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[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen angeben?

ERICH RAEDER: Erich Raeder.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir den folgenden Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral Raeder! Ich bitte Sie, zunächst dem Tribunal zu berichten kurz über Ihren Lebenslauf und Ihre berufliche Entwicklung.

RAEDER: Ich bin geboren im Jahre 1876 in Wandsbek bei Hamburg. Ich trat in die Marine ein 1894 und wurde Offizier 1897. Normaler Aufstieg: zwei Jahre Marineakademie; in jedem der Jahre drei Monate Sprachurlaub nach Rußland während des russisch-japanischen Krieges. 1906 bis 1908 Reichsmarineamt in der Nachrichtenabteilung von Tirpitz. Ich habe da fremde Presse und die Redaktion der »Marine-Rundschau« und des »Nautikus« geleitet.

1910 bis 1912 Navigationsoffizier auf der Kaiserjacht »Hohenzollern«. 1912 bis anfangs 1918 erster Admiralstabsoffizier und Chef des Stabes des Kreuzerführers »Admiral Hipper« auf den Schlachtkreuzern. Nach dem ersten Weltkrieg in der Admiralität Chef der Zentralabteilung bei Admiral von Trotha. Dann zwei Jahre Seekriegsgeschichte geschrieben im Marinearchiv. Als Konteradmiral 1922 bis 1924 Inspekteur des Bildungs- und Erziehungswesens der Marine. 1925 bis 1928 als Vizeadmiral Chef der Marinestation der Ostsee in Kiel.

Am 1. Oktober 1928 wurde ich zum Chef der Marineleitung in Berlin durch Reichspräsident von Hindenburg auf Vorschlag des Reichswehrministers Groener ernannt.

Ich wurde dann im Jahre 1935 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und 1939, am 1. April, Großadmiral.

Am 30. Januar 1943 legte ich das Amt als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nieder und erhielt den Titel Admiralinspekteur der Kriegsmarine, ohne daß damit eine Dienstfunktion verbunden war.

DR. SIEMERS: Ich möchte nur auf einen Punkt zurückkommen. Sie sagten, Sie wurden 1935 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Dies war lediglich, wenn ich recht verstehe, eine neue Bezeichnung?

RAEDER: Das war nur eine neue Bezeichnung.

DR. SIEMERS: Demnach waren Sie von 1928 bis 1943 Führer der Marine?

RAEDER: Jawohl.

DR. SIEMERS: Nach dem Versailler Vertrag hatte Deutschland nur ein Heer von 100000 Mann und eine Marine von 15000 Mann mit 1500 Offizieren. Im Verhältnis zur Größe des Reiches war also die Wehrmacht außerordentlich klein.

Ich frage Sie, war Deutschland in den zwanziger Jahren in der Lage, mit dieser kleinen Wehrmacht sich gegen etwaige Überfälle von Nachbarstaaten zu verteidigen, und mit welchen Gefahren mußte Deutschland in den zwanziger Jahren rechnen?

RAEDER: Nach meiner Ansicht war Deutschland in keiner Weise dazu in der Lage, sich selbst gegen Angriffe der kleinsten Staaten wirksam zu verteidigen, da es über keinerlei moderne Waffen verfügte, während die umliegenden Staaten, unter ihnen ganz besonders Polen, mit den modernsten Waffen ausgerüstet waren. Auch die modernen Festungswerke waren Deutschland genommen. Die Gefahr, die Deutschland in den zwanziger Jahren stets vor Augen sah, war...

DR. SIEMERS: Einen Augenblick!

Ich darf Sie bitten, weiterzufahren.

RAEDER: Die Gefahr, die Deutschland in den zwanziger Jahren stets vor Augen sah, war der Einfall Polens nach Ostpreußen, um dieses Gebiet, das durch den Korridor von dem übrigen Deutschland getrennt war, von Deutschland abzutrennen und zu besetzen. Die Gefahr stand Deutschland deswegen besonders klar vor Augen, weil in jener Zeit Wilna von den Polen besetzt war, mitten im frieden mit Litauen, und weil von Litauen das Memelgebiet weggenommen war. Im Süden war auch Fiume weggenommen, ohne daß der Völkerbund oder irgend jemand sonst dagegen Einspruch erhob. Es war aber auch der Deutschen Regierung der damaligen Zeit klar, daß das einzige, was Deutschland nicht mehr passieren durfte in jener Zeit der Machtlosigkeit, war, daß Ostpreußen auch noch besetzt und von Deutschland abgetrennt würde. Daher war das Ziel unserer Bemühungen, uns so einzurichten, daß wir mit den äußersten Mitteln einem solchen Einbruch der Polen in Ostpreußen entgegentreten könnten.

DR. SIEMERS: Sie sagten eben, daß man fürchtete, daß ein solcher Einfall passieren könne. Sind nicht in den zwanziger Jahren sehr häufig auch Grenzüberfälle tatsächlich passiert?

RAEDER: Auch das fand statt.

DR. SIEMERS: Ist es richtig, daß diese Gefahren nicht nur von Ihnen und von den militärischen Kreisen erkannt wurden, sondern in den zwanziger Jahren genau so auch von den damaligen Regierungen, insbesondere von den Sozialdemokraten und von Stresemann?

