bin ich in kurzer Zeit in der Lage, eine etwa notwendig werdende Frage an den Zeugen Puhl zu stellen; aber meines Erachtens hat der Angeklagte recht, wenn er sagt, daß er von einem Dokument, von dem nur Auszüge verlesen werden, von seinem ganzen Umfang Kenntnis nehmen möchte.
MR. DODD: Herr Vorsitzender! Vielleicht kann ich etwas behilflich sein. Ich möchte darauf hinweisen, daß Herr Dr. Seidl dieses Dokument sowieso zehn Minuten lang während der Verhandlungspause in der Hand gehabt hat, und außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß wir als Mitglieder der Anklagevertretung ihn nicht davon ausgeschlossen haben, das Dokument zu erhalten; es ist lediglich eine Sicherheitsmaßnahme.
VORSITZENDER: Vielleicht sind Sie, Dr. Seidl, zufrieden, wenn wir verfügen, daß der Zeuge Puhl um zwei Uhr wieder vorgeladen wird, damit Sie die gewünschten Fragen an ihn stellen können. Er kann selbstverständlich das Dokument haben; er hält es ja in der Hand; und Göring kann es natürlich auch bekommen.
DR. SEIDL: Da ist ja die Schwierigkeit, Herr Präsident, daß zwar ich das Dokument habe, daß aber auf Grund der Anweisungen, die hier Geltung haben, der Angeklagte Göring nicht in den Besitz des Dokuments kommen kann.
VORSITZENDER: Sie können das Dokument jetzt Göring übergeben.
DR. SEIDL: Das darf ich nicht tun.
VORSITZENDER: Ich sage Ihnen doch, Sie sollen es tun, man wird es gestatten.
Dr. Sauter, wollen Sie Thoms, dessen Erklärung hier vorgelegt wurde, im Kreuzverhör vernehmen?
DR. SAUTER: Bitte, ja.
VORSITZENDER: Sie wünschen es?
DR. SAUTER: Ja.
Herr Präsident! Darf ich zu dem, was eben Dr. Seidl gesagt hat, noch etwas bemerken? Es handelt sich nicht nur um die eine Urkunde, die eben Dr. Seidl dem Angeklagten Göring übergeben wollte, sondern es handelt sich um die allgemeine Frage, ob ein Verteidiger berechtigt ist, einem Angeklagten während der Sitzung übergebene Urkunden auszuhändigen. Bisher war das gestattet, und jetzt steht die Polizei auf dem Standpunkt, daß diejenigen Angeklagten, deren Fall hier zunächst erledigt ist, auch von ihrem Verteidiger keine Urkunden mehr im Sitzungssaal sollen ausgehändigt bekommen. Und das empfinden wir Verteidiger als eine Benachteiligung, weil ja, wie der Fall Göring zeigt, es sehr leicht vorkommen kann, daß ein Angeklagter in einem späteren Fall noch irgendwie beteiligt ist. Und die Bitte, die wir an Sie und an das Gericht richten, geht dahin, daß den Verteidigern auch in Zukunft gestattet sein soll, auch hier in der Sitzung den Angeklagten Urkunden zu übergeben, auch wenn der betreffende Fall an sich schon erledigt ist. Das wollte Herr Dr. Seidl jetzt von Ihnen erbitten.
Herr Präsident, darf ich noch etwas bemerken?
VORSITZENDER: Ja, Dr. Sauter, Sie wollen noch etwas sagen?
DR. SAUTER: Ja, darf ich noch auf folgendes hinweisen? Wir durften bisher schon im Vernehmungszimmer beim Gefängnis unten den Gefangenen, die wir uns vorführen lassen, keine Urkunden übergeben. Wenn ich also eine Urkunde habe, die ich mit meinem Mandanten besprechen will, dann muß ich diese ganzen Urkunden ihm vorlesen. Nun, wenn da unten 10, 12 oder 15 Verteidiger in den Abendstunden sitzen, ist das fast...
VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß jedes beliebige Dokument, das den Verteidigern überreicht wird, auch den Angeklagten selbst vom Verteidiger ausgehändigt werden darf. Es macht hierbei durchaus keinen Unterschied, ob der Fall eines Angeklagten in dieser Hinsicht bereits erledigt ist.
DR. SAUTER: Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar, Herr Präsident, und wir hoffen, daß diese Ihre Anordnungen dann auch keine Schwierigkeiten bei der Durchführung finden.
VORSITZENDER: Und jetzt haben Sie den Wunsch, Thoms im Kreuzverhör zu vernehmen?
DR. SAUTER: Jawohl.
VORSITZENDER: Ist Thoms im Hause? Kann er sofort hierhergebracht werden?
MR. DODD: Er ist bereits auf dem Wege hierher. Wahrscheinlich steht er bereits draußen.
VORSITZENDER: Gut, vielleicht sieht der Gerichtsmarschall nach, ob er da ist.
MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich habe noch nicht Zeit gehabt, das Affidavit beschwören zu lassen, weil ich ihn noch nicht gesehen habe.
VORSITZENDER: Nein, aber soweit es sich um das Kreuzverhör handelt, kann er hier vereidigt werden.
GERICHTSMARSCHALL: Nein, Herr Vorsitzender, der Mann ist noch nicht da.
MR. DODD: Er ist unterwegs.
VORSITZENDER: Er ist nicht zur Hand.
MR. DODD: Er ist unterwegs, er war vor einer Minute im Büro von Leutnant Meltzer, und er ging ihn holen.
VORSITZENDER: Er kann dann um 2.00 Uhr nach den anderen Zeugen vorgeführt werden.
Und nun Herr Dr. Siemers, sind Sie bereit?
DR. SIEMERS: Hohes Gericht! Ich darf vorweg bemerken, daß ich meinen Fall folgendermaßen vortragen möchte.
Ich möchte, dem Vorschlage des Gerichts entsprechend, Raeder als Zeugen hören, und zwar im Zusammenhang mit all denjenigen Dokumenten, welche die Anklage zur Belastung von Raeder vorgelegt hat. Ich habe Raeder diese Dokumente sämtlich gegeben, so daß er sie auf dem Zeugenstand vor sich hat, um keine Zeit dadurch zu verlieren, daß jedes einzeln gebracht werden muß. Die Britische Delegation war so liebenswürdig und hat diese Dokumente, die sich zum Teil im Dokumentenbuch Raeder 10 befinden... Die Britische Delegation hat freundlicherweise die Dokumente, die noch nicht im Dokumentenbuch Raeder waren, in einem neuen Dokumentenbuch 10a zusammengestellt. Ich nehme an, daß dieses Dokumentenbuch dem Tribunal vorliegt.
Ich werde also zur Erleichterung bei jedem Dokument die Seitenzahl des englischen Dokumentenbuches 10a oder englischen Dokumentenbuches 10 nennen.
Gleichzeitig beabsichtige ich, falls es dem Tribunal so recht ist, die Dokumente aus meinen Dokumentenbüchern, die jeweils mit der betreffenden Frage zusammenhängen, ebenfalls schon vorzulegen.
Danke schön. Ich bitte dann Großadmiral Raeder in den Zeugenstand.