RAEDER: Jawohl. Ich sagte vorhin schon, daß auch die Regierung sich darüber klar war, daß ein solcher Einfall nicht stattfinden dürfte.

DR. SIEMERS: Die Anklage hat Ihnen nun ein völkerrechtswidriges und vertragswidriges Verhalten schon in der Zeit vor Hitler vorgeworfen.

Sie wurden am 1. Oktober 1928 Chef der Marineleitung und erhielten damit die höchste Stellung in der deutschen Marine. Haben Sie Ihre ganze Kraft eingesetzt, um mit Rücksicht auf die geschilderten Gefahren die deutsche Marine im Rahmen des Versailler Vertrages aufzubauen, um Insbesondere Ostpreußen schützen zu können?

RAEDER: Ja. Ich habe meine ganze Kraft dareingesetzt und habe diesen Aufbau der Marine dann als meine Lebensaufgabe betrachtet. In allen Stadien dieser Aufbauzeit war der Wiederaufbau der Marine ja besonders schwierig, und ich hatte infolgedessen in all den Jahren dauernd nach irgendeiner Seite zu kämpfen, um diesen Wiederaufbau durchsetzen zu können. Dadurch bin ich vielleicht etwas einseitig geworden, da dieser Kampf für den Aufbau der Marine mich voll beanspruchte und mich davon abhielt, mich in irgendwelche andere Dinge zu mischen, die mit diesem Aufbau nichts zu tun hatten. Ich habe bei dem Aufbau, außer dem Aufbau des Materials, in erster Linie meine ganze Kraft auf die Bildung eines tüchtigen Offizierskorps und einer gut durchgebildeten und vor allen Dingen gut erzogenen Mannschaft gesetzt.

Der Großadmiral Dönitz hat bereits hier berichtet, welches das Resultat dieser Erziehung unserer Mannschaften und unserer Offiziere gewesen ist, und ich möchte auch nur bestätigen, daß diese deutschen Marinemannschaften sowohl im Frieden die volle Anerkennung im In- und Ausland erwarben durch ihr anständiges und würdiges Auftreten, ihre Wohlerzogenheit, als auch, daß sie im Kriege in voller Geschlossenheit, in größter Kampfsittlichkeit bis zum Ende vorbildlich gekämpft haben, sich im ganzen an keinerlei Greueltaten beteiligt haben und auch in den besetzten Gebieten, wo sie waren, wie zum Beispiel in Norwegen, sich durch ihr würdiges und anständiges Verhalten volle Anerkennung der Bevölkerung erworben haben.

DR. SIEMERS: Da Sie 15 Jahre lang die Marine leiteten und in diesen 15 Jahren die Marine aufbauten, kann demnach festgestellt werden, daß Sie für alles, was im Rahmen dieses Wiederaufbaues passiert ist, als Leiter der Marine verantwortlich sind.

RAEDER: Ich bin voll verantwortlich dafür.

DR. SIEMERS: Es ist, wenn ich richtig sehe, nur die Einschränkung des Datums vom 1. Oktober 1928 zu machen.

RAEDER: Was das Material anbetrifft.

DR. SIEMERS: Wem waren Sie hinsichtlich des Aufbaues der Marine unterstellt? Sie konnten ja nicht völlig selbständig handeln.

RAEDER: Ich war unterstellt einmal dem Reichswehrminister und durch diesen der Reichsregierung, da ich ja nicht Mitglied der Reichsregierung war; und zweitens hatte ich auch dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht zu gehorchen in diesen Dingen. Dieser Oberbefehlshaber der Wehrmacht war von 1925 an bis 1934 der Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg und nach seinem Tode am 1. August 1934 Adolf Hitler.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich darf in diesem Zusammenhang Raeder-Exhibit Nummer 3 vorlegen, ein kurzer Auszug aus der Verfassung des Deutschen Reiches. Dort lautet der Artikel 47, Raeder Nummer 3 – im Dokumentenbuch 1, auf Seite 9 –:

»Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reiches.«

Und ich überreiche ferner das Reichswehrgesetz, auf das ich nachher noch zurückkommen muß, im Raeder-Exhibit Nummer 4, Dokumentenbuch 1, Seite 11 und verweise auf Paragraph 8 des Wehrgesetzes, der wie folgt lautet:

»Die Befehlsführung liegt ausschließlich in der Hand der gesetzmäßigen Vorgesetzten.

Der Reichspräsident ist Oberster Befehlshaber der gesamten Wehrmacht. Unter ihm übt der Reichswehrminister Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht aus. An der Spitze des Reichsheeres steht ein General als Chef der Heeresleitung; an der Spitze der Reichsmarine ein Admiral als Chef der Marineleitung.«

Diese Paragraphen sind auch unter dem nationalsozialistischen Regime im vollen Umfange bestehen geblieben. Ich weise nur darauf hin, weil sich hieraus das ergibt, was der Zeuge sagte. Er steht also hinsichtlich des Wiederaufbaues an dritter Stelle: Reichspräsident, Reichswehrminister und dann der Höchste im Militär.